Portrait

Interview mit Dr. Sanaz von Elsner

Team-Coaching – was funktionierende Teams ausmacht

Dr. Sanaz von Elsner befasst sich als Coach u.a. mit der Frage, was die Zukunftsfähigkeit von Teams ausmacht. Selbstorganisation spielt dabei eine Rolle, jedoch setzt diese – auch wenn es paradox klingt – gute Führung voraus. Dies gilt gleichermaßen für Veränderungen in Organisationen, wie die ins Coaching gewechselte Zahnärztin weiß, denn: Wer Sorgen der Mitarbeitenden übergeht, riskiere eine „Blockade von unten“. Erfolgreicher Change bedarf Empathie und Resilienz. Bedingt durch ihre Migrationsgeschichte zählt die mit 13 Jahren aus dem Iran geflüchtete von Elsner ebendiese Kompetenzen zu ihren Stärken.

20 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2024 am 11.09.2024

Ein Gespräch mit David Ebermann

Sie coachen Teams mit dem Ziel, deren Zukunftsfähigkeit sicherzustellen. Was macht zukunftsfähige Teams aus?

Es geht um dasselbe, was zukunftsfähige Unternehmen im Allgemeinen ausmacht. Teams sollten dazu in der Lage sein, in ruhigen Zeiten immer wieder zu reflektieren, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, was sie schon beherrschen und was noch nicht optimal gelingt, um sich für zukünftige Aufgaben gut aufzustellen. Vor ein paar Jahren hat uns die Pandemie erfasst wie ein Tornado. Dass die Welt immer volatiler, unsicherer und komplexer wird, war zuvor schon ein großes Thema. Die Pandemie war ein Beleg dafür, dass auf einmal völlig unerwartete Herausforderungen und Krisen auf uns zukommen können. Insofern sind Flexibilität, sprich die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einstellen zu können, und emotionale Intelligenz aus meiner Sicht besonders wichtige Zukunftskompetenzen – jedes Teams und jedes Einzelnen. Hinzu kommen weitere Aspekte wie z.B. eine gute Resilienzfähigkeit, Innovationskraft, Kreativität und Entscheidungskompetenz.

Sie betonen, dass Teamresilienz mehr ist als der Durchschnitt der einzelnen Resilienzwerte der Teammitglieder. Wie meinen Sie das?

Es gibt ein sehr eindrucksvolles afrikanisches Sprichwort: „Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann gehe zusammen mit anderen.“ Es ist wichtig, dass die einzelnen Teammitglieder auf ihre individuelle Resilienzfähigkeit achten und diese im Alltag trainieren und stärken. Orientieren können sie sich an dem sogenannten Bambusprinzip, das verschiedene Resilienzsäulen definiert, z.B. die Emotionsregulation, die Zukunfts- und die Beziehungsorientierung. Die Gemeinschaft im Team ermöglicht es den Mitgliedern darüber hinaus, sich gegenseitig zu stützen, die Schwächen der einen durch die Stärken der anderen auszugleichen, um als Einheit stärker zu werden und durch ein gutes Zusammenspiel und gegenseitige Unterstützung noch besser mit Herausforderungen umgehen zu können. Die Resilienz eines Teams kann demnach größer und stärker sein als die jedes Einzelnen.

Wie gehen Sie im Coaching vor, um Teams in ihrer Zukunftsfähigkeit zu stärken?

Ich starte mit einer Vorabanalyse, um den Status quo des Teams zu ermitteln und herauszufinden, worin die Probleme und Herausforderungen jedes Einzelnen bestehen. Darauf baue ich ein dazu passendes Programm auf. Hierbei greife ich als Basis auf entsprechende Kompetenzmodelle zurück. Ich mag beispielsweise das Pyramidenmodell von Lencioni, der sich in den USA mit den Fragen befasst hat, was funktionierende Teams ausmacht und worin die Probleme nichtfunktionierender Teams liegen. Die Basis funktionierender Teams bilden immer Vertrauen und psychologische Sicherheit. Hinzu kommt eine gute Kommunikations- und Konfliktfähigkeit: Sind die Teammitglieder dazu in der Lage, Probleme anzusprechen, gleichzeitig aber – auch im Konflikt – wertschätzend miteinander umzugehen und konstruktiv nach Lösungen zu suchen? 

Wichtig ist zudem das Commitment, die Verpflichtung jedes Einzelnen, seine Aufgaben zu übernehmen und sich für das Team einzusetzen und mit den anderen an einem Strang zu ziehen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Es folgt der Punkt Accountability, die Verantwortungsübernahme durch jedes einzelne Mitglied. An der Spitze der Pyramide steht die Performance. Die Darstellung als Pyramide ist hier sinnbildlich. Die Ergebnisse sind ein kleiner und schmaler Teil der Pyramide, der auf einer sehr breiten Basis steht. Ich denke, dass genau dies in der Praxis schnell vergessen wird. Es heißt gerne, Dinge müssen erledigt werden. Aus Unternehmenssicht verstehe ich das auch – es ist natürlich wichtig, dass Rollen wahrgenommen, Aufgaben erfüllt und Ergebnisse erzielt werden. Aber: Wenn die Basis nicht stimmt, wird die Performance – oben an der Spitze der Pyramide – auch nicht stimmen. Die Basis muss geschaffen werden und wenn dies einmal gelingt, heißt das noch lange nicht, dass sie fortan für immer sicher ist. Es ist eine stetige Pflege der Basis notwendig.

Werden Sie präventiv beauftragt oder dann, wenn die Teambasis bereits bröckelt?

Beides kommt vor. Die meisten Unternehmen beauftragen mich aber eher dann, wenn es bereits Probleme gibt. Dies ist etwa zu 80 Prozent der Fall. Einerseits denke ich, wir Menschen sind so gestrickt, dass wir uns eher um etwas kümmern, wenn es nicht zufriedenstellend funktioniert, und die Dinge ansonsten laufen lassen. Andererseits kommt es vor, dass Verantwortungsträger in den Unternehmen im Alltag nicht immer bewusst und vor allem rechtzeitig auf die entsprechenden Zeichen achten, sondern erst reagieren, wenn eine Schieflage nicht mehr zu übersehen ist. Daher halte ich es schon für sinnvoll, sich zumindest einmal im Jahr Zeit zu nehmen, um die eigene Situation zu reflektieren – auch dann, wenn es keine offensichtlichen Schwierigkeiten gibt.

Schlechte Zahlen stellen sich ja mitunter erst ein, wenn die Probleme schon eine Weile wirken …

Richtig. Bis die Auswirkungen der Ursache nicht mehr zu übersehen sind, kann einige Zeit vergehen. Im Erstberuf bin ich Zahnärztin und weiß, dass Karies schon längst da ist, bevor nach einer ganzen Weile des Brodelns, in der sich niemand darum gekümmert hat, der Schmerz einsetzt. Deshalb ist die Prophylaxe wichtig. Sinnbildlich kann man das durchaus vergleichen.

Und wenn die Fäule schon am Nerv ist, muss ein Coach – um im Bild der Zahnärztin zu bleiben – auch umso tiefer bohren.

Oder der Nerv muss gleich ganz entfernt werden. (lacht) Manchmal kommen die Kunden zu mir und sagen, sie würden sich im Team gerne mal mit Themen wie Resilienzaufbau und Empowerment befassen. Wenn ich dann die ersten Gespräche geführt habe und hinter den vordergründigen Coaching-Anlass schauen konnte, werden oftmals tieferliegende Probleme sichtbar, die unter der Oberfläche wirken – z.B. Konflikte, die schon lange ungelöst sind und die Stimmung haben kippen lassen.

Welche Bedeutung hat das Coaching der Führungskraft, wenn Sie ein Team zukunftsfähig aufstellen wollen?

Ich empfinde es als enorm wichtig, die Führungskraft einzubeziehen und auch individuell mit ihr zu arbeiten. Bleiben wir beispielsweise bei Konflikten im Team: Wenn die Führungskraft ihre Rolle nicht wahrnimmt, nicht moderiert, nicht fähig ist, Ursachen zu sehen, oder vielleicht selber konfliktscheu und zu harmoniebedacht ist, werden Konflikte immer virulenter und brodeln umso mehr und länger unter der Oberfläche, bevor es letztlich zum Knall kommt. Allerdings: Da wo kein Auftrag ist, findet auch kein Coaching statt. Nur wenn die Führungskraft sich darauf einlässt, die eigene Wirkung zu reflektieren, und wenn ein entsprechender Auftrag erteilt wird, kann ich tätig werden.

Sie sprachen die psychologische Sicherheit im Team an. Stehen die Führungskräfte in der Verantwortung, diese zu ermöglichen?

Definitiv, allerdings würde ich nicht sagen, dass sie alleine dafür zuständig sind, psychologische Sicherheit herzustellen. Wir sind keine Schafe, die dem Herdenführer folgen, ohne Eigenverantwortung zu übernehmen. Jedes Teammitglied darf und sollte zu einer guten Teamstimmung beitragen. Insbesondere in klassischen, sehr hierarchischen Strukturen liegt es aber schon vor allem an den Führungskräften, gute Bedingungen zu schaffen und zu schauen, wo Unsicherheiten herrühren, regelmäßig und öfter als einmal im Jahr Gespräche zu führen, Feedbacks einzuholen und zu geben. Im Sinne des lernenden Systems sage ich immer: „Gebt Feedback, bevor es notwendig ist.“

Schlechte Führung bedingt Fluktuation. Meinen Sie dies, wenn Sie betonen, dass gute Führung als Wettbewerbsvorteil zu betrachten ist?

Ja, dazu gibt es viele Studien und ich glaube, die Führung ist einer der Hauptgründe, weshalb Menschen kündigen. In Deutschland wird die Führung sogar als noch wichtiger wahrgenommen als in einigen anderen Ländern. Daher denke ich, dass gute Führungsarbeit im „Kampf“ um die besten Talente und Fachkräfte ein wichtiger Faktor ist. Der Wettbewerbsvorteil entsteht, wenn die Führungskräfte genau wissen, wie sie förderliche Rahmenbedingungen schaffen, mit anderen gut umgehen und wenn sie Verantwortung für sich und ihre Teams übernehmen. Das heißt jedoch nicht, dass sie die komplette Lebensverantwortung für die Teammitglieder tragen müssen. Teilweise habe ich den Eindruck, dass manche Klientinnen und Klienten, die ich begleite, in dieser Hinsicht sogar zu viel des Guten machen. Führungskräfte sind zudem keine Coaches. Sie können zwar Coaching-Aspekte in ihre Arbeit einfließen lassen, wenn es thematisch aber zu sehr in die Tiefe geht, halte ich es für angebrachter, Unterstützung von außen zu holen. Die Rolle der Führung kann dann darin bestehen, ein Auge auf Unterstützungsbedarfe zu haben und nach Möglichkeit auf entsprechende Budgets zurückzugreifen.

Führungskräfte unterstützen Sie in Ihren Coachings darin, wichtige Führungskompetenzen zu stärken. Um welche Kompetenzen geht es dabei besonders häufig?

Die Anliegen der Klientinnen und Klienten stammen oftmals aus dem Bereich Kommunikation: Wie löse ich Konflikte? Inwieweit bediene ich im Alltag selbst Konflikte? Wie gebe ich wertvolles Feedback? Wie gehe ich wertschätzend mit den Teammitgliedern um? Bin ich mir meines eigenen Kommunikationsstils bewusst und erkenne ich die Stile anderer? Wer diese Fragen für sich beantworten kann, ist dazu in der Lage, vieles besser zu steuern. Eine weitere Säule, die aufgrund der Komplexität unserer Zeit wichtig ist, ist das Thema Resilienz: Wie kann ich mich von außen besser abschirmen, wenn der Stress zu sehr auf mich einprasselt? Wie werde ich insgesamt stressresistenter und wie realisiere ich eine gute Selbstführung, die es mir u.a. erlaubt, mit meiner Zeit gut auszukommen? Es geht hierbei auch darum, ein Vorbild für das Team zu sein. Eine Führungskraft kann von ihren Mitarbeitenden nicht erwarten, alles mühelos hinzukriegen, wenn sie selbst nicht souverän wirkt, wenig stressresistent ist und keine gute Emotionsregulation vorlebt.

Als wichtige Kompetenz nennen Sie auch das Delegieren von Aufgaben. Wie gehen Sie im Coaching vor, um diese Fähigkeit zu stärken?

Das Thema wird immer dann bearbeitet, wenn ich im Gespräch mit einer Führungskraft herausfinde, dass die Person Probleme damit hat, Aufgaben abzugeben und loszulassen, ohne anschließend dennoch ins Mikromanagement zu gehen. Besonders häufig betrifft dies neu berufene Führungskräfte, die aus ihrer Expertenrolle in die Führungsrolle befördert wurden. Sie sind es gewohnt, ihre Rolle operativ auszufüllen und vieles eigenhändig zu erledigen. Im unteren und mittleren Management hat man zwar durchaus noch Expertenaufgaben, die Führungsrolle kommt aber plötzlich hinzu. In der neuen Rolle kommt es daher darauf an, zu erkennen, wann es angebracht ist, eine Aufgabe selber umzusetzen, um sie nicht aus der Hand zu geben. Ebenfalls sollte man wissen, wann es hingegen sinnvoll ist, sie zugunsten der Selbstorganisation des Teams abzugeben.

Wir sind also wieder bei der Selbstführung: Will die Führungskraft überall unmittelbar mitmischen, wird ihre Zeit nicht reichen, um sich gleichzeitig den Personal- und Strategiethemen zu widmen. Von Führungskräften wird schließlich erwartet, einen Weitblick zu praktizieren und Dinge aus der Vogelperspektive zu betrachten, anstatt permanent selbst Hand anzulegen. Ich sage immer: „Stell dir vor, du bist ein Adler und bewegst dich auf einer guten Flughöhe. Ab und an fliegst du mal runter, erledigst etwas und hebst wieder ab.“ Es geht um eine sinnvolle Balance, die auf beiden Seiten gehalten werden muss.

Ich erlebe mitunter auch Führungskräfte, die sich denken: „Ich bin jetzt Führungskraft, sollen die anderen mal machen.“ Auch das ist schwierig, denn manche Teammitglieder benötigen mehr Unterstützung als andere. Wenn die Führungskraft ihnen dann gar nicht unter die Arme greift, fühlen sie sich häufig alleingelassen. Hinzu kommt, dass Führung auch eine Voraussetzung für die Selbstorganisation von Teams ist. Es geht zwar nicht darum, dass eine Person sich um alles kümmert, aber jemand muss den Hut aufhaben, sodass es einen Ansprechpartner gibt und das Team durch ein Organ sprachfähig wird.

Das Bild zeigt Dr. Sanaz von Elsner, die sich mit dem rechten Ellbogen an einen Stehtisch lehnt. Sie trägt einen schwarzen Anzug mit blauem Oberteil.
Dr. Sanaz von Elsner

Sie begleiten Veränderungsvorhaben in Organisationen und betonen, dass es dabei sowohl die kognitive als auch die emotionale Ebene zu berücksichtigen gilt. Wie ist dies zu verstehen?

Meiner Erfahrung nach scheitern Veränderungsvorhaben oftmals daran, dass die Mitarbeitenden nicht mitgenommen werden und der Trauerprozess Einzelner nicht zugelassen wird. Denn Veränderung kann ein schmerzhafter, von Verlustängsten geprägter Schock sein – ganz unabhängig davon, ob es anschließend vielleicht sogar besser wird. Diese Trauerphase, die mit einem Verlassen der Komfortzone verbunden ist, will begleitet werden. Um die Mitarbeitenden, die das betrifft, mitzunehmen, ist zu kommunizieren, weshalb die Veränderung angegangen wird, was sie davon zukünftig haben werden, worin die Rolle jedes Einzelnen im Prozess besteht und weshalb ihr Mitwirken wichtig ist.

Ein Beispiel: Ein größeres Unternehmen hat beschlossen, im Jahr soundso CO2-frei zu sein. Natürlich fragen sich die Menschen im Unternehmen dann, was sie davon haben, wenn das Unternehmen dieses strategische Ziel in 30 oder 40 Jahren erreicht hat, und weshalb sie im Hier und Jetzt „darunter leiden“ müssen. Sie „leiden“ auch dann, wenn sich das Ziel auf dem Papier super liest, sich sein Sinn also kognitiv erschließen mag. Diese emotionale Ebene gilt es zu verstehen und zu adressieren, um die Mitarbeitenden abzuholen. Wenn ein Ziel festgelegt ist, werden mitunter Change-Manager einbezogen, die mit der Hauruckmethode möglichst schnell sehr viel erreichen wollen. Ich verstehe das – es sind schließlich veränderungsaffine Menschen. Das Problem ist aber, dass sie die Sprache der anderen – weniger veränderungsaffinen – Mitarbeitenden nicht immer sprechen.

Als ich mit 13 Jahren nach Deutschland kam, fremd in diesem Land war und die Sprache nicht beherrschte, war es wichtig für mich, dass die Deutschen etwas langsamer sprachen und Geduld mit mir hatten, bis ich nach und nach immer besser folgen konnte. Ebenso war es unabdingbar, dass ich mich einbringen und die Sprache lernen wollte. Im Unternehmen braucht es ebenfalls beide Seiten und einen Ansatz, der immer wieder Brücken von oben nach unten baut.

Was sind die Folgen, wenn die emotionale Ebene vernachlässigt wird, die dann zum Scheitern des Prozesses führen können?

Eine Folge kann Gleichgültigkeit sein, die Mitarbeitende dem Veränderungsprojekt gegenüber entwickeln. Diese kann dann in Arbeitsverweigerung umschlagen, die nicht immer sofort ersichtlich ist, nach dem Motto: „Mal sehen, wie es diesmal läuft, ich helfe denen nicht.“ Mitarbeitende fangen dann mitunter an, Dinge zu blockieren, damit es nicht vorangeht. Daher ist es so wichtig, den Blick für die Vorteile zu öffnen, die das Veränderungsvorhaben für alle haben kann, und Ängste sowie Unsicherheiten nicht zu ignorieren. Ansonsten riskiert man eine „Blockade von unten“.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Coach, wenn Sie organisationale Veränderungsprojekte begleiten?

Als Coach sehe ich mich – bildlich gesprochen – nicht am Lenkrad, sondern als Beifahrerin, die mit dem Fahrer beispielsweise reflektiert, wann es sinnvoll ist, eine Pause einzulegen, bevor zu große Müdigkeit einsetzt. Ich verstehe mich als Sparringspartnerin, die die Kommunikation begleitet, das Konfliktmanagement unterstützt, mit den Führungskräften reflektiert, wie die emotionale Ebene angesprochen werden kann etc. Am Ende des Tages müssen die Handelnden ihre Rollen aber selber ausfüllen und ihre Aufgaben eigenständig umsetzen, das liegt nicht in meiner Verantwortung.

Ihr beruflicher Werdegang hat Sie zunächst in die Zahnmedizin geführt. Weshalb haben Sie sich entschieden, Zahnärztin zu werden?

Im Coaching bezeichnen wir das als Stellvertreterwunsch. (lacht) Meine Mutter hat mich – vermutlich nicht wirklich bewusst – in diese Rolle gedrängt. Als junges Mädchen war es ihr Wunsch, selbst Zahnärztin zu werden. Die Möglichkeit erhielt sie aber nicht, weil es ein sehr teures Studium war und mein Großvater den Sinn darin nicht sah. Ihren unerfüllten Wunsch hat sie auf mich übertragen. Mir ist das erst spät bewusst geworden, jedoch habe ich immer mal wieder gemerkt, dass ich mit der Situation etwas kämpfte. Zwar mag ich die Naturwissenschaften sehr und kann entsprechende Themen auch gut bedienen. Daher bin ich erfolgreich durch das Studium gekommen und hatte auch keine Probleme, als Zahnärztin fußzufassen. Es fühlte sich aber dennoch an, als ob zwei Herzen in meiner Brust schlagen. Ich war mit der Entscheidung nicht rundum glücklich.

Da Sie als Zahnärztin nicht vollkommen zufrieden waren, wechselten Sie ins Beratungsfeld?

Genau. Ich überlegte, worin eine einfache Möglichkeit besteht, die Tätigkeit zu wechseln. Damals, vor ca. 20 Jahren, gab es nicht sehr viele Optionen. Berufswechsel waren nicht so selbstverständlich wie heute und wurden noch anders bewertet. In der Unternehmensberatung suchte man aber Menschen aus medizinischen Feldern – für Projekte im Health-Care-Bereich. Die Möglichkeit nahm ich wahr und arbeitete fortan in gemischten Teams, bestehend aus BWLern, Wirtschaftsingenieuren und Medizinern. Wir arbeiteten mit Unternehmen aus der Gesundheitsbranche zusammen, z.B. Pharma- und Biotechunternehmen.

Im Zuge Ihrer Beratungstätigkeiten setzten Sie sich dann bereits intensiv mit den Themen Change und Führung auseinander …

Richtig. Als Coach, der Change begleitet, profitiere ich heute davon. Im Zuge meines Trainings on the Job lernte ich von sehr fähigen Leuten, wie Veränderungs- und Strategieprojekte aufgesetzt werden, worauf es in welcher Phase ankommt etc. Das war eine gute Schule.

Kamen Sie während Ihrer Arbeit im Beratungsfeld auch mit Coaching in Berührung?

Ja. Bei PricewaterhouseCoopers, wo ich nach einer Station bei Bain & Company arbeitete, gab es Teammitglieder, die bereits Coaching-Ausbildungen absolviert hatten. Ich fand das spannend und dachte: „Vielleicht wäre das etwas, was ich auch noch machen könnte.“ Zwar kam ich zunächst wieder von dem Gedanken ab, weil ich mich anderen Dingen widmete. Die Idee, dass eine Coaching-Ausbildung für mich sinnvoll wäre, ist aber in dieser Zeit entstanden.

Was gab letztlich den Ausschlag, die Coaching-Ausbildung anzugehen?

Die Bundeszahnärztekammer suchte für eine Projektmanagementstelle eine zahnärztlich ausgebildete Person. Ich fand das spannend, weil ich die Möglichkeit sah, meine beiden Berufsfelder noch stärker miteinander zu verbinden. Also bewarb ich mich und bekam die Stelle. Nach einer Weile merkte ich aber, dass meine Vorstellungen, die ich im Vorfeld von der neuen Position hatte, nicht wirklich erfüllt waren. Das Erwartungsmanagement hätte auf beiden Seiten besser laufen können. 

Das gab den Anlass, mich nochmals intensiv mit der Frage zu beschäftigen, wie mein weiterer Berufsweg aussehen sollte. Ähnlich einer Karriereumorientierung im Coaching fragte ich mich: Was kann ich? Worin bin ich wirklich gut? Was sind meine Stärken und was bereitet mir Freude? Im Ergebnis dieser Reflexion und nach einer Recherche, bei der ich mein Augenmerk auf Qualität und Kompetenz richtete, fiel die Entscheidung, meine erste – und später eine zweite – Coaching-Ausbildung am artop-Institut in Berlin zu beginnen.

Sie sind im Iran aufgewachsen und im Alter von 13 Jahren nach Deutschland geflüchtet. Wie beeinflussen die Erfahrungen, die Sie in diesem Zusammenhang gemacht haben, Ihre heutige Haltung und Arbeit als Coach?

Mit der Frage habe ich mich in der Vergangenheit natürlich schon auseinandergesetzt, denn als Coach sollte man wissen, wofür man steht, welche Stärken man mitbringt etc. Zum einen denke ich, dass meine Veränderungsaffinität und meine wertschätzende Haltung von meiner Geschichte geprägt sind. Wenn man als Fremde in ein neues System kommt, ist man zunächst mit vielen Problemen konfrontiert. Beispielsweise habe ich – nicht ständig, aber immer mal wieder – Alltagsrassismus und Diskriminierung erlebt. Daraus resultieren heute eine gewisse Demut und ein empathischer Blick für Menschen und ihre Geschichten. Denn ich weiß, dass das Leben für viele Menschen mit Hürden verbunden ist, die man, wenn man nicht in derselben Situation ist, nicht auf den ersten Blick wahrnimmt. Das beziehe ich nicht nur auf das Thema Migration. Dadurch, dass ich mich in einer für mich neuen Umgebung und Kultur zurechtfinden musste, fällt es mir heute zudem relativ leicht, intuitiv Neues zu durchdringen, Verborgenes wahrzunehmen und mich in neuen Umfeldern zu orientieren. Zusammenfassend würde ich sagen, Empathie und Intuition sind Kompetenzen, die bei mir heute aufgrund meiner Migrationsgeschichte besonders stark ausgeprägt sind.

Ihre Resilienz hat demnach auch profitiert?

Absolut. Wenn ich heute über das Thema Resilienz spreche, dann nicht nur aus theoretischer Perspektive, wenngleich die Theorie natürlich wichtig ist, sondern auch aus eigener Erfahrung. Mit vier Jahren habe ich die Revolution durchgemacht. Mein Vater war jahrelang politischer Aktivist im Untergrund. Menschen um uns herum wurden getötet, erhängt. Ich erlebte viel Trauer. Gleichzeitig gab es den Optimismus, dass der nächste Tag dennoch etwas Gutes bringen kann. Mein Vater gab nicht auf und beschloss, dass wir uns ein neues Leben aufbauen und das Beste daraus machen werden.

Mitten in der Pubertät in einem fremden Land – einer vollkommen neuen Umgebung – zu landen, kann eine nicht geringfügige Krise auslösen oder gar eine traumatische Erfahrung sein. Mich hat die Situation aber immer stärker werden lassen. Früher kannte ich kein Wort dafür, heute würde ich mich als sehr resilient bezeichnen. So hatte auch die Pandemie wenig Folgen für mich, weshalb ich meine Tochter und meinen Mann gut durch diese begleiten konnte.

Über die Organisation MentorMe engagieren Sie sich ehrenamtlich als Mentorin für Frauen. Mit welchen Fragen konsultieren die Mentees Sie?

Häufig stehen die Frauen vor folgenden und ähnlichen Fragen: Wie finde ich mich in meiner beruflichen Rolle zurecht? Wie komme ich im Unternehmen und in meiner Karriere voran – trotz der Fallstricke, mit denen Frauen im Alltag umgehen müssen, z.B. Care-Arbeit? Nicht selten geht es auch darum, dass sich die Mentees an einem Karrierepunkt befinden, an dem sie entweder den nächsten Schritt gehen oder sich verändern wollen. Sie suchen einen vertraulichen Raum, um Fragen wie diese besprechen zu können und werden von mir zwölf Monate lang begleitet. Das Mentoring findet einmal im Monat für die Dauer von einer Stunde statt. Ich mache das seit drei Jahren.

Zudem bin ich als Mentorin für die Deutschlandstiftung Integration tätig und begleite muslimische Stipendiaten, die jemanden brauchen, um ihre Themen zu platzieren. Hier geht es z.B. oft um die Frage, wie sie Sichtbarkeit schaffen können, ohne über dieselben Netzwerke zu verfügen, auf die andere zurückgreifen können. Themen wie Alltagsrassismus und Diskriminierung und die Frage, wie sie hiermit umgehen können, spielen ebenfalls eine Rolle. Resilienz bringen viele Migranten in gewissem Maße mit, weil sie bereits die Migrationserfahrung gemacht haben. Dennoch geht es mitunter auch darum, aus der Opferrolle – die Wortwahl ist nicht despektierlich gemeint – herauszutreten und zu verinnerlichen, dass wir keine Opfer der Umstände sind, sondern selbstwirksam an Themen arbeiten und vieles ändern können, wenn auch nicht alles.

Lassen Sie auch Coaching-Anteile in die Arbeit mit den Mentees einfließen?

Ja. Natürlich bin ich im Mentoring genauso wertschätzend und wohlwollend wie im Coaching. Vieles spielt sich wie im Coaching auf der Reflexionsebene ab und ich nutze Methoden, die auch im Coaching zum Einsatz kommen, beispielsweise zirkuläre Fragen. Beim Mentoring, in dem es auch um die Weitergabe von Erfahrungen geht, zeige ich mich aber mehr als Mensch – als jene Person, die als Jugendliche nach Deutschland gekommen ist usw. Das heißt nicht, dass ich permanent meine Geschichte teile, sie spielt aber – ebenso wie mein Karriereweg – eine größere Rolle als im Coaching.

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