Wie gehe ich an Entscheidungen heran und wie komme ich eigentlich zu meinen Strategien und Prioritäten? Wo sind die typischen Fallstricke, derer ich mir vielleicht gar nicht mehr bewusst bin? Wie ist wohl meine eigene Führungswirkung? Viele Führungskräfte stellen sich diese Fragen – aber sie erhalten nur noch selten authentisches Feedback aus ihrem direkten Umfeld. Sicher eine bekannte Problemstellung vieler Klienten, nichts neues für Coaches und oft Anlass für einen Coaching-Prozess.
Treibt man diese eingangs gestellten Fragen weiter, ergeben sich drei Orientierungsfelder für eine Führungskraft (nach Lorenz, 2012; 31):
Sind diese drei Kompetenzen ausgeprägt, sind folglich auch die Handlungen einer Führungskraft, ihre Entscheidungen und ihre Kommunikation für Dritte nachvollziehbar. So wird für die Mitarbeiter erkennbar, dass die Führungskraft authentisch handelt, dass sie „meint, was sie sagt und sagt, was sie meint“ (Lorenz, 2012; 29).
Auch bei der Arbeit im Cockpit eines (Verkehrs-)Flugzeuges sind diese drei Fähigkeiten, neben der reinen Beherrschung des Luftfahrzeuges und operativer Verfahren, echte Kernkompetenzen. Auch hier sind die Fähigkeiten „Umgang mit der Komplexität der eigenen Rolle“, „Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion“ sowie „Empathie“ gefragt.
So ergab der NASA Workshop „Resource Management on the Flight Deck“ im Juni 1979, dass weniger die technische und fachliche Ausbildung von Cockpitpersonal in Hinsicht auf die Vermeidung von Flugunfällen verbesserungswürdig war, sondern dass die Schwierigkeiten – und damit auch die zu erzielenden Effekte – mehr in den Bereichen der Führung (leadership), Koordination (crew coordination) und zwischenmenschlichen Kommunikation (interpersonal communications) lagen (Cooper et al., 1980).
Konkret muss sich eben auch die Cockpitbesatzung, genau wie die Führungskraft, analog zu den eingangs erwähnten Aspekten, immer wieder hinterfragen: Hat die Sicherheit wirklich Priorität vor den anderen Zielen bei diesem Flug? Was treibt mich eigentlich an oder will ich einfach nur den Flug am Zielort beenden? Welche Rolle spielen wir als Team, d.h., sind wir noch kognitiv und emotional verbunden (in der Fliegerei: Sind wir „im Loop“)?
Das im Folgenden vorgestellte Konzept basiert auf folgendem Coaching-Setting:
Mittels welchen Wirkungszusammenhangs der Lerneffekt erzielt wird, wird insbesondere dann klar, wenn man Ansätzen zu erlebnisorientiertem Lernen folgt oder aktuelle Ansätze der Hirnforschung nach Prof. Dr. Gerald Hüther berücksichtigt werden.
So stellte Hüther in seinem Vortrag „Wie Lernen gelingt“ die besondere Bedeutung der Beziehung heraus (Hüther, 2013; 5): „Gerade die Fragen, wie Menschen unter welchen Bedingungen lernen und wie die dabei gemachten Erfahrungen im Gehirn verankert werden, wurden durch die Neurobiologie neu bewertet. Die Erkenntnis: Emotionalität und Beziehung sind für den Lernerfolg von besonderer Bedeutung. Informationen werden nur dann nachhaltig verankert, wenn zugleich auch emotionale Zentren im Gehirn aktiviert und vertrauensvolle Bindungen zu den Bezugspersonen aufgebaut werden können.“
So schafft das besondere Erlebnis der (simulierten) Flugerfahrung die Möglichkeit einer intensiven Lernerfahrung: Man nimmt sich selbst in einer bisher unbekannten Anforderungssituation wahr. Die Klienten erleben die Komplexität ihrer eigenen Rolle in dem anspruchsvollen Cockpit-Umfeld, erfahren Selbstwahrnehmung und -reflexion bei der Umsetzung der Aufgabenstellung und nehmen in der Beziehung zum Coach Empathie in einer üblicherweise unbekannten Intensität wahr.
Üblicherweise erstreckt sich der reine Workshop über einen Tag, wobei im Vorfeld eine inhaltliche Fokussierung und Aufnahme der kritischen Erfolgsfaktoren mit dem Auftraggeber anhand ausgewählter Schlüsselkompetenzen erfolgt.
Der Workshop selber baut sich wie folgt auf:
Insbesondere beim Lerntransfer in den betrieblichen Führungskontext wird das Erlebte direkt nach der reinen Flugsimulatorerfahrung anhand von realen Luftfahrtszenarien in den beruflichen Kontext übertragen: Die Klienten werden anhand je einer Situation zu den drei oben genannten Schlüsselkompetenzen Umgang mit der Komplexität der eigenen Rolle, Selbstwahrnehmung bzw. Selbstreflexion und Empathie (Wahrnehmung Anderer) zum Transfer der Luftfahrtszenarien in den eigenen individuellen Führungskontext angeleitet.
Bei dieser Reflexion der erlebten und nachvollzogenen Cockpit- und Führungssituationen samt Gegenüberstellung der eigenen üblichen Verhaltensweisen und -muster beantworten die Klienten sich in der Kleingruppe folgende Fragen:
Die Ansätze werden dann im Gruppen-Coaching bearbeitet. Dabei finden die üblichen Methoden Anwendung (z.B. zirkuläre Fragen, die Wunderfrage, Elemente aus dem Gestaltmodell, den Fünf Antreibern und der REVT). Insgesamt eröffnen sich so blinde Flecken, konkrete Herausforderungen im Führungsalltag erscheinen deutlicher. Eigene Belastungsgrenzen werden in einer sicheren Umgebung erfahren und so auch bei Dritten antizipiert.
In einem konkreten Fall waren Spannungen im Team des Klienten Anlass des Coachings. Der Klient spürte bereits im Vorfeld, dass seine Führung und Kommunikation einen wesentlichen Beitrag zu der belasteten Zusammenarbeit mit seinem Team leisteten.
Durch die in der Rolle des Piloten gemachte Erfahrung, hat sich beim Klienten ein Entwicklungsknoten gelöst. Das im Cockpit erlebte Zusammenspiel von menschlichen Verhaltensweisen in komplexen, ungewohnten Situationen führte bei dem Klienten zu der Erkenntnis, als Führungskraft bedarfs- und situationsgerecht in verschiedenen Rollen agieren zu müssen (Komplexität der eigenen Rolle): als Vermittler von notwendigem Wissen, als Trainer oder auch als Coach, der seinem Gegenüber viele Möglichkeiten aufzeigt, sich selbst und sein gezeigtes Verhalten zu reflektieren und zu hinterfragen.
So erreicht der Flugsimulator-Workshop (Flugsimulator selbst und die anschließende Reflexion anhand der Luftfahrtbeispiele), dass die Teilnehmer ihre Führungskompetenzen erhöhen. Sie lernen, Komplexität besser handzuhaben, Selbstreflexion mehr anzuwenden und Empathie verstärkt zeigen zu können.
Im Anschluss an den Workshop und mit ca. einer Woche zeitlichem Abstand, findet ein geplantes und strukturiertes Telefongespräch im Einzelsetting zwischen je einem Klienten und dem Coach statt, bei dem die (Selbst-)Erkenntnisse thematisiert und gefestigt werden.
Dabei stellte sich im Beispielfall heraus, dass nach dem Flugsimulator-Workshop weitere kommunikative Herausforderungen im Team des Klienten sichtbar wurden. Diese wurden in Einzel-Coachings unter Einsatz von Analogien aus dem Bereich „Fliegen“ und anhand weiterer Methoden sowie in einem anschließenden Gruppenworkshop mit dem Team des Klienten und ihm selbst bearbeitet.
Nach einer in den Einzel-Coachings vorgenommenen Umfeld-Analyse konnten mit dem Team – unter Einsatz der Methode des Reflecting Teams (wie auch bei Kunstflugteams angewendet) – die Haltungen der Teammitglieder herausgearbeitet, gemeinsam reflektiert und die Beziehungen schließlich verbessert werden. Wissend, was sein Team bewegt, war es dem Klienten fortan möglich, empathischer zu agieren.
Für die Interkollegiale Supervision im Team des Klienten diente das Beispiel der Abarbeitung eines Triebwerksausfalls im Full Flight Simulator und das dazugehörige De-Briefing aus der Luftfahrt als Einstieg. Hierbei wurde klar, dass bei den ähnlich komplexen Prozessen in der Abteilung des Klienten mit dieser Methode das dort vorhandene interne Know-how herangezogen werden konnte. Konkret hat das Team in der Gruppenarbeit neue Regeln für die Zusammenarbeit festgelegt und so eine verbindlichere Basis für die kommunikativen Prozesse geschaffen.
Der gemeinsame Workshop, unter Einsatz dieser Beispiele aus der Luftfahrt, hat so an den persönlichen Veränderungsmöglichkeiten für jedes Teammitglied angeknüpft und eine Basis für individuelle Veränderungen, die die Teammitglieder angehen wollen, geschaffen. Insgesamt ist so ein Zuwachs an Wissen und sozialer Kompetenz erreicht worden.
Durch das Setting ergeben sich in besonderem Maße folgende Einsatzbereiche:
Die Flugsimulator-Workshops folgen einem Führungsansatz, der den Umgang mit der Komplexität der eigenen Rolle sowie die Faktoren Selbstreflexion und Empathie in den Vordergrund stellt. Es ist bekannt und unumstritten, dass diese Elemente für die Arbeit im Cockpit eines Verkehrsflugzeuges eine bedeutende Rolle spielen. Doch wie Piloten müssen auch Führungskräfte Prioritäten festlegen, ihre inneren Antreiber kennen und andere Personen wahrnehmen. Dabei müssen – wie auch im Cockpit – letztlich Ziele erreicht und Entscheidungssituationen gemeistert werden.
Der hier vorgestellte Coaching-Ansatz nutzt diese Analogien, um Führungskräfte – mittels einer bisher unbekannten, zur Selbstreflexion anregenden (Führungs-)Erfahrung im Flugsimulator – in ihrer Führungsarbeit zu stärken und zu einem Verbesserten Umgang mit Komplexität sowie zur Stärkung der Selbstreflexions- und Empathie-Fähigkeit zu verhelfen. Der Erfolg des Coachings basiert hierbei maßgeblich auf der emotionalen, Empathie fördernden Lernbeziehung. Diese wird durch das Setting „Pilot (Klient) – Copilot (Coach)“ hergestellt.