Konflikte im Joballtag werden in Coaching-Prozessen sehr häufig thematisiert. Unterschiedliche Aufträge resultieren daraus: So möchten Führungskräfte oft wissen, wie sie mit offenen oder schwelenden Konflikten im Team umgehen sollen. In diesem Fall geht es entweder darum, als neutrale Person zwischen zwei konfliktbelasteten Mitarbeitenden tätig zu werden, oder es soll besprochen werden, wie ein Konflikt, der das gesamte Team betrifft, gelöst werden kann. In anderen Fällen kommen Klientinnen und Klienten zum Coach, um sich fit zu machen, weil sie selbst in einem Konfliktgeschehen involviert sind.
Auf einen Blick
Dieser Beitrag konzentriert sich auf Konfliktfälle in Teams, die als hoch eskaliert bezeichnet werden. Merkmale eines hohen Eskalationsgrades sind:
Während in weniger stark eskalierten Konflikten die Kunst des lösungsorientierten Gesprächs und die Anwendung einer gewaltfreien Kommunikation meist helfen, um das angespannte Klima im Team wieder zu befrieden, ist deren Nutzen in hoch eskalierten Konflikten nicht mehr gegeben. Im Gegenteil: Die meist erfolglosen Gesprächs- und Moderationsversuche frustrieren die Beteiligten und gefühlt ist es anschließend schlimmer als vorher.
Anhand eines Praxisbeispiels soll gezeigt werden, wie im Coaching mit den zuständigen Führungskräften Strategien und Maßnahmen besprochen werden können, die recht schnell zur Deeskalation und Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit im Team führen. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der Coach in diesem Kontext – je nach Gesprächskonstellation bzw. Prozessschritt – zwischen den Rollen des Coachs, des Konfliktberaters und des Mediators bewegt.
In einer Bank hat ein Fusionsprozess stattgefunden. Sämtliche Abteilungen beider Banken wurden im Rahmen eines Neu-Strukturierungsprozesses zusammengelegt, verändert und zum Teil aufgelöst. Zwei Serviceabteilungen werden jedoch in der altbekannten Besetzung zunächst weitergeführt. Nach einiger Zeit fällt dem neuen Vorstand auf, dass eine Serviceabteilung auf wesentlich niedrigerem Leistungsniveau arbeitet als die andere.
Die HR-Abteilung bekommt den Auftrag, die Situation zu analysieren und es stellt sich heraus, dass dort seit vielen Jahren ungelöste Konflikte schwelen. Auf den ersten Blick scheint eine schwierige und bei allen unbeliebte Mitarbeiterin die Ursache zu sein.
Da weder der Abteilungsleiter noch der Teamleiter genaue Auskünfte über die Zusammenhänge zwischen der Low-Performance und den verdeckten Konflikten geben können, wird ein Konflikt-Coaching veranlasst, in dessen Rahmen der Coach auch als Mediator fungiert. Die Auftragsklärung erfolgt Top-Down, d.h., die ersten Gespräche führt der Coach mit dem Vorstand.
Der Versuch einer Konfliktanalyse scheitert, da weder der Vorstand noch die Personalleiterin wissen, was genau sich in der Serviceabteilung bisher abgespielt hat. Ein weiteres Gespräch mit dem Teamleiter ergibt, dass weder das Team noch er selbst Interesse an einem gemeinsamen Konfliktlösungsgespräch haben. Nach Lesart des Teamleiters und des Teams seien die Konfliktpunkte in der Natur der „schwierigen“ Kollegin verankert.
Zu Beginn eines Konfliktberatungsprozesses findet idealerweise die Auftragsklärung mit der zuständigen Führungskraft statt. Im Praxisbeispiel ist das der Vorstand der Bank. Aus Sicht des Coachs steht jetzt die Konfliktanalyse im Vordergrund. Außerdem berät der Coach die Führungskraft in Bezug auf ihr Führungsverhalten im Rahmen des Konfliktklärungsprozesses.
Anders als später in der Konfliktberatung bzw. Mediation ist der Coach im Auftragsklärungsgespräch mit der Führungskraft oder Geschäftsleitung nicht neutral, sondern bietet seine Expertise für die Planung des Konfliktberatungsprozesses an. Wie im Praxisbeispiel beschrieben, wird die Konfliktsituation analysiert und anschließend empfiehlt der Coach (z.B. anhand der Eskalationstreppe), mit welchem Beratungsformat oder in welcher Reihenfolge verschiedener Beratungsformate der Konfliktlösungsprozess gestartet wird.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die jeweilige Organisation die Verantwortung für den Konfliktklärungsprozess in der Hand der Führungskraft sieht. In den meisten Firmen und Organisationen ist das grundsätzlich gegeben und gehört zum kulturellen Selbst- und Führungsverständnis. Das bedeutet nicht, dass die Führungskraft die konkrete Lösung anbieten soll. Im Gegenteil, viele Führungskräfte möchten sich in der Sache ja gar nicht in das Konfliktgeschehen einmischen.
Gemeint ist eine Prozessverantwortung: Die Führungskraft sorgt dafür, dass der Gesprächsprozess wieder in Gang kommt oder fortgesetzt wird. Die Führungskraft fühlt sich weiterhin dafür verantwortlich, dass am Ende eine Lösung, d.h. eine Vereinbarung oder ein Ergebnis erarbeitet wird, das sie gemeinsam mit allen Beteiligten bespricht.
Viele Führungskräfte sind sich dieser Verantwortung nicht bewusst und im Falle hoch eskalierter Konflikte, wenn die Beteiligten keine Dialogbereitschaft mehr zeigen, sind sie verunsichert und wissen nicht, ob sie die Klärung trotzdem vorantreiben dürfen.
Da der Vorstand dringenden Handlungsbedarf sieht, ordnet er einen Konfliktlösungsprozess „von oben“ an. In einem gemeinsamen Gespräch mit dem Abteilungsleiter, der Personalleiterin und dem Coach wird eine Strategie besprochen, wie die Gesprächsbereitschaft, aber auch die Gesprächsnotwendigkeit, die als klare Erwartung seitens des Vorstands und des Abteilungsleiters formuliert wird, wieder hergestellt werden kann.
Der Coach nimmt in diesem Abschnitt eine beratende Rolle ein (siehe Auftragsklärungsdreieck). Aufgrund der Konfliktanalyse (s. Abb. Eskalationstreppe) hat er dem Vorstand empfohlen, keine Mediation zu beauftragen, sondern zunächst eine Konfliktklärung „von oben“ anzuweisen. Das Ziel ist, die Gesprächsbereitschaft wieder herzustellen, um dann erst in einem zweiten Schritt die gemeinsame Konfliktklärung im Rahmen einer Mediation anzubieten.
Im Rahmen der Auftragsklärung wird eine Steuerungsgruppe definiert, die gemeinsam mit dem Coach Ergebnisse unter Berücksichtigung der vereinbarten Schweigepflicht zurückspiegelt und die nächsten Schritte bespricht.
Die Steuerungsgruppe (bestehend aus dem Vorstand, der Personalleitung, der Abteilungsleiter und dem Coach) ist damit einverstanden, dass die Einzelgespräche vertraulich ablaufen und verschwiegen sind. Das erste Gespräch findet (in der Annahme, dass sie im Mittelpunkt des Konfliktgeschehens steht) mit der als schwierig beschriebenen Kollegin statt.
Sie berichtet von einem Vorfall, der viele Jahre zurückliegt. Sie habe nicht mehr zusehen wollen, wie einer der Kollegen jeden Freitag die Sektbestände des Vertriebs geplündert, zuerst alleine im Büro getrunken und anschließend die Kollegen eingeladen habe, sie mit ihm zu trinken.
Sie habe sich daraufhin beim Betriebsrat und bei der Personalabteilung beschwert. Der alkoholisierte Kollege sei entlassen und sie seitdem wie eine Verräterin vom Team behandelt worden. Sie habe sich ausgegrenzt und gemobbt gefühlt.
Der Coach geht in der Rolle des Mediators schrittweise vor. Nachdem es gelungen ist, die Gesprächsbereitschaft der hauptsächlich betroffenen Kollegin wieder herzustellen, will er versuchen, Teile des Teams in den gemeinsamen Dialog einzubeziehen. Er hofft, dass dadurch das ausgrenzende Verhalten des Teams nach und nach unterbrochen werden kann.
Im Verlauf des Einzelgesprächs hatte sich die betroffene Kollegin bereiterklärt, mit einer der Kolleginnen aus dem Team, die ihr weniger feindlich eingestellt erscheint, ein vom Coach moderiertes Mediationsgespräch zu führen. Im Verlauf dieser „Mini-Mediation“ werden Konfliktthemen benannt, die Hintergründe und Ursachen beleuchtet und Wünsche und Bedürfnisse für die gemeinsame Zusammenarbeit in der Zukunft besprochen.
Es gelingt, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und neue Motivation für einen Klärungsprozess zu finden, von dem nun beide Kolleginnen sagen, es würde sich lohnen, die relevanten Themen auch mit dem gesamten Team zu besprechen.
Einzelne Prozessschritte werden in die Steuerungsgruppe zurückgespiegelt, ohne die vereinbarte Schweigepflicht zu missachten. Die Steuerungsgruppe und v.a. die Führungsebene, die den Auftrag vergeben hat, wird aktiv in die Planung der nächsten Schritte mit einbezogen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die nächsten Klärungsschritte kraftvoll und überzeugungsstark von der Führungsebene gegenüber den betroffenen Konfliktparteien vertreten werden.
Es gilt, eine (noch) fehlende intrinsische Veränderungsmotivation der Betroffenen durch eine extrinsische Veränderungsmotivation seitens der Organisation zunächst zu ersetzen, mit dem Ziel, die aktuell dominierende Eskalationsmotivation in Richtung „Gemeinsam in den Abgrund“ auszuhebeln.
Die Gesprächsergebnisse werden in der Steuerungsgruppe besprochen und es wird gemeinsam entschieden, dass ein weiterer Versuch, das direkte Gespräch im Team wieder aufzugreifen, gestartet werden soll. Vorher vermittelt der Vorstand dem Abteilungsleiter und der Personalleitung seine Grundhaltung und seine Werte in Bezug auf Konfliktklärungsprozesse im Betrieb. Er erklärt, er lege Wert darauf, dass Führungskräfte Konflikte nicht verleugnen, sondern aktiv darauf hinwirken, strittige Punkte im direkten Miteinander zu besprechen. Er erklärt weiterhin, dass er einen direkten Zusammenhang zwischen den ungelösten Konflikten und der verminderten Leistungsfähigkeit in der betroffenen Serviceabteilung erkenne.
Im Gespräch mit dem Abteilungsleiter macht er deutlich, dass er dessen Leistungsfähigkeit daran misst, inwiefern es ihm gelingt, den Klärungsprozess voranzutreiben. Dieser Machteingriff von oben erweist sich im weiteren Prozess als sehr wirksam. Der Abteilungsleiter erklärt daraufhin in einem Gespräch mit dem Teamleiter, dass er von ihm eine pro-aktive Rolle im Konfliktklärungsprozess erwarte. Er spricht offen an, dass er mit dem bisherigen Führungsverhalten unzufrieden sei und den Teamleiter in der direkten Verantwortung sehe, den Lösungsprozess voranzutreiben.
In einigen Fällen kann es hilfreich sein, dass die Führungskraft in der Steuerungsgruppe zusätzlich gecoacht wird. Es ist sorgsam zu entscheiden, ob für dieses Konflikt-Coaching ein weiterer Coach zum Einsatz kommt. Handelt es sich um ein einmaliges Coaching-Gespräch, kann die aktuell agierende Coaching- bzw. Mediationsperson tätig werden. Im Falle eines länger andauernden Coaching-Prozesses sollte ein weiterer Coach beauftragt werden, damit es auf Seiten des Beratungssystems nicht zu Rollenkonfusionen kommt.
Währenddessen verläuft das Gespräch zwischen den beiden Kolleginnen positiv. Es gelingt, Gesprächsregeln im Umgang miteinander festzulegen. Nun wird der Teamleiter mit einbezogen. Er setzt sich mittlerweile aktiv für einen gemeinsamen Klärungsprozess mit dem gesamten Team ein.
Im Anschluss an ein kurzes erneutes Auftragsklärungsgespräch mit dem Coach und ein Mitarbeitergespräch mit der ehemals unbeliebten Kollegin ordnet er einen Konfliktklärungsprozess mit dem gesamten Team an. Es gelingt, gemeinsame Regeln für die zukünftige Zusammenarbeit festzulegen.
Die Stimmung verbessert sich und die Arbeitsfähigkeit scheint zunächst wieder hergestellt zu sein. Die Kollegin kann wieder integriert werden und auch im Rahmen einer Follow-Up-Sitzung ein halbes Jahr später bleibt die konstruktive Stimmung stabil.
Der Konfliktklärungsprozess ist erfolgreich verlaufen. Trotzdem ist vor allem im Vergleich mit dem parallel arbeitenden Service-Team spürbar, dass die Team-Atmosphäre distanziert bleibt. Man arbeitet zusammen und achtet darauf, sich persönlich nicht zu nahe zu kommen. Der Vorstand entscheidet daher ein Jahr später, die beiden Service-Teams zusammenzulegen und durch eine weitere Teamentwicklung begleiten zu lassen.
Anhand eines Praxisbeispiels wurde gezeigt, dass in hoch eskalierten Konfliktsituationen die unmittelbare Mediation mit allen Beteiligten oft nicht durchführbar ist. Stattdessen können Coaches gemeinsam mit den verantwortlichen Führungskräften einen Top-Down-Beratungsprozess initiieren.
Hierbei schlüpfen sie situativ, d.h. im Rahmen der konkreten Konfliktbearbeitung, auch in die Rolle des Mediators sowie des Konfliktberaters. Rollenklarheit ist dabei stets erforderlich.
Ausgehend von einer Steuerungsgruppe wird Schritt für Schritt die Gesprächsbereitschaft mit ausgewählten beteiligten Personen wieder hergestellt, um anschließend den Konfliktklärungsprozess von oben anzuweisen. Eine abschließende Teamentwicklung gewährleistet, dass gemeinsam erarbeitete Regeln der Zusammenarbeit den erneuten destruktiven Konfliktfall verhindern.
In hoch eskalierten Konflikten habe ich als Mediatorin bzw. Coach oft beobachtet, dass sich die beteiligten Personen sehr destruktiv im Miteinander verhalten. Da werden bewusst falsche Informationen verbreitet, die dem Ruf von Kolleginnen und Kollegen schaden.
Es wird spioniert, manchmal auch betrogen und sogar Diebstahl bis hin zur Androhung physischer Gewalt habe ich als neutrale Konfliktberaterin beobachten müssen. Oft habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass sich solche fast schon kriminellen Dynamiken entwickeln können.
Mittlerweile erkläre ich es mir folgendermaßen: Der hohe Eskalationsgrad zerstört das Beziehungsband zwischen den Beteiligten dergestalt, dass der andere Konfliktpartner unbewusst nicht mehr als dem eigenen sozialen System zugehörig beobachtet wird. Einfach ausgedrückt, ist das Konflikt-Gegenüber nicht mehr „in group“, sondern „out group“.
Aus der Perspektive der Empathieforschung (Meiss, 2018) ist bekannt, dass eine fehlende Zugehörigkeit freien Lauf für missachtendes und manchmal auch gewalttätiges Verhalten lässt. Der Kollege erscheint mir unbewusst als Feind und „darf“ aus der feindlichen Perspektive auch legitim bekämpft werden. Moralische Bedenken treten in den Hintergrund. Wahrscheinlich entwickelt jeder in hoch eskalierten Konfliktsituationen die Bereitschaft, sein Gegenüber anzugreifen und zu demontieren. Psychologische Sozialexperimente wie z.B. das Milgram-Experiment haben ähnliche Dynamiken schon frühzeitig herausgearbeitet.
Für Führungskräfte und Unternehmen lässt sich daraus eine wichtige Verantwortung ableiten: Die Verantwortung, Konfliktbeteiligte immer wieder miteinander in Kontakt zu bringen, um die Basis einer gelungenen Konfliktklärung nicht zu verlieren. In hoch eskalierten Konfliktsituationen heißt das oft: Menschen auch dann miteinander ins Gespräch bringen, wenn sie zunächst nicht von sich aus dazu motiviert sind.