Wie kann „ein geschickter Umgang mit Geschickten“ aussehen? Mit dieser von Andreas Steinhübel im Podcast „Business-Coaching and more“ (Rauen & Steinhübel, 2021) aufgeworfenen Frage wird sich früher oder später wohl jeder im arbeitsweltlichen Kontext tätige Coach befassen müssen. So ist Dr. Christopher Rauen (ebd.) der Auffassung, die Idealvorstellung, dass jede Klientin und jeder Klient absolut freiwillig ins Coaching komme, sei eine Illusion. Nicht selten handle es sich eher um die Freiwilligkeit eines Menschen, der zwar die Wahl zwischen A und B habe, aber genau wisse: Würde er die Option B wählen, bekäme er ein Problem.
Dies mag potenziell immer dann der Fall sein, wenn der Person, die das Coaching aufsucht, vonseiten des Unternehmens – z.B. von Vorgesetzten oder der Personalabteilung – aufgrund von Defiziten nahegelegt wurde, sich an einen Coach zu wenden. Gründe hierfür können z.B. mangelhafte Leistungen, fehlende Führungsqualitäten oder auch ein inadäquates Verhalten gegenüber Kolleginnen und Kollegen bzw. Mitarbeitenden sein. Wer in Betracht zieht, das „verordnete“ Coaching trotz einer kritischen Beurteilung abzulehnen, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst fragen, mit welchen negativen Konsequenzen seine Ablehnung verbunden sein könnte: Drohen ein schlechteres Ansehen im Unternehmen, verbaute Aufstiegschancen oder gar der Jobverlust? Wahlfreiheit ist dann zwar grundsätzlich gegeben. Der Schritt, sie uneingeschränkt wahrzunehmen und „Nein“ zu sagen, kann jedoch aufgrund der befürchteten oder tatsächlich drohenden Sanktionen erschwert sein. Letztlich finden so auch Personen den Weg ins Coaching, die bei sich eigentlich gar keinen Entwicklungsbedarf sehen, nicht glauben, etwas an sich verändern zu können (bzw. es auch nicht wollen), oder generell nichts von Coaching halten.
Auf einen Blick
Weshalb gilt Freiwilligkeit als wichtige Voraussetzung erfolgreichen Coachings? Eine Antwort auf diese Frage ist z.B. in den Ergebnissen der „Greatest Ever Executive Coaching Outcome Study“ (de Haan & Mannhardt, 2014) zu finden. Demnach hängt die Belastbarkeit und Güte einer Coach-Klient-Beziehung, die ein wesentlicher Wirkfaktor im Coaching ist, stark vom Selbstwirksamkeitsempfinden der Klientinnen und Klienten und damit von ihrer Überzeugung ab, durch eigenes Handeln etwas bewirken zu können. Wie stark diese Überzeugung ausfällt, scheint wiederum mit dem Faktor Freiwilligkeit in Zusammenhang zu stehen, so geben de Haan und Mannhardt (2014, S. 38) zu bedenken: „Diese Selbstwirksamkeit scheint besonders gefährdet zu sein, wenn Führungskräfte nicht freiwillig zum Coaching kommen, sondern geschickt werden.“
Coaching kann nur funktionieren, wenn die Klientinnen und Klienten sich aktiv in den Prozess einbringen, die erforderliche Veränderungsbereitschaft zeigen und gewillt sind, sich gegenüber dem Coach in dem Maße zu öffnen, wie es die Bearbeitung des anvisierten Ziels erfordert. Wer nicht aus freien Stücken im Coaching ist, wird diese Voraussetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht oder nicht in ausreichendem Maß erfüllen. Ist das Coaching dann vonseiten des Coachs abzulehnen? Nicht unbedingt. Vollumfängliche Freiwilligkeit immer als absolutes Kriterium vorauszusetzen, sei unrealistisch, erklärt Rauen (Rauen & Steinhübel, 2021). Die schwierige Aufgabe eines Coachs bestehe hingegen mitunter darin, umfängliche Freiwilligkeit im Laufe des Prozesses erst herzustellen. Doch wie kann dies gelingen?
Im Coaching bzw. in dessen Vorfeld können Coaches beim Selbstwirksamkeitsempfinden der Geschickten ansetzen. Gelingt es, die Überzeugung zu stärken, dass die Person die notwendigen Voraussetzungen mitbringt, mittels eines Coachings einen (auch aus eigener Sicht) positiven Entwicklungseffekt zu erzielen, kann dies dazu beitragen, sich der Zusammenarbeit zu öffnen.
Hierbei kann zunächst erörtert werden, inwiefern die von Unternehmensseite vorgegebenen Entwicklungsziele mit Anliegen, Bedürfnissen, Motiven oder Wünschen der ins Coaching geschickten Person vereinbar sind. Denkbar ist, dass dabei die Technik des Reframings zum Einsatz kommen kann, sodass ein Ziel umformuliert wird und damit Motive der Klientin bzw. des Klienten besser anspricht (siehe hierzu Kehr & Strasser, 2012).
Lassen sich Überschneidungen und Anknüpfungspunkte erkennen, kann vorausblickend reflektiert werden, welche Auswirkungen die Ziele – sollten sie erreicht werden – auf die Zukunft der Klientin bzw. des Klienten hätten. Weshalb? Aus Rauen und Steinhübel (2023) geht hervor, dass angestrebter Veränderung im Optimalfall ein positives Szenario zugrunde liegt. Lediglich etwas Negatives vermeiden zu wollen, reiche hingegen nicht aus.
Entsteht im Coaching ein für die gecoachte Person positiv konnotiertes Zielbild, kann dies – so eine naheliegende Folgerung – dazu führen, dass ein Sinn im und damit ein intrinsisches Interesse an der Entwicklungsarbeit im Coaching erkannt und die Veränderungsbereitschaft gestärkt wird. Heller (o. D. a) weist im Zusammenhang mit der Stärkung von Selbstwirksamkeit auf die Bedeutung (positiver und attraktiver) Annäherungsziele hin, die bei Verwirklichung eine „Positivspirale“ in Gang setzen können.
Schermuly (2019, S. 47) führt unter Verweis auf Klonek & Kauffeld (2012) an, dass Coaches die Veränderungsmotivation z.B. durch „die Erarbeitung von lohnenswerten Änderungszielen oder durch Techniken des Motivational Interviewing“ fördern können. Motivational Interviewing stellt nach Klonek & Kauffeld (2012) „ein vielversprechendes Instrument zur Initiierung und Begleitung von Veränderungsprozessen dar“. Die klientenzentrierte Gesprächsmethode wurde für die Arbeit mit Menschen entwickelt, die wenig Motivation mitbringen, Veränderungen zu realisieren. Die Anwendung soll zu veränderungsbezogenen Äußerungen anregen, die Veränderungsmotivation erhöhen und anschließend zur Festigung von Umsetzungsplänen beitragen. Aus wissenschaftlichen Befunden der klinischen Psychologie gehe hervor, dass die Methode mittels „veränderungsbezogener Klientenansprache“ Veränderungen katalysieren könne. (ebd.)
Coaching-Tool
Bezüglich des Findens und Formulierens motivationsförderlicher Ziele im Coaching sei das Tool 3K-Modell der Arbeitsmotivation (Kehr & Strasser, 2012) zur Lektüre empfohlen.
Im Rahmen einer Fallstudie, in der Coaching als Implementierungsmaßnahme zur Änderung der Führungskultur in einem Unternehmen großflächig „verordnet“ wurde, beschreiben Reissmann und Fischer-Epe (2009), dass die eingesetzten Coaches explizit dazu angehalten wurden, sowohl ressourcenorientiert zu arbeiten als auch Potenziale der Gecoachten zu fördern. Sicher ist dies in einem Coaching generell sinnvoll. Umso mehr mag dies der Fall sein, wenn die Freiwilligkeit der Teilnahme aufgrund fehlender Selbstwirksamkeit infrage steht. So ist naheliegend, dass der Blick auf Ressourcen das Selbstwirksamkeitsempfinden zusätzlich stärken kann. Die Erklärung steckt bereits in folgender Definition (Mauritz, 2021): Demnach geht es um „die eigenen Erwartungen, Anforderungen und Hindernisse mit den vorhandenen Ressourcen selbst zu bewältigen.“ Studien haben zudem gezeigt, dass z.B. eigene Erfolgserlebnisse oder verbale Ermutigung dazu geeignet sind, die Selbstwirksamkeit einer Person zu begünstigen (nach Heller, o. D. a).
Daraus kann gefolgert werden: Gelingt es, Fähigkeiten, Kompetenzen, Potenziale und bisherige Erfolge, die dafür sprechen, dass die gesteckten (möglichst positiv konnotierten) Ziele erreichbar sind, ausfindig zu machen und sie der gecoachten Person gezielt vor Augen zu führen, könnte dies die Bereitschaft erhöhen, sich aktiv ins Coaching einzubringen.
Zu bedenken ist dabei, dass die hier genannten Schritte bereits erste Reflexionen beinhalten, die nur erfolgen können, wenn grundlegendes Vertrauen zwischen Klient/in und Coach hergestellt ist. So hält Häck (2016) fest: „Wer nicht vertraut, der wird sich auch nicht auf einen Prozess einlassen und geht in Verweigerungshaltung.“ Werde einer Führungskraft ein Coaching verordnet, gibt Häck (ebd.) kritisch zu bedenken, seien Skepsis und Distanz gegenüber dem Coach zu erwarten. Es bestehe zudem die Möglichkeit, dass auf Klientenseite Vermutungen hinsichtlich des Auftrags entstehen, den der Coach vom beauftragenden Unternehmen erhalten hat.
Die Herausforderung, Vertrauen grundlegend zu etablieren – u.a. durch Aufklärung hinsichtlich der zu gewährenden Vertraulichkeit und Transparenz hinsichtlich der Ziele des Unternehmens –, muss somit am Anfang gemeistert werden. Vertrauen herzustellen und im Prozessverlauf aufrechtzuerhalten, ist sowohl professionelle Notwendigkeit jedes Coachings als auch eine anspruchsvolle und von Coaches nicht zu unterschätzende Aufgabe, wie aus Schwertl (2021a & 2021b) hervorgeht. Demnach ist Vertrauen ein „fragiles Gebilde“. Dies dürfte noch stärker der Fall sein, wenn eine Person das Coaching nicht aus gänzlich freien Stücken aufsucht, sondern bereits mit generellen Vorbehalten erscheint. Coaches sollten der ohnehin zentralen Beziehungsarbeit in solchen Fällen umso mehr Beachtung schenken und Fehler vermeiden, die Vertrauen beschädigen können (siehe zum Thema Vertrauen im Coaching weiterführend: ebd.).
Angemerkt sei, dass Transparenz auch deshalb wichtig ist, da Klientinnen und Klienten die Situation, in der sie sich befinden, überblicken können sollten. Heller (o. D. b) erläutert, dass das Verstehen der jeweiligen Herausforderung, vor der eine Person steht, eine von drei Komponenten eines Kohärenzgefühls darstellt. Hinzukommen die Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit der Herausforderung als weitere Komponenten. Zwischen dem Kohärenzgefühl und Selbstwirksamkeit besteht ein direkter Zusammenhang (ebd.).
Wer aufgrund einer negativen Beurteilung ins Coaching kommt, stehe nicht selten erheblich unter Druck, gibt Rauen (Rauen & Steinhübel, 2021) zu bedenken. Was daraus gefolgert werden kann, liegt auf der Hand: Übt ein Coach noch mehr Druck aus, indem er z.B. auf mögliche Sanktionen, zu denen der Arbeitgeber der geschickten Person greifen könnte, oder auf (vermeintliche) Defizite seines Gegenübers fokussiert (statt auf ein positiv konnotiertes Zielbild, bisherige Erfolge etc.), dürfte er sich einen Bärendienst erweisen. Dies wäre nämlich nur schwer mit der zuvor angesprochenen Förderung des Selbstwirksamkeitsempfindens und der dafür wichtigen Ressourcenorientierung vereinbar.
Wer sich trotz anfänglicher Zweifel auf ein Coaching einlässt, könnte besonders schnell wieder zu demotivieren sein. Umso angebrachter mag es sein, zunächst kleine und im Erfolgsfall dann weitere Ziele, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch verwirklicht werden können, anzuvisieren und zu ambitionierte Ziele zu vermeiden, da aus ihnen Misserfolge resultieren können. Misserfolge wiederum können das Problemerleben verfestigen (vgl. Ebermann, 2022) und in einem subjektiv erlebten „Fähigkeitsdefizit“ (Kehr & Strasser, 2012) münden, was wenig motivationsfördernd wirken dürfte. In Rauen und Steinhübel (2023, S. 57) wird darauf verwiesen, dass es im Kontext von Veränderungsvorhaben motivationsfördernd sein kann, sich statt besonders ehrgeiziger Ziele realistische Etappen vorzunehmen: „Es werden schnell kleine sichtbare Erfolge erreicht, die positive Erfahrungen schaffen und dazu motivieren, nach einer erfolgten Stabilisierung die nächsten Ziele anzugehen.“
Kommt eine Person nicht gänzlich freiwillig ins Coaching, kann der Coach versuchen, die für eine potenziell erfolgreiche Begleitung erforderlichen Voraussetzungen im Prozess sukzessive herzustellen. Neben der zentralen Beziehungsarbeit kann der Coach hierbei insbesondere auf die Stärkung des Selbstwirksamkeitsempfindens der Klientin bzw. des Klienten zielen. Gelingt dies und entsteht eine echte Veränderungsbereitschaft, ist der Weg geebnet. Sicher sollten Coaches bei aller sinnvollen Motivationsförderung immer penibel darauf achten, nicht ins Manipulative abzudriften bzw. vom Gegenüber als manipulativ wahrgenommen zu werden, um die Beziehungsarbeit nicht zu konterkarieren.
Ist es nicht möglich, die Veränderungsbereitschaft ausreichend zu fördern, bleibt es fraglich, ob es sinnvoll ist, das Coaching durchzuführen. Nach Forschungsergebnissen von Schermuly (2019) kann eine zu gering ausgeprägte Veränderungsmotivation auf Klientenseite und damit eine geringe Motivation, Aufwand in einen Coaching-Prozess zu stecken, Coaching-Abbrüche begünstigen. Schermuly (ebd., S. 47) empfiehlt in diesem Zusammenhang: „Coaches sollten frühzeitig die Veränderungsmotivation des Klienten diagnostizieren und, wenn notwendig, entsprechend fördern.“
Letztlich ist die Frage, unter welchen Umständen ein Coaching keinen Sinn ergibt, immer auch eine individuelle, die Coaches für sich selbst beantworten müssen. So weist Steinhübel (Rauen & Steinhübel, 2021) im Zusammenhang mit ins Coaching Geschickten darauf hin, dass Coaches immer genau schauen, für sich klar definieren und ebenso klar kommunizieren können sollten, was sie selber für die eigene Arbeitsfähigkeit benötigen.