Portrait

Interview mit Svenja Hofert

Fokussiert den Menschen, nicht die Methode!

Coaches sollten ihre Methoden und Tools beherrschen und zielsicher anwenden können. Kontraproduktiv kann es jedoch sein, wenn sie zu stark in ihrer methodischen Ausrichtung gefangen bleiben, wie Coach Svenja Hofert zu bedenken gibt. Ein echtes Einlassen auf das Gegenüber ist dann nur bedingt möglich. Die Management-, Organisations- und Karriereberaterin weiß: Um Klientinnen und Klienten tatsächlich weiterzuhelfen und den Fokus auf sie zu richten, benötigen Coaches neben dem Handwerkszeug ein hohes Maß an Selbsterfahrung und -reflexion. Erst dann kann das Handwerk zur Kunstfertigkeit werden.

19 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2025 am 18.02.2025

Ein Gespräch mit David Ebermann

Svenja Hofert sitzt in einem cremefarbigen Kleid auf einem Sofa und hat das Kinn auf eine Hand gestützt.

Wer sind Ihre Klientinnen und Klienten und mit welchen Anliegen kommen sie zu Ihnen ins Coaching?

Ich bin schon länger im Geschäft und im Laufe der Zeit hat sich meine Klientel verändert. Das Coaching steckte noch in den Kinderschuhen, als ich – aus dem HR-Feld kommend – über das Thema Karriere in die Beratung eingestiegen bin. Mein Schwerpunkt lag schon immer auf der jobbezogenen Arbeit mit Führungskräften, die sich in einer Phase der Veränderung befinden. Dies ist auch jetzt noch der Fall. Nach und nach bin ich aber immer stärker in den Bereich der Organisationsentwicklung gegangen und so arbeite ich zunehmend auch mit Klientinnen und Klienten, deren Anliegen organisationale Aspekte mitbringen. Diese Personen suchen den Austausch mit jemandem, der ihre Situation in der Organisation versteht, vor allem aber die Auswirkungen auf die Menschen nachempfinden kann. Dabei kann es z.B. um das Thema Agilität oder um den Bereich People and Culture gehen. Die Führungskräfte stellen sich beispielsweise oft die Frage, was die Veränderungen mit ihren Mitarbeitenden machen. Sie fragen sich auch, wie sie selbst mit den Anforderungen umgehen können, die auf sie einprasseln – zumal diese oft widersprüchlich ausfallen.

Gibt es Parallelen zwischen Ihrer Arbeit im Karriere-Kontext und der Begleitung organisationaler Themen?

In beiden Kontexten schwingt in der Begleitung der Klientinnen und Klienten ein Entwicklungsaspekt mit. In meinen Anfangszeiten arbeitete ich häufig mit Führungskräften, die vor erzwungenen Veränderungen standen. Sie mussten ihren Unternehmensbereich verlassen und sich in einen neuen einfinden, bekamen Aufhebungsverträge usw. Der Umgang mit derartigen Situationen – und das wurde mir in meinen ersten Ausbildungen im Beratungsfeld nicht gesagt – hat immer auch mit – zunächst unfreiwilliger – persönlicher Entwicklung zu tun. Dasselbe kann im Rahmen von Change-Vorhaben gegeben sein. Die innere Komplexität der begleiteten Person steigt und es kommt zu einem Schneekugeleffekt. Ich nutze diese Metapher gerne, weil Menschen in sehr herausfordernden Situationen oftmals die klare Sicht einbüßen – wie in einer gläsernen Schneekugel, die geschüttelt wurde. Ihre bisherigen persönlichen Strukturen lösen sich auf, es kommt zu Verunsicherung und Destabilisierung. In der Begleitung entsprechender Situationen kommt man – ob man will oder nicht – zwangsläufig ans Psychologische.

Dazu ein Einwurf: Heute ist es durchaus gängig, dass Menschen eine Therapie durchlaufen und gleichzeitig ein Karriere- bzw. Business-Coaching wahrnehmen. Früher war das ein Tabu. Es gab zu dieser Zeit viele Therapeuten, die die Meinung vertraten, ihre Patientinnen und Patienten müssten sich ganz auf die Therapie konzentrieren, ein Coaching lenke nur ab oder hebe die Therapie gar auf. Ich fand das damals schon falsch, denn der Beruf ist eine stabilisierende Säule. Ich musste in meiner Anfangszeit erst lernen, wie ich Menschen, die in einer solchen Schneekugel stecken, voranbringen kann, und befasste mich u.a. intensiv mit Entwicklungspsychologie und machte verschiedene Ausflüge in therapeutische Konzepte. Wichtig zu verstehen war für mich vor allem, dass Menschen sich nicht nur mit funktionalen, sondern auch mit dysfunktionalen Zielen „gut“ fühlen können. Weiterhin war die Erkenntnis wichtig, dass Irritation notwendig sein kann. Coaching ist keine Therapie, mit dem Einsatz gängiger Coaching-Tools allein kommt man aber in Situationen der Verunsicherung meistens nicht weiter. Primär ist Beziehungsaufbau erforderlich. Später bot ich vor diesem Hintergrund eine Karriere-Coaching-Weiterbildung zur Professionalisierung von Beratern und Coaches im Umgang mit Schneekugel-Situationen an. Sie lief jahrelang sehr erfolgreich, bis ich sie im Zuge einer Unternehmensneugründung aufgab.

In Ihrem 2017 erschienenen Buch „Hört auf zu coachen!“ setzen Sie sich kritisch mit den Arbeitsweisen einiger Caches auseinander …

Ja. Ich selber nahm als Klientin Coaching in Anspruch und stellte fest, dass es mir nicht weiterhilft, wenn Coaches zu sehr in ihrer methodischen Struktur gefangen sind. Zu oft wird die Vorgehensweise der erlernten Schule durchexerziert, anstatt wahrzunehmen, was das Gegenüber möchte. Wenn der Klient bzw. die Klientin mehrdimensionaler wahrnimmt als der Coach, passt das nicht zusammen. Die Therapieforschung betont die Wichtigkeit der Beziehung; diese kann dann gar nicht wirksam etabliert werden. Manchmal suchen Klientinnen und Klienten vielleicht wirklich einfach nur einen Ratschlag, um ein Beispiel anzuführen. Ratschläge und Meinungen waren im Zusammenhang mit Coaching lange extrem negativ konnotiert, aber manchmal ist es durchaus sinnvoll, etwas aus dem originären Coaching-Framing auszubrechen und beispielsweise einen Lösungsvorschlag in die Reflexion einzubringen, wenn gewünscht.

In Bezug auf meine Arbeit spreche ich daher gerne auch von Counseling. Das ist eine Zwischenform von Coaching und Therapie, die in Deutschland wenig bekannt ist. Ich würde aus heutiger Sicht auch behaupten, dass Coaches psychologische Kenntnisse brauchen. Manche Coaching-Ausbildungen sind aus meiner Sicht zu kurz. Supervision und die Arbeit an sich selbst – beispielsweise mit Blick auf Projektionen und die eigenen Muster – nehmen in vielen Fällen zu wenig Raum ein. Diese Wahrnehmung speist sich auch daraus, dass mir Teilnehmer meiner aktuellen Weiterbildungen erzählen, dass sie in vorangegangenen Ausbildungen Mitstreiter hatten, die eigentlich nicht über die notwendigen Voraussetzungen verfügten, um andere zu begleiten. Natürlich möchte ich nicht in Abrede stellen, dass es sehr gute Coaching-Ausbildungen gibt, die konzeptionell sauber sowie wissenschaftlich valide sind und zudem der Selbsterfahrung Raum geben.

Woran machen Sie fehlende Voraussetzungen für die Begleitung anderer fest?

Daran, dass Menschen sich nicht selbst reflektieren können oder wollen. Daran, dass sie ihren eigenen Schneekugeleffekt schlicht abwehren, anstatt erst einmal innezuhalten und sich in Selbsterfahrung zu üben. Worauf reagiere ich nicht? Das ist z.B. eine wichtige Leitfrage. Coaches, die sich selbst nicht ausreichend kennengelernt haben, neigen oftmals dazu, die Verantwortung für ihre Klientinnen und Klienten zu übernehmen. Mitunter entwickeln sie dann Schuldgefühle, wenn es im Coaching nicht gut läuft. Das kann mit nicht hinterfragten Glaubenssätzen zusammenhängen wie: „Ich bin nicht gut genug!“ Eine andere Folge kann darin bestehen, dass sie ein manipulatives Verhalten praktizieren. Das kann ohne schlechte Absichten passieren, indem der Coach unreflektiert eigenen Annahmen folgt. Im schlimmsten Fall passiert es mit Kalkül – basierend auf einer falschen Haltung. Wir beobachten ja, dass selbsternannte „Coaches“ ihren Zuhörern den „richtigen“ Weg durch sich selbst vorgeben wollen: „Schau mich an, ich habe es doch auch geschafft.“ Das ist für mein Empfinden manipulative Bühnensprache. Sie postulieren bestimmte Werte oder gar ein „Mindset“ als erstrebenswert, was ich für ganz gefährlich halte. Ich habe immer wieder mit Menschen zu tun, die Erfahrungen mit Manipulation gemacht haben. Oft empfinden sie Schuld und Scham, weil sie es nicht schaffen, so erfolgreich zu sein, wie sie es laut der manipulativen Narrative sein „müssten“.

Svenja Hofert trägt einen grünen Hosenanzug und steht vor einem braunen Ledersofa.

Sie haben vier Karrierelebensphasen identifiziert, die Sie im Karriere-Coaching berücksichtigen. Welche?

Es gibt ein recht komplexes Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erik Erikson, das ich für den Karrierekontext vereinfacht habe. Meiner Beobachtung nach suchen Menschen zu Beginn ihrer Karriere zunächst nach einem Einstieg (Entree). Dieser erfolgt mitunter auch zeitverzögert, wenn jemand nicht gleich eine gesunde Selbstwirksamkeitserfahrung macht. Wer in seinem Erstberuf keine Erfüllung findet, kann auch mit 35 Jahren noch auf der Suche sein. Anderen gelingt der Einstieg schneller. Es hängt stark davon ab, ein Umfeld zu finden, in dem man die eigenen Stärken gut einbringen kann. Es folgt die Phase der Karriere, in der es darum geht, weiterzukommen und erfolgreich zu sein. Ich habe einen 23-jährigen Sohn und bekomme dadurch ansatz- und ausschnittsweise mit, wie die junge Generation tickt. Es sind Themen dazu gekommen, die jüngere bewegen. Im Kern hat sich aber nichts Grundlegendes geändert. Man strebt auch heute noch Entwicklung und Erfolg an, auch wenn das nicht mehr – wie noch zu meiner Zeit – dadurch gekennzeichnet ist, bis 23 Uhr bei eingeschaltetem Licht am Schreibtisch zu sitzen und so zu tun, als würde man arbeiten.

Es folgt die Integration. In dieser Phase kommen neue Themen – auch durch das Privatleben bedingt – hinzu, die man in sein Leben einbinden möchte. Das Erfühlen und Verinnerlichen von eigenen Werten spielt hier eine große Rolle. Angelehnt an die Akzeptanz- und Commitment-Therapie würde ich Werte als sinngebende Handlungsqualitäten definieren. In der Integrationsphase verändern sie sich – wie die Blätter eines Baumes, die sich verfärben. Wollte man vorher z.B. vor allem Geld verdienen, was keinesfalls verwerflich ist, gewinnen nun vielleicht andere Aspekte an Bedeutung. Prioritäten verschieben sich. In der vierten Phase geht es um eine Art zweiten Sinn, um eine Erweiterung bzw. Kanalisierung dessen, was bereits integriert ist. Und zwar auch vor dem Hintergrund der Frage, was man für andere einbringen kann. Erikson spricht hier von Generativität. Das muss natürlich nicht gleich heißen, eine NGO zu gründen. Es kann sich auch im Kleineren abspielen und sehr individuell gestaltet sein: sich um die Enkelkinder kümmern, Trauerbegleiter werden etc.     

Sie sagen, dass Mitarbeiterbindung besser gelinge, wenn Karrierelebensphasen in Unternehmen stärker berücksichtigt würden …

Ja. Ich höre derzeit z.B. viel von Mehrgenerationenteams und jungen Führungskräften. Diese jungen Führungskräfte befinden sich typischerweise in einer der früheren Karrierelebensphasen. Das ist auch völlig okay, oftmals sehen sie aber nicht, dass jemand, der sich in einer späteren Phase befindet, andere Bedürfnisse und Werte hat. Zudem wird oft versucht, Werte und Regelungen – beispielsweise Arbeitszeit- oder Homeoffice-Regelungen – zu vergemeinschaften. Benötigt wird aber viel mehr Differenzierung, um den Einzelnen und ihren Bedürfnissen, die sich aus der jeweiligen Phase ergeben, gerecht zu werden. Differenzierung fällt Unternehmen erfahrungsgemäß schwer, was bei Mitarbeitenden zu Frust führen kann. Aus meiner Sicht ist es für die HR-Abteilungen ein sehr wichtiges Thema, die Führungskräfte in dieser Frage zu schulen.  

Bei den Karrierelebensphasen stellten Sie den Zusammenhang zwischen dem Einbringen eigener Stärken und dem Selbstwirksamkeitsempfinden her. Sie bieten auch eine Ausbildung zum entwicklungsorientierten Stärken-Coach an. Wie kann ein Coach vorgehen, um die Stärken seines Gegenübers zu identifizieren?

Ich habe mich intensiv mit dem Thema Stärken befasst, mich mit dem Strengths-Finder und weiteren Modellen auseinandergesetzt. Später habe ich ein Kartenset zum Thema entwickelt, das als Kommunikationsinstrument konzipiert ist. Es ging mir darum, Metaphern und Bilder zu schaffen, die Menschen verwenden können, um ihre Stärken zu beschreiben und zu definieren, was sie benötigen, um einen nächsten Schritt zu bewältigen. Findet sich jemand in einem Bild wieder, kann er eigene Worte für seine Situation finden, dann kommen ihm Ideen. So kann er sich orientieren, Schritt für Schritt weiterdenken und zu seinen Stärken – und natürlich Werten – passende Ziele entwickeln, die dann verfolgt werden können. So vorzugehen, bietet Klientinnen und Klienten also eine einfache Möglichkeit, für sich Bilder zu finden, sie zu versprachlichen und dadurch auch eine Sprache für Veränderung zu erhalten. Hierin steckt der Entwicklungsaspekt. Motivational interviews funktionieren ähnlich – es geht darum, den inneren Willen für eine Veränderung zu stärken, in dem man sich eigene Gedanken macht und Zielbilder entwickelt, die dann größer und klarer werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit steigt, letztlich auch die Umsetzung aktiv anzugehen.

Setzen Sie auch diagnostische Methoden ein, um Stärken zu ermitteln?

Ja, man kann das eben skizzierte Vorgehen mit Persönlichkeitstests kombinieren. Ich arbeite u.a. mit den Big Five und einem Profil aus der sogenannten Ich-Entwicklung nach Jane Loevinger. Für die ganz pragmatische Arbeit wären mir Persönlichkeitstests allein aber zu wenig. Und sie sind auch nicht immer hilfreich, sondern vielmehr ein manchmal nützlicher Hintergrundfilm. Da ich mich intensiv mit Entwicklungspsychologie befasst habe, weiß ich, welche Entwicklungsthemen in welcher Situation typischerweise anstehen. Vorwissen in diesem Bereich hilft dabei, einordnen zu können, welche Signale beispielsweise darauf hindeuten, dass Menschen ihre eigenen Wertmaßstäbe noch nicht stabilisiert haben, also in sozialer Erwünschtheit feststecken und noch nicht abgrenzen können, was ihre eigenen Bedürfnisse sind und welche Werte sie von anderen – etwa den Eltern – übernommen haben. In diesem Fall wäre es angebracht, zunächst die Selbstwahrnehmung zu unterstützen.

In Ihren Publikationen haben Sie sich mit agilem Coaching befasst und dabei 2018 in einem Artikel bemängelt, dass in Unternehmen keine einheitliche Vorstellung von agilem Coaching bestehe. Hat sich dies in den letzten Jahren geändert?

Agile Coaches haben heute sehr häufig eine richtige Coaching-Ausbildung absolviert. Insofern ist das Feld professioneller geworden. Die Grundfrage, was agiles Coaching leisten soll und kann, ist damit aber nicht gelöst. Geht es um Training? Um Moderation? Versteht man agiles Coaching als etwas, das Menschen in eine echte Reflexion bringt, auch wenn das potenziell zu Zielkonflikten führt, weil manches hinterfragt werden könnte? Oder geht es viel mehr um Beratung und Unterstützung beim Aufbau agiler Strukturen? Nach wie vor ist agiles Coaching für mich ein Gemischtwarenladen mit einer unklaren Definition.

Wie sollte unternehmensinternes agiles Coaching Ihrer Ansicht nach aussehen?

Aus meiner Sicht sollte echtes, Selbstreflexion anregendes Coaching nicht inhouse erfolgen, weil fraglich ist, ob jemand, der selbst Teil des Systems und somit im Denken des jeweiligen Systems verhaftet ist, wirklich hilfreich ist. Und weil Menschen sich möglicherweise unter Druck gesetzt sowie „psychologisiert“ fühlen, wenn sie z.B. plötzlich über Emotionen sprechen sollen. Geht es hingegen um Begleitung beim Strukturaufbau, sehe ich es unkritischer. Insgesamt habe ich heute mehr Distanz zu dem Thema gewonnen – auch weil ich in Unternehmen Rückwärtsbewegungen beobachte, die mit dem Abbau der Stellen agiler Coaches verbunden sind. Was es aus meiner Sicht in den Unternehmen aber wirklich braucht, ist Moderation. Es braucht Personen, die in der Lage sind, Entscheidungsprozesse zu moderieren, also die handfesten Themen zu begleiten. Dabei kommt es auf die Fähigkeit an, sehr unterschiedliche Denkweisen an einem Tisch miteinander zu verbinden, sodass gemeinsam getragene Lösungen entwickelt werden können.

Welche Rolle kann Team-Coaching in diesem Kontext spielen?

Coaching ist möglich, wenn es sich um ein echtes Team handelt – um eine institutionalisierte Gruppe, die aus ca. fünf bis sieben Personen besteht und sich um einen eigenen sowie fest definierten Aufgabenbereich kümmert. Dieser Aspekt ist wichtig, weil Team-Coaching eines klaren Ziels bedarf. Ist dieses gegeben, sind insbesondere die lösungsorientierten Ansätze sehr gut einsetzbar. Ist der Aspekt hingegen nicht erfüllt, wäre es eher ein Coaching von Einzelpersonen innerhalb einer Gruppe, was schwierig ist. Auf einem anderen Blatt steht Teamentwicklung, die darauf ausgerichtet ist, dass eine Gruppe einen gewissen institutionalisierten Zustand und Klarheit über ihre Aufgabe und Zuständigkeit überhaupt erst erreicht. Zumeist sehe ich tatsächlich eher lose Gruppen, die noch nicht über eine auf das abgesteckte Aufgabenfeld ausgerichtete Koordination funktionieren. Es kann dann z.B. zunächst darum gehen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass einerseits das Gemeinsame notwendig ist, während gleichzeitig eine gewisse Ausdifferenzierung vorhanden sein sollte, sodass jedes Mitglied seine Rolle im Team finden kann: Was kann jeder Einzelne zum gemeinsamen Ganzen beitragen?

Schädigt eine fehlende Ausdifferenzierung die Innovationskraft eines Teams?

Ja, das ist möglich. Gruppennormen entwickeln sich von selbst. Bleiben diese aber unreflektiert und undifferenziert, ist eine Unbeweglichkeit die Folge. Es entstehen dann potenziell erstarrte Systeme.  

Svenja Hofert sitzt mit überschlagenen Beinen auf einem braunen Ledersofa. Sie trägt einen grünen Hosenanzug.

Sie haben die Bezeichnung von Coaching als Handwerk in einem Artikel als fragwürdig beschrieben. Wie meinen Sie das?

Ich finde Handwerk super – man sollte seine Methoden beherrschen. Aber: Man muss sich auch von ihnen befreien können. (lacht) Hier knüpfen wir an meine eingangs formulierte Kritik hinsichtlich der Fixierung auf Methoden bzw. Tools oder bestimmte Schulen an. Klientinnen und Klienten benötigen Gesprächspartner, die ihnen echtes Feedback geben, sie auch mal richtig fordern etc. Anstatt sich an erlernte Methoden zu klammern, sollten Coaches sich zu einem gewissen Grad von ihnen lösen können, ihr Vorgehen individualisieren und mit der Zeit zur Kunstfertigkeit weiterentwickeln. Das beinhaltet auch, von anderen Ansätzen, die man nicht ursprünglich erlernt hat, zu lernen und sich zu fragen, was man davon integrieren möchte. Um für andere Personen wirksam zu werden, sollte man außerdem dazu in der Lage sein, theoretisch erlernte Ansätze auch praktisch anwenden zu können. Ein simples Beispiel: Die besten Fragen nützen nichts, wenn der Coach mit den Antworten nicht umzugehen weiß. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn der Coach im Gespräch zu sehr bei sich ist und seine Gedanken darum kreisen, was er als nächstes fragen kann oder wie er methodisch weiter vorgehen sollte. Die Konzentration auf das Gegenüber, die für Wirksamkeit im Coaching sehr wichtig ist, weil sie Beziehung ermöglicht, fehlt dann. Dazu gehört es beispielsweise auch, Pausen aushalten zu können, in denen geschwiegen wird, was gar nicht so einfach ist.

In dem Beitrag sprachen Sie auch von missbräuchlich genutzten Coaching-Techniken in der Führungsarbeit. Könnten Sie dies erklären?

Reife ist hier wichtig. Der Begriff ist zwar schwierig, weil er schnell mit dem Alter assoziiert ist. Ich beziehe ihn aber auf die Frage, wie gut sich jemand in der Wechselseitigkeit einer Beziehung reflektieren und wie viele Dimensionen er oder sie dabei wahrnehmen kann. Nehmen wir an, jemand absolviert eine Coaching-Ausbildung, möchte das Erlernte nun im Team anwenden, ist aber eine disziplinarisch vorgesetzte Führungskraft. Da hilft es nicht, zu sagen: „Ich bin doch auf Augenhöhe.“ Entscheidend ist, was die Mitarbeitenden in der Führungskraft sehen. Vielleicht denken sie, wenn auch nur implizit: „Das ist die Führungskraft, die kann mich feuern. Ich kann ein Coaching also nicht ablehnen, daher mache ich mit.“ Das ist etwas überzeichnet, aber es geht um den Rollenkonflikt und die expliziten und impliziten Erwartungen an den Rolleninhaber. Auch das Unbewusste ist gegenwärtig. Ich finde Coaching in dieser Konstellation deshalb missbräuchlich, weil man Menschen zum Ausprobieren seiner Coaching-Kompetenz nutzt – auch wenn das mit den besten Absichten geschieht. Eine gesunde Reaktion der Mitarbeitenden bestünde darin, Skepsis unumwunden auszusprechen. Aber oft genug wird sie nicht zum Ausdruck gebracht. Ein Stück weit kann man das Problem auch auf den agilen Kontext übertragen.

Und wenn Coaching-Techniken lediglich eingesetzt werden, um z.B. zu reflektieren, wie eine rein arbeitsbezogene Situation bestmöglich zu bewältigen ist …

Ja, wunderbar. Oder man setzt Coaching-Fragen ein, um die Kommunikation in Teammeetings zu reflektieren, indem man fragt, was wohl ein Außerirdischer beim Blick auf die Konversation denken würde. Ein derartiger Einsatz ist klasse. Es gibt Kontexte, in denen Coaching-Techniken sehr gut greifen. Grundsätzlich gilt: Eine pauschale Aussage kann man nicht treffen. Wenn es aber thematisch in den persönlichen Bereich geht, ist es aufgrund des Rollenkonflikts heikel. Ich würde immer empfehlen, Zweifel im Zusammenhang mit dem Einsatz von Coaching auszusprechen und – vor allem auch vonseiten der Führungskraft – den offenen Austausch darüber zu suchen. Eine wichtige Voraussetzung ist wiederum die Beziehungsebene. Wenn eine gute Beziehung gegeben ist, würde die Führungskraft ohnehin merken, wenn ihr Handeln vom Gegenüber als übergriffig empfunden wird. In einer eher von Manipulation geprägten Beziehung, würde die Führungskraft dies aber nicht ohne Weiteres wahrnehmen, da sie wahrscheinlich nur im Sende- und nicht im Empfangsmodus ist.

Sensibilisieren Sie Führungskräfte, die an Ihren Coaching-Ausbildungen teilnehmen, für potenzielle Rollenkonflikte?

Ja, am Ende der Ausbildung sehen sie diesbezüglich klarer als zu Beginn. (lacht) Die Teilnehmer merken auch, dass eine Coaching-Ausbildung alleine nicht ausreicht, damit das Handwerk zur Kunst wird. Das gilt auch für unsere Ausbildung. Selbst das Handwerk wird nach Abschluss einer Coaching-Ausbildung in den seltensten Fällen schon wirklich beherrscht. Das entwickelt sich erst in der Praxis. Selbstverständlich sind manche Teilnehmer begabter als andere, sodass es immer ein individueller Weg ist. In unserer Ausbildung vermitteln wir natürlich auch Tools und Methoden. Diese können einem durchaus den Zugang zur notwendigen Haltung eröffnen, sofern sie haltungsbezogen erarbeitet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Modelle völlig unkritisch angewendet werden.

Wenn es um die notwendige Haltung als Coach geht, sprechen Sie von einem entwicklungsorientierten Menschenbild …

Genau. Wie kommen Klientinnen und Klienten in die Kraft, um ihre individuelle Entwicklung angehen zu können? Das ist letztendlich die zentrale Frage. Mechtild Erpenbeck hat das Buch „Mitschwingen und Dazwischengehen“ geschrieben. Der Titel illustriert sehr schön, was dafür aus meiner Sicht benötigt wird: die Fähigkeit, sich zurückzunehmen, keine Entwicklungsrichtung vorzugeben und für andere wirksam zu sein, indem ich mich auf sie konzentriere und ihnen helfe, sich selbst wahrzunehmen und auszurichten. Das würde ich grundlegend als meine Haltung beschreiben. Ich habe mich mit vielen Methoden befasst und in der Essenz besteht die Zielrichtung im Endeffekt immer darin, Selbstwahrnehmung und Entwicklung zu ermöglichen.

Eingangs sagten Sie, zu Ihrer Anfangszeit steckte das Feld noch in den Kinderschuhen. Wie kamen Sie zum Coaching?

Wie die Jungfrau zum Kinde, könnte man sagen. Ich war damals noch angestellte Führungskraft, befasste mich mit dem Thema Karriere im Online-Kontext und veröffentlichte 1998 das Buch „Stellensuche und Bewerbung im Internet“, das Jahrzehnte im Handel war. Damals schrieben noch nicht so viele Leute in diesem Bereich Bücher und so folgten Anfragen für Workshops und Coachings etc. Von da kam ich dann in die Personalberatung und das Outplacement. Was die Verbindung von Beratung und Beruf betrifft, gab es zwar eine familiäre Vorbelastung durch meinen Großvater. Er war beim Arbeitsamt in der Direktion tätig. Der Weg war jedoch nicht geplant und ergab sich Schritt für Schritt. Es begann alles mit diesem Buch.

Autorin Svenja Hofert 

Symbol einer Lupe

Als Autorin hat Svenja Hofert mehr als 30 Ratgeber, Sach- und Fachbücher verfasst, darunter „Hört auf zu coachen“ (2017, Neuauflage 2024), „Mach dich frei. 100 mentale Modelle für klares Denken und bessere Lösungen“ (2023), „Teams und Teamentwicklung“ (gemeinsam mit Thorsten Visbal, 2. Auflage 2024), „Mindshift. Mach dich fit für die Arbeitswelt von morgen“ (2019), „Das Agile Mindset“ (2018) und „Psychologie für Coaches, Berater und Personalentwickler“ (2017).

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