Mittlerweile ist Coaching zwar in allen denkbaren Wirtschaftszweigen angekommen, jedoch ist der Umfang der Nutzung im Branchenvergleich sehr verschieden. Im Vergleich tritt zutage, dass lediglich 4,9 Prozent der Coaching-Klienten aus dem Gesundheits- und Sozialwesen stammen (Stephan & Rötz, 2018). Dabei ist Führungskräfte-Coaching nachweislich eine effektive Möglichkeit, um persönliches Potenzial von Verantwortungsträgern zu fördern, Motivation zu steigern oder organisationale Ziele zu formulieren und umzusetzen.
Auf einen Blick
Damit Coaching Erfolg verspricht, müssen einige Faktoren zusammentreffen. Neben den Haltungen und dem Verhalten von Coach und Klient bzw. Klientin sowie der Beziehung zueinander, spielt die Organisation selbst eine große Rolle (Greif, 2016). Die Kultur innerhalb des Unternehmens ist hier ein ausschlaggebender Teil, der den Erfolg eines Coachings maßgeblich beeinflusst.
Der Autor dieses Beitrags hat im Rahmen seiner Masterarbeit die Unternehmenskultur eines Klinikums untersucht. Mit dem Ziel, einen Ausgangspunkt für eine strukturierte Entwicklung einer Coaching-Kultur zu bilden, wurde die Kultur des Klinikums mit Hilfe einer Umfrage in drei Modelle eingeordnet:
Dabei hat sich der Autor an folgenden vier Hypothesen orientiert:
Für die Untersuchung wurde ein Fragenkatalog von 33 Fragen erstellt. Die Onlinebefragung fand von Januar bis Februar 2023 statt. Der Zugang wurde an alle Führungskräfte des Pflege- und Funktionsdienstes des Klinikums, das in den Bereich der Maximalversorgung fällt, verteilt. Insgesamt waren es 81 Adressaten, woraus 72 Teilnahmen resultierten. Lediglich 33 Teilnehmende beendeten den Fragebogen komplett. Die Auswertung der Ergebnisse richtete sich nach dem Prinzip der Häufigkeitsverteilung. So entstand eine quantitativ und deskriptiv ausgerichtete Querschnittuntersuchung.
Die Wirksamkeit von Coaching ist hinreichend belegt. Trotz der verschiedenen Methoden und Ansätze der Studien ist sich die Wissenschaft einig: Coaching wirkt. (vgl. z.B. Greif, 2008 & 2015; Theeboom et al., 2013; Fischer, 2020). Diese Wirkung ist jedoch von vielen Faktoren abhängig. Greif konstruierte dazu ein Coaching-Evaluationsmodell, in welchem er auch die Wirkfaktoren von Coaching thematisierte (Greif, 2016). Darin wird grundlegend zwischen Voraussetzungen, Coaching-Prozess und Ergebnissen unterschieden. Weiterhin findet eine Untergliederung in allgemeine, coaching-spezifische sowie individuelle Kriterien statt (ebd.). Greif nimmt dabei auch auf den organisationalen Kontext Bezug und stellt somit die Organisationskultur als Wirkfaktor heraus.
Offermanns und Steinhübel (2006, S. 22) kommen ebenso zu dieser Erkenntnis: „Dennoch wird Coaching in einer Misstrauenskultur nur begrenzt wirksam werden.“ Stephan (Stephan & Gross, 2013, S. 26) stellte zudem fest, dass das „Image von Coaching häufig negativ belegt“ sei und Coaching „selten“ aktiv nachgefragt werde, wenn Organisationen es im Rahmen einer „reinen Defizitorientierung“ einsetzen. Dies unterstreicht den Einfluss der Unternehmenskultur auf Coaching und lässt die Schlussfolgerung zu, dass Unternehmen mit defizitorientiertem Coaching-Verständnis den Nutzen von Coaching nicht voll ausschöpfen können.
Quendt und Oellerich haben verschiedene Attribute identifiziert, die Rückschlüsse auf eine Positiv- oder Negativkultur zulassen. Somit entstand ein Modell, mit dem Organisationskulturen eingeschätzt werden können. In einer Positivkultur wird Coaching im Unternehmen demnach als positiv, bekannt, normal, entwicklungsfokussiert und proaktiv vorausschauend wahrgenommen (Quendt & Oellerich, 2016). Dagegen wird Coaching in einer Negativkultur als negativ, unbekannt, bedrohlich, defizitfokussiert und problemorientiert empfunden (ebd.).
In der Befragung, die im Zuge der Masterarbeit durchgeführt wurde, wurden die einzelnen Attributpaare gegenübergestellt. Die Befragten durften einen Schieberegler positionieren, um den für sie passenden Zahlenwert zwischen 1 (Attribut der Negativkultur) und 100 Prozent (Attribut der Positivkultur) auszuwählen. Dabei wurde deutlich, dass Coaching überwiegend als positiv (69 Prozent), bekannt (59 Prozent), normal (54 Prozent), entwicklungsfokussiert (60 Prozent) sowie als proaktive und vorausschauende Personalentwicklungsmaßnahme (58 Prozent) wahrgenommen wird. Der geringere Teil der Antwortenden empfand Coaching als negativ (9 Prozent), unbekannt (15 Prozent), bedrohlich (12 Prozent), defizitfokussiert (31 Prozent) und problemorientiert (29 Prozent). Daraus ergibt sich in der Gesamtbetrachtung ein Bild, das überwiegend einer Positivkultur entspricht.
Mit demselben Befragungsinstrument wurde ergänzend ermittelt, als wie hilfreich Coaching für die persönliche Entwicklung im Rahmen der Führungsrolle eingeschätzt wird. Hierbei zeigte sich eine deutliche Verteilung hin zu einer Einschätzung des Coachings als hilfreich. Die erste These der Arbeit wurde somit bestätigt. Die zweite These konnte widerlegt werden.
Clutterbuck und Megginson (2006) haben das Phänomen der unterschiedlichen Ausrichtungen der Unternehmenskulturen hinsichtlich der Anwendung von Coaching in vier Phasen eingeteilt:
Die Phasen unterscheiden sich hinsichtlich des Coachings in der Häufigkeit und Ausdehnung des Ansatzes, der Regulierung der Abläufe, der Evaluationsmechanismen sowie der Struktur des Coach-Pools (Quendt & Oellerich, 2016). Clutterbuck und Megginson haben 24 Unternehmensaspekte identifiziert, die je nach Phase anders ausgeprägt sind. Diese Aspekte wurden in folgende sechs Dimensionen geclustert (Clutterbuck & Megginson, 2006):
In der Befragung wurden die Einschätzungen zu 21 der 24 Aspekte des Modells bei den Führungskräften erfragt. Drei Fragestellungen kamen aus dem Themenfeld Entwicklung der Coaches und wurden der Personalentwicklung gestellt. Insgesamt wurden 755 Antworten gegeben. Aus der Verteilung der Antworten ergibt sich eine deutliche Ausprägung der Kultur hinsichtlich der Phasen Nascent und Tactical. Die am stärksten ausgeprägte Nascent-Phase beansprucht 26 Prozent der Gesamtantworten und liegt in vier der sechs Dimensionen an erster Stelle. Demnach gilt die dritte These dieser Arbeit als bestätigt.
Es liegt jedoch nahe, dass sich das Unternehmen in einer Entwicklung befindet. So ist das Klinikum beispielsweise in der Dimension Akzeptanz von Coaching bereits in der nächsthöheren Tactical-Phase wiederzufinden. In einer weiteren Dimension, die systemische Perspektive, findet dieser Übergang aktuell statt. Tactical ist insgesamt mit 22 Prozent der Antworten am zweitstärksten ausgeprägt und dicht hinter Nascent. Die höher entwickelten Phasen Strategic und Embedded, mit jeweils 14 Prozent der gesamten Antworten, bilden das Schlusslicht. Allerdings gibt es auch Dimensionen, wo diese beiden Phasen hohe Werte erreicht haben. Besonders interessant sind die Werte der Dimension „die Rolle als Klient/Klientin wird gefördert und unterstützt“. Hier ist Nascent mit 30 Prozent der Antworten am stärksten ausgeprägt, wird jedoch von der Embedded-Phase dicht gefolgt. Es werden demnach zwei Entwicklungsstufen übersprungen.
Die Wahrnehmungen der Befragten gingen in diesen Punkten weit auseinander. Den Unterschied machte dabei die Coaching-Erfahrung der Befragten. Gecoachte haben in dieser Dimension sehr heterogen über alle Phasen hinweg geantwortet, mit dem Hang in Richtung höherer Entwicklungsstufen. Sie konnten stets eine für sich passende Zuordnung treffen. Die Ungecoachten haben hingegen oft keine Zuordnung treffen können. Im Vergleich dazu hat niemand der gecoachten Teilgruppe „nichts davon“ angegeben. In der ungecoachten Teilgruppe war dies mit 33 Prozent der Antworten die häufigste Angabe, gefolgt von Nascent (31 Prozent). In der Dimension der Entwicklung der Coaches liegen alle Phasen nah beieinander, da hier lediglich eine von vier zugehörigen Fragen gestellt wurde. Die Perspektive der Personalentwicklung musste ergänzt werden und entsprach der Zuordnung zur Nascent-Phase.
Backhausen und Thommen (2017, S. 188) schreiben der Unternehmenskultur ebenso eine „überragende Bedeutung“ in Sachen Coaching-Wirkung zu, da sie „auch die Strategie und Struktur maßgeblich beeinflusst, insbesondere aber die Akzeptanz im Unternehmen und die grundsätzliche Ausrichtung des Coachings“. In Abhängigkeit der Akzeptanz und Art des Coachings haben sie vier Kulturphasen beschrieben (ebd.):
In der Befragung wurden die Merkmale dieser Phasen integriert. 34 Prozent der Befragten gaben an, dass Erläuterungen zur Nachsitz-Kultur am ehesten auf das Klinikum zutreffen, was der größten Ausprägung entspricht. Die zweithäufigste Ausprägung liegt im Bereich der Lern- und Veränderungskultur (24 Prozent). Die Ausprägungen der Therapie-Kultur (14 Prozent) und der Performance-Kultur (10 Prozent) sind am seltensten ausgewählt worden.
Auffällig ist, dass sich hier ein ähnliches Bild zeigt, wie in der Dimension „die Rolle als Klient/Klientin wird gefördert und unterstützt“ des Modells von Clutterbuck und Megginson. Die beiden häufigsten Antworten entsprechen den beiden Extremen des Modells. Demnach ist die Nachsitz-Kultur die Phase, in der ein Unternehmen am wenigsten entwickelt scheint. Die Lern- und Veränderungskultur ist dagegen die am weitesten entwickelte Kulturphase. Auch hier ist auswertbar, dass die bereits gecoachten Befragten eine stärkere Streuung der Antworten zeigen als die Antworten der Ungecoachten. Die größte Ausprägung der gecoachten Befragten zeichnet sich mit 43 Prozent in der Lern- und Veränderungskultur ab. Die Antwortquoten der restlichen Kulturphasen bewegen sich zwischen 13 bis 20 Prozent und sind in dieser Teilgruppe eher gering. Lediglich 7 Prozent der Befragten konnten keine passende Zuordnung treffen. Ungecoachte zeigen eine geringere Streuung und bilden mit 50 Prozent der Antworten eine deutliche Mehrheit in Richtung der Nachsitz-Kultur aus. Auch hier sind die restlichen Kulturtypen mit Antwortquoten zwischen 0 und 14 Prozent abgeschlagen. 29 Prozent der Ungecoachten konnten keine Zuordnung treffen. Die vierte These dieser Arbeit lässt sich demnach in der Gesamtbetrachtung zwar belegen, allerdings gehen hier die Einschätzungen der Befragten je nach Coaching-Erfahrung weit auseinander.
Im Rahmen der Masterarbeit wurde erfolgreich ein Fragebogen zur Einschätzung der Unternehmenskultur im Hinblick auf den Umgang mit Coaching in einem Klinikum entwickelt. Demnach befindet sich der Pflege- und Funktionsdienst des Klinikums in der Gesamtbetrachtung zwar in der Nascent-Phase, welche die niedrigste Stufe aller Kulturphasen nach Clutterbuck und Megginson (2006) darstellt. Jedoch holt die nächsthöhere Tactical-Phase in vielen Dimensionen auf. Dieses Bild der aktuellen Kulturentwicklung wird durch die Einordnung in die Coaching-Kultur-Phasen nach Backhausen und Thommen (2017) bestärkt. Hier zeigt das Klinikum die stärkste Ausprägung im Bereich der Nachsitz-Kultur, was auch hier der am wenigsten entwickelten Kultur entspricht.
Bei beiden Modellen konnte auf eine aktuell herrschende Entwicklung der Kultur geschlossen werden. Dabei spielt die Erfahrung der Führungskräfte mit Coaching eine entscheidende Rolle. Denn die gecoachten Führungskräfte schätzten die Kultur oft als fortschrittlicher ein als die Ungecoachten und haben ein klares Bild der Kultur vor Augen. Im Gesamtkontext zeigen die Befragungsergebnisse ein kulturell wenig fortgeschrittenes Klinikum. Jedoch steht es am Anfang eines Entwicklungsprozesses. Somit bietet das Klinikum insgesamt trotz Positivkultur nach dem Modell von Quendt und Oellerich (2016) derzeit keine optimalen Bedingungen für die Wirksamkeit von Coaching gemäß des Coaching-Evaluationsmodells nach Greif (2016). Hier wird viel Potenzial verschenkt. Um diese Entwicklung aktiv mitzugestalten, könnte sich beispielsweise die Krankenhausleitung an den Merkmalen der nächsthöheren Kulturstufen nach dem Modell von Clutterbuck und Megginson (2006) ausrichten.
Der Artikel basiert auf einer Masterarbeit, die 2023 mit dem ersten Platz des DBVC-Nachwuchspreises Forschung ausgezeichnet wurde. Ein Sonderband zum Preis erschien 2024: Strikker, F.; Bergknapp, A.; Holtschmidt, I.; Moscho, C. & Stenzel, S. (Hrsg.). Coaching und Change im Blickpunkt. Band 4: Impulse aus der Coaching-Forschung. Stuttgart: ibidem.