Georgie Parker ist ein stattlicher Mann und Besitzer eines schmucken Nachtclubs. Jeden Tag brummt das Geschäft, auch dank seines Mitarbeiters Joe, der ganz wunderbar mit rauchig-knorriger Stimme neben Bass und Alt-Sax seine düsteren Balladen singt. Eines Tages flattert ein Angebot in die Garderobe von Joe – eine stadtbekannte Adresse will ihn abwerben. Als Joe seinen Chef informiert, bemerkt er zwar dessen Gesichtsentgleisung, ahnt aber nicht, dass dies für Parker „Krieg“ bedeutet.
Und diesem Krieg fällt Joe fast zum Opfer. Schwer angeschlagen, ist Joe nicht mehr in der Lage, seiner musikalischen Berufung nachzugehen. Er ist fertig. Verzweifelt versucht er, auf die Beine zu kommen, doch es gelingt ihm nicht. Er sucht eine Wendepunkt-Hilfe. In der Akutintervention erarbeitet er sich einen neuen Weg möglicher persönlicher Entfaltung – auf diesem Weg erkennt er zwar, dass er „überleben“ kann, vermisst jedoch die erfüllende Befriedigung in dem, was er tut.
Joe verzweifelt, greift zur Flasche, verliert dadurch wichtige Beziehungen, besinnt sich, will wieder anknüpfen und erfährt Abweisungen, auch von ehemals „guten Freunden“. Die Lage ist entsetzlich, und Joe trifft einen Entschluss …
Der Film „Schicksalsmelodie“ mit Frank Sinatra als „Joe“ aus dem Jahr 1957 zeigt die Phasen
Die Dramaturgie des Films und vielleicht jedes Lebens kommt dann zum Spannungshöhepunkt, wenn die Frage im Raum steht: Wie stellt sich der Mensch kritischen Situationen? Biegt er „nur“ oder bricht er unter seiner Situation? Rosemarie Welter-Enderlin (2010) skizziert mit diesem Bild den derzeit viel beachteten Begriff der Resilienz: „Resilienz hat mit der Fähigkeit zu tun, sich von Schwierigkeiten zwar beeinträchtigen, aber nicht zerstören zu lassen“.
Im Zeitverlauf hat der Resilienz-Begriff unterschiedliche Fokussierungen erlebt. Während Jeanne und Jack Block (1980), die den Begriff Resilienz in den 50er-Jahren unter dem Stichwort Ego-Resilience einführten – ein Persönlichkeitsmerkmal auszumachen meinten, das sich aus dem multifaktoriellen Zusammenspiel von genetischen, biologischen und sozialen Bedingtheiten und Einflüssen entwickelt – sieht Corina Wustmann (2004) eher eine im Stresskontext gegebene Kompetenz im Spiel, wenn sie meint, Resilienz sei „die Fähigkeit einer Person oder eines sozialen Systems, erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Folgen von Stress umzugehen.“
Und Pauline Boss (2008) ergänzt, „Stress bedeutet, dass die Brücke unter einem gewissen Druck steht; Spannung bedeutet, dass die Brücke schwankt, aber hält; Krise bedeutet, dass die Brücke einstürzt; und Resilienz bedeutet, dass sich die Brücke unter dem auf sie ausgeübten Druck biegt, diesen Druck aber absorbieren kann, ohne dadurch Schaden zu nehmen.“
Das all diese Definitionen Einende, ist ihre rückwärtsgerichtete Perspektive. Gerät ein Mensch in eine Überlast, so mag im Verlauf der Entlastungsarbeit zwar trefflich analysiert werden, dass der Grad an Resilienz diesen Anforderungen womöglich nicht entsprach. Entweder war dann die Bewältigungsstrategie, das Coping des Klienten unzureichend oder sein Ressourcen-Set nicht optimal eingestellt.
Oder es waren halt multifaktorielle Bedingtheiten, die sich zu einer veritablen Krise auswuchsen und vom Klienten nicht mehr gehandhabt werden konnten. Nähme man diese Perspektive ein, dann würde man Resilienz als prozessualen Vorgang oder als skalierbaren Gradmesser für die Robustheit in Belastungssituationen verstehen.
Aber reichen die von Rosemarie Welter-Enderlin genannten Schutzfaktoren (s. Kasten) aus, um einen Menschen in seiner Widerstandskraft derart zu stärken, dass die nächste Belastungssituation geschmeidig gemeistert werden kann?
Betrachten wir die Liste der „Schutzfaktoren“ (s. Kasten), deren Vorhandensein Resilienz entwickeln helfen soll, so könnten wir schnell annehmen, dass sich Klienten deshalb in einer Krise befinden, weil sie eben derart ungeschützt im Leben stehen – unsere Annahme würde untermauert, wenn unser Klient ein positives Lebensmodell vermissen lässt, gute Beziehungen zu Vertrauenspersonen rar sind, der Glaube an die eigene Kraft einer lethargischen Grundhaltung gewichen ist und so weiter.
Was aber ändert sich, wenn wir dabei auf die Resilienz des Klienten rekurrieren, sie nicht infrage stellen, sondern als Existenzial festschreiben und ihre Kraft im Coaching-Prozess dadurch nutzen, dass wir mit dem Klienten auf den Sinn zentrieren, den er trotz, nicht selten sogar erst wegen seiner Situation finden kann?
Dieses Verständnis würde uns ein Menschenbild abfordern, das den Menschen als grundsätzlich ausgestattet ansieht, um den Widrigkeiten seines Lebens zu trotzen. Diese Arbeitshaltung bedeutet nicht nur für den Coach, sondern auch für manche Klienten eine interessante Herausforderung:
Oftmals hören wir, dass eine massive Belastungssituation doch eine Reaktion wie Depressivität, Resignation, Antriebsverlust, Gefühllosigkeit oder anderes erzeugen müsse, eine psychische Störung doch „normal“ sei. Erwidern wir, dass es vom konkreten Menschen abhängt, ob dieser sich von den Geschehnissen um ihn herum überhaupt belasten lässt – letzten Endes individuelles Verhalten nicht durch die Bedingungen diktiert wird, die der Mensch antrifft, sondern von den Entscheidungen, die er trifft – so erleben sich in diesem Diskurs Klienten auf unerwartete Weise geistig mündig und in ihrem freien Willen und ihrer Verantwortlichkeit ernst genommen.
Trotz und wegen widriger äußerer Umstände die Bedingtheiten in die eigene Hand zu nehmen und über sich hinauszuwachsen, sehen wir als Urgrund menschlicher Resilienz an. Wir stützen uns damit auf die von Viktor Frankl begründete Sinntheorie. In ihr spielt die geistige Dimension eine überragende Rolle, die es dem Menschen ermöglicht, sich dem Sinn im Hier und Jetzt gegenüber auszurichten.
Im Coaching hilft uns dies weiter, wenn wir einen belasteten Klienten jenseits bereits vollzogener oder angedachter, jedoch mit „seiner Selbst“ (noch) nicht im Einklang stehender Handlungen, zu einer für ihn wirklich sinnerfüllten Entlastung führen. Denn unsere zentrale Arbeitshypothese lautet in diesem Kontext: Der Klient ist bereit, sich auf einen ihm Sinn gebenden Lebensentwurf einzulassen – seine Resilienz besteht darin, bislang eine grundsätzlich bejahende Antwort auf sein Leben gegeben zu haben.
Die Folge dieser Hypothese ist, mit dem Klienten nicht das ihn aktuelle Verstörende, Traumatisierende, stark Belastende in den Mittelpunkt der Arbeit zu rücken, sondern die Klärung der „Kultur seines Bewusstseins und seiner Bewusstheit“ anzugehen.
Einen zentralen Platz nimmt dabei sein „Sinn-Organ“ ein, das „Gewissen“. Es unterstützt dabei, das einer jeden Situation innewohnende Sinnhafte zu erspüren. In einer Krisen- und Belastungssituation sich von der Stimme des Gewissens tragen zu lassen und Sinnvolles zu tun oder etwas sinnvoll zu unterlassen, verstehen wir „als die Fähigkeit, den einmaligen und einzigartigen Sinn, der in jeder Situation verborgen ist, aufzuspüren“ (Viktor Frankl).
Neben dem Bewusstsein, das das Seiende und Wirkliche erkennt, erkundet das Gewissen das Seinsollende, das erst noch zu verwirklichen ist. Das Gewissen zeigt also die Möglichkeiten auf, die auf Verwirklichung warten. Es ist die „Resilienzstruktur“, auf die der Mensch „wieder hin zu springen“ (re-salio) befähigt ist und die eine zutiefst und einzig humane Eigenschaft anzeigt, insbesondere in Situationen, die sich durch Diffusität, Unberechenbarkeit und persönliche Erschütterung auszeichnen. Ist das Sinnorgan untrainiert, so kann der Mensch den Sinn verfehlen, er kann sich „verirren“. Im Coaching helfen hier sinnzentrierte Fragen wie:
Gisbert W. ist 52 Jahre alt und Inhaber eines Mittelstandsunternehmens mit einer 490-köpfigen Belegschaft. Seine Frau arbeitet teilzeitig im Unternehmen in der Finanzbuchhaltung und erkrankt durch einen Schlaganfall derart schwer, dass sie nicht mehr in ihren Beruf zurückkehren kann und die Ärzte einen dauerhaften Pflegefall voraussehen. Frau W. kann sich nicht mehr sprachlich äußern, vermag jedoch Hinweise zu geben, dass sie ihr Umfeld noch deutlich wahrnimmt.
Anders als auf den ersten Blick vielleicht zu vermuten, kommt W. jedoch nicht wegen der schwierig zu bewältigenden Situation im Unternehmen ins Coaching, auch nicht die jäh veränderte Lebenssituation mit seiner Frau ist für ihn vorrangig.
Gisbert W. hat das Problem, dass seine drei mehr oder minder pubertierenden Kinder von der Mutter erzogen wurden und er sich nun sorgt, ob die drei ihren Halt verlieren und womöglich in ein Umfeld geraten, in dem sie einen Ausgleich für die entstandene Belastung suchen. Herr W. malt ein Bild aus Drogen und Kriminalität und damit aus Angst und Misstrauen – die Psyche formt die Angst und der Zugang zum Geist ist blockiert.
Als Gisbert W. mit seinen drei Kindern im sinnzentrierten Coaching erscheint und noch einmal beschreibt, wie er die Veränderungen, den großen Verzicht, seinen Verdruss und seine Last erlebt und welche Sorgen ihn lähmen, fragt eines der Kinder, was denn das Bestmögliche für die Mutter sei? Die sich entwickelnde Sammlung und die mit ihr verbundenen Handlungen zeigen den Sinnanruf deutlich auf, den die Kinder und ihr Vater achtsam vernommen haben.
Durch die Bewusstmachung des Sinnhaften nach einem Ereignis mit Einwirkung auf die Psyche und dem möglichen Verlust von Gelassenheit und Selbststeuerung – zum Beispiel durch einen entsprechend fokussierenden Coaching-Prozess – vermag der Mensch in einem belastenden Ereignis „zurückzuspringen“ in einen Zustand, der ein gelingendes (Weiter-) Leben erlaubt.
Das Bestreben, diesen Verlust nicht zu realisieren, wird im Folgenden in Anlehnung an die von Viktor Frankl beschriebene „Trotzmacht des Geistes“ der 1. Grad Trotzmacht genannt. Diese ist der eigentliche Schutzfaktor. Er findet sich nicht ursprünglich in Form physischer Stärke oder Fitness und auch nicht in Form psychodynamischen Erlebens und Verhaltens.
Die Heimat dieser Trotzmacht ist der Geist. Erst mit dem Einbezug der geistigen Dimension erhält der Mensch die Gelegenheit, sich so oder anders den aktuellen psychophysischen Bedingungen zu stellen. Zeigt der Mensch in existenziell belastender Situation seinen (Über-) Lebenswillen und strebt er nach sinnerfülltem gelingenden Leben, so ist die Quelle dieses Sinnstrebens der menschliche Geist.
Lothar T. wurde vor drei Jahren arbeitslos. Als erfahrener Ingenieur traf ihn die Finanzkrise wie ein Hammerschlag, seine aus Scham und Stolz unterlassenen Hilfegesuche und das Gefühl, dass ihn sein privates Umfeld zunehmend ausgrenzte, führte anfangs zu einem Aufbegehren gegen die Situation. Als es ihm misslang, beruflich neu Fuß zu fassen und er sich sein Leben mit Alkohol meinte erträglicher gestalten zu müssen, führte dies schnurstracks in eine weithin bekannte Teufelsspirale.
Jedoch, ein Freund, der ihm in einem vertrauten und ruhigen Gespräch ausmalte, sich als „Mensch mit 1.000 Talenten und zehn Flaschen Schnaps wohl von der Erde zu verabschieden“ sorgte dafür, dass Lothar T. seinen per se verfügbaren, jedoch durch psychische Fehlhaltungen versteckten „2. Grad Trotzmacht“, – das „Aufbäumen“ – aktivierte. Im Coaching meinte T. dann auch nachvollziehbar, er habe seine Sinnsuche nur auf den Feldern seines Lebensschachbretts vorgenommen, wo seine Figuren schon standen, nun wäre er bereit für einen neuen, ihm noch unbekannten Lebensentwurf.
Auch in diesem Fall sei betont: Die Resilienz als „Existenzial“ war auch bei diesem Klienten bereits gegeben. Sie ist weit mehr als eine „Ressource“, deren Aufzehrung dazu führen kann, dass der Mensch immer mehr Anstrengungen unternimmt, um in immer kürzerer Zeit den „leeren Akku“ wieder aufzutanken.
Sie ist Bewusstheit für das Wesentliche und Sinnerfüllende. Damit jedoch für Lothar T. das „Aufbäumen“ gelingen kann, braucht er einen „Baum“ – einen „Baum der Selbsterkenntnis“ –, dessen Wurzelwerk sein Wertesystem repräsentiert und ihm anzeigt, was ihm zum Beispiel jenseits guter Beziehungen zu anderen Menschen oder vergangener Erfolge selbst in seiner so haltlos erscheinenden Situation Halt gibt.
Erleben wir Menschen, die dieses Aufbäumen vermissen lassen und Signale der „Selbst-Aufgabe“ senden, arbeiten wir mit ihnen konsequent resilienzbasiert und wertezentriert, indem wir mit Verfahren und Reflexionen wie der Werteaufstellung, der Werteanalyse mittels „LebensWerte-Karten“, der Sinnbiographie, der Messung der Bewusstheitsebenen (Spiral Dynamics) oder der Analyse des „sozialen Atoms“ herausarbeiten, worin bisherige Sinnbeiträge bestanden und wie das „Zurückspringen“ nach Misserfolgen, Trennungen, Verlusten oder anderem in der Vergangenheit vollzogen wurde. Auch schauen wir, in welcher Weise der Klient Aspekte seiner Psyche (zum Beispiel: Affekte, Stimmungen, Denkprozesse und anderes) steuert, wie er Humor zeigt, welche Formen der Selbstvergessenheit zum Wohle eines höheren Wertes der Klient erwähnt, wovon er träumt, was ihn staunen lässt.
Nach dieser, so kurz wie möglich gehaltenen Phase wird der Klient bei zeitlich eng getakteter Begleitung darin unterstützt, einen mit ihm und für ihn stimmigen Lebensentwurf zu entwickeln, (s)eine neue „Schicksalsmelodie“ zu komponieren.