Konzepte

Burnout-Prävention in drei Stunden?

Innere Glaubenssätze emotional begreifen

Wie entsteht ein Burnout? Oftmals kommen sowohl berufliche als auch private Stressoren zusammen, erzeugen eine Abwärtsspirale und münden im Zustand völliger Erschöpfung. Die Betroffenen sind sich ihrer Situation häufig bewusst. Im Verborgenen wirkende innere Glaubenssätze, deren Ursprung meist im Kindes- oder Jugendalter zu finden ist, verhindern jedoch die Umsetzung längst erhaltener guter Ratschläge. Ziel des hier vorgestellten Coaching-Konzepts ist es, ebendiese Glaubenssätze emotional erlebbar zu machen.

16 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2017 am 22.02.2017

Burnout ist keine Modeerscheinung. Auch wenn die Statistiken wenig einheitlich sind, gehen heutzutage etwa 15 Prozent aller Krankheitstage auf seelische Erkrankungen zurück – und die Tendenz steigt. Ein Burnout überfällt einen nicht über Nacht. Obwohl die Betroffenen oft am meisten überrascht sind, dass plötzlich nichts mehr geht. Doch das Umfeld wundert sich nicht, höchstens darüber, dass es von den ersten Warnzeichen bis zum totalen Zusammenbruch so lange dauerte. 

Einen Burnout muss man sich hart erarbeiten. Durch ungünstige Glaubenssysteme, ein beharrliches Ignorieren persönlicher Belastungssignale und rigides Befolgen „innerer Antreiber“. Doch warum tut sich das jemand an? Natürlich nicht freiwillig. Es sind fast immer ungelöste innere Konflikte, die dazu führen. In dem vorgestellten Konzept eines Drei-Stunden-Coachings werden die Zusammenhänge deutlich.

Woran erkennt man Burnout?

Die Anzeichen dafür sind unübersehbar, vor allem für Menschen aus dem Umfeld. Dennoch realisiert sie der Betroffene selten. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur flüchtet er meist in Bagatellisierungen und Rationalisierungen. Die häufigsten Anzeichen sind:

  • Energieverlust
  • reduzierte Leistungsfähigkeit
  • Gleichgültigkeit und Zynismus
  • Unlust
  • unklare körperliche Symptome wie Schwitzen, Schwindel, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Muskelschmerzen, Schlafprobleme und Konzentrationsmängel 

Die Betroffenen arbeiten vorher meist hochengagiert über Jahre. Oft sind sie Top-Performer mit hohen Idealen, einer fast unbegrenzten Leistungsbereitschaft, aber wenig Distanz zu ihrer Arbeit. Es trifft Frauen wie Männer.

Wie kommt es zum Burnout?

Die Kontrollüberzeugung spielt eine wichtige Rolle. Wer überzeugt ist, dass er sein Leben und viele – v.a. belastende – Situationen weitgehend beeinflussen kann, ist weniger burnout-gefährdet. Gleiches gilt für jene, die eigene Motive hinterfragen, achtsam leben, möglichst zielgerichtet handeln und sich selbst anerkennen und akzeptieren können. Wer sich hingegen als Opfer oder Spielball anderer Menschen oder des Schicksals erlebt, eher ängstlich und unsicher, gefühlsmäßig labil oder leicht reizbar ist, bzw. wer es ständig anderen recht machen will, weil er geliebt werden will, hat ein höheres Risiko für Burnout.

Erlebt ein Angestellter, dass seine Vorschläge im Unternehmen gehört werden, steigert dies seine Kontrollüberzeugung – und kann vor dem Ausbrennen schützen. Kritische Lebensereignisse wie der Tod eines wichtigen Menschen, Scheidung etc. können als zusätzliche nicht kontrollierbare Belastungen dazu kommen und das Risiko deutlich erhöhen. 

Doch eine hohe Kontrollüberzeugung kann auch nachteilig sein. Nämlich dann, wenn jemand deswegen auch in einer aussichtslosen Lage weiterkämpft, was oft bei Mobbing-Opfern der Fall ist. Weitere Faktoren sind mangelnde Belohnung, erlebte oder interpretierte Ungerechtigkeit, Wertkonflikte und zu wenig emotionaler Kontakt mit anderen Menschen. Gerade die Suche nach emotionaler Unterstützung im Freundeskreis ist ein wichtiger Schutzfaktor. Doch Burnout-Gefährdete erleben das leicht als Schwäche oder Versagen und neigen eher dazu, alles mit sich allein abzumachen.

Wie hängen Stress und Burnout zusammen?

Ein Mensch erlebt Stress, wenn innere oder äußere Belastungen die persönlichen Handlungsmöglichkeiten überfordern oder zu groß werden. Berufliche Probleme wie Überlastung, fehlende Anerkennung, Mobbing oder Arbeitsplatzverlust sind hohe Stressoren. Kommen familiäre Konflikte, ein Todesfall oder Krankheit, ein Hausbau oder Umzug dazu, kann dies die individuelle Belastungsfähigkeit übersteigen. Vor allem, wenn diese belastenden Erfahrungen länger andauern und aufgrund der Persönlichkeit als unkontrollierbar und ungerecht wahrgenommen werden, kann dies die persönliche Stressbewältigung überfordern. Die Folge: Der Mensch rutscht in einen Burnout. 

Burnout ist somit häufig das Ende eines langen Prozesses. Dieser setzt sich zusammen aus Arbeitsbelastung, Stress sowie fehlender oder ungünstiger psychologischer Anpassung. Freudenberger und North (1992) haben diese Phasen genau beschrieben: 

  • Stadium 1: der Zwang, sich zu beweisen
  • Stadium 2: verstärkter Einsatz
  • Stadium 3: Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
  • Stadium 4: Verdrängung von Konflikten
  • Stadium 5: Umdeutung von Werten
  • Stadium 6: Leugnung der Probleme
  • Stadium 7: Rückzug
  • Stadium 8: beobachtbare Verhaltensänderung
  • Stadium 9: Depersonalisation
  • Stadium 10: innere Leere
  • Stadium 11: Depression
  • Stadium 12: völlige Erschöpfung

Ein Beispiel aus der Praxis

Am Arbeitsplatz von Frau B. (einer deutschen Großbank) waren die Anforderungen durch Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen in den letzten fünf Jahren extrem gestiegen. Immer mehr Aufgaben mussten von immer weniger Mitarbeitern bewältigt werden. Vor zwei Monaten wurde die Mitarbeiterin wegen „räumlicher Verdichtung“ aus ihrem Einzelzimmer in ein Großraumbüro versetzt. Den dort herrschenden Geräuschpegel erlebte sie als extrem belastend. Hinzu kam die Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter, um die sich Frau B. abends und am Wochenende kümmerte. Berufliche und private Stressoren verdichteten sich nach und nach in einer Abwärtsspirale.

Übliche Burnout-Hilfen

Es ist nicht einfach, diese „Burn-Down-Spirale“ zu durchbrechen. Dies geht aus Statistiken hervor, die teilweise von einer Rückfallquote von 50 bis 70 Prozent sprechen. Deshalb wird vielen gestressten Menschen geraten, besser für sich zu sorgen, indem sie ihre seelischen und körperlichen Grenzen früh erkennen und akzeptieren. Zusätzlich wird geraten, für ausreichend Bewegung und Schlaf zu sorgen, sich gesund zu ernähren und sich hin und wieder Muße zu gönnen. Doch genau diese hilfreichen Maßnahmen fallen potenziellen Burnout-Kandidaten aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur oft schwer.

Burnout als Chance?

Hinter zwei Dritteln aller Burnout-Fälle verbergen sich psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen (Falkai, 2016). Bei einer frühen professionellen Unterstützung bestehen gute Chancen, dass sich die gezeigten Symptome wieder zurückbilden. Erfolgt eine angemessene Intervention zu spät, können sich die Symptome jedoch zu einer ausgewachsenen Depression oder Angststörung steigern. Die Chance liegt also darin, in einem Frühstadium des Burnouts den Ernst der Lage zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. 

Hier sind auch die Führungskräfte gefragt. Leitende Angestellte und Führungskräfte können eine führende Rolle in der frühen Prävention von Burnout einnehmen. Aber nur dann, wenn sie trainiert werden, möglichst früh bei ihren Mitarbeitern erste Symptome wahr- und ernst zu nehmen – und diese Besorgnis dem Mitarbeiter in ersten Gesprächen angemessen mitzuteilen. Vor allem sollten sie lernen, das Burnout-Risiko nicht durch eigene Forderungen oder Anweisungen zu vergrößern.

Das Symptom als Lösung

In einer systemischen Sichtweise kann Burnout auch als Chance, quasi als schmerzhafter Alarmschock verstanden werden. Nachdem er jahrelang vorher alle Warnzeichen nicht beachtet hat, erlebt der Mensch durch einen nicht mehr zu leugnenden Feedback-Prozess, was ihm für eine gesunde, erfüllende Lebensgestaltung fehlt. 

Burnout ist in diesem Sinn eine Art „Notabschaltung“ für das gesamte System wie die Sicherung im Stromkreislauf eines Hauses. Der Burnout sagt glasklar „Nein“ zu allen wichtigen To-dos und unaufschiebbaren Terminen. Er repräsentiert eine bisher kaum vorhandene Abgrenzungs- Kompetenz und schützt vor weiteren Überforderungen – sowohl vor äußeren Anforderungen wie auch vor übersteigerten inneren Ansprüchen. Gerade wiederholte Burnouts sind so als Warnzeichen vor der Wiederkehr alter dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensmuster zu verstehen. In dieser Betrachtungsweise ist Burnout somit kein individuelles Versagen, sondern eine längst fällige Rückmeldung für den Betroffenen, dass elementar wichtige Bedürfnisse schon seit geraumer Zeit nicht oder nicht ausreichend befriedigt werden.

Innere Konflikte sind entscheidend

Ausgebrannt zu sein, kommt nicht allein durch „objektive“ äußere Belastungen zustande. Vielmehr ist es oft das Resultat heftiger innerer Bestrebungen, die sich widersprechen und dadurch innere kraftzehrende und unlösbare Kämpfe bewirken, die dann in einer Totalblockade, dem Burnout, münden können.   

Burnout-Klienten erleben oft innere Ziel-Konflikte. Einerseits setzt man keine Prioritäten, weil man (unbewusst) allem und allen gerecht werden will. Gleichzeitig will man doch Prioritäten setzen, um seine Zeit effektiv zu nutzen. Da dieser Ziel-Konflikt so nicht lösbar ist, erlebt der Betreffende sich schnell als inkompetent („Nicht mal das kriege ich gebacken!“). Solche inneren Kämpfe toben oft im Zusammenhang mit Sinn-Fragen. 

Man glaubt, in seinem Job etwas Bestimmtes tun zu müssen, weil es den Unternehmenszielen entspricht. Auf der anderen Seite hat der Betroffene vielleicht Skrupel, weil es den eigenen Werten oder ethischen Richtlinien widerspricht. Pflichtbewusst wie man ist, glaubt man aber doch, den Anweisungen folgen zu müssen, und wirft sich anschließend Verrat an den eigenen Werten vor („Ich habe mich kaufen lassen.“). Oder man schwankt hin und her, setzt immer wieder getroffene Entscheidungen außer Kraft und wertet sich dann dafür ab („Typisch, meine Entscheidungsschwäche!“).

Glaubenssysteme ändern

Speziell in Situationen, die als stressig erlebt werden, kommt es oft zu einer Reaktivierung alter nicht angemessener Muster, die in Kindheit und Jugend gelernt wurden. Genau wie heute erlebte man sich auch damals als überfordert und ausgeliefert, weil man sich vom Umfeld und den „mächtigen“ Personen (damals die Eltern, heute Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kunden) völlig abhängig fühlt. Wie auf einer ungewollten Zeitreise fühlt man sich plötzlich quasi unbewusst wie der „kleine Junge“ oder das „kleine Mädchen“ von damals. Dann kämpfen praktisch zwei Ich-Anteile im Inneren. Ein ausgeliefertes „Kind-Ich“ unterliegt immer wieder im inneren Kampf mit den gnadenlosen „Antreiber-Ichs“ („Sei stark“, „Mach‘ es allen recht“, „Sei perfekt“). Auch dafür werten sich Burnout-Betroffene meist ab. 

Die Lektüre kluger Ratgeberbücher zur optimalen Work-Life-Balance kann diese innere Zerrissenheit noch verstärken. Denn die darin enthaltenen Tipps klingen so einleuchtend und leicht umsetzbar, doch verharmlosen oder berücksichtigen sie nicht die inneren Konflikte, die es dem Betroffenen bislang unmöglich machen, diese Tipps anzuwenden, was wiederum negativ erlebt wird. Es sind vor allem diese inneren Kämpfe, die zum Burnout führen.

Das 3-h-Coaching

In einem Drei-Stunden-Coaching ist es möglich, diese entscheidenden inneren Konflikte, die zu einem Burnout führen können, erlebbar zu machen. Der burnout-gefährdete Klient ist in der Regel sehr gut über sein Dilemma informiert. Er hat Zeitschriftenartikel und Bücher gelesen, nachgedacht, mit Partner und Freunden geredet. Doch zur Veränderung von Gewohnheiten reicht bloße Einsicht oft nicht aus. Deswegen fruchten auch die Empfehlungen nicht, egal ob sie von außen oder von einem selbst kommen:

  • 80/20-Regel, statt hundertprozentig perfekt zu sein
  • sich abgrenzen, statt sich ausnutzen zu lassen
  • sich weniger hetzen, wenn genug Zeit zur Verfügung steht 

Doch das Umsetzen dieser klugen Tipps scheitert oft daran, dass der Klient zwar kognitiv um seine Situation weiß, aber innere Konflikte, die aus der Biografie stammen, ihn daran hindern. Wer in seiner Herkunftsfamilie oft „Geht nicht, gibt’s nicht!“ gehört hat, fühlt sich einfach nicht gut dabei, seine Müdigkeit als wichtiges Zeichen zu nehmen. 

Um solche unbewussten Prägungen, die auch im Erwachsenenalter noch wirken, spürbar zu machen, muss der Coach einen Rahmen schaffen, in dem der Klient seine innere Verstrickung in alte Einstellungen und Muster emotional versteht. Dazu ist es hilfreich, dem Klienten den Unterschied zwischen seinem Alltagsbewusstsein und einem anderen Bewusstseinszustand, der Achtsamkeit, zu erklären und erleben zu lassen. Denn erst mittels Achtsamkeit erlebt der Klient feine Veränderungen in seinem Körper, seinen Gefühlen und Gedanken, die Hinweise geben, woher seine inneren Konflikte stammen. Dabei arbeitet der Coach meist mit positiven Sätzen. Nicht im Sinne von Affirmationen oder positivem Denken, sondern als Experimente, die ermöglichen sollen, dass der Klient seine innere Selbstorganisation beobachten und erforschen kann. Der Coach schlägt dem Klienten einen positiven Satz vor, der genau das Gegenteil der negativen Überzeugung des Klienten ausdrückt. Der Klient sagt den Satz laut vor sich hin und konzentriert sich in Achtsamkeit mit geschlossenen Augen darauf, welche inneren Reaktionen (Körperempfindungen, Gefühle, Gedanken) in den ersten zwei bis fünf Sekunden auftauchen. 

Stimmt der Satz mit dem inneren Glaubenssystem überein, so wird der Klient nichts Besonderes erleben, sondern am ehesten eine neutrale Zustimmung. Gibt es aber eine größere Diskrepanz zwischen dem Satz und dem inneren Glaubenssystem – was ja beabsichtigt ist, um den inneren Konflikt aufzuspüren – dann nimmt der Klient eine mehr oder weniger starke innere Reaktion wahr:

  • Anspannung in den Schultern oder im Bauch
  • starke Erleichterung im Körper
  • ein Gefühl wie Traurigkeit, Ärger, Unglauben, Skepsis
  • einen Gedanken, der zustimmend, ablehnend oder skeptisch sein kann 

Solche Sätze werden vom Coach ganz genau auf den vermuteten inneren Konflikt hin ausgesucht. Fast immer erlebt der Klient durch die folgende emotionale Erregung eine Verbindung von seinem aktuellen Problem zu Situationen, in denen er genau jene stressige Verhaltensweise erworben hat – und zwar als damals beste Lösung, die ihm zur Verfügung stand.

Ein Beispiel

Frau F. ist im Team sehr beliebt. Sie ist immer gut gelaunt, hat für jeden ein nettes Wort – und sie kann schlecht nein sagen. Das haben die anderen schnell gemerkt und nutzen das weidlich aus. Viele unbezahlte Überstunden, die Pflege ihrer dementen Schwiegermutter und die ehrenamtliche Arbeit in der Nachbarschaftshilfe haben sie beinahe in einen Burnout rutschen lassen. 

Nachdem der Coach sie kurz in einen achtsamen Bewusstseinszustand geführt hat, sagt er zu ihr: „Bitte sagen Sie mal den Satz vor sich hin: ‚Es müssen mich nicht alle mögen‘.“ Die Klientin tut es, wird spontan rot, schlägt die Augen auf und sagt: „Das geht nicht. Das kann ich nicht sagen.“ Als der Coach mit ihr untersucht, was ihr zu dieser Reaktion einfällt, erinnert sie sich spontan an ihre Mutter, deren häufigster Satz war: „Was sollen denn die Leute denken.“ Aufgewachsen in einem kleinen Dorf wurde die Klientin von Kindesbeinen an dazu angehalten, keinen Unwillen zu erregen. Anpassung als Schutz vor Ausgrenzung. 

Im anschließenden Durcharbeiten des Konflikts wurde Frau F. deutlich, dass der dominierende Teil in ihr ein folgsames Mädchen von etwa sieben Jahren war, das keine Rückendeckung von den Eltern zu einer nötigen Abgrenzung erhalten hatte. „Auch meine Mutter machte es meinem Vater immer recht, schimpfte aber in seiner Abwesenheit über seinen Egoismus.“

Welche Sätze eignen sich?

Bei der Formulierung passender positiver Sätze kommt es vor allem auf die Erfahrung des Coachs mit inneren Konflikten an. Häufige Konflikte und dazu passende Sätze sind z.B.:

  • „Ich bin ein ganz normaler Mensch.“ Für Menschen mit narzisstischen Anteilen, die glauben, Grenzen der Belastbarkeit seien nur etwas für Schwächlinge.
  • „Ich muss nichts mehr beweisen.“ Für perfektionistische Menschen, die getrieben sind, bloß keine Fehler zu machen und Außerordentliches zu leisten.
  • „Mein Leben gehört mir.“ Für Menschen mit Zeitnot, denen es schwer fällt, eigene Prioritäten zu setzen.
  • „Ich muss nichts wiedergutmachen.“ Für Menschen, in deren Herkunftsfamilie es viel Leid gab und denen es heute schwer fällt, ein besseres Leben zu führen.
  • „Das Leben trägt mich.“ Für Menschen, die – durch schwere Verluste oder Krankheit gezeichnet – kaum Hoffnung haben, dass sich mal was ändert.
  • „Ich muss nicht immer stark sein.“ Für Menschen, die unbesiegbare Stärke und trotzige Unabhängigkeit als Lebensstrategie gewählt haben.

Liest oder hört man diese Sätze im Alltagsbewusstsein, passiert meist nichts. Erst durch die Verfeinerung der Wahrnehmung im Zustand der Achtsamkeit, mit der man sich gleichzeitig mit dem Unbewussten verbindet, können die Sätze starke Gefühle auslösen. Darauf muss der Coach vorbereitet sein und darf keine Angst vor starken Gefühlsäußerungen haben. Ratschläge wie „Jetzt beruhigen Sie sich doch wieder!“ oder „Was ist denn plötzlich los?“ sind deplatziert. Am besten, der Coach tut gar nichts und begleitet den emotionalen Wellenritt einfach mit seinem Mitgefühl und seiner Aufmerksamkeit. Nach einer Weile kann er sanft fragen, was der Klient gerade erlebt hat, und sich die Reaktionen genau schildern lassen. 

Kommt es während des Coachings zu solchen Reaktionen, ist das sehr fruchtbar. Erkennt der Klient doch meist blitzartig sein Lebensthema und versteht emotional – nicht verstandesmäßig –, wie aus einer oder mehreren Situationen seiner frühen Biografie sein Glaubenssystem und die entsprechenden Überlebensstrategien entstanden sind.

Ein Beispiel

Ein 45-jähriger freiberuflicher Architekt musste mit zwei Büros Insolvenz anmelden. Kollegen und Freunde wunderten sich, wie sich ein so brillanter Kopf zweimal mit windigen Partnern einließ, worauf zwei große Bauprojekte platzten. Auch der Klient hatte keine Erklärung für sein Verhalten. Beim Blick auf die Familienanamnese kam heraus, dass der Vater in der Jugend des Klienten Konkurs anmelden musste und Alkoholiker wurde. Darüber zerbrach die Familie, weil die Mutter sich mit den beiden Söhnen trennte.

Der Coach vermutet im heutigen Berufsverhalten die Auswirkungen eines unbewussten Loyalitätskonflikts und will diesen erlebbar machen. Der Coach bittet den Klienten, seinen mittlerweile verstorbenen Vater, auf einen leeren Stuhl gegenüber zu setzen. Dann bittet er ihn, zum toten Vater den Satz zu sagen: „Papa, mir darf’s mal besser gehen im Leben als dir.“ 

Der Klient schlägt die Hände vor das Gesicht und flüstert: „Das kann ich niemals zu ihm sagen. Dann würde ich ihn ja auch im Stich lassen. Das wäre wie Verrat!“ In der folgenden Aufarbeitung des Konflikts geht es um das Bewusstmachen der „irrationalen“ Geschäftsentscheidungen von heute als Wiedergutmachungsversuch („Sühne“) durch einen starken Loyalitätskonflikt mit dem Vater. Danach wurden Rituale besprochen, mit denen der Klient seine Liebe zum Vater zeigen konnte, ohne dessen schweres Schicksal zu teilen.

Reichen drei Stunden?

Das beschriebene Vorgehen ist eine spezielle Form des Kurzzeit-Coachings, das nicht für jede Situation und jeden Klienten passt. Es ist besonders geeignet für Menschen, die spüren, dass sie mit inneren Glaubenssystemen verstrickt sind. Das heißt, die wissen, was sie tun oder lassen sollten, um ihre Ziele zu erreichen – und es trotz bester Motivation nicht tun. 

Nicht geeignet ist diese Methode für Menschen, die sich nicht oder zu wenig mit ihren Einstellungen und ihren Verhaltensweisen beschäftigt haben und die die Ursache für ihr Problem oder das Nichterreichen ihrer Ziele an äußeren Umständen (Chef, Gesellschaft usw.) festmachen. 

Am Ende des Drei-Stunden-Coachings werden konkrete Umsetzungsschritte besprochen und vom Klienten schriftlich fixiert. Eine Überprüfung durch den Coach erfolgt ausdrücklich nicht, um die Selbstverantwortung des Klienten zu betonen. Dieser kann aber nach ein paar Wochen eine Mail schreiben, über seine Erfahrungen berichten und der Coach antwortet ihm. In seltenen Fällen werden noch ein oder zwei Coaching-Sitzungen durchgeführt.

Literatur

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