Kann Coaching eigentlich nicht wirken? Wahrscheinlich nicht, denn spätestens seit Watzlawick wissen wir, dass alles, was wir tun, einen Effekt hat. Doch eine Frage wird selten behandelt: Wie wirken sich denn die „Wirkungen“ von Coaching in der Organisation aus (siehe auch Coaching-Magazin 1/2014)? Die Antwort lautet: Über den Transfer. Die hier skizzierte qualitative Studie (2008) beschäftigt sich mit dem Transfererfolg von Coaching, grob: der Umsetzung von Gelerntem am Arbeitsplatz. Der Transfer kann als die eine Größe gesehen werden, die für die Übersetzung möglicher Wirkungen von Coaching in Mehrwerte innerhalb der Organisation verantwortlich ist.
Coaching gilt seit mehr als 20 Jahren als praxisorientiertes, vielseitig einsetzbares Beratungskonzept. Es weist jedoch wesentliche Entwicklungsschwächen im theoretischen und forschungspraktischen Bereich auf. Im Kontext der Professionalisierung von Coaching spielt Forschung eine wesentliche Rolle. Es gilt, Standards zu entwickeln und zu etablieren, um Qualität im Coaching zu sichern. Doch was ist ein qualitativ „gutes Coaching“? Qualität ist so eine Sache, gerade in sozialen, nicht-technischen Prozessen – sie ist eine Definitionssache. Doch wer definiert diese? Alle Beteiligten gemeinsam: Denn Qualität entsteht im Spannungsfeld von Profession, Organisation und Klienten.
In der vorliegenden, qualitativen Studie soll insbesondere der Einbeziehung von Kundenerwartungen Rechnung getragen werden, da ihnen eine große Bedeutung beim Erzeugungs- und Bewertungsprozess von Qualität zukommt (Timmermann, 1996). Sie sind letztlich die Empfänger der Dienstleistung, die Glücklichen oder Leidtragenden. Der Beitrag dieser Arbeit zur qualitätsbezogenen Professionalisierung von Coaching liegt demnach darin, die Klientenperspektive zum Transfererfolg verstärkt in die Qualitätsdebatte einzubringen (Strikker, 2007). Transfer als Wirkung von Coaching im Arbeitsalltag
Der Transfererfolg als spezieller Aspekt von Coaching ist bislang nur stiefmütterlich in der Coaching-Forschung berücksichtigt worden. Der Transfer stellt sich als ein wesentlicher Aspekt der Ergebnisqualität eines Coachings dar. Er ist das Wirksam-Werden des Gelernten, des Erkenntnisgewinns, der emotionalen, kognitiven, verhaltensbezogenen Effekte eines Coachings innerhalb der Organisation. Der Transfer als Anwendung einer Lernerfahrung im Arbeitsfeld stellt somit das zentrale Bindeglied zwischen den unmittelbaren Veränderungswirkungen der gecoachten Person und dem Nutzen für das Unternehmen dar, der sowohl vom Klienten als auch vom Auftraggeber wahrnehmbar ist. Transfer wird im Rahmen der Studie verstanden als aktive, individuelle Konstruktionsleistung unter Berücksichtigung der Situationsspezifität (Mandl et al., 1992).
Die Herausforderung des Transfers besteht darin, dass Erlerntes fast niemals „eins-zu-eins“ im Alltag umgesetzt werden kann, sondern situationsspezifisch angepasst werden muss, z.B. verallgemeinert, verknüpft und weiterentwickelt werden muss.
Die Fragestellung der Studie zielt darauf ab, herauszufinden, wie erfolgreich der Transfer von den Coaching-Klienten eingeschätzt wird und welche Zusammenhänge zwischen Elementen des Coaching-Prozesses, organisationalen und persönlichen Rahmenbedingungen und der Transferleistung identifiziert werden können. Ferner interessiert, welchen Stellenwert die Klienten der Transfersicherung und Evaluation zukommen lassen und wie sich die subjektiv wahrgenommenen Verantwortlichkeiten hierfür verteilen. Ziel ist es, Hinweise auf spezifische, transferrelevante Qualitätskriterien zu generieren. Forschungsfragen:
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Qualitätsmodell von Coaching beruht auf der angepassten sog. „Bildungsproduktionsfunktion“ von Timmermann (1996). Hierfür bedarf es jedoch einer genaueren Betrachtung des hier zugrunde gelegten Coaching-Verständnisses, denn Beratung ist nicht gleichzusetzen mit Bildungsprozessen, aus denen der Transferbegriff entliehen wurde. Um den Transferbegriff auf Coaching-Prozesse zu übertragen, wird Coaching in dieser Studie als Beratungsmethode mit „bildenden Elementen“ konzeptioniert, also als eine pädagogisch-therapeutische Methode verstanden: „Eine pädagogisch-therapeutische Situation fördert die Fähigkeit, sich der Welt und sich selbst verantwortlich handelnd zuzuwenden und seiner autonominterdependenten Wirklichkeit Rechnung zu tragen“ (Cohn, 2004; 176).
Die These lautet, dass Coaching didaktische Prozesselemente enthält und eine allgemeinbildende Wirkung im Sinne der Förderung von Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität (Klafki, 1985) entfalten kann. Hierfür finden sich zahlreiche Belege in der Coaching-Literatur. So beschreiben z.B. Looss & Rauen Coaching als „besondere Art der Initiierung und Begleitung von Lernprozessen in einem vorbereiteten, angstfreiem und handlungsentlastetem Raum“ (2005; 170). Schreyögg weist auf die Anforderungen an den Coach hin, die „Didaktik des Lernens und des Veränderns (zu) beherrschen“ (2007; 40). Ferner gibt es eine Entsprechung in den allgemeinen Zielen von Coaching zu allgemeinen Bildungszielen, wie die Förderung von Selbstreflexion, Selbstwahrnehmung, Bewusstsein und Verantwortungsübernahme (Rauen, 2003) sowie der Forderung einer Steigerung der Humanität des Klienten sich selbst gegenüber (Schreyögg, 2003).
Das in dieser Studie zugrunde gelegte Qualitätsmodell ist als analytisches Hilfsmittel gedacht, um Coaching-Prozesse in ihren verschiedenen Qualitätsdimensionen zu betrachten und zu strukturieren. Folgende Dimensionen nach Donabedian (1982) werden über Phasen von Coaching gelegt und unterschieden:
Bedeutsam für die Transferproblematik ist die Unterscheidung in ein Lern- und ein Funktionsfeld, wobei das Coaching das Lernfeld, die Organisation das Funktionsfeld darstellt.
Transfererfolg:
Insgesamt belegen die Ergeb nisse der Studie, dass Transfer bei Coachings nicht so selten ist, wie er teilweise für Trainings unterstellt wird. In einem Fall ist der Transfer von gelegentlichen Rückschlägen beeinträchtigt. In einem anderen ist der Transfer aufgrund eines nicht ausreichend konkretisierten Outputs noch nicht möglich, aber es besteht eine Transferabsicht. Zwei von vier Befragten machen durch ihre Schilderung der Transferleistung glaubhaft, dass sie auch ein Jahr nach dem Coaching die Erkenntnisse umsetzen bzw. sogar weiterentwickeln. Die situationsbedingte Anpassung und Weiterentwicklung des Gelernten unterstützt eine Auffassung von Transfer als Prozess und Ergebnis einer individuellen Interpretations- und Konstruktionsleistung. Beispiel: Ein Klient agiert vermehrt als Coach seiner Mitarbeiter. So führt er z.B. ein Jahr nach dem Coaching, einmal pro Woche ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin, die nach langer Krankheit mit dem Wiedereinstieg zu kämpfen hat.
Transferbeeinflussende Faktoren:
Die Faktoren, die den Transfer maßgeblich direkt beeinflussen. Andere Faktoren, wie z.B. die Beziehung zum Coach, die Kompetenz des Coachs etc. sind als mittelbar wirkende Faktoren an dieser Stelle nicht aufgeführt.
Organisatorisches:
Sitzungsintervalle sollten unter drei Monaten bleiben, um aktuelle Anknüpfungspunkte zu gewährleisten und auf zeitnahe Umsetzungssituationen eingehen zu können. Ansonsten, so ein Klient, hätten die Themen sich „von selbst erledigt“.
Interventionen:
Durch die Vermittlung einer Transferstrategie des Ausprobierens und der Reflexion von Transfererfolgen und -misserfolgen erweitern sich die Transfermöglichkeiten. Je nach Zielimplikation und Persönlichkeit des Klienten muss ein Coach eine Balance zwischen Offenheit und Lenkung in seinem Interaktionsstil realisieren, um den Transfer bestmöglich zu unterstützen. Dies bedeutet, ggf. auch in die Konfrontation zu gehen.
Output:
Der Output stellt eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den Transfer dar: Auch wenn der Klient „interessante“ Erfahrungen und Erkenntnisse im Coaching gewonnen hat, müssen diese nicht im Hinblick auf sein Ziel wirksam werden. Empfehlung: Ein Coaching kann größere Relevanz im Lebens- und Arbeitsumfeld entfalten, wenn explizit erarbeitet wird wo, wie und wann er das nächste Mal in eine Situation kommen wird, in der er das Erlernte nutzen kann.
Vorgesetzter/Umfeld:
Vorgesetzte und Kollegen können den Transfer durch regelmäßiges Feedback fördern. Hierbei kann es hilfreich sein, die Kollegen über den eigenen Entwicklungsprozess zu informieren. Das spräche für einen transparenten Umgang mit Coaching im Unternehmen. Ein eingefahrenes Rollenverhältnis zum Vorgesetzten oder zu Kollegen kann transferhinderlich wirken, aber durch eine angemessene Bearbeitung im Coaching angegangen werden. Beispiel: In einem Fall wird das als hemmend empfundene, eingefahrene Rollenverhältnis des Klienten zu den Mitarbeitern im Coaching ausführlich thematisiert, was sich positiv auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Klienten auswirkt.
Der Autonomiespielraum am Arbeitsplatz stellt je nach Veränderungsanliegen eine zentrale Transfervoraussetzung dar. Anders formuliert: Darf der Klient sich verändern und Einfluss auf sein Umfeld ausüben? Beispiel: Die persönliche Entwicklung vom Klienten A vom „Technischen“ zum „Kaufmännischen“ hin bewirkt eine Aufwertung kaufmännischer Aspekte in der gesamten Abteilung, die sich in neuen Standards und Checklisten für Verträge niederschlägt. Das Coaching wird hier als „Entwicklungsschleuse“ bezeichnet. Auch ein Einzelner kann demnach ein System beeinflussen.
Klient:
Einen wesentlichen Einfluss hat der Klient selbst auf den Transfer, kann ihn jedoch nicht immer willentlich steuern: Internale, stabile Zuschreibungsgewohnheiten der Ursachen von Misserfolgen müssen im Coaching thematisiert und ggf. revidiert werden, um den Transfer nicht zu behindern. Beispiel: So wird z.B. in einem Fall ein negatives Selbstbild und mangelnde Kontrollerwartung nicht ausreichend im Coaching bearbeitet, was einen nur zeitweisen Transfererfolg zur Konsequenz hat: „Diese Disziplin bringe ich nicht immer auf, außer mit Knute und Peitsche, hat schon meine Mutter nicht geschafft“. Eine hohe persönliche Bedeutsamkeit der Themen bedingt eine hohe Umsetzungsmotivation und beeinflusst die Dauerhaftigkeit und Qualität des Transfers: „Ich möchte mal wirklich mit jemanden jetzt darüber reden“. Hierauf wäre bereits bei der Auftrags- und Zielklärung des Coachings ein besonderes Augenmerk zu richten.
Insgesamt unterstützen die Ergebnisse dieser Studie den hohen Stellenwert von Transfer aus Klientenperspektive. Die Transferproblematik wird von den Klienten sehr bewusst wahrgenommen. Je nach Zielsetzung repräsentiert er für die Klienten ein zentrales Erfolgskriterium für die Bewertung eines Coachings.
Die Bedeutung einer formativ-begleitenden (Transfer-)Evaluation speist sich für die Befragten aus einem persönlichen Nutzen. So können Zwischenevaluationen motivieren und ggf. den Bedarf an gezielter individueller Umsetzungsunterstützung aufzeigen. In drei Coachings gibt es keine expliziten Transfermaßnahmen, die die Umsetzung der Ergebnisse im Arbeitsalltag fördern sollten. Vielmehr wird Coaching selbst als eine solche Maßnahme gesehen, z.B. durch explizite Umsetzungsaufgaben, telefonischen Zwischenkontakt und die Überprüfung von Veränderungen und des Umsetzungsstandes. Die Hauptverantwortung für die Umsetzung sehen die Befragten beim Klienten selbst, allerdings mit dem Vorgesetzten und dem Coach in der Unterstützerrolle.
Als ein zentrales Ergebnis dieser Studie ist die Komplexität der Einflussfaktoren zu betrachten, die je nach ihrer Handhabung im Coaching oder ihrer jeweiligen fallspezifischen Konstellation transferförderlich oder -hinderlich wirken können. Es zeigt sich, dass sich auch bei Erfüllung allgemeiner Gütekriterien von Coaching gegenläufige Effekte ergeben können. So wird in einem Fall die Atmosphäre und gute persönliche Passung von Coach und Klient nicht förderlich für das Ziel eingeschätzt, der Interaktionsstil nicht fordernd und lenkend genug, um eine Umsetzung zu unterstützen. In zwei anderen Fällen stellt sich eine fehlende Abschlussevaluation nicht als negativ für den Transfer dar. Die Klienten entwickeln sich sehr gut eigenständig weiter.
Es scheint kein allgemeingültiges Rezept für ein gelungenes Coaching zu geben, aber Hinweise auf wesentliche Transferkriterien. Dennoch müssen sie jeweils in ein einzigartiges, individuell zugeschnittenes Mischungsverhältnis gebracht werden. Die Bedeutung von Qualitätskriterien und -standards liegt somit eher in einer orientierenden Funktion für die Gestaltung und Beurteilung von Coaching, befreit aber nicht von der Notwendigkeit, Qualität im Einzelfall immer individuell zu bestimmen und zu gestalten.