Bei der Entwicklung eines eigenen Führungsstils braucht es mitunter einiges an Selbstreflexion, Positionierungs- und Abgrenzungsfähigkeit sowie Mut, zu dem zu stehen, an das man glaubt. In der Reflexion sollte neben den eigenen Werten auch die Frage thematisiert werden, wie angesichts zunehmender Komplexität mit Herausforderungen effektiv umgegangen werden kann.
Das systemische Denken und Handeln kommt immer mehr in den Wahrnehmungsfokus, auch in Unternehmen. Ist möglicherweise jetzt die Zeit dafür gekommen, systemischer zu denken und zu handeln? Aktuell scheinen viele Systeme durch Krisen „am Limit“ zu sein. Sowohl Geschäftsführende und Führungskräfte als auch Fachkräfte sind oftmals überfordert mit zu vielen Aufgaben, starken Herausforderungen, sehr komplexen Systematiken. Erfahrungsgemäß kommt man hier schnell an Grenzen, wenn man versucht, dieser Komplexität dadurch begegnen zu wollen, dass man alles linear nach Plan abarbeitet. Daraus entstehen häufig Beschleunigung und Überforderung bei gleichzeitigen Gedanken und Gefühlen von Frustration und Ohnmacht. Schnell entsteht das Gefühl, zu keinem Ende zu kommen.
Ein Umdenken scheint erforderlich angesichts der Anforderungen der „neuen“, komplexeren, auch vermehrt digitalen Welt. Das zirkuläre Denken, alles als „systemisch zusammenhängend“ zu betrachten und zu akzeptieren, kann eine Lösung sein. Denn hiermit geht die echte Akzeptanz einher, dass man nicht alles „kontrollieren“ kann. Ein Grundsatz der systemischen Führungskompetenz besteht daher darin, die Komplexität und Unkontrollierbarkeit eines komplexen Systems anzuerkennen. So weist Lazar (2022) darauf hin, dass Führung nicht darauf zielen könne, allen Herausforderungen selbst antizipativ zu begegnen. Stattdessen gehe es verstärkt darum, z.B. Vertrauensbeziehungen und geeignete Kommunikationsstrukturen aufzubauen, die den Menschen in der Organisation einen adäquaten Umgang mit den Anforderungen ermöglichen.
Wir können Systeme immer wieder aufs Neue beobachten und möglicherweise sich wiederholende „Muster“ im Verhalten erkennen. Wir können auch andere neue Impulse hineingeben und beobachten, was es möglicherweise für einen Unterschied macht. Aber kontrollieren können wir komplexe Systeme nicht (ebd.).
Aus diesen Beobachtungen und Erkenntnissen ergeben sich neue Notwendigkeiten und Möglichkeiten. Interessanterweise scheinen diese sogenannten „Modern-Work-Prinzipien“ auch durchaus globaler erkennbar zu sein:
Abb.: Prinzipien des sinnhaften Tuns und ihre Effekte (eigene Darstellung)
Wenn wir die komplexen Zusammenhänge in der Welt und in Unternehmen nicht mehr „mit der Macht durch wenige Führende“ kontrollieren können (eher hierarchischer Führungsstil), was ergibt dann heute (mehr) Sinn? Das sinnhafte Tun (s. Abb.) rückt in den Mittelpunkt und geht mit vier weiteren Aspekten und Grundhaltungen aus einer „systemischeren Perspektive“ (vgl. Dwyer & Azevedo, 2016) einher, die darauf abzielen, dass Menschen mehr Sinn erleben und ihre Kompetenzen sowie Potenziale in der Organisation effektiver zur Geltung bringen können:
Diese Aspekte entsprechen wichtigen systemischen Grundhaltungen und Ansätzen. Sie finden sich in systemischer Führungskompetenz wieder.
Systemische Kompetenz in Führung setzt eine entsprechende Grundhaltung voraus – z.B. den Glauben daran, dass Menschen in der Lage sind, für sich selbst gute Lösungen zu finden. Dies setzt voraus, dass ich als Führungskraft nicht davon ausgehe, dass ich selbst die beste Idee im Kopf habe. Vielen Führungskräften fällt dies erfahrungsgemäß schwer, gerade auch dann, wenn sie als beste Fachkraft in die Rolle befördert wurden – und ggf. hoch intrinsisch leistungsmotiviert sind. Da kann es schon einmal schwieriger für Führungskräfte werden, „loszulassen“ und den Mitarbeitenden den Raum für eigene Ideen und Lösungsoptionen zu geben.
Dazu kommen häufig noch Tendenzen in Motiv- und Werthaltungen der verschiedenen Generationen. Gerade die Generation Z legt heute nachweislich viel Wert auf einen systemisch „coachenden“ Führungsstil, der sich Zeit nimmt und eher nach Potentialen und Möglichkeiten fragt in Mitarbeitenden-Gesprächen. Es geht dieser Generation stärker um mehr Freude bei der Arbeit, passende Karriere-Chancen und persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die zur eigenen individuellen Persönlichkeit passen. Dabei wissen die Betroffenen selbst am besten, was das sein könnte, bzw. schätzen kompetente Sparringspartner/innen, die mit ihnen darüber in den interessierten Dialog gehen. (vgl. Loring & Wang, 2022) Die alte Haltung von „Ich weiß als Führungskraft schon, was gut für dich ist“ ist wohl mittlerweile wirklich aus der Mode gekommen.
Dennoch wird die neue „systemischere“ Haltung noch recht wenig gelebt. In vielen Fällen gilt immer noch eher das altbekannte Leistungsprinzip im unternehmerischen Alltag – mit z.B. zu gering eingeplanter Zeit für persönliche Gespräche und als wertvoll erlebten Dialogen für beide Seiten. Dies kann gerade bei jungen Menschen zu Unzufriedenheit mit der Führungsleistung ihrer Vorgesetzten führen. So betonen auch Gabrielova und Buchko (2021), dass Personen der Generation Z sich beispielsweise von ihren Vorgesetzten Unterstützung bei der persönlichen Weiterentwicklung wünschen, an Entscheidungen teilhaben und eingebrachte Ideen gewürdigt sehen wollen.
Was also tun? Was sind Möglichkeiten der Erneuerung?
Ein systemischer Arbeits- und Führungsansatz besteht aus Selbstreflexion, Selbstmanagement und Dialogkompetenz – Aspekte, die auch in Coachings gefördert werden können. Wenn ich mir als Führungskraft keine Zeit dafür nehme, regelmäßig mein Denken, meine Haltung, mein Verhalten und die Auswirkungen dessen ins System zu reflektieren, dann kann ich auch nichts spürbar verändern. Denn unter Umständen bekomme ich vieles überhaupt nicht in die eigene Wahrnehmung, was veränderungswürdig wäre – für mich selbst, die Mitarbeitenden, für die ich verantwortlich bin, und für das Gesamtsystem.
Oft ist diese mangelnde Zeit für Selbstreflexion keine böse Absicht, sondern systemimmanent: Wenn immer „alles andere“ als wichtiger eingestuft wird, werden sich die Menschen in ihren Rollen an die vorgegebene Priorisierung „von oben“ halten – um dem nachzukommen und nicht komplett in Überforderung zu geraten. Die Kehrseite: Ohne Selbstreflexion gibt es oftmals keine Verhaltensänderung (Selbstmanagement).
Viele leistungsorientierte Führungskräfte werden auch weiterhin die Lösungen lieber selbst vorgeben, als sich die Zeit zu nehmen, die Lösungsvorschläge des Teams zu hören und mit ihnen in Ruhe darüber zu reflektieren. Und daraus ergibt sich der dritte wichtige Punkt in systemischer Führung: die Dialogkompetenz.
In folgenden Fragen (vgl. Arnhold, 2024) werden viele systemische Fähigkeiten erkennbar. Führungskräfte können sie sich selbst stellen, um die eigene Führungskompetenz zu reflektieren. Coaches können sie als Ansätze für die Reflexion mit ihren Klientinnen und Klienten nutzen. Es bietet sich dabei an, auf einer Skala von 1–10 zu skalieren (1 = weniger gut – 10 = sehr gut), um – bei späterer erneuter Reflexion der Fragen – Entwicklungen abbilden zu können:
Was bedeutet dies nun in Hinblick auf die Veränderung von klassischen Management-Kompetenzen zu systemischen Kompetenzen in der Führung? Was immer wichtiger wird, sind u.a. diese Punkte:
Diese Liste ließe sich fortsetzen und bietet Coaches viele Ansätze für die Reflexion mit Klientinnen und Klienten, die entsprechende Positionen bekleiden. Wichtig ist, dass sich diese Fragen auch gesamtsystemisch stellen. D.h., wenn sie kompetente Führungskräfte haben möchten, sollten moderne Geschäftsführende selbst mit systemischer Führungskompetenz vorangehen.
Die Vorteile liegen auf der Hand und sind in vielen Unternehmen auch schon spürbar. Weiter auf diesen Pfaden zu gehen, bedeutet im Verständnis des systemischen Ansatzes potenziell mehr Zufriedenheit, Wertschätzung, Erfolg und Innovationsbewusstsein für alle.