Der Fokus dieses Beitrages liegt nicht auf Coaching von männlichen und weiblichen Führungskräften. Stattdessen geht es darum, die Omnipräsenz von Gender-Praktiken und das Zurückgreifen auf dominante (aber auch weniger dominante) Diskurse von Weiblichkeit und Männlichkeit in den Gesprächen zwischen Coaches und Klienten und Klientinnen mittels einer diskursanalytischen Herangehensweise aufzuzeigen.
Im Sinne einer angewandten Coaching-Forschung ist das Ziel, durch diesen Beitrag praktizierende Coaches für ihre eigene Gender-Identität und die ihrer Klienten und Klientinnen zu sensibilisieren, bzw. dafür, wie wir – oftmals unbewusst – mithilfe sprachlicher und diskursiver Mittel Gender konstruieren, inszenieren, repräsentieren und zuschreiben.
Führungskräfte-Coaching realisiert sich als soziale und diskursive Interaktion auf drei Ebenen: auf der Mikro-Ebene als lokal im Hier und Jetzt konstruiertes Gespräch, auf der Meso-Ebene als organisationale Intervention und auf der Makro-Ebene als soziokulturelles Phänomen der Spätmoderne. Als diskursbasierte organisationale Intervention für männliche und weibliche Führungskräfte offenbart es uns einen differenzierten Einblick in die komplexen Zusammenhänge von Gender, Management, Organisation und sozio-kulturellen Diskursen von Männlichkeit und Weiblichkeit im Führungskontext im 21. Jahrhundert.
Bevor anhand eines Beispiels aus authentischen Coaching-Daten exemplarisch demonstriert wird, wie sich Beteiligte bezüglich dominanter und weniger dominanter Diskurse von Weiblichkeit und Männlichkeit positionieren, werden einige relevante Konzepte für die Analyse erläutert.
Aus diskursanalytischer Sicht definiert sich Coaching als professionelles, gesprächsbasiertes Hilfe-Format zwischen einem professionell handelnden Coach und Unterstützung suchenden Klienten und Klientinnen (Graf & Spranz-Fogasy, in Druck). In Anlehnung an Greifs (2008; 59) Definition von Coaching wird Hilfe und Unterstützung im Sinne einer „intensive[n] und systematische[n] Förderung ergebnisorientierter (…) Selbstreflexion“ verstanden. Übersetzt auf die konkrete Diskurs- bzw. Gesprächsebene wurde die „ergebnisorientierte Selbstreflexion“ von Schulz (2013) und Graf (2015) im Rahmen ihrer Prozess-Analysen authentischer Coaching-Gespräche als psycho-managerial discourse re-definiert.
Coaching als Beratungsformat stellt somit einen hybriden Diskurstyp dar, der diskursive Praktiken aus dem therapeutischen und aus dem Management-Diskurs vereint. Während der therapeutische Diskurs auf Strategien des symbolisch-femininen Diskurses im Zusammenhang mit Intimität, Empathie und Unterstützung zurückgreift, um für Klienten und Klientinnen einen sicheren Raum für Selbstreflexion und Emotionsarbeit zu schaffen (Graf & Pawelczyk, 2014), verstärkt der Management-Diskurs laut Liska (2006) die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit in der Organisation. Klassische Attributionen von Führungskräfte-Coaching, d.h. Erfolg, Macht und Leistung, stimmen mit den Attributionen hegemonialer Männlichkeit überein und verstärken sich dadurch (eventuell) im und durch den Beratungskontext. Gleichzeitig werden die eingesetzten therapeutischen Praktiken immer noch mit Schwäche und Versagen assoziiert. Durch den Rückgriff auf Ideologien von Männlichkeit im Zusammenhang mit Werten und Normen wie „Höchstleistung“, „Zielorientierung“ etc. werden diese Assoziationen für den organisationalen Kontext umgedeutet und akzeptabel (Peltier, 2010).
Wie eingangs argumentiert, stellt Führungskräfte-Coaching eine diskursive Interaktion dar, die sich auf drei Ebenen, dem konkreten Gespräch zwischen Coach und Klient bzw. Klientin, der organisationalen Intervention sowie der sozio-kulturellen Ebene aktueller gesellschaftlicher Diskurse, erstreckt. Alle drei Ebenen bilden dabei eine mögliche Bühne für die Inszenierungen von Gender.
Gender ist als gelebte Praxis und als sozialer Ordnungsprozess zu verstehen. Sprache und Diskurs sind die relevanten konstitutiven Merkmale, mittels derer Sprecher und Sprecherinnen eine bestimmte Gender-Identität für sich erschaffen und aufzeigen, aber auch ihrem Gegenüber zuschreiben (Buchholtz & Hall, 2004). Die Gestaltungsfreiheiten und -möglichkeiten der einzelnen Person sind dabei jedoch stets durch persönliche, soziale und gesellschaftliche Erwartungen und Normen verankert und in Form dominanter Diskurse von Weiblichkeit (etwa Emotionalität, Schönheit, Mutterrolle) und von Männlichkeit (etwa Erfolg, Rationalität, Rolle des Ernährers) mehr oder weniger stark reglementiert (Butler, 2004). „Bio-Männer“ und „Bio-Frauen“ konstruieren ihre Gender-Identität dabei lokal im Hier und Jetzt der jeweiligen Interaktion aus, oftmals unreflektiert entlang naturalisierter, also als biologisch gegeben angenommener Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Dieser – allen Diskursen über Männlichkeit und Weiblichkeit zugrundeliegende – hegemoniale Diskurs vom Unterschied zwischen den Geschlechtern (Sunderland, 2004) ist populärwissenschaftlich allgegenwärtig und prägt unseren Alltag in Form von rosafarbener und hellblauer Babywäsche. Dramatischere Konsequenzen dieser omnipräsenten Ideologie offenbaren sich z.B. im Bildungsbereich, wo die Tatsache, dass es in den MINT-Fächern immer noch deutlich weniger Frauen als Männer gibt, ebenfalls auf eine nur schwer zu revidierende Selbst- und Fremdannahme einer größeren Begabung und Affinität von Mädchen für Sprachen und Jungen für Naturwissenschaften und Technik zurückzuführen ist. Wir neigen dazu, Männer und Frauen aufgrund dieser naturalisierten ideologischen Werte und Zuschreibungen zu stereotypisieren, begegnen ihnen mit Vorurteilen und kommunizieren und inszenieren uns selbst oftmals entlang dieser Unterscheidungen.
Kommunizieren und Inszenieren stellt die dritte Analyse- und Interpretationskategorie (verdeckter) Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit im Coaching dar: „Diskurs“ wird hier zunächst verstanden als ein Konglomerat von Texten oder Praktiken, die auf systematische Art und Weise Objekte oder Motive durch deren Thematisierung (erst) erschaffen (Foucault, 1992). Der Diskurs formt somit soziale Welten, indem er Meinungen, Denkmuster, soziale Beziehungen, Formen des Selbst und Gender-Ideologien etc. zum Leben erweckt – Männer (oder Frauen!) aufgrund ihnen zugeschriebener Eigenschaften als die bessere Führungskraft zu bezeichnen, sei hier als plakatives Beispiel genannt. Neben dieser konstitutiven Funktion hat der Diskurs auch eine ordentliche Funktion inne (Fairclough, 1992), d. h., er offenbart eine bestimmte Art und Weise, die Welt zu sehen und sie zu reflektieren; somit erhält er stets (ab-)wertende Elemente.
Der Diskurs materialisiert sich auf drei Ebenen: als konkretes Gespräch bzw. als einzelner Text, als diskursive Praktik sowie als soziokulturelle Denkform. Er ist somit auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen konstitutiv in der Schaffung von Gender-Identitäten (im Führungskräfte-Coaching) (Ashcraft & Mumby, 2004): als lokale und (inter-)aktive Identität in der konkreten, physischen Begegnung zwischen Coach und Klient bzw. Klientin, als Narration von Gender, Führung und Macht, die sicz in den jeweiligen Organisationsstrukturen wiederfindet und die (Gender-)Interaktion ihrer Mitglieder beeinflusst, und als sozio-kultureller Diskurs, der die Verhältnisse von Gender, Führung und Organisation erschafft, strukturiert und bewertet.
Auf der Ebene der diskursiven Gender-Praktiken finden sich die bereits erwähnten stereotypen femininen und maskulinen Interaktions- bzw. Kommunikationsstile (Holmes & Stubbe, 2003), die die Interpretation und Bewertung von Männern und Frauen bzw. ihrem Gesprächsverhalten immer noch in Teilen als naturalisierte Binarität beeinflussen (siehe Tabelle, S. 53).
Gleichzeitig werden diese Kommunikationsstile auch im Sinne des „doing gender“ bewusst und strategisch eingesetzt, um eine bestimmte (professionelle) Identität bzw. ein bestimmtes Image (als Führungskraft) zu inszenieren. Untersuchungen aus verschiedenen Disziplinen weisen dabei ein differenziertes Bild vom Zusammenhang zwischen „Führen“ und dem Einsatz verschiedener (kommunikativer) Stile auf (Alvesson & Billing, 2009):
So findet sich im Kontext des Diskurses „Führung ist weiblich“ eine Orientierung hin zu stereotyp weiblichen Qualitäten wie Kooperation, Kollaboration und Empathie, wobei u. a. die Gruppe um die Soziolinguistin Janet Holmes Holmes in einem groß angelegten Forschungsprojekt zum Thema „Language in the Workplace“ in Neuseeland herausgefunden hat, dass erfolgreiche Führungskräfte führen, indem sie Strategien wählen, „which have been associated with both normatively masculine and normatively feminine ways of talking“ (Marra et al., 2006; 242).
Gleichzeitig berichten zahlreiche Studien, dass männliche Führungskräfte, die maskuline Qualitäten wie Autorität mit femininen Qualitäten wie Empathie verbinden, positiver wahrgenommen werden als weibliche Führungskräfte, die ebenfalls beide Qualitäten in sich vereinen (Mullany, 2007).
Gender-Praktiken bzw. Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit finden sich an unterschiedlichen „Schauplätzen“ innerhalb einer Coaching-Sitzung: Zunächst stellt die physische Begegnung von Coach und Klient bzw. Klientin die Begegnung zweier, mittels verbaler und nonverbaler Praktiken, inszenierter Gender-Identitäten dar.
Daneben greifen Coaches z.B. durch ihre Metaphern-Wahl oder ihre Re-Interpretation der Darstellungen der Klienten und Klientinnen bewusst-strategisch oder unbewusst auf Gender-Ideologien zurück: Warum wählt der männliche Coach die Metapher des Fußballspiels zur Erklärung der Methode mit einem Klienten, in der Sitzung mit einer Klientin aber die Metapher der Familie? Schließlich gewähren Klienten und Klientinnen mittels ihrer Selbstdarstellungen und Erzählungen, u.a. über ihre Themenwahl bzw. darüber, welche Themen nicht gewählt werden, Einblicke in ihr Gender-Selbstverständnis als Führungskraft und Privatperson.
Die Selbstdarstellungen und Erzählungen richten sich dabei an ein professionelles Gegenüber, sodass sich in der Themenwahl sowie der verbalen und nonverbalen Art und Weise der Darstellung etc. auch widerspiegelt, was Klienten und Klientinnen in dieser Situation für angemessen halten – im Hinblick auf Gender-Erwartungen an sich selbst und die anderen.
Das folgende Beispiel aus einer ersten Sitzung zwischen einem weiblichen Coach und einer Klientin illustriert Gender-Praktiken in der Selbstdarstellung der weiblichen Führungskraft. Es handelt sich um ein Beispiel aus einem Korpus von neun authentischen Coaching-Prozessen, die auf Video aufgezeichnet, anschließend sprachwissenschaftlich transkribiert und mithilfe einer integrativen Diskursanalyse qualitativ ausgewertet wurden (Graf, 2015; Graf, in prep.). Stellvertretend für eine ausführliche Analyse und Interpretation sollen hier drei Aspekte herausgegriffen werden:
(1) Klientin: „Ich laufe immer auf 100 Prozent, und das funktioniert auch wunderbar. Ich kriege das auch alles hin, ich schaukele dann irgendwie – so typisch Frau – viele Sachen parallel.“
Die Klientin bezieht sich hier explizit mittels eines membership categorization device auf ihr Frausein („so typisch Frau“) und aktiviert damit ein bestimmtes Bild von Weiblichkeit (in Abgrenzung von Männlichkeit), d.h., der ideologisierten, bewertenden Vorstellung bzw. Idee, dass (alle) Frauen – im Unterschied zu allen Männern (!) – gut darin sind, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.
(2) Klientin: „Es macht mir auch Spaß. Solange ich das dann alles noch irgendwie im Griff habe und Luft habe, bekomme ich das hin. Ich bin recht gut in dem, was ich mache (lacht) ... fällt nun mal schwer, das zu sagen ... aber jetzt, dir gegenüber ... ich glaube, ich kann das ganz gut, und ich habe auch einen guten Ruf bei uns.“
Hier spricht die Klientin von der Qualität ihrer Arbeit, wobei sie diese – mittels einer dispräferierten und markierten Aussage – sowohl durch ihr Lachen, durch ihre Wortwahl („ich glaube“) als auch durch die Verwendung von „Heckenausdrücken“ (z.B. „ganz gut“) herunterstuft. Gleichzeitig thematisiert sie explizit ihre Schwierigkeiten, von der eigenen Leistung und Qualität zu sprechen („fällt nun mal schwer, das zu sagen“), wobei sie ebenfalls explizit die gegenwärtige Situation, das Gespräch mit einem weiblichen Coach, als Rahmen definiert, der ihr ein derartiges Ansprechen der eigenen Leistung möglich macht („aber jetzt, dir gegenüber“).
(3) Klientin: „Und dann kommt immer der Punkt, wenn es zu viel wird, und dann stürze ich sehr unvermittelt ab. Zwei Sachen, die für mich jetzt wichtig sind: Das eine ist, mir eine etwas dickere Haut zuzulegen oder irgendeinen Mechanismus zu entwickeln, dass ich Dinge nicht so nah an mich ranlasse, vor allem Niederlagen ... oder ich weiß nicht ... ich habe noch nicht herausgefunden, was es ist ... die Angst vor Niederlagen oder der Perfektionismus. Das andere ist, einen Mechanismus zu entwickeln, dass mir nicht jedes Mal, wenn mich jemand verständnisvoll danach fragt (spricht mit erstickter Stimme), das Wasser nach oben steigt.“
Bei der Formulierung ihres Anliegens greift die Klientin auf genderstereotype Bilder bzw. Diskurse von weiblicher Irrationalität und Emotionalität zurück, die sie als unprofessionell und daher als abzulegende Eigenschaften definiert und dementsprechend als Coaching-Anliegen das Zulegen einer „dickeren Haut“ und eines „Mechanismus“, der es ihr erlaubt, Emotionen zu unterdrücken, formuliert. Sie bezieht sich dabei explizit (an mehreren anderen Stellen im Gespräch) darauf, dass ihre männlichen Kollegen Niederlagen viel leichter und weniger emotional wegstecken.
Am Beispiel dieses kurzen Ausschnittes zeigen sich drei unterschiedliche Strategien, mittels derer die Klientin Bilder bzw. dominante Diskurse von Weiblichkeit auf die Coaching-Bühne bringt und dadurch eine bestimmte Gender-Identität inszeniert:
Erstens bezieht sie sich explizit auf ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen, stellt diese Gruppe als homogen dar und klassifiziert und bewertet sich und die Gruppe dabei implizit im Unterschied zur (homogenen) Gruppe der Männer. Zweitens setzt die Klientin beim Thema der Bescheidenheit und des Nicht-Ansprechens der eigenen Leistung Motive, die dem dominanten Diskurs von Weiblichkeit zuzuordnen sind, und stereotyp feminine Gesprächspraktiken eines indirekten Stils wie das Verwenden von Heckenausdrücken ein.
Und schließlich greift die Klientin auch bei der Definition ihres Coaching-Anliegens auf dominante Diskurse von Weiblichkeit – diesmal im Zusammenhang mit dem Thema Irrationalität und Emotionalität – zurück und inszeniert dadurch nicht nur eine bestimmte Gender-Identität von sich selbst, sondern trägt auch zur Aufrechterhaltung des hegemonialen Diskurses der Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei, indem den Männern als vermeintlich homogene Gruppe implizit (und an manchen Stellen explizit) die Eigenschaften von Rationalität und Kontrolle zugeschrieben werden.
Nicht nur um eine mögliche Kritik an den knappen Beispielanalysen vorwegzunehmen, sondern auch im Sinne einer qualitativen Forschung, die eigene Interpretationen bei der Analyse vom doing bzw. undoing von Gender kritisch hinterfragt, sollen noch einige Herausforderungen angesprochen werden: Zunächst muss eine Balance zwischen dem Verneinen der Relevanz von Gender als allgegenwärtigem Bewertungs- und Interpretationsrahmen und einem – auch, oder gerade bei expliziten Gender-Studien – übersensibilisierten Blick, der in allem, was männliche und weibliche Coaches, Klienten und Klientinnen tun, sagen bzw. nicht tun und nicht sagen, eine Initiierung von dominanten und nichtdominanten Diskursen von Weiblichkeit und Männlichkeit liest, gefunden werden.
Die Feststellung, dass neben Gender auch berufliche Rollen, Alter, soziale Herkunft, aber auch die aktuelle Situation eine Rolle bei der Interpretation der Daten spielen müssen, findet sich unter dem Begriff der Intersektionalität zusammengefasst. Es gilt, Diversity zu berücksichtigen ohne dabei den Blick für Muster und Tendenzen zu verlieren. Allerdings birgt ein Fokus auf Gender-Symbolismus und soziale Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit stets die Gefahr, dass man dabei durch die Thematisierung etc. Stereotype wie die der überemotionalen Frau reproduziert, anstatt sie kritisch zu diskutieren.