Nach dem Finanzcrash kam es für Kundenberater und -beraterinnen bald zu ersten physischen Bedrohungen, im Einzelfall sogar zu Morddrohungen. Es gab Demonstrationen in einzelnen Filialen und öffentliche Anfeindungen. So diffamierten einige Kunden lauthals Bankberater in Bus und Bahn mit unvermittelten Ausrufen wie: „Da sitzt der Berater, der mein Geld vernichtet hat!“ Einige Kunden drohten mit Suizid – wie in der Folge auch einige Bankmitarbeiter. Daraufhin handelte der Vorstand und berief unverzüglich seinen Krisenstab ein, um die Vertriebsmitarbeitenden zu schützen.
Wir gehören als langjährige externe Coaching-Partner zu diesem Krisenstab von internen und externen Spezialisten (Coachs, Ärzten, Therapeuten usw.), die für Notfallsituationen und Akuthilfe bereit standen. Wir stellten kleine Gruppen von maximal acht Teilnehmenden zusammen, wobei wir den „Lead“, also die Verantwortung für die Durchführung und die Prozessgestaltung, hatten. Es waren Settings, in denen Führungskräfte ihre Themen untereinander diskutieren konnten, Berater unter sich sowie funktional gemischt in Workshops. Wir haben die Settings derart gestaltet, dass wir stets einen bis zwei interne Ansprechpartner, meist Personalentwickler, an unserer Seite hatten, um schnell individuelle Hilfe und Unterstützung gewährleisten zu können. Das waren in dem einen Fall Einzel-Coachings zur Resilienz, also zur Stärkung der Robustheit, in anderen Fällen therapeutische oder medizinische Hilfen. Hier war das Human Resource Management mit einem Stab interner und externer Spezialisten vorbildlich aufgestellt.
Wir haben so in den letzten Wochen allein in einer deutschen Bank 13 Kurzworkshops unter dem Motto „Handlungsempfehlungen für schwierige Gespräche, Empfehlungen zum Emotionsmanagement sowie zur Entwicklung persönlicher Robustheit“ für rund 100 Personen durchgeführt. Die Zielgruppe bestand aus Center- und Filialleitern, Beratern von Vermögens- und Privatkunden mit problematischen Bankprodukten in deren Depots. Nach diesen drei- bis vierstündigen „Gruppen-Coachings“ mit maximal acht Teilnehmenden folgten Einzel-Coachings und Team-Coachings zur weiteren Stabilisierung, zum Aufbau innerer Stärke und individueller Robustheit für belastende Situationen.
Wir definieren Resilienz – in Anschluss an Jack Block, Emmy E. Werner, Glen Elder und andere – als die psychische Widerstandsfähigkeit von Menschen gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Risiken. Resilienz zielt insofern auf psychische Stabilität und Gesundheit trotz Risikobelastungen ab, also auf eine Bewältigungskompetenz. Unter Resilienz werden drei Merkmale summiert:
Resilienz bezeichnet in der aktuellen Diskussion kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Ressource, die im individuellen Entwicklungsverlauf im Kontext der Individuum-Umwelt-Interaktion aufgebaut wird. Die Wurzeln für die Entwicklung von Resilienz liegen dabei in besonders Risiko lindernden Faktoren, die sowohl in der Person als auch außerhalb als beispielweise soziale Ressourcen in der Lebensumwelt verankert sein können. Aufgrund dieser konstitutionellen, erlernten oder sozialen Ressourcen unterscheiden sich die Menschen in ihrer Kompetenz zur Belastungsregulation.
Das Konzept der Resilienz legt den Fokus auf die Bewältigung von Risikosituationen. Schwerwiegende Lebensbedingungen können neben den jeweils aktuellen Anforderungen an Anpassung und Bewältigung der Situation auch Chancen für eine persönliche Weiterentwicklung beinhalten. Die Resilienzforschung zielt in diesem Zusammenhang auf eine stärkere Betonung primärer Prävention ab, also darauf, Menschen frühzeitig für Stress- und Problemsituationen zu stärken und innere Stärke und Robustheit aufzubauen.
Unsere Resilienz-Coachings und -Workshops sind Ressourcen-, und nicht Defizit orientiert. Wir identifizieren im Resilienz-Coaching die Stärken jedes Menschen und nutzen dafür auch seine biografischen Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Lebensereignissen. Das heißt, wir interessieren uns dafür, wie individuell unterschiedlich Menschen mit belastenden, Stress verursachenden Situationen umgehen, um diese zu bewältigen, wie Bewältigungskapazitäten aufgebaut und gefördert werden können. Dabei verstehen wir unsere Coaching-Partner und Teilnehmer als aktiv Mitgestaltende und kompetent Handelnde in den aktuellen Herausforderungen des belastenden Alltags. Wir lenken die Aufmerksamkeit gezielt auf ihre Fähigkeiten zur Problemlösung und -bewältigung.
Menschen, die belastende Erfahrungen besser verarbeiten und Krisen positiver bewältigen als andere, zeichnen sich durch folgende Fähigkeiten aus:
Unsere Erfahrungen mit Resilienz-Coachings in Gruppen haben gezeigt, dass es zur Unterstützung der psychosozialen Entlastung durch Coaching hilfreich ist, einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch über die belastenden Situationen so zu initiieren, damit vorrangig über die Erfolgserlebnisse gesprochen werden kann: „Ich sage Euch, wie ich es geschafft habe, bislang mit dem Schlimmen klar zu kommen und was ich daraus gelernt habe für die nächste Horror-Situation“. Dies bringt die im Coaching erforderliche Vorwärts- und Lösungsperspektive, statt die Unterstützung der defizitären Erlebnisse weiter in einer Abwärtsspirale negativen Denkens und Handelns zu fokussieren.
So entstand in den Resilienz-Gruppen-Coachings ein Klima für eine kontinuierliche Reflexion der Situationen, ein Erfahrungslernen aus positiv bewältigten Situationen und eine veränderte Wahrnehmungsperspektive belastender Ereignisse. Von der Wahrnehmung: „Was ist mir Schlimmes widerfahren“ hin zu der Wahrnehmungsveränderung: „Was habe ich aktiv dazu beigetragen, dass ich das Schlimme bewältigt habe“? Auf diese Weise erlebten die Teilnehmenden ihre Problemlösungskompetenz bewusst und vergegenwärtigten sich ihre individuellen Bewältigungsstrategien, so dass sie darauf auch in kommenden Krisen- und Stress-Situationen Bezug nehmen können.
Bei den vom Vertriebsvorstand und der Personalentwicklung initiierten Meetings haben die Beteiligten die Themenfelder Selbstmanagement, (Team-) Führung und Umgang mit schwierigen Kundensituationen als wesentliche Bestandteile für Resilienz-Coachings in der aktuellen Krisensituation identifiziert.
Aus den von den Betroffenen identifizierten Themenfeldern und Fragestellungen leiteten wir die folgende Vorgehensweise ab:
Hier stellten wir – der Coach, unterstützt durch interne Personalentwicklung – die Möglichkeiten des Unternehmens dar, individuell und umgehend auf die Bedarfe der Teilnehmenden auch vor Ort eingehen zu können, unterstützt durch weitere externe Coachs und Spezialisten, Hand in Hand mit dem medizinischen Dienst und der Sozialberatung.
Der offene Austausch der Mitarbeiter in den konkreten Situationen vor Ort erfolgte Leitfragen gestützt:
In den Workshops haben wir mit der gesamten Gruppe im Coaching gearbeitet, ebenso mit einzelnen Personen im Beisein der Gruppe, in anderen Fällen nahmen wir jeweils eine einzelne Person in einen Nebenraum, um auf der Einzelebene zu intervenieren. Manche der Teilnehmenden zeigten Anzeichen von Traumatisierungen, in einzelnen Fällen auch Re-Traumatisierungen, die auf andere, oft lange Jahre zurück liegende Ereignisse hinwiesen. Diese Fälle haben wir nach den Akutinterventionen durch Spezialisten weiter betreuen lassen.
Der Expertenrat durch den Coach in Form von individuellen Tipps zum Thema „Entemotionalisierung von schwierigen Kundensituationen“ und „Handlungsempfehlungen für schwierige Gespräche“ widerspricht nicht der Coaching-Philosophie. Es ist ein Zeichen von innerer Stärke, wenn man sich helfen lassen kann und dies in der aktuellen Situation anzeigt und ebenso die Hilfe dann auch annimmt.
Besonders wichtig ist, auch schwere Anforderungen als Herausforderungen zu definieren, die unsere Investition und unser Engagement verdienen! Das heißt, es kommt darauf an, wie wir eine Situation für uns bewerten, denn wir haben ein großes Stück dieser Bewertung selbst in der Hand: In der Schwäche liegt eine innere Stärke: Welche Stärke ist in der vermeintlichen Schwäche verborgen? Beispiel: Sie führen zurzeit schwierige Kundengespräche, vor denen Sie sich in der Vergangenheit (wenn es ging) gedrückt haben. Wenden Sie es positiv: „Jetzt lerne ich es, diese Gespräche zu entemotionalisieren. Künftig kann mir kaum noch jemand etwas in diesen schwierigen Situationen anhaben; darin übe ich mich täglich.“
Robustheit (Resilienz) kann jeder Mensch entwickeln: Besinnen Sie sich auf die Fähigkeit zu lachen, suchen Sie nach sinnhaften Tätigkeiten, unterbrechen Sie unangenehme Tätigkeiten, beispielsweise den Arbeitsablauf nach mehreren schwierigen Kundengesprächen, um eine Pause einzulegen oder etwas Positives, was Ihnen Halt gibt, zu machen – warum nicht nette Kollegen treffen?
Der erste Schritt zur Verbesserung unserer Lebensqualität besteht darin, genau darauf zu achten, was wir jeden Tag tun, um zu erkennen, welche Gefühle die Tätigkeit, der Ort, die Tageszeit oder die Gesprächspartner ins uns auslösen. Finden Sie heraus, was in Ihren Einzelfall für Sie nützlich ist – und genießen Sie es. Die Qualität unseres Lebens hängt nicht vom Was, sondern vom Wie unseres Tuns ab. Schaffen Sie konsequente „Ausnahmen vom Problem“, entwickeln Sie ihr positives Anti-Programm zum schwierigen beruflichen Alltag.
Die Fähigkeit, mit dem vermeintlichen persönlichen Scheitern in langjährig gewachsenen Kundensituationen gut umzugehen und die Krise als herausfordernden, mit einer Entscheidung verbundenen Wendepunkt und als Chance zu nutzen, ist entwickelbar: Menschen, die das schaffen, machen sich drei Prinzipien zueigen:
Selbstbewusstsein und Überzeugung von der eigenen Wirksamkeit sind die Basis für eine gelingende Krisenbewältigung. Menschen mit dieser Grundeinstellung können sich Erfolge selbst zuschreiben, sie führen sie also auf ihre eigenen Handlungen zurück und nicht etwa nur darauf, „Glück gehabt zu haben“. Zugleich trennen „Okay-Menschen“ in ihrem Denken sich als Menschen und individuelle Person von der Situation, in der sie als Funktionsträger (z.B. Kundenberater) agieren: Nicht sie als Privatperson werden angegriffen, sondern sie als Funktionsträger des Finanzinstituts.
Diese Sichtweise macht einen erheblichen Unterschied, ermöglicht sie doch, Versagen und Scheitern in den Kontext des beruflichen Systems zu stellen. Dort kann die nötige Verantwortung übernommen werden. Doch das berufliche System ist nur ein Teil der weiteren persönlichen Realität. Zu ihr gehört unter anderen auch das Privatleben. Kompetenz, Selbstheilungskräfte und innere Stärke, die Menschen in diesen anderen Systemen erleben, können in den Blick geraten und helfen, Probleme in jenen Lebensbereichen (dem Job) zu lösen. Ebenfalls kann eine solche Perspektive von zermarternden Schuldgefühlen entlasten.
Misserfolgserlebnisse gehören auch zu einem erfolgreichen Leben. Daher ist es wichtig, Scheitern anzuerkennen: Man akzeptiert die schwierige Situation schließlich als Ereignis, das nicht mehr abzuwehren ist. Dennoch fantasiert man sich daraus nicht eine Dauerkatastrophe und gedankliche Abwärtsspirale, vielmehr weiß man, dass eine Krise begrenzt ist und danach wieder andere, erfolgreichere Zeiten anbrechen.
Positives und realistisches Denken, beides gehört zur Krisenbewältigung. Es gilt weder, sich die Realität schön zu reden, noch schwarz zu malen. Eine gesunde Grundeinstellung ist beispielsweise folgende Aussage eines Vertriebsleiters: „Misserfolg interessiert mich eigentlich nur so weit, wie ich daraus lernen kann für weitere schwierige Situationen. Danach beschäftige ich mich nicht mehr damit, sondern konzentriere mich auf meine Erfolgserlebnisse und Ziele.“
Es geht um die richtige Balance zwischen positivem und kritischem Denkens, gerade auch mit Blick auf die Zukunft, um weiteren Rückschlägen vorzubeugen. Coaching unterstützt dabei, den je individuell passenden Weg zwischen beiden Möglichkeiten zu finden, indem es Selbstreflexion, kritische Analyse der Situation und Verantwortungsübernahme ebenso einfordert, wie es positive Selbstinstruktionen, Reframing der belastenden Situation und hilfreiche, entlastende alternative Wahrnehmungsmuster anregt und verankert.
Hinzukommen muss noch ein vierter Punkt: Psychische und körperliche Gesundheit stellen eine wichtige Voraussetzung für gelingende Krisenbewältigung dar. Wer psychisch bereits angeschlagen ist, beispielsweise unter Erschöpfungszuständen leidet oder gesundheitliche Probleme hat, wird mit einer Krise schlechter zu Recht kommen als jemand, der psychisch stabil und gesundheitlich fit ist. Resilienz-Coachings und -Workshops befassen sich daher auch mit Aspekten körperlicher Fitness, gesunder Ernährung und realistischen, wirksamen Entspannungsverfahren, die im Alltag anwendbar sind.
Hilfreich ist jede Art von Bewegung: Sport. Ebenso hilfreich ist geistige Bewegung: Lassen Sie sich auf etwas Neues ein, sammeln Sie neue Erfahrungen, probieren Sie etwas Neues aus, damit Extrembelastungen nicht mit einem Erstarren in Situationen, einem „Nicht-mehr-handeln-Können“ und einem „Kontrollverlust“ einhergehen.
Die persönliche Nähe zu den Kunden ist die Basis vieler Geschäftsabschlüsse. Läuft man mit dem „robuster werden“ auch Gefahr, die Kundennähe und damit einen wichtigen Erfolgsgaranten zu verlieren? Wir sind überzeugt, dass es so nicht ist, im Gegenteil: Die Kundenbeziehung wird dadurch verbessert. Eine gewisse Robustheit stärkt Selbstvertrauen und positives Denken und hilft dem Berater, seinen Kunden Orientierung zu geben. Robuster zu werden heißt auch, besser differenzieren zu können zwischen eigenen Themen und denen des Kunden und so noch besser auf ihn eingehen zu können. In dieser Zeit gilt es außerdem auch zu erkennen: Nicht jeder Kunde droht und nicht jedes Beratungsgespräch verläuft aggressiv. Das spart Energie für die wirklich schwierigen Gespräche.
Die Resilienz-Workshops haben zu einer ersten Entlastung und positiven Neuausrichtung des Handelns der Menschen vor Ort wesentlich beigetragen. Perspektivisch geht es über die Workshops hinaus zukünftig um ein Werte-Management in den Unternehmen: Vertrauen durch Kundenwerte zu schaffen, Beraterwerte weiter zu entwickeln und Unternehmenswerte aufzubauen. Damit sind unternehmenskulturelle Aspekte berührt, die Vertrauen und gesellschaftliche Verantwortung als wesentliche Ressourcen eines erfolgreichen unternehmerischen Handelns entwickeln und pflegen helfen.