Empowerment bedeutet, dass vorhandene, aber wenig oder unvollständig genutzte Ressourcen und Kompetenzen entdeckt, gepflegt, wertgeschätzt, entfaltet, bestätigt, bestärkt und erweitert werden. Und in diesem Sinne sollte jede Art von Coaching – und jede Coaching-Sitzung – „Empowerment“ bedeuten; selbst wenn dabei ein Klient sehr ernst oder grundsätzlich mit bestimmten Aktivitäten in Frage gestellt wird.
Der Begriff Empowerment entstammt der amerikanischen „Gemeindepsychologie“. Der Sozialwissenschaftler Julian Rappaport (1981) versteht darunter ein Konzept, das sich durch eine Abwendung von einer defizitorientierten hin zu einer stärkenorientierten Haltung auszeichnet. Ebenfalls zu nennen wäre Saul D. Alinsky (1909-72). Er organisierte die „Habenichtse“ in den Slums von Chicago und hat seine Erfahrungen als „Anleitung zum Mächtigsein“ veröffentlicht (s. Kasten). Ich beschreibe Coaching als Empowerment – als Ermächtigung zu wesentlicher Lebenskraft – in vier Schritten:
Ein anderes Wort als „Macht“ zu gebrauchen heißt, die Bedeutung von allem, worüber wir reden, zu ändern. Wie sagte noch Mark Twain einmal: „Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem fast richtigen Wort ist der Unterschied zwischen der Erleuchtung und einem Glühwürmchen." (...) Die Korruption der Macht liegt nicht an der Macht, sondern an uns selbst. Und außerdem, was ist diese Macht, von der und für die die Menschen in einem starken Maße leben?
Macht ist das eigentlich Wesentliche, der Dynamo des Lebens. Durch die Macht des Herzens wird Blut durch den Körper gepumpt und erhält ihn am Leben. Es ist die Macht einer aktiven Beteiligung der Bürger, die eine vereinigte Stärke für ein gemeinsames Ziel schafft. Macht ist eine wesentliche Lebenskraft, die immer wirkt, entweder zur Veränderung der Welt oder zur Verhinderung von Veränderung. Macht oder organisierte Tatkraft kann ein tödlicher Explosionsstoff oder ein lebensrettendes Heilmittel sein. Mit der Macht eines Gewehrs kann man die Sklaverei aufrechterhalten oder die Freiheit erlangen.
Coaching im Kontext von Business trifft immer auf Macht; Definitionsmacht in Strukturen und in Prozessen, Macht in Erwartungen, Zuschreibungen und Bestätigungen. Doch soziale Systeme sind nicht statisch, auch wenn die Bilder, die wir uns in der Regel davon machen, „stehende“ Bilder, eher Fotos vergleichbar sind als einem Film. Wir sehen Organigramme, aber nicht, was sich prozessual permanent verändert. Umso mehr müssen Organisationen in ihrer Prozess- und Entwicklungsorientierung wahrgenommen und beschrieben werden. Business Coaching stellt sich in den Organisationskontext, indem es Vertraulichkeit und Transparenz kombiniert. Die Gespräche zwischen Coach und Klient sind vertraulich – aber das Coaching ist nicht geheim, weil es vom Unternehmen eingesetzt und in seiner Wirkung beobachtet wird.
Empowerment verortet im organisationalen Kontext die jeweiligen individuellen Erwartungen und die Art und Weise ihrer sozialen Zurechnung. Es klärt die sich daraus ergebenden Interaktionen. Es schärft den Blick für die Herausbildung und Entwicklung von Identitätsformationen in Selbst- und Fremdbildern. Es zeigt die Konstruktionsprinzipien der jeweils propagierten Werte. Es hebt die sozialen Konstrukte wie Autorität, Macht, Legitimität, Loyalität in den Bereich der Gestaltbarkeit. Wenn Empowerment allgemein den sozialen Boden einer Person sichert, dann weitet und konsolidiert empowerndes Coaching den sozialen Boden für den Klienten im organisationalen und beruflichen Kontext. Wenn Empowerment sowohl Standfestigkeit als auch Flexibilität in unterschiedlichen sozialen Systemen erhöht, dann erhöht es sie im Coaching konkret, situativ zugespitzt und in praktischen Handlungsoptionen.
Alle sozialen Systeme unterliegen im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftlichen und globalen Entwicklungen einer vielfältigen Dynamik, die aber in der Informationstechnologie einen gemeinsamen Angelpunkt hat. Raum, Grenzen und Reichweite haben sich durch die Informationstechnologie grundlegend und in dramatischem Tempo verändert. Innerhalb einer Generation sind Jahrtausende alte Beziehungsgefüge quantitativ und qualitativ anders geworden.
Am deutlichsten wird dies fassbar am menschlichen Relationsfeld, das in der Ausdifferenzierung und im Zusammenspiel zwischen Hand und Wort (André Leroi-Gourhan, 1980) für die Menschwerdung insgesamt konstitutiv ist. In diesem Relationsfeld zwischen Kopf/ Mund/Wort einerseits und Hand/ Werkzeug andererseits liegen sowohl die Begriffe als das, was „begriffen“, mit dem Verstand angeeignet worden ist, als auch die Instrumente, die die menschlichen Sinne „erweitern“ (als Signalhorn, als Lupe, als Greifzange) oder die Raum und Zeit überbrücken (als Leiter, Rad, Brücke, Kalender, Uhr).
Begriffe und Instrumente sind in immer schnellerem Tempo im Verlauf der letzten zehntausend Jahre entwickelt worden. Im 19. und im 20. Jahrhundert wurden die räumlichen Grenzen durch Eisenbahn, Dieselmotor, Telefon und schließlich die „Begehung“ des Weltraums ausgeweitet ins Globale. Maschinen, Fortbewegungsmittel und wissenschaftliche Instrumente haben zu einer universalen Durchdringung und Beherrschung des Planeten Erde geführt. Instrumente von immer weiterer oder tieferer Reichweite im Großen wie im Kleinen, vor allem Radio, Fernsehen und Telekommunikation haben das menschliche Relationsfeld alltagspraktisch ausgeweitet.
Im PC implodiert sozusagen diese expansive Dynamik. Sie schrumpft zusammen auf ein „Fenster“ im (antiquierten) Maß von 9 x 13 Zoll. Damit werden herkömmliche Beziehungen „auf den Kopf“ gestellt. Ehedem eindeutig materielle Beziehungen zu Gegenständen (Büchern, Karten usw.) und persönliche Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen verflüssigen sich.
Mit dem PC engt sich das historisch differenzierte Relationsfeld der meisten modernen Menschen massenhaft und zeitlich beherrschend auf eine lokale „Gehäuse“-Struktur zwischen Kopf und Augen, Händen und Bildschirm ein.
Empowerndes Coaching „rekonstituiert“ den leibhaftigen Menschen als Mann oder Frau in ihrem jeweiligen Eigen-Sinn in der Gegenwart. Sozusagen als Gegengewicht zur virtuellen Grenzenlosigkeit und Ubiquität im Mensch-Computer-Relationsfeld, „rekonstruiert“ und nutzt es die Form vertraulichen Dialogs im „Gehäuse“ der Kutsche (Coach) – verlangsamend, reflexiv, deutend, in Frage stellend und bestärkend. Empowerndes Coaching führt aus dem globalen Kontext wieder zurück auf das Erleben des Organismus Mensch, auf den umgebenden Grenzraum (intime Distanz, Greifnähe) und auf körperferne Grenzräume außerhalb dieser Greifnähe, auf soziale Distanz, aber auch auf Kommunikation.
Empowerment nutzt das Setting des Coachings: Auf der einen Seite nutzt es den Organisationskontext, der im Coaching verändert, verdoppelt ist (Organisationskontext des Klienten und Organisationskontext des Coachs) und dialogisch verläuft. Es nutzt und „beutet aus“ – sowohl die Erwartungen, Wünsche und Ressourcen der konkreten Kunden als auch die jeweils lokalen, situativen und strukturellen Spielregeln der Organisation. Es verbindet sie mit globalen, universellen, virtuellen Bezugspunkten, Prozessen, Entwicklungen. Auf der anderen Seite nutzt Empowerment unterschiedliche Prozessdynamiken, wie Co-Produktion und relationiertes Expertentum, die Entfaltung von innen nach außen sowie kritisches Denken.
Im Coaching arbeiten Klient und Coach zusammen. Dies ist banal, aber doch nicht nur eine elementare Voraussetzung für das Stattfinden von Coaching, sondern auch ein unermesslicher Gestaltungsraum. Maria L. Staubach (2007) unterscheidet bloße Zusammenarbeit von kreativer, ergebnisreicher Co-Produktion. Zusammenarbeit ist keine nur zufällige und von Launen abhängige Folge von Gesprächen, sondern weist drei Dimensionen der Co-Produktion auf:
Wenn der Coach sich gleichsam tänzerisch zwischen dominantem Expertenstatus und Verweigerung von Expertise hindurch bewegen kann, wenn die Kundin oder der Kunde neue Schritte erkundet und ausprobiert, führt dieses co-produktive Empowerment zu neuen, robusten Handlungsoptionen.
Wie entfaltet sich zwischen Klient und Coach ein vertrauensvoller Dialog, der zu Co-Produktivität und Empowerment führt? Wie kommt man vom gemeinsam verhandelten Dialograum zu Vertrauen, wie von Vertrauen zu reflexiver und sich selbst verstärkender Co-Produktion, wie von Co-Produktität zum Empowerment einer Seite der Partner im Dialog, nämlich des Klienten?
Jacqui Scholes-Rhodes hat diese Dynamik in einer eindrucksvollen Arbeit unter dem Titel „From the Inside Out“ (2003) beschrieben. Sie benennt fünf Dimensionen des Dialogs:
Je mehr in dem dialogischen Prozess von innen nach außen im Sinne dieser fünf Dimensionen vorkommen kann, also Ausdruck und Bestätigung findet, umso mehr findet Co-Produktion inhaltliche Anregung und verstärkt sich Empowerment für den Kunden.
In den reflexiven Dialogen im Coaching geht es auf der einen Seite um Komplexitätsreduktion. Vor allem ist dies der Fall, wenn ein Klient in den unterschiedlichen Dynamiken und inmitten der von vielen Seiten auf ihn einströmenden Informationen nur schwerlich eine Richtung erkennen kann. Vertrauen reduziert Komplexität (Niklas Luhmann, 1968). Auf der Grundlage von Vertrauen kann im Coaching vielfach eine solch situative oder auch strukturelle Komplexität reduziert werden. Zugleich wird es immer auch darum gehen, neue Handlungsoptionen zu eröffnen und zu probieren. Dies kann neue Komplexität nach sich ziehen.
Vordergründig dient riskantes Denken nach Hans Ulrich Gumbrecht (2002) dazu, die Anschauungen von der Welt in unseren Organisationen und Gesellschaften komplexer und auch komplizierter zu machen, als es im Alltag üblich ist, wo routiniertes Verhalten und Handeln eingespielt sind.
Riskantes Denken geht bis an die Ränder, betrachtet die Grenzen von System und Umwelt, denkt interdisziplinär in eher unbekannte und fremde Gefilde hinein. Damit bewegt es sich immer auch im Feld des Nichtwissens. Riskantes Denken nutzt das Nichtwissen als Ressource, um verlockende Ziele und sinnvolle Wagnisse jenseits der eingefahrenen Gleise auszuloten. Wo es um Empowerment geht, spitzt das riskante Denken die Machtfragen auf Alternativen und Entscheidungen zu.
Riskantes Denken wagt es, aus dem Mainstream von Sicherheit und Konsens auszubrechen. Riskantes Denken pointiert die Fragen nach Maßstäben, nach der Qualität des Beitrages einer Leistung, nach dem Wert einer kulturellen oder meinungsbildenden Zugehörigkeit.
Empowerment setzt das riskante Denken vor das Wagnis des Risikos. Aber es ersetzt nicht das Wagnis durch gedankliches Durchspielen, sondern ermutigt zu klarem, konsequentem, nachhaltigem Handeln.
Wie lassen sich Wirkungen von Coaching als Empowerment beobachten und beschreiben? Sicher wird primär und vor allen anderen Beobachtern der Klient zurückmelden, ob er Coaching als Empowerment erfährt und nutzt. Dabei wird es vor allem auch auf Nachhaltigkeit, auf Transfer, auf Musterbildung, auf dauerhafte Ressourcenorientierung und Langzeitwirkung ankommen. Einfache und kurzfristig eingesetzte Skalierungen sind zur Erhebung hilfreich, leicht und situativ einsetzbar.
Um Wirkungen mittlerer Reichweite zu erheben, ist es sinnvoll, eine Art 360°-Feedback durchzuführen. Es werden also vom Coach – nach vorgängiger Information durch eine E-Mail seitens des Klienten – Personen eines relativ kleinen Kreises angerufen und zu einigen entscheidenden Fragen interviewt. Die Ergebnisse dieser Befragung werden dann mit dem Kunden ausgetauscht. Von dieser Auswertung können dann wieder andere Beteiligte im Unternehmen, Sponsor oder HR-Verantwortliche, informiert werden.
Die langfristigen Wirkungen von Coaching als Empowerment werden am besten in einem Follow-up etwa ein Jahr nach Abschluss der Coaching-Zusammenarbeit eruiert. Hierbei lohnt insbesondere die Unterscheidung von Breitenwirkung und Tiefenwirkung. Zugleich lassen sich über Skalierung Entwicklungen in den Blick nehmen, die Selbstentwicklung, Selbststeuerung und Selbstveränderung betreffen. Für den Unternehmenskontext können zahlenbasierte Ergebnisse ebenso relevant sein wie Rückmeldungen in Feedbacks, Appraisals, Reviews oder Personalgesprächen, veränderten Aufgabenstellungen, Übertragung anderer Verantwortungsbereiche und so weiter. Wie verhält sich die Bewertung der Selbstkompetenz im Vergleich zu den Kompetenzzuschreibungen im Fremdbild?
Coaching als Empowerment kann in vielfältiger Weise sichtbar wirken. Häufig liegen diese Wirkungen außerhalb des Gesichtskreises des Coachs. Auf Seiten der Kunden werden Wirkungen des Coachings nach Abschluss häufig nicht mehr primär dem Coaching zugeordnet. Ein Auftraggeber oder Sponsor im Unternehmen beobachtet, wenn überhaupt, die Wirkungen von Coaching, solange der Prozess dauert.
Langfristige Wirkungen von Coaching können am ehesten von der Human Resources-Abteilung eines Unternehmens beobachtet werden. Dazu braucht es aber einen konzeptionellen Rahmen für den Einsatz von Coaching im Unternehmen, eine schriftliche Erfassung des anfänglichen Anliegens und der Vertragsgestaltung sowie einen Abschlussbericht. Ein solcher fällt je nach Autor (Klient selbst, Coach, Sponsor, 360°-Feedback) unterschiedlich aus, kann aber Kriterien liefern, die für übergreifende Evaluationen im HR-Bereich wesentlich sind. Solche unternehmensspezifischen Evaluationen sollten dann vermehrt auch wissenschaftlichem Vergleich und systematischer Auswertung zugänglich gemacht werden.