Führung

Life Balance

Verbesserung des Wohlbefindens

Viele Menschen arbeiten seit Jahren am Limit. Viele leiden darunter. Andere beißen die Zähne aufeinander, weil es doch durchzuhalten gilt: Das Häuschen, die Altersversorgung, die Ausbildung der Kinder… Wie nun die Kurve kriegen? – Den Gürtel enger schnallen, das Zeitmanagement verbessern, Stress abbauen; am besten alles zugleich. So lauten die altbekannten Rezepte: höher, weiter, schneller. Das hatten wir schon. Das hat nicht wirklich funktioniert. Weil es am Problem vorbei geht.

15 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2009 am 24.02.2009

Das Thema Work-Life-Balance ist zweifelsfrei en vogue. Es gibt zahlreiche Dienstleistungen und Studien, die sich um das Thema ranken, und es existiert eine Fülle von Ratgeberliteratur. Unternehmen werben für sich als Arbeitgeber, indem sie ihr Engagement für die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter betonen. Und natürlich nimmt das Thema auch im Coaching einen festen Platz ein.

Aber was ist Work-Life-Balance eigentlich? Eine klare und einheitliche Definition gibt es nicht. Allgemein wird unter dem Begriff oft das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben verstanden, wobei spontan der Gedanke an ein zählbares Zeitverhältnis nahe liegt, wie zum Beispiel ein Verhältnis von 50:50. Der populäre Begriff impliziert damit auch eine Dichotomie zwischen der Arbeit und dem übrigen Leben – eine Tatsache, die häufig kritisiert wird. Einige Autoren geben deshalb dem Ausdruck Life Balance den Vorzug, um zu verdeutlichen, dass nicht von zwei a priori getrennten Lebensbereichen ausgegangen wird, sondern ein ganzheitlicher Zusammenhang aller Lebensbereiche fokussiert wird.

Trotz der Unübersichtlichkeit und Unklarheit, die das Thema Life Balance kennzeichnet, ist seine Bedeutung für emotionales und gesundheitliches Wohlbefinden sowie für Lebenszufriedenheit und -qualität unumstritten. Aber was muss man für Life Balance konkret tun? Den Gürtel enger schnallen, um mit weniger trotzdem glücklich zu sein? Das Zeitmanagement verbessern, sein Leben noch mehr strukturieren? Stress abbauen?

Um dem Thema auf den Grund zu gehen, macht es Sinn, sich mit den noch offenen Fragen auseinanderzusetzen:

  • Wie sieht der „Zielzustand“ der Life Balance aus?
  • Wie hält man sein Leben in Balance?
  • Woran liegt es, dass manche Personen ihr Leben trotz vieler Verpflichtungen und Herausforderungen in Balance halten können? Was unterscheidet diese Personen von anderen, die ihre Balance verlieren?
  • Wie können Personen, die ihre Balance verloren haben, im Coaching bei der Erreichung einer Life Balance unterstützt werden?

Um welche Balance soll es denn eigentlich gehen?

Den meisten Ideen und Definitionen von Life Balance liegt eine Vorstellung von „ausbalancierten Lebensbereichen“ zu Grunde. Je nach Autor handelt es sich dabei um verschiedene und verschieden viele Bereiche. Manche Autoren legen zwei Bereiche fest, beispielsweise „Arbeit und Freizeit“ oder „Arbeit und Familie“; manche konzentrieren sich auf vier Bereiche wie zum Beispiel: Leistung, Kontakt, Sinn und Körper.

Schon an dieser Stelle herrscht also Uneinigkeit. Auch darüber, was eigentlich genau „ausbalanciert“ werden soll: Je nach Definition ist es die eigene Zeit, Energie, Zufriedenheit oder die Involvierung, die in irgendeiner Form gleichmäßig über die festgelegten Lebensbereiche verteilt werden soll. Ein möglicher Grund für die Uneinigkeit über die Lebensbereiche liegt wohl darin, dass ohnehin für jeden Menschen unterschiedliche und unterschiedlich viele Bereiche für die Life Balance relevant sind. Eine Lebensbalance-Formel, die nach dem „Gießkannenprinzip“ auf alle Individuen bezogen wird, ist aus diesem Grund offenbar nicht sinnvoll.

Aber geht es überhaupt um eine Balance zwischen Lebensbereichen? Trifft es überhaupt das, was wir mit Life Balance meinen? Verschiedene Studien zeigen, dass es sich bei dem Thema hinter dem Thema um die Bedürfnisbefriedigung handelt: Menschen fühlen sich in Balance, wenn sie ihre Bedürfnisse spüren und wenn es ihnen gelingt, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse in ihre Lebensführung zu integrieren.

Wie eine wohltuende Lebensbalance aussieht, ist individuell unterschiedlich und von den persönlichen Bedürfnissen abhängig. Das bedeutet auch, dass Menschen unterschiedlich viel explizite Freizeit brauchen, um sich in Balance zu fühlen. Gelingt es einer Person, in ihrer Arbeit viele Bedürfnisse (zum Beispiel nach Kompetenz, Autonomie und Beziehung) zu befriedigen, ist es möglich, dass sie überaus viel Zeit und Energie in ihre Arbeit investiert, ohne außer Balance zu geraten. Aus dieser Perspektive heraus lässt sich auch begründen, weshalb sich Personen außer Balance fühlen können, selbst wenn sie genügend Zeit für ihre wichtigen Lebensbereiche haben: Genügend Zeit zu haben bedeutet nicht zwingend, dass in den Zeitfenstern auch die eigenen Bedürfnisse befriedigt werden. Das „Geheimnis der Life Balance“ besteht also darin, den persönlichen Bedürfnissen zu folgen und keines der eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen, eben: „Bedürfnisbefriedigungsbalance“ herzustellen.

Wie hält man sein Leben in Balance?

Was macht das Thema Life Balance überhaupt so interessant für uns? Offenbar ist es in der aktuellen Zeit häufig schwierig, die eigenen Bedürfnisse zu spüren und ihnen nachzugehen. Aber warum?

Eine Antwort liefert die Persönlichkeits-System-Interaktions-(PSI)-Theorie von Julius Kuhl (2001). Die Theorie des Osnabrücker Professors für Persönlichkeitspsychologie ist ein komplexer und integrativer Ansatz, der verschiedene Persönlichkeitstheorien, empirische Befunde und neurobiologische Grundlagen zu einer Theorie der willentlichen Handlungssteuerung integriert.

Theorie der willentlichen Handlungssteuerung

Im menschlichen Gehirn gibt es laut PSI-Theorie vier Makrosysteme: Das Intentionsgedächtnis und das Objekterkennungssystem sind eher mit der linken Hirnhälfte assoziiert, das Extensionsgedächtnis und die Intuitive Verhaltenssteuerung mit der rechten Hirnhälfte. Jedes der vier Hirnsysteme hat besondere Aufgaben.

  • Im Intentionsgedächtnis werden Pläne und Absichten gespeichert. Es arbeitet analytisch, logisch und Schritt für Schritt. So ist es optimal darauf eingerichtet, geplante Handlungsschritte vorzubereiten.
  • Die Intuitive Verhaltenssteuerung ist für die Ausführung von Absichten zuständig.
  • Im Extensionsgedächtnis (oder: „Selbst“) sind eigene Erfahrungen, Bedürfnisse und Werte gespeichert, allerdings nicht in einer analytischen Form, sondern in einem ganzheitlichen Netzwerk impliziten Erfahrungswissens. Dass wir an dieses Wissen nicht so ohne Weiteres „herankommen“, schon gar nicht mit Logik, stellen wir beispielsweise dann fest, wenn wir uns selbst beschreiben sollen: Man könnte einen langen Vortrag über sich selbst (oder eine geliebte Person) halten und hätte doch immer das Gefühl, es fehlte etwas. Die rechte Hemisphäre ist darüber hinaus stärker mit der Wahrnehmung und Regulation emotionaler Reaktionen und mit Körperempfindungen vernetzt.
  • Das Objekterkennungssystem registriert einzelne Sinneseindrücke, wobei es in hohem Maße sensibel ist gegenüber Abweichungen, Neuartigem und Unerwartetem.

Jeweils zwei Systeme sind antagonistisch verschaltet, sind Gegenspieler. Man wechselt also zwischen den Systemen, zum Beispiel plant man entweder Handlungsschritte oder man führt sie aus. Das jeweils andere System ist so lange gehemmt.

Der Wechsel zwischen den Systemen geschieht über Affektwechsel: Jedes System wird durch spezifische Affekte aktiviert beziehungsweise gehemmt. Für die Ausführung von Absichten mit der Intuitiven Verhaltenssteuerung braucht man beispielsweise positiven Affekt. Um in das System zu wechseln, das gerade gebraucht wird, muss also selbst der dazu passende Affekt, eine bestimmte Gefühlslage, hergestellt werden – um Absichten auszuführen, muss man (wenn es keine äußeren Anreize gibt) selbst für positiven Affekt sorgen, sich selbst motivieren. Im optimalen Falle schafft man es, situationsangepasst zu wechseln, das heißt, man kann planen, wenn Planen, und ausführen, wenn Ausführen angesagt ist. Wie wir wissen, funktioniert das manchmal nicht so, wie wir das wollen.

Für Life Balance ist besonders der Wechsel zwischen Extensionsgedächtnis und Objekterkennungssystem bedeutsam:

  • Negativer Affekt hemmt das Extensionsgedächtnis, also auch den Zugriff auf eigene Bedürfnisse, und aktiviert das Objekterkennungssystem. Das ist häufig bei starkem Stress gut an sich selbst festzustellen: Unter Stress passiert es eher, dass man in ein „Schwarz-Weiß-Denken“ oder in eine Art Tunnelblick gerät und besonders sensibel für Unstimmigkeiten ist – das ist typisch für das Objekterkennungssystem. Dabei vergisst man schnell, was man eigentlich braucht und merkt vielleicht erst am Ende des Arbeitstages, dass man noch gar nichts getrunken oder völlig verspannt gesessen hat.
     
  • Bewältigter (herab regulierter) negativer Affekt hingegen aktiviert das Extensionsgedächtnis und sorgt dafür, dass beispielsweise Misserfolge und Stress relativiert werden, indem sie in den gesamten persönlichen Erfahrungsschatz integriert werden. Das Selbst ist wieder aktiv, Bedürfnisse werden spürbar.

Grundsätzlich beinhaltet die PSI-Theorie Annahmen über Prozesse bei der Bildung und der Umsetzung eigener Absichten. Empirisch konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass negativer Affekt den Zugang zum Selbst und damit zu den eigenen Bedürfnissen hemmt: Personen, die den experimentell induzierten negativen Affekt nicht gut herab regulieren konnten, neigten eher dazu, fremde Ziele und Meinungen für selbst gewählt zu halten, weil ihnen der Selbstzugang in der negativen Stimmung fehlte. Personen, die hingegen bei induziertem negativen Affekt ihr „Selbst“ aktivieren und damit negativen Affekt herab regulieren konnten, konnten sehr gut eigene und fremde Ziele und Meinungen unterscheiden.

Anhaltender negativer Affekt, beispielsweise verursacht durch Stress, erschwert Menschen demnach im Allgemeinen den Zugang zu ihrem Selbst und damit den Zugang zu ihren Bedürfnissen. Die Folge kann sein, dass immer wieder Absichten gebildet und ausgeführt werden, die nicht auf den eigenen Bedürfnissen und Werten basieren – Absichten, die nicht selbstkongruent sind. Durch den fehlenden Zugang zum Selbst kann das Selbstsystem diese Ziele nicht als inkompatibel identifizieren. Für die Bildung selbstkongruenter Ziele – und damit für Life Balance – ist der Selbstzugang, das heißt die Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse überhaupt zu spüren und eigene Ziele immer wieder auf Selbstkompatibilität prüfen zu können, also Voraussetzung.

Das eigene Leben in Balance zu halten heißt demzufolge, auch unter Stress Selbstzugang herzustellen, „bei sich“ zu bleiben und auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Für viele Menschen ist das keine leichte Aufgabe.

Life Balance und Selbststeuerungskompetenzen

Woran liegt es, dass manche Personen ihr Leben trotz vieler Verpflichtungen und Herausforderungen in Balance halten können? Was unterscheidet diese Personen von anderen, die ihre Balance verlieren?

Meine Forschung, die sich auf Kuhl bezieht, zeigt Folgendes: Personen, die sehr kompetent darin sind, ihre Ziele mit ihren Bedürfnissen abzugleichen und diese umzusetzen, spüren eine hohe Life Balance – und zwar unabhängig davon, wie hoch ihr Stresslevel ist. Ihr Selbstgespür schützt sie auch in belastenden Zeiten davor, ihre Bedürfnisse zu vernachlässigen. Das Gespür für die eigenen Bedürfnisse ist dabei „intuitiv“, da sie ihren Bedürfnissen nachgehen, ohne dass sie jederzeit voll explizieren können, welches Bedürfnis sie gerade befriedigen. Der Prozess des Balancierens läuft weitgehend unbewusst ab, denn Bedürfnisse und Motive sind nicht vollständig bewusst abgespeichert. Diese „automatische Bedürfniskongruenz“ gelingt Personen mit geringer Life Balance nicht oder nicht besonders gut: Es mangelt an Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen.

Für Lebensbalance – im Sinne eines intuitiven Gespürs für die eigenen Bedürfnisse und ihrer Umsetzung im Alltag – ist es also essenziell, über ein ausgeprägtes Selbstgespür zu verfügen. Die Untersuchung zeigte darüber hinaus, welche zwei speziellen Selbststeuerungskompetenzen, die auf dem Selbstgespür basieren, für Life Balance wichtig sind (Abb. 2).

  • Zum Einen ist es die Selbstbestimmung, also die Fähigkeit, eigene Wünsche und Werte wahrzunehmen und entsprechende selbstkongruente Ziele zu bilden. Eine Grundlage für Lebensbalance liegt folglich in der Abstimmung zwischen Absichten und Bedürfnissen: Eine Person, die in dem Bewusstsein handelt, das, was sie tut, selbst zu wollen, erfüllt die wichtigste Voraussetzung für Lebensbalance.
  • Für Lebensbalance ist zum Anderen eine gut ausgeprägte Absichtsumsetzungskompetenz bedeutsam. Diese Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, Energie für die Umsetzung eigener Absichten zu generieren. Nach der Bildung selbst- und bedürfniskongruenter Ziele muss somit die Energie bereitgestellt werden, diese Ziele umzusetzen. Darüber hinaus schützt die Absichtsumsetzungskompetenz vor Fremdsteuerung und leistet dadurch zusätzlich zur Selbstbestimmung einen Beitrag zu einer selbstkongruenten Lebensführung: Wenn die Fähigkeit der Absichtsumsetzung gering ausgeprägt ist, fällt es Personen schwer, eigene Ziele zu verwirklichen, und die Anfälligkeit für Fremdsteuerung steigt.

Im Verhältnis ist die Selbstbestimmung für Life Balance allerdings wichtiger als die Absichtsumsetzungskompetenz. Meine Untersuchung zeigt: Je besser die Selbstbestimmungskompetenz und Absichtsumsetzungskompetenz ausgeprägt sind, umso höher ist die Lebensbalance – und zwar unabhängig davon, wie hoch der Stress der Personen ist. Gut ausgeprägte Selbststeuerungskompetenzen können den negativen Einfluss von Stress auf die Lebensbalance also aufheben.

Life Balance als Coaching-Auftrag

Wenn Personen hinsichtlich ihrer Life Balance unterstützt werden sollen, ist es grundsätzlich Erfolg versprechender, am Gespür für die eigenen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung im Alltag zu arbeiten, als nur an der Verteilung der eigenen Zeit über verschiedene Lebensbereiche. Die Zeitverteilung ist in Relation zum Gespür für eigene Bedürfnisse eher ein Phänomen. Wenn die Life Balance ins Wanken gerät, ist Zeitmanagement zwar eine beliebte, aber nicht unbedingt zielführende Methode. Es ist wie mit dem Symptom Zahnschmerzen: Die Schmerzmittel, die der Patient einnimmt, beseitigen nicht die Ursache – die kranke Zahnwurzel. So ist es auch mit dem Zeitmanagement. Noch mehr Disziplin, Strukturierung und Planung im Alltag kann schlimmstenfalls sogar bewirken, dass diese Selbstkontrolle die eigenen Bedürfnisse noch stärker unterdrückt!

Eine nachhaltige Veränderung der Lebensbalance und eine Verbesserung des Wohlbefindens werden also nicht dadurch erreicht, dass man versucht, das Phänomen zu beseitigen. Die Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass es für eine nachhaltige Veränderung eine tiefere Bearbeitungsebene braucht: Die Bedürfnisse.

Die neuen Forschungsergebnisse legen nahe, dass es für eine geringe Lebensbalance grundsätzlich zwei grob unterscheidbare Ursachen geben kann:

  • Es besteht die Möglichkeit, dass eine Person Ziele bildet, die sie nicht mit den im „Selbst“ gespeicherten Bedürfnissen abgleicht.
  • Eine Person könnte ihre Bedürfnisse zwar spüren, es jedoch nicht schaffen, diesen im Alltag auch nachzugehen und ihre Ziele umzusetzen.

Die Gründe, weshalb Menschen „an ihren Bedürfnissen vorbei“ leben, können dementsprechend unterschiedlich sein. Im Coaching ist es daher nahe liegend, zunächst festzustellen, weshalb die Klientin oder der Klient am Thema Lebensbalance arbeiten möchte: Hat sie oder er das Gefühl, den Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen verloren zu haben? Oder ist der Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen vorhanden, es gibt jedoch Probleme bei der konkreten Befriedigung der Bedürfnisse? Diese Problemspezifizierung hilft, die weiteren Schritte im Coaching zu planen:

Wenn die Klientin oder der Klient die eigenen Bedürfnisse spürt, es jedoch nicht schafft, diesen im Alltag nachzugehen, ist vermutlich eine Förderung der Absichts- und Zielumsetzungskompetenz sinnvoll. Häufig stehen zu große Ziele im Weg, die im Alltag des Klienten so nicht realisierbar sind. Im Coaching kann dann beispielsweise erarbeitet werden, wie die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse in den Alltag integriert werden kann, ohne dass der Klient gleich drei Wochen Urlaub nehmen muss.

Hat der Klient das Gefühl, den Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen verloren zu haben, braucht er im ersten Schritt ein Gespür für seine eigenen Bedürfnisse. Wie man diesen Kontakt herstellt, lässt sich am besten verstehen, wenn man die Merkmale des „Selbst“ betrachtet:

  • Das System arbeitet nur unter entspannten Bedingungen, negative Gefühle müssen also zunächst bewältigt oder herab reguliert werden.
  • Es ist mit Gefühlen und Körperempfindungen vernetzt.
  • Es arbeitet nicht logisch-rational, sondern ganzheitlich und integrierend.

Einen Kontakt zum „Selbst“ des Klienten kann ein Coach also dadurch herstellen, dass er eine empathische und warmherzige Gesprächsatmosphäre schafft und den Klienten dabei unterstützt, aus seiner Anspannung herauszukommen, indem er beispielsweise gemeinsam mit dem Klienten relativiert und in einer Situation, in der der Klient nur „schwarz“ oder „weiß“ sieht, Graustufen mit ihm erarbeitet. Entspannungsübungen und Übungen mit Anbindung des Körpers aktivieren ebenfalls das „Selbst“ – empfehlenswert sind zum Beispiel Methoden aus dem Bereich der Achtsamkeit, wie sie jüngst Ingeborg und Thomas Dietz vorgestellt haben.

Förderlich sind auch Methoden und Techniken, die eher symbolischen und ganzheitlichen Charakter haben, wie zum Beispiel die Arbeit mit Bildern oder Fantasien. Sehr analytische Übungen und Prozesse sind wahrscheinlich sogar kontraproduktiv: Sie aktivieren den ohnehin dominanten analytischen Verarbeitungsmodus noch mehr und sorgen damit eventuell sogar für eine stärkere Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse.

Fazit

Im Coaching steht beim Thema Life Balance die Stärkung des Selbstzugangs im Vordergrund, nicht Zeitmanagement-Strategien oder andere analytische Methoden. Diese können nur dann einen positiven Einfluss auf die Lebensbalance entwickeln, wenn ein gut ausgeprägter Selbstzugang und gut ausgebildete Selbststeuerungskompetenzen bereits vorliegen. Wenn Zeitmanagement-Strategien dabei unterstützen, selbstkongruente Ziele durchzuführen und den eigenen Bedürfnissen nachzugehen, können sie jedoch eine wichtige Unterstützung zur Verbesserung der Lebensbalance darstellen.

Interessanterweise machen die Untersuchungsergebnisse deutlich, dass es für die Verbesserung der Lebensbalance nicht erfolgskritisch ist, den Stress zu reduzieren. Eine Reduktion der Belastungen führt nicht unbedingt zu einer höheren Lebensbalance, da durch weniger Stress nicht zwingend das Gespür der eigenen Bedürfnisse und ihre Umsetzung erhöht werden. Vielmehr zeigen die Ergebnisse, dass durch ein gut ausgeprägtes Selbstgespür auch unter hohen Belastungen eine Lebensbalance erreicht werden kann. Die Stärkung der für Lebensbalance wichtigen speziellen Selbststeuerungskompetenzen kann dann im Folgenden von sich aus für eine Stressreduktion sorgen, indem die gestärkte Absichtsumsetzungskompetenz hilft, Unerledigtes abzubauen, und indem die gestärkte Selbstbestimmung hilft, selbstkongruente Ziele zu bilden und die Bildung zu vieler selbstfremder Absichten zu vermeiden.

Selbststeuerungskompetenzen, die mit rechtshemisphärischen Prozessen verbunden sind, sind also für Lebensbalance von großer Bedeutung. Rechtshemisphärische Prozesse erleichtern die ganzheitliche Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse sowie der eigenen Pflichten und Verantwortungen und ermöglichen mehr Kreativität und integrative Kompetenz, um Wege zu finden, Pflichten mit den eigenen Bedürfnissen zu vereinen.

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