Führung

Krisenship statt Leadership

Wie Führungskräfte und Teams resilienter werden

Wie erlangen Führungskräfte und Teams Krisenfestigkeit, die angesichts zunehmend volatiler Umfeldbedingungen immer wichtiger wird? Grundvoraussetzung ist eine gelungene Selbstfürsorge, die es einer Führungskraft erst ermöglicht, sich selbst und ihr Team erfolgreich zu führen und in herausfordernden Zeiten effektiv zu begleiten. Darüber hinaus gilt es unter anderem, die mentale Flexibilität zu fördern, indem man gezielt aus der eigenen Komfortzone heraustritt.  

7 Min.

Coaching-Magazin Online, 10.04.2024

Stress am Arbeitsplatz, private Probleme und dazu das konstante Hintergrundrauschen globaler Krisen: Leben und Arbeiten im 21. Jahrhundert ist zunehmend komplexer und herausfordernder geworden. Deutsche Krankenkassen berichten, wie die psychische Belastung der Arbeitnehmer wächst und sie immer mehr krankmachen (DAK, 2024; TK, 2023). Paradoxerweise steigt der Druck im gesellschaftlichen Dampfkessel in eben jenem Maß, in dem das Bewusstsein für psychische Belastungen wächst, und Begriffe wie „toxisch“ in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen. Einerseits ist dieser Umstand positiv zu sehen, denn die Sensibilisierung für Themen wie mentale Gesundheit ist wichtig. Andererseits zeigt sich auch, dass das bloße Sprechen über Probleme diese nicht schlagartig behebt. Es muss gehandelt werden, damit Arbeitnehmer einen Weg aus der psychischen Abwärtsspirale finden. 

Auf einen Blick

  • Die Förderung der Resilienz von Führungskräften und ihren Teams wird in unsicheren und herausfordernden Zeiten immer wichtiger, wie aus Berichten der Krankenkassen zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz abgeleitet werden kann.
  • Voraussetzung für eine gute Führung – insbesondere in Krisenzeiten – ist eine ebenso gute Selbstführung der Führungskräfte. Diese wiederum geht mit Selbstfürsorge einher.
  • Die mentale Flexibilität bzw. Agilität  von Teams und Führungskräften zu fördern, ist ein weiterer Baustein, der zu mehr Widerstandskraft führen kann.

Vorgesetzte sind doppelt belastet

Um die Trendwende herbeizuführen, sind viele Akteure gefragt, aus der Wirtschaft und Politik gleichermaßen. In erster Linie sind es jedoch die Führungskräfte, die als unmittelbare Vorgesetzte oft am besten wissen, was ihre Teams beschäftigt, und das Wohlbefinden der Mitarbeiter durch ihre Führungspraxis erheblich beeinflussen können – negativ wie positiv (siehe zum Thema „Gesunde Führung“: Ebermann, 2023a).

Aber die eingangs erwähnten Probleme können auch Führungskräfte selbst betreffen, also ausgerechnet diejenigen, deren Hauptaufgabe es ist, Mitarbeitern den Rücken freizuhalten und durch Motivation zu Bestleistungen im Interesse des Unternehmens anzuspornen. Stattdessen gewinnen viele Führungskräfte den Eindruck, sie selbst würden dieser Tage von einer Krise in die nächste schlittern.

Dennoch ist die Situation nicht ausweglos. Ja, die aktuelle Weltlage ist ernst und beängstigend. Nur, das war sie schon immer – Menschen aller Zeiten trieben Ängste, Wünsche, Hoffnungen und Sorgen um. Es ist an der Zeit, dass Unternehmen ihr Repertoire um eine entsprechende Praxis erweitern und mit Coaching-Methoden eine verlässliche Präventivmaßnahme zu schaffen. Schließlich sind Herausforderungen nicht per se schlecht, nur manchmal die Art, wie man mit diesen umgeht. Krisen wird es immer geben, die Frage ist, was wir – auch im beruflichen Kontext – daraus machen.

Krisen gehören zum Leben dazu

Doch worum genau handelt es sich bei Krisen überhaupt? Es sind Situationen, die auf einen Höhepunkt hinauslaufen und eine klare Entscheidung erfordern. Das heißt, ein Individuum muss sich für oder gegen etwas entscheiden.

Zunächst sollten Führungskräfte sich selbst mit Empathie begegnen. Niemand ist frei von Fehl und Tadel. Wahrscheinlich haben die meisten von uns bereits Entscheidungen getroffen, die im Nachhinein betrachtet nicht die allerklügsten waren. Irren ist menschlich, das muss akzeptiert werden. Gleichzeitig muss man aus Fehlern lernen, um sie nicht zu wiederholen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass man Herausforderungen – und auch Niederlagen – als Voraussetzung für persönliche Weiterentwicklung verstehen kann.

Zur Weiterentwicklung gehört aber nicht nur die Reflexion von Fehlern, sondern auch die Betrachtung von Erfolgen. Dies dient dazu, sich seine Stärken und Kompetenzen, die in schwierigen Momenten besonders gebraucht werden, bewusst vor Augen zu führen. Erfolge stärken die Selbstwirksamkeitserwartung und Zuversicht einer Person (vgl. Heller, o. D.), es ergibt daher Sinn, sie aktiv zu erinnern.

Die wahren Werte finden

Je mehr Entscheidungen mit den eigenen Werten korrespondieren, desto leichter fällt es, die gesteckten Ziele zu erreichen. Das gilt auch für Unternehmen selbst. Jede Marke fußt auf Werten. Man sollte sich also Zeit nehmen, um seine Ziele so zu konkretisieren, dass sie dem eigenen Kern entsprechen. Aber wie findet man seine inneren Werte? Es gibt schließlich fremdbestimmte Ziele (siehe dazu z.B. Klein, 2021), traditionsgeleitete Ziele, egogetriebene Ziele.  Ein einfaches Tool wie der „Wertekompass“ kann helfen, die eigenen zentralen Werte herauszufinden. Coaches können in diesem Zusammenhang z.B. das Tool „Der persönliche Wertegang“ (Moreno, 2021) einsetzen, um ihre Klienten bei der Werteklärung zu unterstützen. Im Rahmen der Zielklärung lassen sich die Motive, Muster und Werte, die den Zielen der Klienten – mitunter unbewusst – zugrunde liegen, z.B. anhand der „Fünf Säulen der Identität“ (siehe Zimmermann et al., 2023) benennen.

Die Zügel in die Hand nehmen

Individuelles Wachstum bedarf immer einer soliden Basis – und hier kommt die Selbstfürsorge ins Spiel. Durch eine gesunde Selbstfürsorge ist ein Mensch überhaupt erst in der Lage, effektiv Selbstführung zu betreiben (Balz, 2024). Die Selbstführung wiederum spielt eine wichtige Rolle bei der Mitarbeiterführung – nur wer sich selbst führen kann, kann langfristig andere effektiv führen (ebd.).

Der Austausch mit anderen Führungskräften kann hilfreich sein, da diese Momente vor Augen führen, dass es anderen ähnlich geht und auch sie mit Herausforderungen konfrontiert werden. Das kann Mut spenden. El-Chichakli (2023) weist darauf hin, dass authentische Beziehungen für die Resilienz eines Menschen förderlich sind, und empfiehlt Führungskräften den Austausch mit Kollegen in sogenannten Leadership Circles.

Trainingsplan für mehr Resilienz

Nun soll das eigene Team maß- und planvoll geführt werden. Wie im Sport bedarf es auch hier eines wirkungsvollen Plans – nur so lässt sich mehr Resilienz als dauerhafter Wunschzustand erreichen, der als Kraftreservoir in Extremmomenten dient. Zum einen ist es empfehlenswert, frühere Misserfolge zu rekapitulieren und gemeinsam abzuleiten, welche Lösung besser gewesen wäre. Denn nur wer aus Fehlern lernt, kann die eigene Lernkurve nach oben leiten. Damit verbunden sollten Unternehmen realistische Krisenmomente durchspielen und die dafür benötigten Prozesse vereinheitlichen.

Zum anderen sollte der Plan darin bestehen, dass die Mitarbeiter sich den Leitgedanken aneignen, dass sie alles schaffen können, insbesondere wenn das Team sie unterstützt. Um einen guten und von gegenseitiger Unterstützung geprägten Teamzusammenhalt zu formen, benötigen Menschen die Kraft gemeinsamer Erlebnisse. Wie Reidlinger (2023) ausführt, können gemeinsame Erfahrungen und Rituale Gruppenbindungen stärken und in der Konsequenz dazu beitragen, dass ein Team resilienter wird.

Indem Teams sich zudem selbst willentlich in herausfordernde Situationen begeben, wird das potenziell Bedrohliche oft weniger furchteinflößend, und Belegschaften sind in der Lage, hieraus ein neues, positives Narrativ zu entwickeln. Drath (nach Ebermann, 2023b) weist darauf hin, dass es wichtig ist, sich immer wieder Neuem zu stellen und die Komfortzone zu verlassen, um die eigene „mentale Agilität“ zu stärken. Gleichzeitig gibt Drath (ebd., S. 19) zu bedenken, dass dies nur bei guter „Ressourcenlage“ sinnvoll ist, denn: „Ist man schon total erschöpft […] führt das Verlassen der Komfortzone nur zu negativem Stress. Es gilt also zunächst, die Batterien aufzuladen.“

Fehlerfrei? Wie langweilig

Niemand weiß, welche Ereignisse die Zukunft bereithält, und wohin die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen noch führen werden. Eines jedoch steht fest: Krisen gehören unweigerlich zum Leben dazu und können Entwicklungschancen bieten. Wer dies akzeptiert, kann es sich selbst leichter machen und sich als Lenker des eigenen Lebens verstehen, der sich und andere motiviert. Ein gesunder Umgang mit der Unsicherheit kann im Coaching gestärkt werden.

Literatur

Balz, H.-J. (2024). Coaching für eine wirksame Selbst-Führung. Coaching-Magazin, 1, S. 23–27.

DAK (2024). DAK Psychreport 2023. Abgerufen am 04.04.2023: www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/psychreport-2023_32618

Ebermann, D. (2023a). Interview mit Dr. Tatjana Reichhart. Wie gelingt gesunde Führung? Coaching-Magazin, 4, S. 12–19.

Ebermann, D. (2023b). Interview mit Karsten Drath. Was Resilienz ausmacht – individuell, im Team und organisational. Coaching-Magazin, 1, S. 12–20.

El-Chichakli, K. (2023). Coaching und authentische Beziehungen. Coaching-Magazin, 3, S. 39–43.

Heller, J. (o. D. a). Selbstwirksamkeit – der Glaube an sich selbst. Abgerufen am 08.04.2024: www.juttaheller.de/resilienz/resilienz-abc/selbstwirksamkeit

Klein, O. G. (2021). Eine Frage der Zeit. Coaching-Interventionen und ihre zeitlichen Dimensionen. Coaching-Magazin, 1, S. 33–37.

Moreno, S. (2021). Der persönliche Wertegang. Coaching-Magazin, 3, S. 45–48.

Reidlinger, S. (2023). Coaching und Resilienz. Coaching-Magazin, 1, S. 26–30.

TK (2023). #whats­nex­t2022. Abgerufen am 04.04.2023: www.tk.de/firmenkunden/service/gesund-arbeiten/gesundheitsberichterstattung/whatsnext2022-psychische-belastungen-steigen-2146936

Zimmermann, M.; Wilhelm, T. & Schäfer, L. (2023). Die fünf Säulen der Identität. Das „Identitätshaus“ als Basis zielführender Coaching-Prozesse. Coaching-Magazin, 3, S. 24–28.

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