Die tektonischen Platten des Geschlechterverhältnisses verschieben sich seit geraumer Zeit gravierend. Im Blick auf diesen Wandel findet, wie auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, eine immer heftigere Polarisierung statt. Der Graben zwischen den Lagern wird stetig tiefer, der Ton des entsprechenden Diskurses unversöhnlicher. Was für die einen ein heiliges Gebot der Gerechtigkeit ist, wie z.B. das sprachliche Gendern, ist für die anderen der lächerliche Auswuchs eines selbstverliebten feministischen Fanatismus.
Mit dem Wandel des Zeitgeistes brechen alte Spannungen in neuer Weise wieder auf. Ob man es nun will oder nicht: Das Thema Gender ist eigentlich immer schon im Raum, bevor überhaupt etwas geschieht. Denn wir sind es von jeher gewohnt, Menschen in unserer Wahrnehmung als männlich oder weiblich zu kategorisieren, allem aufgeklärten Diversitätsstreben zum Trotz. „Gender“ ist ein soziales Konstrukt, das unsere „erwartbaren Erwartungen“ verändert und ergänzt. D.h., die unbewusste Kategorisierung einer Person in Mann oder Frau wird entsprechend der Konstrukte erweitert. In diesem Sinne handelt es sich um eine Komplexitätsreduktion. Wird dieses Funktionsprinzip ausgehebelt, entsteht Irritation. Ob das gedeihlich oder schädlich ist, gewünscht oder befürchtet, woke oder reaktionär, steht hier nicht zur Debatte.
Auch Coaches selbst haben mit den Zuschreibungen der Geschlechterrollen zu tun, egal, wie sie sich diesbezüglich selbst inszenieren. Die Menschen, mit denen sie arbeiten, nehmen ihren professionellen Habitus selbstverständlich immer auf der Hintergrundfolie der Geschlechtszugehörigkeit wahr. Alles, was ein Coach in einem Team- oder Gruppen-Coaching tut oder lässt, setzt eine Markierung auf diesem Feld. Und die Gecoachten – Männer wie Frauen – haben dafür ein ausgeprägtes Sensorium. Besonders in einer Teamdynamik, die von Konkurrenz geprägt ist
Konkurrenz ist ein uraltes Thema und gewiss allen Coaches wohlvertraut. Es gibt sie in jedem Team, jeder Organisation und jeder Gruppe, agile Kontexte eingeschlossen. Meist fällt sie erst dann auf, wenn sie destruktive Formen annimmt. Dabei ist Konkurrenz nicht notwendigerweise ein Störfall, denn es handelt sich um eine zentrale und unverzichtbare Antriebskraft im Business. Überall dort, wo es um Leistung geht, wird sich aneinander gemessen. Wer gute Leistung bringt, kommt besser voran als andere – das ist die Grundfigur wachstumsorientierten ökonomischen Denkens.
So selbstverständlich, wie diese Maxime Gültigkeit hat, so tabubehaftet ist das Thema jedoch in vielen Teams. Das amtierende Leitparadigma heißt Kooperation und gegenseitige Unterstützung. Gerade in Teams, die sich den Prinzipien von New Work verpflichtet haben, wird Konkurrenz untereinander als Thema gern ausgeblendet – ganz nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. So geschieht es, dass unbearbeitete Konkurrenzspannungen veritable Verheerungen in der Kommunikation anrichten können.
Inmitten des Tabus findet sich aber noch ein zweites, ein mindestens ebenso heikles Thema: geschlechtstypische Konkurrenzmuster. Über diesen Aspekt wird höchstens hinter vorgehaltener Hand und mit erstaunlicher Häme gesprochen. Hier trifft man unversehens auf interaktionelle Dynamiken, deren Sprengkraft sich nur durch die tiefe Verankerung von Geschlechterstereotypen im kollektiven Unbewussten erklären lassen. Handlungsleitende Ideen für die Arbeit mit Teams und Gruppen müssen einen solchen soziokulturellen Kontext berücksichtigen. Im Folgenden soll dieser Zusammenhang mit ein paar Schlaglichtern erhellt werden – begleitet von der Bitte an die Lesenden, die groben Verallgemeinerungen darin als Skizze sozialer Konstrukte zu verstehen, nicht etwa als die Beschreibung eines wesenhaften „So-Seins“.
Konkurrenz unter Männern hat eine ehrwürdige, jahrtausendealte Tradition. Sie gilt mithin als der Archetypus von Konkurrenz. Die entsprechenden Ausdrucksformen sind seit Menschengedenken fester Bestandteil öffentlich zelebrierten Brauchtums, von Gladiatorenkämpfen bis zum Armdrücken am Biertisch. Raufen, kämpfen, sich messen gehört seit jeher zu den Inszenierungen und Initiationen von Männlichkeit. Kleine Jungs lernen die entsprechenden Verhaltensmuster schon in der KiTa. Diese traditionsbedingte Selbstverständlichkeit trägt auch heute noch Früchte: Es gelingt Männern auffällig gut, Konkurrenz sportlich und angstfrei zu nehmen, sie trennen meist ohne Mühe die Person von der Sache. Eine Niederlage heißt dann ggf. einfach nur: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Im ehrenhaftesten Fall erntet der Sieger vom Besiegten sogar veritablen Respekt. Soweit die Honneurs. Geht es hingegen mal nicht so sportlich-friedlich zu, dann kippt die Sache auch bisweilen in hochgradig verbissen-aggressive Kämpfe, die für alle drumherum gefährlich werden können. Insgesamt lässt sich sagen, dass Männer tendenziell ein positiveres Verhältnis zu Risiko und Wettbewerb haben als Frauen, und sich traditionsbedingt mehr an formalen Parametern wie Status, Funktion und Position orientieren (Kohlberg, 1996; Athenstaed & Alfermann, 2011).
Für den Umgang mit Konkurrenzspannungen zwischen männlichen Teammitgliedern lassen sich aus dieser Bestandsaufnahme folgende grobe Leitideen für Interventionen im Team-Coaching ableiten:
Fazit: Die kraftvoll-konfrontative Energie der Konkurrenz für Offenheit und Mut in der Gruppe nutzen. Für Verflüssigung sorgen und Empathie fördern.
Je stärker Frauen ihren Platz behaupten, desto häufiger sehen sich Männer weiblicher Konkurrenz gegenüber. Das gilt nicht nur für die formalen Konkurrenzsituationen in Unternehmen, wie bei Zuständigkeiten oder Aufstiegschancen, sondern auch für die „weichen“ Faktoren und informalen Rollen der Teamdynamik: Wer hat hier die Deutungshoheit? Wessen Wort hat in diesem Team Gewicht? Wer darf ggf. für alle sprechen? Wessen Expertentum wird stillschweigend über das der anderen gestellt? Bezüglich der Aushandlung dieser Fragen sind die patriarchalen Selbstverständlichkeiten im Laufe der letzten Jahrzehnte über Bord gegangen, neue Formen aber sind noch instabil, müssen sich erst etablieren.
Viele Männer zeigen sich folglich in Anbetracht einer mit ihnen konkurrierenden Frau noch bemerkenswert verhaltensunsicher. Psychologisch gesehen ist die Neigung zu beobachten, entweder die Konkurrentin erst gar nicht ernst zu nehmen oder sie – ganz im Gegenteil – als überstark und bedrohlich zu erleben. Beides bringt eine gewisse „Beißhemmung“ mit sich, die letztlich niemandem guttut. Nun, es ist auch nur einen historischen Wimpernschlag her, dass Frauen generell nicht für satisfaktionsfähig gehalten wurden. Mit der Augenhöhe jedenfalls hapert es auch heute noch bisweilen.
Will sich umgekehrt eine Frau gegen einen männlichen Konkurrenten durchsetzen, sieht die Sache naturgemäß anders aus. Aber nicht unbedingt schwieriger. Zwar wiegt die historische Altlast jahrhundertelanger Eliminierung von Frauen aus dem öffentlichen Leben immer noch schwer, zwar sind auch hier gewiss neue Formen zu erlernen – der Zeitgeist aber ist auf ihrer Seite. Und das macht eine ganze Menge möglich. Selbstverständlich ist der (besonders in Deutschland bestürzend große) Gender-Pay-Gap schlicht Fakt. Und natürlich geht kein Weg daran vorbei, in aller Nüchternheit festzustellen, dass Frauen immer noch an der „gläsernen Decke“ scheitern und dass es immer noch männerbündische Strukturen gibt, die für so manche Posse des Businessalltags verantwortlich sind (Rastetter & Cornils, 2012).
Gleichwohl haben Frauen in ihren Bemühungen, sich in den „Rangeleien“ des Unternehmensalltags gut zu positionieren, seit jüngerer Zeit ordentlich Rückenwind. Ein Rückenwind, der im konkreten Miteinander weit über den „Frauenbonus“ hinausgeht, der mittlerweile in der Beförderungspolitik vieler großer Unternehmen State of the Art geworden ist. Bei Licht betrachtet hat nämlich die alte stereotype Konditionierung auf alle Belange des Zwischenmenschlichen für Frauen auch Vorteile im Gepäck: Die Geschmeidigkeit im Sozialen und die über Generationen tradierte Vertrautheit mit den Windungen der Seele (Sichtermann, 1987) befähigen in besonderem Maße dazu, Reaktionen zu antizipieren, um daraus wirksame Handlungsstrategien abzuleiten. Das lässt sich folgerichtig – natürlich nur mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein – auch für kompetitive Situationen mit Männern nutzen.
Der feministische Diskurs leistet hier überdies eine – wenn auch zwiespältige – psychologische Schützenhilfe: Die Hemmschwelle zur Kampfansage an einen Mann lässt sich für eine Frau deutlich dadurch herabsetzen, den Konkurrenten hauptsächlich als Inhaber gesellschaftlicher Privilegien zu betrachten, ihm gar den Habitus „toxischer Männlichkeit“ zuzuschreiben. Gelingt ihr das, dann kann sie ihm ohne moralische Bedenken eine Niederlage wünschen und zufügen. Er hat es dann gewissermaßen gendermäßig verdient. Dieses Narrativ taugt zwar als Gegengift gegen das tief in die Geschlechterrolle eingeschriebene Bescheidenheitsgebot bzw. gegen die vertraute Unterlegenheitsannahme, der Weisheit letzter Schluss im Wandel des Umgangs der Geschlechter miteinander wird es aber gewiss nicht sein
Mit Blick auf Konkurrenzspannungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts könnten folgende Leitideen für Interventionen im Team-Coaching hilfreich sein:
Fazit: Augenhöhe, Offenheit und Klarheit fördern.
Diese Konstellation kann als die schwierigste unter den verschiedenen Varianten gelten. Auf ihr liegen traditionell stark herabwürdigende Zuschreibungen. „Zickenkrieg“, „Stutenbissigkeit“, so lauten die sprachlichen Markierungen. Wenn man Männern einen „Hahnenkampf“ nachsagt, dann schwingt darin immer etwas Aufrechtes und Stolzes mit. Etwas, das, wenn es auch nervt, durchaus unterhaltsam sein kann. „Stutenbissige“ Frauen dagegen erscheinen im Rahmen der tradierten Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata eher niederträchtig und unwürdig (Erpenbeck, 2004).
Das macht es Frauen in Unternehmen nicht gerade leicht, eine Herausforderung zu meistern, die stetig größer wird: Je mehr Frauen „nach oben“ wollen, desto häufiger begegnen sie einander als Konkurrentinnen auf ihrem Weg. Für diese Konstellation gibt es aber noch keine belastbare soziale Blaupause, es fehlt an positiven Leitbildern, denn jahrhundertelang existierte Konkurrenz unter Frauen eigentlich nur im Privaten, z.B. als verschwiegene Rivalität um die Gunst eines Mannes.
Und die Frauenbewegung ist mit ihren Ideen und Zielen hier zumindest in einem Punkt wenig hilfreich: Das Paradigma der Solidarität, welches sie wie jede andere soziale Bewegung für ihre gesellschaftliche Wirksamkeit dringend braucht, wird dann zum Hemmnis, wenn es um Auseinandersetzungen untereinander geht: Im Schulterschluss kann man sich nicht gegenübertreten. Ganz abgesehen davon, dass auch der Schulterschluss nicht unbelastet ist: Weibliche Netzwerke und Förderstrukturen kommen schnell in den depotenzierenden Ruf des „Frauenklüngels“ (Rastetter & Cornils, 2012).
Des Weiteren schlägt hier als Hindernis zu Buche, dass Frauen durch ihre sozialisationsbedingte Beziehungs- und Personenorientierung eine Niederlage eher auf die eigene Person als auf den Konfliktgegenstand beziehen. Treten Frauen miteinander in Konkurrenz, dann verdoppelt sich gewissermaßen dieser Effekt und führt zu jenen indirekten Ausdrucksformen, die am Kantinentisch dann als „zickig“ tituliert werden. Offen ausgetragene Konkurrenz erleben Frauen bisweilen als existenzielle Bedrohung, da subjektiv das ganze Selbst auf dem Spiel steht und damit sozusagen eine persönliche „Vernichtung“ droht (Rommelspacher, 1996).
Für einen Umgang mit Konkurrenzspannungen zwischen weiblichen Teammitgliedern, der diese Hintergründe achtungsvoll in Rechnung zieht, könnten folgende Leitideen hilfreich sein:
Fazit: Interessen und Ziele herausarbeiten, Unterschiede würdigen, bei der Sache bleiben.
In der Arbeit mit Teams und Gruppen agieren Coaches inmitten der Turbulenzen eines gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesses, dessen Bedingungszusammenhänge sie kennen sollten. Dabei treffen sie in der Praxis auf die unterschiedlichsten Organisationskulturen: In manchen Kontexten sind Coaches quasi schon disqualifiziert, wenn sie nicht „gendergerecht“ sprechen, in anderen ist das krasse Gegenteil der Fall. Was Coaches hier aufbringen müssen, ist eine „polykontexturale Kompetenz“ (Simon, 2019): eine unvoreingenommene Sensibilität gegenüber der jeweiligen Interaktionskultur mit ihren Normen, ihren Spielregeln und ihrer „Sprache“. Dabei ist auch hier für die Wirksamkeit jedweder Intervention eines maßgeblich: die eigene innere Haltung (Erpenbeck, 2017), der innere Ort, aus dem die Intervention kommt. So geht an einer Beschäftigung mit den eigenen blinden Flecken – einer Sichtung des eigenen Gender Bias – kein Weg vorbei. Nur so können Coaches gewährleisten, was in diesem Spannungsfeld bitter nötig scheint: ein unideologisches, glaubhaftes und bewusstes Handeln.
Dieser Beitrag ist inhaltlich an ein Kapitel des im Herbst 2022 erscheinenden Buches zum Thema Team-Coaching angelehnt:
Erpenbeck, M. (2022). Mitschwingen und Dazwischengehen. Systemisch-gruppendynamische Prozesskompetenz in Beratung und Training. Heidelberg: Carl-Auer.
Zur Rezension