Aus gegebenem Anlass der Thematik dieses Beitrags wird auf das generische Maskulinum verzichtet. Wenn nicht explizit nur ein Geschlecht gemeint ist, wird im Text abwechselnd die weibliche oder männliche Form benutzt und mit einem Stern (*) versehen.
Die Chancenanpassung für Frauen in der Wirtschaft mag sich zwar verbessert haben, doch – manifestiert am viel zitierten Gender Pay Gap – starten Frauen soziokulturell bedingt nicht vom gleichen Punkt wie Männer. Auch die fortschreitende Individualisierung unserer Gesellschaft und gleichzeitige Diversifizierung der Arbeitswelt wirken auf das komplexe Thema Gender ein (Rump & Eilers, 2013). Diese Entwicklung hat wiederum einen Rückbezug auf die sich wandelnden Erwartungen der Mitarbeiter* an ihre Arbeit. Dabei stehen im Feld der Arbeits- und Organisationspsychologie besonders vier Themenschwerpunkte im Zentrum geschlechterbezogener Betrachtungen: Berufseinstieg bzw. Berufsbiografie, Führung und Geschlecht, Arbeit und Gesundheit sowie soziale und familiäre Auswirkungen unterschiedlicher Arbeitsformen. Zumeist stehen die Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Hinblick auf das Erleben spezifischer Situationen, z.B. Führungsherausforderungen, im Vordergrund (Nentwich & Standel-Meseke, 2010).
Wenn Psychotherapeutinnen* mit ihren Klienten* arbeiten, so haben sie ein Individuum mit einer einzigartigen Persönlichkeit und Lebensgeschichte vor sich. Eine professionelle Unterstützung ist allerdings nur auf Basis von objektivem Wissen über körperliche, kognitive und seelische Gegebenheiten möglich (Miemietz, 2007). Das Angebot eines individuellen Therapiekonzeptes erfordert somit die Beachtung soziokultureller und biologischer Gegebenheiten, worum es bei einer gendersensiblen Psychotherapie geht. Das Geschlecht kann dabei modulierend wirken (Vogelgesang, 2009). Dabei ist kein Mensch vor Stereotypen gefeit. Es wird unterstellt, dass Coaches* da keine Ausnahme bilden.
Gender ist komplex. Im Coaching erfordert der richtige Umgang mit dieser Thematik Wissen, Selbstreflexion und Flexibilität zur Adaption. Dabei sollte der Weg zur Gender-Kompetenz eine notwendige Kernkompetenz zur Wahrung der Genderintegrität aller Beteiligten im Coaching sein (Abdul-Hussain, 2013).
Es wurde eine empirische Studie mit qualitativem Forschungsansatz durchgeführt, um die gewonnenen Daten interpretativ zu analysieren. In Form einer halbstandardisierten Befragung von acht Expertinnen* wurde über drei explizite Forschungsfragen diskutiert. Gleichzeitig wurde aber auch Raum dafür geschaffen, sich dem komplexen Thema Gender im Coaching explorativ zu nähern. Insofern durften im jeweiligen Interviewverlauf und in der Gesprächsführung auch Abzweigungen genommen werden, um neue Ansätze und Blickwinkel einzubeziehen und die Validität der Aussagen zu erhöhen (Mayring, 2010 a).
Der Begriff Experte* wurde im Hinblick auf diese Studie so eingegrenzt, dass die teilnehmenden Personen zwangsläufig einen Bezug zur Professionalisierung von Coaching und/oder Coaching von Frauen aufweisen sollten. Zudem wurden nach Möglichkeit Personen herangezogen, die sich mit der Überlappung dieser beiden Gebiete befassen.
Einer strukturierten Inhaltsanalyse nach Mayring folgend wurde eine induktive Kategorienbildung auf Basis der Aussagen sowie eine deduktive Kategorienanwendung durch die Forschungsfragen durchgeführt. Am Ende wurde eine erneute Reduktion der Kategorien vorgenommen (Mayring, 2010 b).
Sollten geschlechtsspezifische Unterschiede grundsätzlich Bestandteil einer Coaching-Aus- bzw. Weiterbildung sein? Die meisten Teilnehmenden unterstrichen die Bedeutung von Gender als Bestandteil der Coaching-Aus- und Weiterbildung (Interview 1, 2, 4, 5, 6, 7) explizit. Einige schränkten die Aussage allerdings etwas ein:
Ein Experte verneinte die Frage. Es gehe in der Ausbildung um die Sensibilisierung für das Individuum. Sonderbedingungen bedeuteten eine Entfernung von der ursprünglichen Idee. Und Spezialausbildungen im Coaching sowie die Tatsache, die Klientin* infolgedessen nur noch als Exemplar dieses Typus wahrzunehmen, seien kontraproduktiv (Interview 3).
Mit Blick auf die gewonnenen Studienergebnisse sowie den aktuellen Stand der Forschung sollte das Thema Gender zusammenfassend grundsätzlich Bestandteil einer Coaching-Aus- oder Weiterbildung sein. Stereotypen beeinflussen entscheidend die menschliche Wahrnehmung sowie das Denken und Verhalten. Es ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass Individuen, die sich für die Profession Coaching entscheiden, hier eine Ausnahme bilden. Vielmehr wird angegeben, dass die bewusste Reflexion über die Wirkweisen der sozialen Konstruktionen im Falle von Stereotypen vor allem Coaches* hilft, nicht in die Stereotypenfalle zu tappen (Baig, 2013). Zudem ist nicht davon auszugehen, dass alle coachenden Personen automatisch über diese Fähigkeit verfügen, weshalb diese Thematik als Bestandteil der Coaching-Ausbildung erforderlich ist. Insofern scheint das Thema Gender sowohl als Qualitätssicherung für den Coaching-Erfolg als auch aus ethischen Gesichtspunkten in der besonderen Verantwortung von Coaches* zu liegen und mit der Profession einherzugehen. Dies ist in der Coaching-Ausbildung zu berücksichtigen, damit eine frühe Sensibilisierung erfolgt.
Welche Lehrinhalte sollten Bestandteil einer gendersensiblen Coaching-Aus- oder Weiterbildung sein und wie lässt sich Gender-Kompetenz vermitteln und erlangen? Auf die zweite Frage wurde sehr differenziert geantwortet. So vertraten einige Expertinnen die Meinung, es müsse u.a. explizit durch Wissensvermittlung gelehrt werden (Interview 4, 5, 6). Etwa durch ein Modul zu Gender (Interview 5, 6), in welchem auch Aufklärungsarbeit zu Themen wie Kosten/Nutzen von Gender-Diversity und Fachkräftemangel (Interview 6) zu leisten sei. Ausbildende müssten sich Gender-Kompetenz aneignen und in der Lehre anwenden und zwar über weibliche Beispiele oder auch die Auseinandersetzung mit Themen wie Macht (Interview 4).
Neben der expliziten Vermittlung von Wissen müsse eine implizite, aber konkrete Thematisierung von Gender in die Didaktik verwebt werden (Interview 1, 5, 7, 8). Im Fokus stünden dabei:
Zwei Expertinnen* sahen das Thema vordergründig auf der Meta-Ebene angesiedelt (Interview 1, 2) und eher nicht in einer Weiterbildung, da es besser sei, über die Erfahrung, beispielsweise eine kollegiale Supervisionsgruppe, die heterogen zusammengestellt ist, zu verdeutlichen, dass Coaches des anderen Geschlechts aus ihrem Frausein/Mannsein heraus für die geschilderte Situation andere Interventionen und Hypothesenbildungen hätten (Interview 1).
Die Wissensvermittlung im Hinblick auf Gender-Kompetenz sollte also auch über implizite, aber konkrete Methoden geschehen. Coaching-Kompetenz mit Gender-Kompetenz zu verknüpfen, gilt dabei als ausgesprochen zielführend. Gender wird grundsätzlich als integraler Bestandteil aller zwischenmenschlichen Interaktionen verstanden. Die eigentliche Gender-Kompetenz besteht folglich darin, Situationen, Strukturen und Denkweisen mit dem Gespür für und dem Wissen um Gender-Thematiken zu reflektieren (Abdul-Hussain, 2013).
Ist gendersensibles Coaching ein valider Beitrag zur Frauenförderung auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern im beruflichen Kontext? Zweifelsohne ergibt sich aus dem Label Gender-Coaching auch der Vorteil, dass es eine bestimmte Gruppe von Klientinnen als Nachfrager anspricht (Bollhöfer, 2015). Das heißt, es kann sich auch ein Marketing-Effekt ergeben. Damit Coaching darüber hinaus einen Beitrag zur Gleichstellung leisten kann, müssen die Organisationsbedingungen mit einbezogen werden (Bollhöfer, 2015).
Die Mehrheit der Experten* sieht Coaching als probates Mittel zur Frauenförderung und Gleichstellung an (Interview 1, 2, 5, 6, 7, 8). Dies sei zwar im Einzelfall zu entscheiden (Interview 5), doch da Coaching zur menschlichen Entwicklung auf hohem Niveau beitrage (Interview 6, 7) und den Perspektivwechsel fördere (Interview 6), könne es für diesen Zweck durchaus hilfreich sein.
Zu beachten sei dabei dennoch eine Individualisierung; und es sollte in einem vertrauten Rahmen erfolgen, entweder in einer sehr festen Gruppe oder im Einzelsetting (Interview 2). Besonders hervorzuhebende Themen für ein solches Coaching seien Gehaltserhöhungen (Interview 2) und der Umgang mit Mikropolitik und Ritualen (Interview 1).
Um Coaching als Mittel zur Frauenförderung und Gleichstellung anzureichern, wurden verschiedene Methoden genannt. So müsse auch ein Dialog zwischen den Geschlechtern gefördert werden, um das gegenseitige Verständnis zu stärken (Interview 2), die Wahrnehmung zu schärfen und ein Problembewusstsein zu erzeugen (Interview 4). Dazu solle auf eine Mischung von Workshop und Coaching gesetzt werden (Interview 4). Ein Experte gab zu bedenken, es gehe vielmehr um role models; und ein Coach* sei keines, weshalb Coaching kein explizites Instrument der Frauenförderung sei. Das Instrument Mentoring stehe daher an erster Stelle (Interview 3).
Beim Einsatz von Gender-Coaching im Rahmen von organisatorischen Diversity-Programmen sollte jedoch keinesfalls der Eindruck entstehen, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Berufserfolg sei ein Qualifikationsdefizit der Frauen als Individuen und müsse nun mit (Gender-)Coaching ausgeglichen werden (Bollhöfer, 2015).
Es sind zum Teil unterschiedliche Coaching-Anlässe von Frauen und Männern zu erkennen. Während es bei Frauen im Coaching häufig um Selbstwert (Interview 2, 5, 8) und Konflikte im Umgang mit autoritären Männern gehe (Interview 5, 8), würden geschlechtsspezifische Coaching-Anlässe von Männern eher in Richtung Führung (Interview 8) und Umgang mit der MeToo-Debatte gehen (Interview 6).
Der Umgang mit Macht, Dominanz und Durchsetzungsvermögen ist ebenfalls ein von den befragten Personen genannter häufiger Coaching-Anlass von Frauen. Bestehenden Forschungsergebnissen zufolge unterscheiden sich Frauen hinsichtlich der impliziten Machtdisposition nicht von Männern. Bei expliziten Erhebungen verzeichnen sie allerdings eine geringere Ausprägung in Bezug auf Dominanz und Durchsetzungsvermögen (Pinnow, 2010).
Sehr intensiv wurde das Thema Empathie vs. Abgrenzungsfähigkeit im Coaching besprochen sowie die Wahrnehmung von Grenzen in Bezug auf die Nachvollziehbarkeit der Erfahrungswelt eines Klienten* des jeweils anderen Geschlechts. Die Meinungen gingen hier zum Teil auseinander, vor allem in der Frage nach Grenzen.
Coaches* arbeiten in Unterstützungssettings und sollten daher besonders sensibel mit dem Thema Gender umgehen. Dies wird gewährleistet, indem sie die Objektivität ihrer Wahrnehmung und die Reflexion automatischer Verarbeitungsprozesse erhöhen. Das Wissen um und die Beachtung grundlegender Mechanismen, die damit einhergehen, wird daher für jeden Coach* als notwendig erachtet (Abdul-Hussain, 2013). An dieser Stelle sei auf die sogenannte Empathie-Falle der zu starken Identifikation mit den Klientinnen* in der Psychotherapie verwiesen (Gröning, 2015).
Es sollte deutlich geworden sein, dass das Geschlecht zwar nicht den ganzen Menschen mit all seinen Facetten ausmacht, dass es aber als modulierendes Element wirkt und andere Charakteristika im soziokulturellen Kontext beeinflusst (Vogelgesang, 2009). Auch Coaches* können dabei nie ganz neutral sein, trotz aller Professionalität und Objektivität, erlernten Interventionen, Gedankenspielen und Modellen.
Als übersichtliche Essenz für die Praxis wurden folgende Checklisten entwickelt. Auf diese Weise sollen praktische Impulse gegeben werden. Die Listen erheben jedoch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Checkliste für Coaches* zur Selbstreflexion der eigenen Gender-Kompetenz:
Checkliste für Klientinnen* im Hinblick auf die Auswahl eines gendersensiblen Coachs*:
Checkliste für Unternehmen zu gendersensiblem Coaching (im Zusammenhang mit Frauenförderung und Gleichstellung von Frauen im beruflichen Kontext):
Checkliste für Ausbildungsstätten im Hinblick auf die Einbeziehung von Gender in die Coaching-Ausbildung:
Die Personen, die interviewt wurden, waren äußerst engagiert, und ihre Aussagen fielen sehr ausführlich und kritisch aus. Gleichzeitig wurden alle drei Forschungsfragen deutlich, aber auch differenziert beantwortet. Der explorativen Vorgehensweise dieser Studie könnte sich nun eine hypothesenprüfende Herangehensweise anschließen. So könnte eine größere Zahl von Coaches* mit Aussagen und Hypothesen konfrontiert werden, um die Einstellungen von Coaches* genauer einzugrenzen. Ein spannendes Feld für eine solche Studie bietet beispielsweise der Themenkomplex Empathie vs. Abgrenzung in Bezug auf Gender im Coaching. Ebenfalls interessant wäre eine Längsschnittstudie zur Untersuchung der Wirksamkeit von gendersensiblem Coaching in Bezug auf die Frauenförderung. Es wäre wünschenswert, dass das Thema in stärkerem Maße als bislang bearbeitet würde. Und zwar nicht nur im Kreise weiblicher Coaches, sondern im Dialog mit ihren männlichen Kollegen.