So mancher „eingefleischte“ Praktiker mag vielleicht die Nase rümpfen bei dem Gedanken, dass sich die Wissenschaft zunehmend mit Coaching beschäftigt. Damit wird diese Form der Prozessberatung von „Theoretikern“ auf den Prüfstand gestellt, die unter Umständen selbst gar keine unmittelbare Erfahrung damit gesammelt haben. Welchen Wert soll es denn haben, Dinge beweisen zu wollen, die ja sowieso funktionieren, mag sich der Praktiker fragen? Hätte sich Coaching in den letzten circa 25 Jahren derart etablieren können, wie das geschehen ist, wenn nichts „dahinter“ wäre?
Es reicht aber nicht, scheinbar plausible Dinge zu praktizieren, ohne genau zu wissen, worauf ihre Wirksamkeit beruht. Was zig Mal (zufälligerweise?) gut gegangen ist, kann beim nächsten Mal verheerend daneben gehen. Und dann? Zucken die Coachs dann mit den Achseln? Werden sie antworten „Tja, keine Ahnung…“, die Scherben schnell beiseite kehren und dann zur Tagesordnung übergehen?
Das ist schwerlich vorstellbar. Immer häufiger werden Fragen nach der Wirksamkeit von Coaching in der Öffentlichkeit aufgeworfen. In letzter Zeit kommt von Seiten renommierter Coaching-Experten deshalb die Forderung, es müsse mehr wissenschaftliche Untersuchungen über Coaching geben. Ihnen geht es um die Schärfung des Professionsbildes. Die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, wie sich das, was im Coaching mit dem Klienten passiert und zu der (behaupteten) Erweiterung der Handlungskompetenz des Klienten führt, stichhaltig erklären lässt.
Dies zu tun, ist der Job der Wissenschaft. Ihr Ziel ist die Beschreibung und Erklärung unserer Welt. Der Wissenschaftler sammelt Daten, entwickelt Modelle und überprüft diese kritisch. Spekulationen und Mutmaßungen, von denen es in einigen Nischen der Coaching-Szene nicht zu knapp gibt, und die gelegentlich zu Heilsversprechen mutieren wie beispielsweise „Du kannst alles erreichen“, rückt er kritisch zu Leibe, um zu gesichertem Wissen zu gelangen.
Wenn also Coaching als Nutzen verspricht, das Handlungsrepertoire von Klienten zu erweitern, dann braucht es dazu eine belastbare, empirisch überprüfbare Theorie, welche das „Wie“ erklärt. Und zwar konkret: Welche Teilprozesse spielen sich im Coaching ab? Und welche Phasen durchläuft ein Klient bis zur erwünschten Erweiterung der Handlungskompetenz?
„Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“, sagte schon Altmeister Kurt Lewin. Keine Angst, es genügt, ein paar wesentliche Begriffe verstanden zu haben, und schon hat man eine solide Basis für das Verständnis von Selbstreflexionsprozessen gelegt. Es sind nämlich lediglich drei Begriffe, die nicht nur Coachs, sondern eigentlich alle, die beruflich in irgendeiner Weise für Menschen verantwortlich sind, kennen sollten. Sie beruhen auf der „Theorie der Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion“ von Frey, Wicklund und Scheier (1984):
Die Selbstaufmerksamkeit kommt noch vor der Selbstreflexion. Dabei kann man getrost davon ausgehen, dass wir uns die meiste Zeit über nicht in diesem Zustand befinden. Dafür braucht es schon besondere Auslöser. Wenn der Zustand der Selbstaufmerksamkeit jedoch – wie gesagt: die Basis für Selbstreflexion –erst einmal ausgelöst wurde, dann kann es schnell recht unangenehm für uns werden. Doch der Reihe nach…
Ein Beispiel aus dem Alltag, das den Zusammenhang zwischen Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion verständlich machen soll: Nach der morgendlichen Dusche fällt der Blick plötzlich auf den großen Spiegel in der Ecke des Badezimmers. Dabei wird vielen schmerzhaft bewusst, dass sie sich in letzter Zeit vermehrt dem Genuss kulinarischer Köstlichkeiten und weniger sportlichen Aktivitäten gewidmet haben. Voila! Willkommen im Zustand der Selbstaufmerksamkeit!
Ein kleiner Ausschnitt unseres Selbstkonzepts ist nun in den bewussten Fokus geraten. Selbstkonzept meint dabei sinngemäß: Vorstellungen, die wir über uns selbst haben. Meist sind daran auch eng „Idealvorstellungen“ geknüpft. Unser ganzes Selbst besteht aus unzähligen solcher (Wunsch-) Vorstellungen über uns selbst: Dem „idealen“ Kollegen, der „idealen“ Mutter, Ehefrau, unserer „idealen“ Ausstrahlung und so weiter. In unserem Beispiel ist es halt die Selbstkonzept-Facette „Körperfigur“, die aktiviert wurde. Und nun wird verglichen: Ein paar Kilo weniger wären schon schön... Na ja, ist halt nicht so. Bisher konnte man das ja auch ganz gut verdrängen. Wenn nur dieser verdammte Spiegel nicht wäre, der gerade eben die Realität so brutal vor Augen führt! Der Zustand der Selbstaufmerksamkeit wurde ausgelöst und bewirkt einen Vergleich zwischen unserer Idealfigur und dem tatsächlichen körperlichen Zustand. Und schon sind wir mitten drin, im Prozess der Selbstreflexion.
Das Badezimmerspiegel-Beispiel war eines unter unzähligen denkbaren. Im Berufsleben könnte der Trigger negatives Feedback eines Vorgesetzten, von Kunden oder Mitarbeitern sein. Auch hier wäre plötzlich der Zustand der Selbstaufmerksamkeit ausgelöst. Die Aspekte des Selbstkonzepts würden sich wohl auf unser Wunschbild als „ideale Führungskraft, die beispielsweise den Laden im Griff hat,“ beziehen.
Äußerst wichtig ist dabei der Hinweis, dass Selbstreflexion in diesem Stadium sehr oft einer Art „Grübelei“ entspricht. Der Vergleich mit einem „Gedankenkarussell“ liegt nahe. Der bewusste Schritt, diese unkontrollierte Reflexion zu verlassen, und stattdessen lösungsorientiert zu reflektieren, fällt Menschen für gewöhnlich ungemein schwer. Warum?
Beobachtungen und empirische Ergebnisse stützen die These, dass ausgeprägte Selbstreflexionsprozesse eher selten auftreten und von Menschen normalerweise unbewusst, mitunter auch bewusst aktiv vermieden werden.
Warum ist das so? Die Antworten darauf sind insofern interessant, weil sie dabei helfen können, die Natur des Selbstreflexionsprozesses besser zu verstehen und daraus Möglichkeiten zur gezielten Förderung abzuleiten. Die These lautet nämlich: Selbstaufmerksamkeit und Selbstreflexion sind Voraussetzungen zur Förderung bewusst gesteuerter Veränderungen des eigenen Handelns.
Bei allem Interesse an Selbstreflexionsprozessen soll nicht verschwiegen werden, dass diese im Leben der meisten Menschen über weite Strecken eher überflüssig, wenn nicht sogar hinderlich sein können. Warum? Weil wir meist mehr oder weniger gut mit einem relativ begrenzten Set an Handlungsmustern auskommen. Die können wir problemlos abrufen. Wir haben sie lange genug und oft genug angewandt. Sie sind uns also in Fleisch und Blut übergegangen. Das macht uns handlungsfähig. Und darauf kommt es ja gerade im Berufsleben an. Die Gehirnforschung weiß heute: Wer seinen eingeschliffenen Denk- und Verhaltensgewohnheiten treu bleibt, wird vom neuronalen Belohnungssystems mit dem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit belohnt. Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth betont, dass sich viele Verhaltensweisen somit verselbstständigen und der bewussten Steuerung entziehen.
Manchmal brauchen wir Selbstreflexion jedoch umso notwendiger. Das sind dann oft Situationen, in denen uns das Wasser bis zum Hals steht und dringend neue Handlungsmuster her müssen, weil die alten, vertrauten versagt haben. Was dann? Ein Teufelskreis droht, denn dann sind wir in der Regel gestresst! Stress und (lösungsorientierte!) Selbstreflexion vertragen sich aber leider überhaupt nicht. Ohne Selbstreflexion gibt es jedoch kaum ein Entkommen aus den unbrauchbaren Mustern. Man sitzt somit in der Zwickmühle!
Ein erster wesentlicher Grund für die Vermeidung von Selbstreflexion ist, dass wir Schutzmechanismen haben, die dafür sorgen sollen, die Bedrohung des Selbstwertgefühls zu verhindern. Dem russischen Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski (1821–1881) wird folgender Satz zugeschrieben: „Sehnsüchtig grüßt der, der ich bin, den, der ich sein könnte.“
Selbstreflexion bedeutet in der Regel, auch Bekanntschaft mit den eigenen Schwächen zu machen. Dabei kommen wir – gemessen an unserem idealen Selbstkonzept – oft ziemlich schlecht weg. Unser Selbstwertgefühl ist bedroht und wehrt sich. Die Folge: Es wird verdrängt, was „das Zeug hält“, einfach um die innere Balance aufrecht zu erhalten. Die Gründe für Versagen oder Konflikte aller Art werden „den anderen“ Personen oder eben „äußeren, unglücklichen Umständen“ in die Schuhe geschoben. Das schützt uns. Wir können wie in der Werbung sagen: „Ich will so bleiben wie ich bin“. – Aber das verhindert gleichzeitig, dass wir einer Lösung näher kommen, für die wir alte Muster über Bord werfen müssten.
Selbstreflexionsprozesse sind also alles andere als trivial. Sie sind im höchsten Maße störanfällig. Dies hat Ursachen, die hier als „innerpsychisch“ bezeichnet werden sollen. Damit Selbstreflexion gelingen kann, müssen die Vorstellungen zum eigenen Selbstkonzept zunächst bewusst gemacht werden. Dann kann darüber auf einer Art Metaebene reflektiert werden.
Aufgabe eines Coachs ist es, durch unterstützende Begleitung diesen schwierigen und unangenehmen Prozess zu erleichtern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Zunächst sollte Coaching einen „geschützten Raum“ bieten, in dem Selbstreflexion möglich wird. Diese höchst störanfälligen Prozesse benötigen Zeit und Ruhe.
Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Coach und Klient ist eine weitere wichtige Grundvoraussetzung. Wenn das Selbstwertgefühl des Klienten bedroht ist, weil die Diskrepanzen zwischen dem idealen und dem realen Selbstkonzept bewusst werden, ist der Coach gefragt, emotionalen Support zu geben. Das setzt neben Vertrauen des Klienten auch seine Akzeptanz voraus.
Und doch: Für Außenstehende muss Coaching als etwas Mysteriöses erscheinen – jemand geht ins Coaching und verändert sich auf gewisse Art und Weise aufgrund von Selbstreflexion. Was genau spielt sich denn „im“ Klienten während des Selbstreflexionsprozesses ab? Erfahrene Coachs wissen sicher aus eigener Erfahrung, dass in einem erfolgreichen Beratungsprozess etwas mit dem Klienten passiert. Dieses „Etwas“ auch erklären zu können, ist eine andere Sache. Die Coaching-Literatur gibt hierauf leider keine konkreten Antworten. Aus dieser „Not“ heraus entstand die Idee, genau diese Frage zum Gegenstand meiner wissenschaftlichen Arbeit zu machen: Wie wirken Selbstreflexionsprozesse im Coaching auf die Klienten?
Und welche Konsequenzen haben sie? Coaching findet nie im luftleeren Raum statt, sondern in einem sozialen Umfeld – dem beruflichen und privaten Umfeld. Von dort sind nicht nur positive, sondern auch negative Reaktionen denk- und erwartbar. Und was bewirkt dieses Feedback des Umfelds wiederum beim Coaching-Klienten?
Die Planung der wissenschaftlichen Untersuchung beginnt mit der Frage: Wen werde ich interviewen und warum? Die Wahl fällt auf eine Mischung aus Gesprächen mit Coachs und Gecoachten. Diese Doppelperspektive – je zwei Berater und Klienten – verspricht aussichtsreiche Ergebnisse. Zugegeben, eine relativ kleine Stichprobe. Dennoch kann der Erkenntniswert aus den Interviews als umfassend eingestuft werden. Das Vorgehen genügt strengen wissenschaftlichen Kriterien und kann von Interessierten und Skeptikern jederzeit nachvollzogen werden.
Die ganze Planung eines Vierteljahres wäre ins Leere gelaufen, hätte ich keine Interviewpartner gefunden. Die „Achillesferse“ der gesamten Untersuchung ist dabei die Frage: Werde ich geeignete Klienten finden, die bereit sind, umfassend über ihre Coaching-Erfahrungen zu berichten? Mir, einer fremden Person, die diese Gespräche zudem auf ein Diktiergerät aufzeichnet?
Für mich ist das spannender als jeder Krimi! Man muss bedenken, ein Scheitern an dieser Stelle würde mich um Monate zurück werfen. Zu meinem Glück findet die Leiterin der Personalentwicklungsabteilung des angefragten Unternehmens geeignete Kandidaten. Beide Klienten erzählen umfassend. Dafür bin ich den beiden – wie auch der vermittelnden Personalverantwortlichen – dankbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einen Appell an alle Coachs richten: Unterstützen Sie Studenten und Wissenschaftler bei der Vermittlung von Klienten für Interviews oder Umfragen. Sie helfen dadurch, die Forschung über Coaching weiter voran zu treiben.
Die Vermittlung der Coachs – beide sind erfahrene Praktiker – gestaltet sich ungleich einfacher. Ein Berater wird über den Coaching-Pool des Unternehmens ausgewählt, der andere von mir persönlich angesprochen.
Die Durchführung der Interviews verläuft problemlos und in überraschend offener Atmosphäre. Die Gespräche mit den Klienten dauern jeweils etwas mehr als eine Stunde.
Die Ergebnisse der Datenanalyse ergeben schließlich eine modellhafte Darstellung, ein systemisches Wirkmodell der Auswirkungen von Selbstreflexionsprozessen im Coaching. Es stellt den gesamten Prozess von der Aktivierung von Selbstreflexionsprozessen dar und gliedert sich in vier Hauptphasen, die jeweils in zahlreiche Subprozesse unterteilt sind.
Ein insgesamt doch ziemlich komplexes Modell. Da eine detaillierte Erläuterung an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde, sollen die wichtigsten Eckpunkte und Erkenntnisse dargestellt werden.
Im Coaching erleben Klienten zunächst eine Hilfestellung bei der Selbstreflexion durch den Coach. Dieser hilft, die Gedanken zu strukturieren. Das Gedankenkarussell lässt grüßen. Eine Klientin sagte wörtlich: „Es war mir vorher schon klar, dass ich ein Problem mit dem ‚Nein-Sagen‘ habe, allerdings nicht, wie ich damit umgehen soll.“
Diese Strukturierung der Gedanken führt zu etwas, was als eine Art „Selbst-Gewahrsein“ bezeichnet werden kann. Der positive Effekt: eine erweiterte Problemsicht. Da, wo bisher „die anderen“ oder „die Umstände“ schuld waren, werden plötzlich eigene Anteile erkannt. Es werden dadurch andere Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge hergestellt. Das ist für den Problemlösungsprozess ein ungemein wichtiger Schritt – für die Klienten jedoch oft unangenehm.
Es kommen nämlich auch negativ erlebte Emotionen ins Spiel: So erkennen Menschen in dieser Phase etwa, dass sie anderen über lange Zeit in irgendeiner Weise Unrecht getan haben. Oder man stellt fest: „Wie viel Ärger hätte ich mir in meinem bisherigen Leben ersparen können, hätte ich das schon vor Jahren erkannt!“ Die Rolle des Coachs in dieser heiklen Phase: Er hilft seinen Klienten dabei, die schwierigen, unangenehmen Emotionen zu steuern. So kann der Beratungsprozess weiter lösungsorientiert, konstruktiv verlaufen.
Die nun gewonnene – oder besser gesagt: erarbeitete – erweiterte Problemsicht ist die Basis dafür, dass alternative Möglichkeiten des Denkens, Handelns, der Wahrnehmung, des Interpretierens und so weiter erkannt werden. Die Einsicht lautet: „Wenn Ereignis A eintritt, muss ich nicht (mehr) automatisch mit Reaktion B antworten. Mein Handlungsrepertoire hat sich um die Alternativen C, D et cetera erweitert.“ Was für eine Befreiung! Die Erweiterung des Handlungsrepertoires bewirkte bei beiden Klientinnen eine deutliche verbesserte Gelassenheit.
Hinzu kommt in der Regel eine Zunahme der Lernfähigkeit. Es scheint in der Tat so, als ob diese im Coaching erlernte strukturierte Selbstreflexionsfähigkeit auch in künftigen Situationen hilfreich ist. Gleichzeitig sind die neu erworbenen Einsichten noch ein „zartes Pflänzlein“, gerade in der Anfangsphase wollen sie immer wieder gepflegt werden. Es kommt daher darauf an, die neuen Muster im Alltag einzusetzen, ja regelrecht einzuüben. – Dabei kommt das Umfeld ins Spiel.
Es wird nun mit den Veränderungen des Klienten konfrontiert und reagiert zunächst einmal mit Verwunderung: „Was ist denn mit dem plötzlich los? Der hört ja auf einmal zu, wo er vorher nur herum kommandierte…“ Die Ursache dieser Irritation ist – systemisch gesprochen – die Perturbation, also eine Systemstörung. Die Bezugspersonen eines Klienten müssen sich schlichtweg an dessen neues Verhalten, Denken oder Fühlen gewöhnen; oder sogar anpassen.
Die Reaktionen, die auf diese erste Irritation folgen, variieren von – vereinfacht gesagt –hoch erfreut bis skeptisch-misstrauisch oder sogar ablehnend.
Man muss sich das einmal vor Augen führen, und zwar aus Sicht der beiden interviewten Klienten: Die Anlässe zum Coaching sind für beide Konflikte im unmittelbaren beruflichen Umfeld, mit Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern. Beide Klienten erlebten negative Reaktionen. Der Vorgesetzte eines Befragten fühlte sich in einem gemeinsamen Meeting mit der Geschäftsleitung „bloßgestellt“, weil der zuvor Gecoachte plötzlich um so viel professioneller auftrat. Das stellte jenen quasi in den Schatten.
Die Reaktionen des Umfelds sind wichtig. Sie entscheiden nämlich mit über die Frage: Werden die Veränderungen des Klienten von seinen unmittelbaren Bezugspersonen letztlich akzeptiert? Im Klartext heißt das: Einen Klienten in Richtung einer von ihm gewünschten Veränderung zu coachen und das angestrebte Ziel auch zu erreichen, ist eine Sache. Eine andere ist die Frage, welche „Nebenwirkungen“ diese Veränderungen für den Gecoachten haben werden.
Eine wichtige Feststellung aus den Interviews mit den Klienten war folgende Tatsache: In beiden Fällen verbesserte sich nicht die Situation bezüglich der Konflikte, welche jeweils Anlass zum Coaching gewesen waren. Diese bestanden weiterhin, wenn nicht gar mit einer tendenziellen Verschlechterung der Lage! Was sich hingegen sehr wohl zum Besseren hin veränderte, war die individuelle Kompetenz der Klienten im Umgang mit dieser misslichen Situation.
Welche Möglichkeiten haben Klienten nun zu reagieren, wenn ihre Veränderungen dauerhaft nicht angenommen werden. Die ultimative Konsequenz wäre, das Umfeld, sprich Abteilung oder gar das Unternehmen, zu wechseln. Nach dem Motto: Love it, change it – or leave it! Die Grundsatzfrage lautet: Ist das im Zweifel nicht für alle Seiten das Beste? Das mag wohl sein, wenn es sonst keine andere Lösung gibt.
Denkbar schlecht ist aber in jedem Fall, wenn der Klient und der Auftraggeber von solchen möglichen Folgen eines Coachings völlig unvorbereitet getroffen werden. Es erscheint notwendig, dass Coachs über solche möglichen Auswirkungen vorab informieren.
Meine Arbeit zeigt, dass die Veränderung fest eingeschliffener Routinen eben kein Selbstläufer ist. Lebenslanges (Um-) Lernen ist sinnvoll und notwendig. Es kann jedoch nicht einfach nur gefordert, es muss auch gefördert werden. Coaching-Prozesse sind intensive Lernprozesse, die einer professionellen Anleitung bedürfen. So ist Coaching, verstanden als systematische Förderung von Selbstreflexion, geeignet, zu einem Promotor des so oft eingeforderten lebenslangen Lernens zu werden.
In meiner Arbeit habe ich den Forschungsprozess transparent und ausführlich dargelegt. Dabei gehe ich auch auf die Grenzen meiner empirischen Untersuchung ein, womit eines der wichtigsten Anforderungen an qualitative Sozialforschung erfüllt ist: Dass sich der Forscher durch größtmögliche Transparenz im Forschungsprozess selbst angreifbar machen muss.
Der Beitrag meiner Arbeit zur Professionsentwicklung im Coaching setzt auf zwei Ebenen an.
Künftige Forschungsarbeiten sollten sich intensiver mit den Ergebnissen der beschriebenen Arbeit beschäftigen. Es gilt, weitere systemische Reaktionen zu identifizieren.
Für die Praxis von höchster Relevanz erscheint die Frage: Wie kann man künftig Reaktionen des Umfelds, die von Klienten als negativ oder ablehnend erlebt werden, abmildern? Als Antwort könnten sich unter Umständen sogar Coaching-Konzepte entwickeln, die systematisch die Organisationsentwicklung einbinden. Auch das von Siegfried Greif vorgeschlagene „Shadowing“, also die „verdeckte“ Begleitung des Klienten durch den Coach in dessen Umfeld, bietet sich als Setting an, weil der Coach so einen lebendigen Eindruck von den Verhältnissen im unmittelbaren Umfeld bekommt. Mögliche umfassende Lernprozesse für die betroffenen Unternehmen wären somit nicht ausgeschlossen.