Kunst kann die Augen öffnen – als Erkenntnisweg, auf dem der Künstler sich schaffend die Welt aneignet, reflektiert und gestaltet. Zugleich öffnen sich dem Betrachter von Kunst und natürlich auch der Leserin von Literatur, dem Hörer von Musik, eigene Reflexionsräume und Erkenntniswege in der Rezeption, in der Auseinandersetzung. Dabei greifen Künstler auf Quellen zu, integrieren Versatzstücke ihrer Kultur und Lebenswelt. Und auch der Betrachter rezipiert Kunst immer in Kontexten. Diese Phänomene verstehen zu wollen und über gesellschaftliche, politische Zeitläufte hinweg zu erkunden: das hat mich rückblickend zum Studium der Kunstgeschichte bewogen.
Doch am Anfang, 1974 während meiner Schulzeit, stand die persönliche Begegnung mit einer im Wortsinne mitreißenden Künstlerin, Mary Bauermeister. Das Eintauchen in die „Anderwelt“ dieser „Magierin“ – zunächst als Gehilfe mit Hacke und Spaten im Reich ihres Zaubergartens, dann als ihr Mitarbeiter in der Produktion ihrer Glas- und Steinobjekte, dann als Autor mancher Beiträge über ihr Leben und Werk und schließlich als Freund – war für mich rückblickend Taufe und Traufe zugleich: Ich geriet in einen schweren Konflikt mit meinem Elternhaus.
Ich entstamme einem bodenständigen Handwerkerhaushalt, mein Vater war Maschinenbaumeister, hart arbeitend als Selbstständiger mit kleinem Betrieb, dessen Zukunft ganz von mir, dem „geborenen“ Nachfolger, abhängen sollte. Es war die Zeit der frühen sechziger Jahre und die Katastrophe des Weltkrieges, die Mühen des Wiederaufbaus, steckten meinen Eltern noch tief in den Knochen. Kultur und Bildung standen da nicht unbedingt oben an! Mein Vater war – ohne Abitur als technischer Unteroffizier in der Wehrmacht und schwer drangsaliert von einem jungen „studierten“ Leutnant – nicht bloß kriegstraumatisiert, wie die meisten seiner Generation, aus der Gefangenschaft ins Zivilleben zurückgekehrt, sondern mit einem regelrechten Akademiker-Hass, einem Komplex infolge der erlittenen Kränkung. Was es für ihn bedeutet haben muss, mich mit dem Abitur entgleiten und an ein „brotloses“ Studium der Kunstgeschichte – verführt von einer bösen Fee namens Mary Bauermeister – verloren gehen zu sehen, das kann ich nur ahnen.
Was es für mich bedeutet hat, das wusste ich spätestens, seit mir bei Helm Stierlin das Generationen-Dilemma der doppelten Delegation („Wachs‘ über mich hinaus, aber bleib‘ bei mir!“) aufgegangen war: Trotz Magisterexamens mit Prädikat und Promotionsangebots brachte ich die emotionale Kraft zu weiterer akademischer Illoyalität nicht mehr auf. Ich entsagte noch höheren Weihen, suchte mir einen vernünftigen Job und fand ihn bald in der Öffentlichkeitsarbeit. So legte ich – mit Humor und Pragmatismus – mit diesem berufsbiografischen Start bereits die Grundlagen für meine heutige Arbeit als Coach, frei nach C. G. Jung: „Nur der Verwundete heilt.“
Ist das nicht verrückt, was einen nicht alles zu späteren Berufungen qualifiziert?! Die Literaturwissenschaft brachte mich auf mein schriftliches Examensthema „Ikonografische Studien zum Judenbild bei Wilhelm Busch“ und damit zur interdisziplinären Auseinandersetzung mit der Entstehung von Images, also Vorurteilskonstruktionen, im Allgemeinen wie des Antisemitismus im Besonderen. Mit der Christlichen Archäologie – eigentlich eine „Verlängerung“ der Kunstgeschichte hinein in den Raum der Spätantike – eröffnete sich mir der Zugang zur Philosophie jener Zeit sowie der Antike. Und sie beförderte mein Interesse an Theologie, Kirche und Religion: nicht zuletzt als Kontexte der Kunst, die ich wiederum als Kommunikationsmedium begriff.
Aus diesen Verknüpfungen, der Kunst, der Philosophie, der Theologie, der Literatur, der Kommunikation, bahnten sich dann allmählich meine „Berufs-Wege“ einer praktischen Anwendung von Interesse, Erkenntnis und einem Wunsch nach Vermittlung: zunächst in der Öffentlichkeitsarbeit für Kommune, Wirtschaft und Kirche, dann dort in der Kommunikationsberatung, die ein zentraler Bestandteil meiner Aufgaben wurde, unter anderem im Bereich Krisen-PR. Und schließlich im Coaching.
… was mich schon im Bewerbungsverfahren für die Funktion qualifizierte, nach dem Motto „It’s not a bug, it’s a feature“! Anfang der neunziger Jahre erlebten beide Kirchen eine nie dagewesene Austrittswelle. Und ich brachte eine zündende Idee mit an den neuen Arbeitsplatz, wie man die prekäre Situation gestalten könnte, statt weiter darüber zu klagen: eine professionelle Kommunikationskampagne, mit der man in einen Dialog mit der Öffentlichkeit, den Gemeindegliedern und dem geistlichen „Bodenpersonal“ der Firma „Gott, Sohn & Co.“ in Verbindung treten könnte. Mit einem kleinen Team und einer Werbeagentur setzten wir „das Ding“ um. Der Slogan brachte das Programm auf den Punkt: „misch dich ein!“. Verändere die Kirche, wo sie Dir nicht passt – hier ist die Gelegenheit! Da kamen eigene Erfahrungen als Abtrünniger gerade recht. „Und sie bewegt sich doch!“ titelten bald die Zeitungen, und alle berichteten, vom Kölner Stadt-Anzeiger über den Spiegel, die Zeit, das Wall Street Journal in seiner Europa-Ausgabe und auch die Tagesthemen …
Spektakulär war, neben der Mechanik der Kampagne, in der die Medien zum Generator wurden, indem sie über jeden Plakat-Entwurf schrieben, auch der Etat: 2,8 Millionen D-Mark waren viel Geld, das die evangelische Kirche in die Hand nahm. Und mit einem Schlag waren der Kölner Kirchenverband, sein damaliger Chef, der spätere EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock sowie meine Person bundesweit bekannt. Mehrere Dissertationen und Diplom-Arbeiten nahmen „misch dich ein!“ zum Forschungsgegenstand. Uns brachte es den „Oscar“ der deutschen PR-Szene ein, die „Goldene Brücke“.
Ja, doch das taten sie auch anderswo: Hatte unser Projekt etwa Seiteneffekte bis nach Berlin und Bayern?! Wohl kaum. Unzweifelhaft initiierte die Kampagne einen Professionalisierungsschub auf vielen Arbeitsebenen der Organisation, und der Respekt und die Glaubwürdigkeit, den wir uns „medial“ erarbeitet hatten, hielten an. Zugleich offenbarte die Initiative Schwächen in der Binnenkommunikation – was den „Follow-up“ einer verbandsinternen Studie mit Kienbaum zur Verbesserung eben jener Binnenkommunikation nach sich zog.
Als Leiter auch dieses Projekts auf Kundenseite kam ich zum ersten Mal mit dem Thema Consulting in Berührung. Fortan verfolgte ich das Ziel einer Entwicklung der Kirche zur lernenden Organisation mit Feedback-Kultur. „Beziehungsarbeit“ hieß das Credo, eingeübt durch konkrete Projekte wie eine 1996 folgende Fundraising-Initiative. Diese sollte einen Mentalitätswechsel, eine Haltungsänderung anstoßen: weg von der hoheitlichen, behördlichen „Denke“ einer Institution, der die Kirchensteuer vielleicht einmal zum systemischen Verhängnis werden könnte. Mit einem Faltblatt: „Sie tun mehr als Sie glauben. Danke für Ihre Kirchensteuer!“ wandte ich mich an die Gemeindeglieder, und wieder gab es ein Riesenecho im Blätterwald: Das war ein ganz neuer Ton, und dahinter stand eine neue Philosophie, eine neue Deutung der Kirchensteuer als freiwilligen Beitrag. Steht doch jedem Mitglied der Austritt jederzeit offen.
Erfinder der neuen „Formel“ solcher Mathematik war der Stuttgarter Fundraiser und Pfarrer Peter Gall: „Fundraising ist die Kunst von Menschen, die an etwas glauben, andere Menschen zu bitten, diesen Glauben zu teilen.“ Werte, Glauben, Identität, Beziehung, Kommunikation – darum ging es.
So viel mag bereits deutlich geworden sein: In den Bereichen Beratung, Kommunikation und auch in Rollen der Projektleitung und Teamführung hatte ich inzwischen reichlich Erfahrung gesammelt. Hinzu kam, dass ich in meiner Funktion als Pressesprecher immer wieder vor Situationen stand, in denen ich sozusagen den Endpunkt einer krisenhaften Entwicklung zu bearbeiten hatte.
Ein Beispiel: Die Jugenddiakonin tut sich schwer damit, einen geistig behinderten Jugendlichen – aus für sie guten Gründen, der Junge ist überfordert, er „stört“ und wird öfter laut – weiter am Konfirmationsunterricht in der Gruppe teilnehmen zu lassen. Im Gespräch mit den Eltern des Konfirmanden fehlt es ihr an Geschick. Es kommt zum Konflikt, die Fronten verhärten sich. Da gehen die Eltern an die Zeitung, in der noch vergangene Woche das Thema „Inklusion“ diskutiert wurde …
Noch ein Beispiel? Ein Pfarrer teilt im Gottesdienst das Abendmahl aus. Anwesend ist auch die Leiterin der Kita, deren Vorgesetzter er (auch) ist. Jetzt während des Abendmahls geht es aber um Gnade und nicht um Leistung. Beide nehmen sich an diesem Sonntag in folgenden Rollen wahr: als Gemeindeglied und als „guter Hirte“. Am Montag darauf treffen sich beide wieder zu einem Konfliktgespräch. Nun aber in diesen Rollen: als Vorgesetzter und Mitarbeiterin. Der Kontext- und Rollenwechsel wird jedoch nicht klar kommuniziert. Der Pfarrer ist mit sich selbst (und das nicht zum ersten Mal) im inneren Konflikt einer Rollenkollision. Auch die Mitarbeiterin kriegt an diesem Morgen den „Switch“ nicht hin. Es kommt zum Eklat: Empörung auf beiden Seiten. Anschließend erleichtert sich die Kita-Leiterin schimpfend vor ihrem Team. Eine Gruppenleiterin erzählt den „Fall“ weiter an die Mutter eines Kindes („So geht Kirche mit ihren Leuten um!“). Deren Mann ist Journalist – das Ende der Geschichte muss nicht weiter erzählt werden. Das kommt in der einen oder anderen Variante häufiger vor.
Irgendwann stellte ich mir die Frage: An welchem Punkt der Entwicklung wäre meine Arbeit in Fällen wie diesem wohl sinnvoller eingesetzt – am Anfang oder am Ende der Eskalationskette? Dieselbe Frage stellte ich auch meinem Vorstand, der mir das Angebot machte, mich zum Coach ausbilden zu lassen. Ein paar Wochen später startete ich an der Universität Kiel bei Professor Pallasch – heute einer meiner Kollegen im DBVC – am Institut „Advanced Studies“ 2005 mit der Ausbildung.
„Die Grenzen des Wachstums“, um einen Buchtitelklassiker zu zitieren, waren von Anfang an gesteckt und blieben es: Meine Coaching-Expertise bringe ich im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region nur im Kontext „Kommunikation“ ein – auch ich muss auf meine Ressourcen, meine Rollenklarheit und Aufgabenprioritäten achten. Deshalb biete ich potentiellen Klienten der Organisation mit weitergehenden Anliegen, die ich nicht selbst als interner Coach begleiten kann, Verweisungskompetenz an und bringe Kolleginnen und Kollegen ins Spiel.
Nichtsdestotrotz sind die Themen Coaching und Supervision in der Evangelischen Kirche im Rheinland auf dem Vormarsch, nachdem die Synode im vergangenen Jahr für einen perspektivischen Ausbau votiert hat. Schon heute bieten die Landeskirche und einige Kirchenkreise supervisorische Begleitung und Gemeindeberatungen an, die sich jedoch meines Erachtens von den DBVC-Professionsstandards unterscheiden, was nicht pauschal als Wertung zu nehmen ist. Persönlich sähe ich eine flächendeckende Einführung eines internen Coachings – die Top-Ebene ausgenommen, hier wäre ein externer Coaching-Pool denkbar – als eine sinnvolle Entwicklung an.
Neben Prozessen im Kontext Kommunikation und dem Thema „Leiten und Führen“ ist die Entwicklung von Gruppen zu Teams häufiger ein Thema. Auch Gremien-Dynamiken sind Anliegen der Bearbeitung. Die Prävention von „Burnout“ – gerade im Pfarramt. Da gibt es im Prinzip die ganze Bandbreite, wie sie in jeder anderen Organisation, jedem Unternehmen vorkommt: Auch die Kirche ist ja von dieser Welt! Allerdings „nicht nur“ von dieser Welt. Womit ich zu einem Spezifikum von „Mutter Kirche“ als Klientin komme, an deren Tisch sich die „Geschwister“ in ihrer Dienstgemeinschaft versammeln.
Die Kirche verweist ja auf eine transzendente Dimension, das ist quasi ihre „Unique Selling Proposition“ – und hier ergibt sich häufig eine Problemfrage für Mitarbeitende, zumal in Leitungsfunktion: Auf welcher Ebene agiere (und kommuniziere) ich jetzt in diesem Moment? Auf der Ebene der Institution? Der Organisation? Oder befinde ich mich gerade im „Glaubensgebäude“? Dieser kontextuelle dreifache Blick will gelernt sein. Und immer wieder überprüft werden. Verlangt ist von Coaches, die in der Kirche erfolgreich wirken wollen, daher auch eine besondere Organisations- und Kulturkompetenz. Darauf weisen Annegret Böhmer und Doris Klappenbach in ihrem Fachbuch: „Mit Humor und Eleganz“ über Supervision und Coaching in Organisationen und Institutionen hin. Ein Hauptkapitel widmet sich der evangelischen Kirche.
In der Tat arbeite ich, dies kurz bemerkt, seit 2009 auch freiberuflich als Coach und engagiere mich – nach Kundenkreisen und Aufgaben strikt getrennt – auf meinem kirchlichen Handlungsfeld mittlerweile in Teilzeit. Meine eigene „Work-Work“-Balance einer achtsamen Begrenzung in beiden Bereichen ist insofern für mich eine sinnvolle Voraussetzung und (hoffentlich weiterhin) auch eine Garantie für ein gutes Leben! Und somit ein bisschen auch eine Kunst, womit ich denn schon bei Ihrer Frage wäre.
Durch die Begegnung mit Kunst – und die unmittelbare, auch emotionale, sinnliche Wirkung, die Kunst hat – kann der Klient mehr als nur „Denkanstöße“ erfahren und diese Wirkung als Veränderungsimpuls nutzen: Kunst kann buchstäblich den Rahmen sprengen! Dabei geht es nie primär um Wissensvermittlung. Wir reden hier nicht über einen Museumsbesuch. Es handelt sich vielmehr um eine Coaching-Erfahrung im Museum, in einer Kirche, in einem Raum der Kunst, in dem neue Perspektiven erschlossen werden können. Die Wirkung kann recht umfassend sein – etwa in der Konfrontation durch ein Kruzifix mit der eigenen Endlichkeit. Deshalb spreche ich im Sinne der mittelalterlichen „ars vivendi – ars moriendi“ (also der Kunst zu leben und der Kunst zu sterben in ihrer Entsprechung und Zuordnung aufeinander) gerne poetisch von „Kunstlebenskunst“: So habe ich das von mir angebotene Format bzw. Coaching-Tool genannt.
Ein „Coaching durch Kunst“ wird eröffnet mit einer behutsamen Annäherung an ein zuvor von mir ausgewähltes Kunstwerk. Es schadet nicht, wenn dabei die Geschichte oder der Gehalt des Bildes an Ideen, Gedanken und Symbolen beiläufig angesprochen wird. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch stets darauf, dass die Kunst selbst „wirkt“. Denn schließlich wird ein Werk von jedem Betrachter subjektiv erlebt und gedeutet – im Falle eines Coaching-Klienten vor dem Hintergrund seiner aktuellen beruflichen Lage. Der Klient hat eine dringende, bzw. drängende Fragestellung und betrachtet das Werk eben aus seiner spezifischen Situation heraus. Er wird auf diese Weise etwas „gewahr“, das eine Änderung der Blickrichtung anregt, den Lösungsweg eröffnet.
Genauso ist es, das Werk wird gleichsam mit „erschaffen“ – so sah es ja Panofsky. Und in diesem „eins Werden“ kann sich der Klient sein Wissen, seine Gedanken und auch seine Gefühle zu Nutze machen. Denn alle Begegnungen, so auch mit Kunst, korrelieren in unserem Episodengedächtnis bekanntlich mit komplexen Erlebnisnetzwerken. Für mich war das Tool schon deshalb reizvoll, weil sich da gewissermaßen ein Kreis schließt.
Ich bin eben ein „gelernter“ Kunsthistoriker, der sich jedoch seriöser Weise niemals mehr als „praktizierender“ Kunsthistoriker bezeichnen würde! Ich bin vielmehr ein praktizierender Coach, der (auch) einen kunsthistorischen Background mitbringt und daraus vieles professionell – denn gelernt ist eben gelernt – als Extrakt für die aktuelle Arbeit destillieren kann. So erhält der Klient ein Coaching-Angebot mit „Mehrwert“ bei der geleiteten Selbsterkundung durch das Kunstwerk, im besagten hermeneutischen Prozess.
Im Übrigen taugt folgende Analogie: Manager besuchen Suppenküchen, um sich etwas zu erden. Teams stärken im Hochseilgarten ihr gegenseitiges Vertrauen und ihre Zusammenarbeit. Der Erlebnisraum Museum oder Kirche kann wie ein solcher Kontextwechsel ganz ähnlich wirken, etwa wenn es im Coaching um Werte geht, um persönliche Motivation im Sinne der großen Frage „Was ist wichtig?“. Ein Sehnsuchtsbild von Caspar David Friedrich kann als Wegweiser zu einer Reise in die „Ferne“ eigener Bedürfnisse gelesen werden und so den entscheidenden Anstoß zum Aufbruch bieten.
Das ist sehr schön gesagt. Dazu vielleicht das Fallbeispiel einer unerwarteten, sofort spürbaren Belebung durch Kunst in einem Coaching. Für einen meiner Klienten, einen Juristen, wurde dessen Begegnung mit dem für ihn ausgewählten Kunstwerk – einem kleinen, blaulackierten hölzernen Kinderspielzeugwagen, dem „Portable Ocean“ von Paul Thek – zu einer wahrhaftig erschütternden Erfahrung. Sie brachte all seine lange verdrängten Wünsche und vor allem seine unermessliche Trauer darüber ans Licht, seinen Jugendtraum, Schreiner zu werden, für die Familientradition aufgegeben zu haben, Jurist werden zu müssen. Die Situation inspirierte ihn dann, noch einmal der Traumspur zu folgen: Er ging eine Geschäftspartnerschaft mit einem Restaurator und Schreiner ein. In dem gemeinsamen Betrieb setzte er fortan zwar primär seine juristischen und betriebswirtschaftlichen Kompetenzen ein, doch eben in einem vollkommen anderen Kontext als bisher. Da, wo er jetzt an seinem Schreibtisch sitzt, riecht es nach Holz! Irgendwann gab es dann immer häufiger Tage, an denen er auch selbst einmal Hand anzulegen begann ...
Das ist für mich ein wunderbares Beispiel, wie die Verbindung von Welten, die auf den ersten Blick völlig disparat sind, gelingen kann. Eigentlich, denke ich gerade, so wie bei mir selbst, als mir auf einer Italien-Reise nach Rom, Florenz und Assisi gemeinsam mit einem guten Freund in einer der vielen grandiosen Kirchen „plötzlich“ die Idee kam, die Kunstgeschichte und das Coaching zusammenzudenken.
Für die vom Burnout bedrohte Bankerin kann die Begegnung mit einem „Schwarzen Quadrat“ von Malewitsch heilsam sein, weil ihr das – schwarz auf weiß – vor Augen führt, was ihr hilft, sich die Frage nach ihren Ressourcen und nach dem Ziel und dem Sinn ihrer begrenzten Existenz zu stellen. Denken Sie jetzt vielleicht an einen in Routine festgefahrenen, überarbeiteten Verwaltungsmann: Für den könnten die Impressionisten geeignet sein, um wieder etwas mehr Lust auf „Licht und Farbe“ in einem Leben zu bekommen, das nicht nur aus Arbeit besteht. Insofern ist es nicht schlecht, einen gewissen Überblick zu haben, die Museumslandschaft zu kennen und zu wissen, wo man was finden kann.
Immer wieder gerne gehe ich ins Kolumba in Köln: Ein großartiger Bau von Peter Zumthor, in dem die Kunst von Stefan Kraus und seinem Team sehr „sparsam“ gehängt und in überraschenden Zuordnungen gezeigt wird. Es gibt Besucher, die fragen sich, ob Kolumba wohl überhaupt ein richtiges Museum sei? Da liegen banale Alltagsgegenstände, alte Radios oder Rasierapparate, wie kostbare Miniaturen in Vitrinen, und religiöse „Gebrauchsgegenstände“ – Rosenkränze, Reliquien – kontrastieren mit moderner Kunst. Man sucht zwangsläufig nach der Verbindung, nach dem gemeinsamen inhaltlichen Element: wie anregend! Diese quasi omnipräsente Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten ist für die Coaching-Arbeit extrem hilfreich. Und das bei vergleichsweise wenigen Kunstwerken in der Ausstellung, wenn man bedenkt, wie „erschlagend“ so ein gewöhnlicher Museumsbesuch sein kann.
Immer ist es für das Coaching wichtig, vorab das Haus zu besuchen, die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen und sich Gedanken zu machen, was man anschauen möchte
Mit dieser Frage führen Sie mich wieder zurück zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs. Und damit zurück in den Zaubergarten der Mary Bauermeister, zurück in die Küche meines Elternhauses, wo ich dem Vater in düsteren Gesprächen um meine Zukunft gegenübersaß, zurück in meine eigene Zeit vor und nach dem Abitur: Wie sehr hätte ich damals einen verständigen Coach benötigt! Doch abgesehen davon, dass es zu dieser Zeit so etwas wie einen „Coach“ außerhalb des Fußballfeldes kaum gab, hätte ich ihn mir wohl auch nicht leisten können. In diesem Punkt haben sich die Zeiten nicht geändert.
Irgendwann habe ich überlegt, wie ich mich ehrenamtlich betätigen könnte. Und was lag da näher – in Erinnerung an das Schwere und in Dankbarkeit für das Gute, was daraus wurde – als von Fall zu Fall dieses Angebot zu machen? Wie bei regulären Coachings folge ich festen Regeln. Es muss Freiwilligkeit gegeben sein. Denn es fragen auch Eltern an und meinen: „Bringen Sie meinen Sohn mal auf die Spur!“ Das mache ich natürlich, weder pro bono noch gegen Honorar. Einmal kam als Klient ein junger Mann zu mir, der den Plan hatte nur „irgendwas“ zu studieren, und nach einem Semester Maschinenbau dann letztendlich ein Medizinstudium aufgenommen hat. Das sind spannende Entwicklungen und Erfahrungen, die ich hier mit verfolgen kann und die mich selbst sehr bereichern.
Da fällt mir zuerst das Thema „Studienabbruch“ ein. Nicht selten bin ich der mir altbekannten Situation begegnet, dass junge Leute elterliche Aufträge, sprich Delegationen erfüllen. Dann wird Coaching zum emanzipatorischen Prozess, in dem ein Freiheitsraum für den jungen Menschen eröffnet und herausgearbeitet wird, darin er erkennt, dass seine Entscheidung vielleicht nicht die seine war und er eventuell einer – auferlegten – Familientradition gefolgt ist. Dieser Mensch erhält dann die Chance, den Zugang zur eigenen Motivation zu finden und so seine Studienentscheidung nun aktiv und eigensinnig im besten Sinne zu überdenken. Das ist ein typischer Coaching-Anlass.
Ja, ich würde dem gerne zustimmen. Denn für erlebende Menschen in all ihren Existenzphasen, in allen Entwicklungsstadien, können Impulse hilfreich sein – nicht mehr und nicht weniger – und diese Impulse kann Coaching geben. Allerdings muss man ansonsten aufpassen. Erst vor einiger Zeit habe ich einen Blog-Beitrag für ein befreundetes Unternehmen der Fundraising-Szene geschrieben und mich darin mit einem völlig neuen „Format“ auseinandergesetzt: nach Hunde-Coaching, Feng-Shui-Coaching und Koch-Coaching nun auch „Fundraising-Coaching“ – was es nicht alles gibt! Der Begriff Coaching ist immer noch schillernd, vielbenutzt und schafft damit auch vielerlei Merkwürdigkeiten, wie zahlreiche Publikationen belegen: Man denke nur an das Scharlatanerie-Problem. Daher ist es umso wichtiger, wenn wir von der xten Kulturtechnik sprechen wollen, ein trennscharfes Profil herauszuarbeiten. Und nicht nachzulassen, Professionsstandards sauber zu definieren. Sonst ist alles Coaching, oder was?!