Bei gesunder Führung geht es um die Frage, wie sowohl die Mitarbeitenden als auch die Führungskräfte widerstandsfähig, sprich resilient, bleiben. In der VUCA-Welt sind die Menschen mit vielen Veränderungen, Herausforderungen und Krisen konfrontiert. Und zwar nicht nur innerhalb der Unternehmen, denn gesellschaftliche Probleme, die bewältigt werden müssen, kommen hinzu. Zudem hat jeder Mitarbeiter und jede Führungskraft ein Privatleben, in dem es Stressoren und schwierige Situationen geben kann. Eine gesunde und resiliente Führungspraxis trägt vor diesem Hintergrund dazu bei, dass die Führungskraft selbst gesund und leistungsfähig bleibt und die Mitarbeitenden gleichzeitig darin unterstützt, ebenfalls ihre Kraft zu erhalten. Wenn ich als Führungskraft oder Mitarbeiter keine Energie mehr habe, kann ich weder effektiv noch produktiv sein und auch keinen Mehrwert für das Unternehmen generieren. Im unternehmerischen Kontext geht es selbstverständlich immer auch um Leistung. Gesunde Führung bedeutet nicht, alle relaxen zu lassen oder nie eine Deadline vorzugeben. Stattdessen geht es um einen verantwortungsvollen Umgang mit den gegebenen Anforderungen. Zu berücksichtigen ist auch die organisationale Ebene. Wie ist die Organisation aufgebaut? Wie sehen die Strukturen aus? Ist es überhaupt möglich, mit der Anzahl an vorhandenen Mitarbeitenden die aufkommende Arbeit zu bewältigen? Alle drei Ebenen – Organisation, Führung und die Teams – wirken zusammen. Auch ein Mitarbeiter trägt die Verantwortung, sich zu fragen: Wie gehe ich individuell mit Stress um? Wie kann ich meine eigene Resilienz stärken? Wer z.B. überaus perfektionistisch ist, setzt sich womöglich selbst über das notwendige Maß hinaus unter Druck, ohne letztlich Ergebnisse zu liefern. Das kann krank machen.
Führungskräfte sollten sich grundsätzlich darüber klar werden, wofür sie stehen wollen, was ihnen wichtig ist und wie die daraus resultierenden Handlungen wirken. Das muss sich nicht nur auf die Arbeit beziehen, sondern kann auch das Leben im Allgemeinen betreffen. Es geht nämlich zunächst einmal darum, zu verstehen, was generell wichtige Werte für uns Menschen sind. Oft wird uns suggeriert, dass Status unglaublich wichtig und wertvoll sei. Für Einzelne mag das auch so sein. Der Gesundheit des Menschen zuträglich sind aber vor allem Werte wie soziales Miteinander, Verbundenheit, Selbstbestimmung oder das Gefühl, Handlungsspielraum zu haben. Auch Wertschätzung ist hilfreich, weil sie Stress puffern kann. Aus Studien wissen wir, dass Menschen entspannter und belastbarer werden, wenn sie Wertschätzung erfahren. Eine Führungskraft sollte sich aber nicht nur die Kappe der Wertschätzung aufsetzen, wenn sie auf der Arbeit erscheint. Vielmehr ist dies eine Frage der Haltung. Im Coaching starte ich gerne mit der Frage: „Warum sind Sie Führungskraft geworden?“ Sie bietet einen guten Einstieg in das Thema Werte. Dann gilt es natürlich zu reflektieren, ob das Leitbild des Unternehmens zu den Werten passt, an denen die Führungskraft ihre Arbeit ausrichten möchte.
Unbedingt. Menschen orientieren sich an Vorbildern – und zwar insbesondere innerhalb hierarchischer Strukturen. Mitarbeitende werden sich hinsichtlich ihrer Einschätzung des von ihnen erwünschten Verhaltens immer auch daran orientieren, was ihre Führungskraft vorlebt. Schreibt eine Führungskraft an den Wochenenden E-Mails, was in fast jedem Unternehmen vorkommt, hilft es wenig, wenn sie ihren Mitarbeitenden sagt oder dazu schreibt, dass sie am Wochenende keine Antworten erwartet. Das Handeln ist entscheidend und bestimmt den Subtext. Verabschiedet sich eine Führungskraft hingegen pünktlich zum Feierabend mit den Worten, „ich gehe noch zum Sport“, hat dies auch eine Vorbildfunktion, weil vorgelebt wird, sich Zeit für die eigenen Bedürfnisse zu nehmen. Eine Anekdote: Ich kenne ein Unternehmen, in dem ein Ruheraum eingerichtet worden ist. Den Mitarbeitenden wurde gesagt, sie sollten da ruhig mal reingehen – nicht um zu arbeiten, sondern um von Zeit zu Zeit abseits des Großraumbüros Ruhe zu finden. Der Raum blieb aber immer leer. Weshalb? Weil er nie von einer Führungskraft betreten wurde. Wenn es um gesunde Selbstführung geht, kann die Beeinflussung der Teams durch die Führungskräfte also in beide Richtungen gehen und negativ oder auch positiv ausfallen. Übrigens: Auch Coaches sollten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und z.B. die eigenen Werte aufgearbeitet haben sowie eine gesunde Selbstführung praktizieren, um in ihrer Arbeit authentisch an entsprechenden Themen arbeiten zu können.
Die meisten Führungskräfte, mit denen ich in Coachings oder auch Workshops arbeite, unterschätzen ihre Vorbildfunktion. Ihnen ist tatsächlich nicht bewusst, wie stark ihr Einfluss auf die Mitarbeitenden ausfällt. Spreche ich dies im Coaching an, heißt es oftmals: „Aber ich gebe doch ausdrücklich Raum für eigene Entscheidungen und erwarte nicht, dass am Wochenende gearbeitet wird.“ Dass es vor allem relevant ist, die kommunizierten Werte auch vorzuleben, ist dann für viele eine wichtige Erkenntnis. Daher geht es in den Coachings viel um Sensibilisierung durch Bewusstmachung und Selbstreflexion, die anhand von Rollen- und Perspektivwechseln erfolgt.
Dysfunktionale Glaubenssätze und Werte spielen – übrigens unabhängig vom Geschlecht – oft eine Rolle. Wer von der Gesellschaft, von Medien oder seinen Eltern gelernt hat, dass Leistung alles im Leben sei, und Erfolg nur über materielle Werte und Status definiert, wird wahnsinnig viel Energie investieren, um genau dies zu erreichen. Blickt man hinter solche Glaubenssätze, kommen in der Regel andere Motive zum Vorschein: z.B. das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung. Auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit kann sich in einem ungesund hohen Leistungsanspruch niederschlagen, weil die Person Angst hat, ausgeschlossen zu werden, wenn sie nicht die erwarteten Ergebnisse liefert. Gefördert werden Muster wie diese oftmals schon früh – beispielsweise dann, wenn ein Kind von der Schule kommt und erzählt, dass es eine Zwei geschrieben hat, und die Eltern entgegnen, dass es nächstes Mal eine Eins sein möge. Leistungsdenken ist nichts Schlechtes, aber es geht um das Maß.
Wenn eine Führungskraft nicht mehr frei entscheiden kann, ob sie am Wochenende arbeiten will oder nicht, weil sie sich so sehr getrieben fühlt, ist dies bedenklich. Die Führungskraft handelt dann nicht mehr frei und selbstbestimmt, sondern ist in ihren Glaubenssätzen oder in vermeintlich von außen an sie gerichteten Erwartungen gefangen. Im Coaching lohnt es sich, herauszufinden, was die Person antreibt. Um Befürchtungen zu hinterfragen, bietet es sich auch an, zu reflektieren, was denn schlimmstenfalls passiert, wenn etwa eine Deadline gerissen wird. Oftmals erwächst daraus große Freiheit, die mit reduzierter Anspannung und einem niedrigeren Stresslevel verbunden ist. Die Führungskräfte sind anschließend nicht weniger produktiv. Überhaupt nicht! Stattdessen sind sie beispielsweise besser in der Lage, auf Mikromanagement zu verzichten oder ihren Perfektionismus auf ein praktikables und verhältnismäßiges Niveau zu reduzieren. Sie verstehen, dass sie nicht ausschließlich an Leistung gemessen werden, sondern auch unabhängig davon – als Menschen – wertvoll sind. Im Sinne der gesunden und resilienten Führung kann sie dies zu besseren Führungskräften machen, weil sie den vorher verspürten, sehr starken Druck nicht mehr an die Mitarbeitenden weitergeben.
Ja. Wer gesund führt, hält auch den Marathon durch. Wer seine Antreiber kennt, überträgt sie nicht unreflektiert auf andere und stärkt seine Selbstregulationsfähigkeit, die einer der wichtigsten Resilienzfaktoren ist. Die Person ist nicht mehr von einem Reiz-Reaktions-Automatismus getrieben, sondern kann selbstbestimmt handeln und dadurch priorisieren, strukturieren und in schwierigen Situationen Ruhe ins Team bringen und diesem Orientierung geben, was ein wichtiger und originärer Teil der Führungsaufgabe ist.
Workshops zum Thema gesunde Führung finden eher präventiv statt. Bei den Coachings ist das Kind häufig schon zumindest halb in den Brunnen gefallen, wenn ich die Anfrage erhalte. Jedenfalls gibt es eine Not, wenn eine Führungskraft mich kontaktiert und sagt: „Ich brauche jetzt ein Coaching.“ Allerdings gibt es auch Unternehmen, in denen es zum Standard der Führungskräfteentwicklung gehört, dass sich Personen, die eine Führungsrolle antreten, im Rahmen eines Coachings mit sich selbst beschäftigen. Ich finde das großartig.
Auf jeden Fall. Anzumerken ist allerdings, dass überhaupt erst in den letzten Jahren eine echte Entwicklung stattgefunden hat. Zuletzt hat die Corona-Pandemie nochmals deutlich gezeigt, dass das Thema psychische Gesundheit im Arbeitskontext relevant ist. Als ich 2007/2008 – ich arbeitete noch als Ärztin an der Klinik – angefangen habe, mich in einer Arbeitsgruppe intensiver mit der Thematik zu befassen, gab es in den Unternehmen selten ein Bewusstsein für die Bedeutung psychischer und mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz. Sprach man mit Personalverantwortlichen und Führungskräften, hörte man noch Sätze wie: „Bei uns arbeiten vor allem Männer. Die haben es am Rücken und nicht an der Psyche.“ (lacht) Das wäre heute gar nicht mehr vorstellbar. Seither hat sich einiges getan und wir sind auf dem richtigen Weg. Die Bereitschaft, sich mit sich selbst zu beschäftigen, nimmt meiner Wahrnehmung nach immer mehr zu – auch bei Männern, die sich erfahrungsgemäß etwas schwerer damit tun, sich mit ihren Verletzlichkeiten auseinanderzusetzen. Geht ein Coach sensibel an entsprechende Themen heran, ist die Bereitschaft da.
Das Thema ist weiterhin relevant, wenngleich der Begriff seltener verwendet wird. Die Leute sagen nicht gerne: „Ich kann einfach nicht mehr.“ Das ist durchaus stigmatisiert. Daher kommen sie stattdessen ins Coaching, um z.B. eine „Lösung für den Umgang mit Stress“ zu finden. Insofern sind Begriffe wie Resilienzstärkung oder Förderung der Widerstandskraft dankbarer. Letztendlich geht es aber bei allen Coachings, die auf einen besseren Umgang mit Stress und Herausforderungen zielen, immer auch darum, keinen Burnout zu bekommen und in der Folge nicht krank zu werden. Burnout ist ein Risikofaktor für die Entwicklung von Depressionen, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen etc. Davor will Resilienzförderung schützen.
Die Menschen können sich aus eigener Kraft kaum noch erholen und erleben selbst dann, wenn sie im Urlaub sind, kein Gefühl von Regeneration. Ihre Leistungsfähigkeit sinkt – verbunden mit einem Gefühl von körperlicher und psychischer Erschöpfung. Nicht selten bedingen erlebte Frustration und Verbitterung zudem einen bösartigen Zynismus. Betroffene reißen sich oftmals lange zusammen und sind hochengagiert, bis sie an einen Punkt kommen, an dem es schlagartig nicht mehr geht. Hier kommt wieder die Führung ins Spiel, denn im beruflichen Kontext ist sie häufig der Auslöser, der das Fass letztlich überlaufen lässt. Beispielsweise dann, wenn man seine ganze Energie aufopferungsvoll in ein Projekt investiert hat, das dann in der Schublade des Chefs verschwindet. Weist jemand die genannten Merkmale auf, kann man ihn fragen: „Was würden Sie machen, wenn Sie wie durch ein Wunder plötzlich alle Energie zurückhätten?“ Von Burnout Betroffene werden häufig antworten: „Dann würde ich sofort wieder … machen oder … in Angriff nehmen.“ D.h., sie fühlen sich noch getrieben, ihnen fehlt nur die Energie für die Umsetzung. Jemand mit einer Depression würde hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass er gar nicht weiß, was er dann täte, weil er ohnehin an allem das Interesse verloren hat. Hier liegt eine Art Trennlinie zweier Zustände, die sich auf den ersten Blick sehr ähneln können.
Eindeutig. Es ist unbedingt festzuhalten, dass Arbeit nicht per se krank macht. Im Gegenteil: Sie kann ein nicht zu unterschätzender Schutzfaktor sein, indem sie soziale Eingebundenheit, finanzielle Absicherung, Anerkennung, Erfolg, Lernen, Entwicklung und Struktur ermöglicht. Wir wissen, dass Menschen, die ihre Arbeit verlieren, ein sehr viel höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben. Psychische Gesundheit und Resilienz brauchen immer eine Ausgewogenheit von Gegensätzen: Anspannung und Entspannung, Anregung und Erholung, Tun und Sein. Es ist auch nie nur die Führung allein schuld, wenn ein Teammitglied eine starke Belastung aufweist, aber selbstverständlich gibt es Untersuchungen, die klar belegen, dass Führungskräfte einen signifikanten Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden haben.
Menschen sind eine sehr widerstandsfähige Spezies, sonst gäbe es uns nicht mehr. Die grundsätzliche Fähigkeit, resilient zu sein und mit schwierigen Situationen umzugehen, hat uns die Natur mitgegeben. Das ist eine gute Nachricht, die wir in der Ausbildung auch vermitteln. Wenn wir an dieser Fähigkeit zusätzlich arbeiten, sie ausbauen und dadurch hilfreiche Ressourcen und Kompetenzen entwickeln, sind wir umso besser auf Herausforderungen vorbereitet und können unsere Widerstandsfähigkeit erhalten. Die Ausbildung soll dazu befähigen, andere hierin zu unterstützen. Wir wollen den Teilnehmenden das hierfür notwendige, wissenschaftlich fundierte Theoriewissen vermitteln, ihnen aber auch das praktische Handwerkszeug für die Anwendung an die Hand geben. Selbstverständlich lernen unsere Teilnehmenden im Rahmen der Selbsterfahrungsanteile auch, wie sie ihre eigene Resilienz stärken. Laut einer Untersuchung einer Krankenkasse schauen sehr viele Menschen fern, um Stress abzubauen. Andere greifen zu Alkohol. Das sind ungünstige Strategien. Dabei gibt es viele einfache und effektive Möglichkeiten der Stressregulation – soziale Kontakte, Optimismus, Sinn- und Werteorientierung etc. Auch dies war ein Grund, mit dem Angebot an den Markt zu gehen. Die Ausbildung habe ich zusammen mit Claudia Pusch konzipiert und wir führen sie auch zusammen durch. Das passt sehr gut, weil wir beide Vorerfahrungen im Thema haben und fachliche Hintergründe mitbringen, die sich gewinnbringend kombinieren lassen. Sie ist systemische Therapeutin und Coach. Ich komme aus der Verhaltenstherapie und arbeite ressourcenorientiert.
Das Feld ist breitgefächert. Es nehmen sowohl bereits ausgebildete Coaches, die sich im Bereich Resilienz weiterbilden und spezialisieren wollen, als auch Führungskräfte und Personalverantwortliche teil, die das erworbene Wissen in ihre Unternehmen tragen und dort als Multiplikatoren auftreten sollen. Ebenfalls haben wir Teilnehmende aus sozialen bzw. pädagogischen Berufen – etwa Sozialpädagoginnen und -pädagogen sowie Lehrkräfte. Es haben auch schon Piloten und Rechtsanwälte teilgenommen, die mehr darüber erfahren wollten, wie der Mensch funktioniert. Es sind also nicht alle Teilnehmenden als Coaches tätig. Für Personen, die noch keine Coaching-Ausbildung absolviert haben, aber Coach werden wollen, bieten wir – in einer Art Baukastensystem – weitere Bestandteile an. Systemisches Coaching und Aufstellungsarbeit kommen dann als Basiselemente hinzu, um auch die notwendigen Grundkompetenzen zu erwerben.
Das ergibt sich aus der Forschung. Resilienz verändert sich im Laufe des Lebens. Die Fähigkeit, trotz Stressoren psychisch gesund zu bleiben bzw. aus Krisen gestärkt hervorzugehen, ist keine starre Persönlichkeitseigenschaft. In unserem Fachbuch „Resilienz-Coaching“, das als Türöffner in die Thematik fungieren und deren Relevanz unterstreichen soll, behandeln Claudia Pusch und ich sechs Resilienzfaktoren. Einer davon ist der Optimismus, der einen großen Einfluss auf die Widerstandsfähigkeit hat. Antworten auf die Frage, wie sich Optimismus trainieren und stärken lässt, sind in der Literatur zur positiven Psychologie zu finden. Es geht hier nicht darum, sich die Welt zu machen, wie sie einem gefällt. Es ist nicht immer alles rosarot. Stattdessen bedeutet Optimismus in diesem Kontext, beide Seiten zu sehen – also auch die positive. Man könnte demnach auch von Zuversicht sprechen. Der Mensch hat einen Negativitäts-Bias. Er nimmt Negatives wie Gefahren und Bedrohungen stärker wahr als Positives. Das ist evolutionsbiologisch erklärbar. Manchmal denken wir am Ende eines Tages, dass alles schlecht war. Nüchtern betrachtet findet man aber neben den weniger schönen fast immer auch gute Aspekte. Richtet man sein Augenmerk auch bewusst auf das Positive, gibt dies Energie und Ressourcen, um überhaupt weit sehen zu können. Wer sich nur im Stress befindet und dauerhaft auf Schlechtes fokussiert, ist eingeengt und kann nicht lösungsorientiert handeln. Letzteres ist aber wichtig, denn auch die Lösungs- und Zukunftsorientierung wirkt stärkend.
Ein einfaches Beispiel sind Teammeetings. Richten Führungskräfte den Fokus nur auf das, was nicht gut gelaufen ist, oder rücken sie neben Defiziten auch Erfolge in den Blickpunkt? Und wie gewichten sie beide Seiten zeitlich? Führungskräfte sollten auch die erlebte Selbstwirksamkeit ihrer Teams im Blick haben. Selbstwirksamkeit als Resilienzfaktor bedeutet, dass die Führungskraft ihren Mitarbeitenden Leitplanken gibt, ihnen innerhalb dieses Handlungsrahmens aber auch Gestaltungsspielraum lässt und sie in ihrer Lösungsorientierung unterstützt, ohne Mikromanagement zu betreiben. Führungskräfte, die Verantwortung abgeben, unterstützen die Selbstwirksamkeit ihrer Teammitglieder.
Der Mensch und die Frage, wie er funktioniert bzw. wie er nicht funktioniert, haben mich schon immer interessiert, jedoch wollte ich mich – ich übertreibe jetzt etwas – nicht so gerne mit Kniegelenken, Lebern und Nieren befassen. (lacht) Ich fand es spannender, mich mit dem Gehirn, dem Sitz der Psyche des Menschen, auseinanderzusetzen. Ich hatte bereits ein Jahr lang Kommunikationswissenschaften studiert und wechselte dann zur Medizin. Es fiel mir allerdings schwer, mich zwischen Psychologie und Medizin zu entscheiden. Im Nachhinein bin ich froh, Medizin studiert und als Ärztin gearbeitet zu haben. Wenngleich ich nicht der Meinung bin, dass Coaches zwingend eine medizinische oder therapeutische Ausbildung brauchen, stellt die Medizin ein sehr gutes Fundament hinsichtlich dessen dar, was ich heute mache. Zu wissen und zu verstehen, was in jemandem passiert, der krank ist, hilft mir ungemein bei der Prävention.
Ich bin verhaltenstherapeutisch ausgerichtet und viele Strategien, die man im Coaching nutzt, stammen aus der Verhaltenstherapie, sodass es bereits eine methodische Nähe gab. Ich engagierte mich zudem in einer Arbeitsgruppe, die sich mit psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz befasste, das Thema beforschte und Workshops in Unternehmen und Behörden anbot. Die Thematik hat mich sehr interessiert und so hat sich alles Weitere nach und nach entwickelt.
Ja, das passierte. Workshops und Seminare können insbesondere zur Sensibilisierung für das Thema beitragen und Wissen vermitteln. Als Verhaltenstherapeutin war mir aber immer klar, wie viel mehr man im Einzel-Setting für das Individuum erreichen kann, sofern es motiviert ist und freiwillig erscheint. Daher war es nie mein Ziel, die Arbeit mit Einzelpersonen aufzugeben. Es kommt auch vor, dass Workshopteilnehmende später zu mir ins Coaching kommen, um auf individueller Ebene weiterzuarbeiten. Neben den Workshops und Coachings berate ich Unternehmen und Behörden hinsichtlich der Frage, welche Maßnahmen für sie sinnvoll sind. Es gibt viele Anbieter und Konzepte im Bereich gesunder Führung, aber nicht jede Maßnahme ist für jede Organisation geeignet. Hier kann man viel Geld verbrennen. Auch diese Tätigkeit bereitet mir großen Spaß.
Durchaus, allerdings ist meine Führungsrolle bei Kitchen2Soul, dem Unternehmen, das ich 2015 zusammen mit Katrin Große gründete, hier noch relevanter. In dieser Rolle ist mir nochmals sehr bewusst geworden, wie wichtig Selbstreflexion und Selbstregulation sind, um andere Menschen führen zu können. Ich merkte, dass ich es stark auf das Team übertrug, wenn ich gestresst war. Je nachdem, wie man in Stresssituationen reagiert, kann man sehr viel Ruhe oder auch Chaos ins Team bringen. Zum Glück hatte und habe ich Mitarbeitende, die mir Feedback geben und sagen können: „Wir merken, dass gerade irgendetwas nicht in Ordnung ist.“ Ich konnte das Feedback auch annehmen – zumindest nach einer gewissen Zeit. Feedback zu erhalten und anzunehmen, kann eine große Chance darstellen, positive Veränderungen anzugehen. Aus diesem Grund sind Beziehungen so wichtig – sowohl im Beruflichen als auch im Privaten. Man sagt, je höher Führungskräfte aufsteigen, desto weniger ehrliches Feedback bekommen sie. Der Selbstreflexion ist dies nicht förderlich.
Oftmals treffen Ärzte unüberlegte Aussagen, mit denen die Patienten dann alleine gelassen werden und dekompensieren. Sagt der Arzt etwa „Oh, das sieht schlecht aus!“, kann dies der Selbstwirksamkeitserwartung des Patienten schaden. Es fehlt einfach häufig an Wissen darüber, was Kommunikation bewirkt. Das war damals – die Tätigkeit habe ich während meiner Zeit in der Klinik aufgenommen – der Anlass, hier aktiv zu werden. Grundsätzlich sind Aspekte förderlich, die in jeder Art der Kommunikation und Beziehung angebracht sind: Interesse zeigen, den Patienten ernst nehmen, mit ihm auf Augenhöhe sprechen, ihm zuhören und nicht sofort ins Wort fallen. Ärzte unterbrechen ihre Patienten – da gibt es unterschiedliche Studien – nach etwa 14 Sekunden. Das ist der Wahnsinn und natürlich führt dies auf Patientenseite zu Unzufriedenheit. Es geht dabei um die Haltung, mit der dem Patienten begegnet wird. Trete ich als Halbgott in Weiß auf oder zeige ich Empathie und stelle Fragen, durch die der Patient sich wahr- und ernstgenommen fühlt? Das Menschliche geht leider oft ein Stück weit verloren, wobei die Studiengänge mittlerweile mehr Wert auf das Thema Kommunikation legen.
Ja, definitiv. Ärzte sollten zudem die Ressourcen ihrer Patienten stärken und nicht nur defizitär denken. Coaching-Wissen ist für Ärzte sehr hilfreich. Allein zu verstehen, wie man Patienten über Fragestellungen motivieren kann, ist sehr wertvoll. Das Thema Motivation spielt ja eine riesige Rolle bei der Behandlung. Man denke an die Veränderungsmotivation. Wenn ein Diabetiker Gewicht verlieren sollte, sagt mancher Arzt: „Sie müssen abnehmen.“ Super, das ist ja sehr motivierend. (lacht) Von Grundkompetenzen im Coaching, in motivierender Gesprächsführung und von Ressourcenorientierung können Ärzte nur profitieren und ich versuche, dies zu vermitteln. Nach meiner Zeit in der Klinik arbeitete ich als niedergelassene Psychiaterin in einer kassenärztlichen Praxis. Daher weiß ich, dass die Rahmenbedingungen nicht einfach sind. Wenn man einmal im Quartal 15 Minuten mit einem Patienten hat, ist das in der Psychiatrie sehr wenig. Das bedingt starken Druck. Mit dem Patienten gute Gespräche zu führen, wird – das gilt auch für andere Fachrichtungen – institutionell nicht gefördert. Dennoch kann ich die zur Verfügung stehende Zeit gut oder schlecht nutzen, den Patienten beispielsweise ressourcenorientiert in seiner Resilienz stärken oder defizitorientiert schwächen. Leider spielt Resilienzförderung in der ärztlichen Ausbildung keine nennenswerte Rolle, obwohl gerade kranke Menschen Wege finden müssen, mit ihrer Situation umzugehen. Auf den Impuls, hier schon mit wenig recht viel erreichen zu können, reagieren viele Ärzte – aber natürlich nicht alle – mit großem Interesse.