Klienten in Psychotherapien und Coachings brechen immer wieder die Zusammenarbeit mit ihren Psychotherapeuten und Coaches ab. Während für den psychotherapeutischen Kontext bereits Metaanalysen zu dieser Thematik existieren (z.B. Wierzbicki & Pekarik, 1993), sind Coaching-Abbrüche weitestgehend unerforscht geblieben. Doch Coaching-Abbrüche können für Coaches, Klienten und Organisationen unangenehme Konsequenzen haben. Coaches erleiden durch Coaching-Abbrüche unter Umständen Verdienstausfälle und können sich in ihrem beruflichen Selbstwert angegriffen fühlen. Klienten verzichten durch einen Abbruch auf eine Bearbeitung ihrer Ziele und die vielen positiven Konsequenzen, die abgeschlossene Coachings haben können (siehe dafür z.B. die Metaanalyse von Theeboom et al., 2013). Organisationen müssen durch einen Abbruch auf den Return on Investment ihrer bisher getätigten Coaching-Investitionen verzichten.
Da das Thema bisher nicht erforscht wurde und eine hohe praktische Relevanz zu besitzen scheint, wurden Coaching-Abbrüche und deren Ursachen in zwei Studien untersucht. In der ersten Studie wurden mögliche Ursachen qualitativ exploriert. In der zweiten Studie wurde die Verbreitung von Abbrüchen und deren Ursachen quantitativ erhoben und abgebrochene Coachings mit nicht abgebrochenen Coachings verglichen. Die Ergebnisse wurden in der von der amerikanischen Psychologenvereinigung herausgegebenen Zeitschrift „Consulting Psychology Journal: Practice and Research“ veröffentlicht (Schermuly, 2018) und sollen in diesem Artikel für ein deutsches Publikum zusammengefasst dargestellt werden.
Die Erschließung eines neuen Forschungsfelds macht es im ersten Schritt notwendig, dieses zu definieren, was im Folgenden getan werden soll. Arbeiten Klienten mit einem Coach zusammen, dann schließen sie in der Regel zwei Arten von Verträgen ab (Rauen, 2008). Im psychologischen Vertrag wird festgelegt, welche Ziele im Coaching erreicht werden sollen. Der förmliche Vertrag definiert u.a. die Anzahl der vereinbarten Coaching-Sitzungen. Ein Abbruch liegt nur vor, wenn beide Verträge nicht eingehalten werden (siehe Tabelle 1).
Werden die vereinbarten Ziele in der vereinbarten Anzahl von Sitzungen erreicht, dann ist das Coaching erfolgreich (Erfolg I). Kommt es zu keiner Zielerreichung innerhalb der vereinbarten Coaching-Sitzungen, dann kann das Coaching als Misserfolg bezeichnet werden. Werden die Ziele in weniger als den vereinbarten Sitzungen erreicht, dann handelt es sich um ein besonders zeiteffizientes Coaching (Erfolg II). Die verbliebenen Sitzungen können für andere Ziele genutzt werden oder der Klient verzichtet auf weitere Sitzungen, was aber nicht als Abbruch zu werten ist. Bei einem Coaching-Abbruch handelt es sich um die vorzeitige Beendigung eines Coachings durch einen Klienten, bevor die vereinbarten Ziele und die vereinbarte Anzahl an Sitzungen erreicht wurden.
An der ersten Studie nahmen 30 Coaches online teil. Diese bekamen die Abbruchdefinition präsentiert, bevor sie zu ihren Abbrucherfahrungen befragt wurden. Die Mehrheit hatte bereits einen Coaching-Abbruch erlebt (19 Coaches = 63,3 Prozent). Die Coaches, die Abbrucherfahrungen gesammelt hatten, gaben an, dass durchschnittlich 3,6 Prozent der Coachings in ihrer Karriere abgebrochen wurden. An der zweiten Studie nahmen 115 Coaches teil. Hier hatten 66 Coaches (57,4 Prozent) bereits ein abgebrochenes Coaching erlebt. Coaches mit Abbrucherfahrung gaben an, dass bisher 6,1 Prozent der von ihnen durchgeführten Coachings im Durchschnitt abgebrochen wurden. Ein Vergleich mit Psychotherapien zeigt, dass Coachings deutlich seltener abgebrochen werden. Bei Swift und Greenberg (2012) findet sich eine Abbruchrate von 19,7 Prozent; bei Fernandez et al. (2015) sind es sogar 26,2 Prozent der Psychotherapien. Die Coaches wurden weiterhin gefragt, was sie glauben, wie viele Coachings im deutschsprachigen Raum durchschnittlich abgebrochen werden. Wertet man diese Frage aus, so liegen die geschätzten Abbruchquoten auf dem Niveau von Psychotherapien. Die Coaches mit Abbrucherfahrungen denken, dass 20,5 Prozent der Coachings im deutschsprachigen Raum abgebrochen werden (ohne Abbrucherfahrung: 16,7 Prozent). Die Coaches gehen somit davon aus, dass vor allem die Coachings der Kollegen und Kolleginnen abgebrochen werden.
Die Coachings in Studie 2 wurden durchschnittlich nach 7,5 Zeitstunden abgebrochen. Vorgesehen waren durchschnittlich 14,6 Zeitstunden. Demnach besteht eine höhere Gefahr für einen Abbruch nach durchschnittlich der Hälfte der vereinbarten Coaching-Stunden. Dies deckt sich gut mit psychologischer Forschung (siehe z.B. Bonezzi et al., 2011), die zeigt, dass Menschen eher in mittleren Phasen den Weg zu einer Zielerreichung abbrechen. Nach der Hälfte der Sitzung haben die Klienten ihre Coaches und das Format Coaching kennengelernt und die Intensität der Themen nimmt zu. Die Klienten können, wenn sie zu diesem Zeitpunkt aussteigen, noch Zeit und unter Umständen Geld sparen sowie bedrohliche Themen vermeiden.
Die erste Studie war qualitativ orientiert. Die Coaches wurden offen befragt, welche Ursachen sie für den Coaching-Abbruch wahrgenommen haben und welche anderen Ursachen sie sich für Abbrüche vorstellen könnten. Die genannten Gründe wurden für die zweite Studie in Kategorien zusammengefasst und in einen neuen Onlinefragebogen überführt. Die Coaches, die über Abbrucherfahrungen verfügten, wurden gebeten einzuschätzen, inwieweit die Ursachen beim letzten abgebrochenen Coaching zutreffend waren. Dafür wurde eine Skala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) genutzt. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 dargestellt.
Die stärkste Zustimmung bekam die Ursache, dass der Klient im Coaching mit Problemen konfrontiert wurde, die er oder sie nicht bearbeiten wollte. Einen hohen Wert erreichte auch eine zu gering ausgeprägte Veränderungsmotivation der Klienten. Coaching ist ein wirksames Instrument, das bei Klienten Reaktionen auslösen kann, die zu einem Abbruch führen können. In Studien zu unerwünschten Nebenwirkungen von Coaching (z.B. Schermuly et al., 2014) landet das Anstoßen von tiefergehenden Problemen im Coaching, die als unangenehm empfunden werden, auf den vorderen Plätzen der Auftrittshäufigkeit. Offensichtlich scheinen Klienten solche Effekte als Anlass zu nehmen, das Coaching abzubrechen. Bei der Veränderungsmotivation handelt es sich um die Bereitschaft der Klienten, Kraft und Zeit in den durch das Coaching ausgelösten Änderungsprozess einzubringen. Klienten übernehmen Verantwortung für ihren Entwicklungsprozess sowie den Transfer in die Praxis und besitzen Motivation, etwaige Hindernisse auf diesem Weg zu überwinden (Schermuly, 2019). Coachings führen zu Änderungen und der Coaching-Abbruch entbindet die Klienten kurzfristig davon. Ein Coach aus Studie 1 fasste die Situation wie folgt zusammen: „[Der Klient hatte] wenig Bereitschaft, sich mit notwendigen Verhaltensänderungen auseinanderzusetzen; es muss alles so bleiben, wie es ist.“ Coaches sollten frühzeitig die Veränderungsmotivation des Klienten diagnostizieren und, wenn notwendig, entsprechend fördern. Das kann durch die direkte Ansprache des Themas und z.B. durch die Erarbeitung von lohnenswerten Änderungszielen oder durch Techniken des Motivational Interviewing gelingen (Klonek & Kauffeld, 2012).
Mit etwas Abstand folgen nicht erfüllte Erwartungen, zu geringe Selbstmanagementfähigkeiten und zu viele Nebenwirkungen des Coachings. Coaches sollten demnach, um Coaching-Abbrüche zu vermeiden, Erwartungsmanagement am Anfang des Coachings betreiben und darauf achten, dass Klienten ausreichende Selbstmanagementfähigkeiten besitzen. Auch dafür bietet sich eine ausführliche Diagnostik bezüglich dieser Aspekte am Anfang des Coachings an (siehe als Unterstützung z.B. Möller & Kotte, 2016). Wenn die Erwartungen des Klienten nicht zum Coaching passen oder die Selbstmanagementfähigkeiten zu gering sind, dann kann es sinnvoll sein, einen Coaching-Auftrag nicht anzunehmen. Eine nicht ausführliche Diagnostikphase, aber auch falsche Erwartungen sind u.a. ebenfalls Gründe für negative Nebenwirkungen im Coaching (Schermuly et al., 2014).
Häufiger wurde auch der Grund wahrgenommen, dass Coaching das falsche Format für die Anliegen der Klienten gewesen sei. In Studie 1 wurde z.B. berichtet „Coaching war falsches Format, Coachee brauchte Therapeut“ oder „Sehnsucht nach psychotherapeutischem Vorgehen, Coaching nur als Alibi“. Die Frage stellt sich, warum diese Coaching-Prozesse überhaupt begonnen wurden. Manchmal sind es aber auch profanere Gründe, die einen Abbruch auslösen. Klienten haben zu wenig Zeit für ein Coaching, das Coaching wird den Klienten zu teuer oder die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz veränderten sich so stark, dass kein Coaching mehr notwendig ist. Wenn z.B. eine Führungskraft nicht länger Führungskraft ist, dann schwindet auch die Bereitschaft der Organisation, in ein Führungskräfte-Coaching zu investieren.
In Studie 2 bewerteten die Coaches nicht nur die potentiellen Ursachen für die Abbrüche in einer vorgelegten Liste. Um die Ursachen noch zuverlässiger zu erfassen, wurden zusätzlich abgebrochene und nicht abgebrochene Coachings hinsichtlich vier Variablen verglichen. Es wurden die vier Ursachen aus Studie 1 ausgewählt, die am häufigsten von den Coaches genannt wurden. Es handelt sich um die Veränderungsmotivation, die emotionale Stabilität des Klienten, die im Coaching aufgetretenen Nebenwirkungen und die Beziehungsqualität zwischen Coach und Klient. Diese Variablen wurden mit reliablen und validen Fragebögen erhoben. Die 66 Coaches mit Abbrucherfahrung bewerteten das letzte Coaching, welches abgebrochen wurde und die 49 Coaches ohne Abbrucherfahrung das letzte abgeschlossene Coaching. Die Ergebnisse zeigen, dass der größte Unterschied zwischen abgebrochenen und nicht abgebrochenen Coachings in der Veränderungsmotivation bestand. In abgebrochenen Coachings nahmen die Coaches deutlich weniger Veränderungsmotivation wahr als die Coaches, deren Klienten das Coaching regulär beendeten. Ebenfalls stark waren die Unterschiede für die wahrgenommene Beziehungsqualität. Das sozio-emotionale Band zwischen Coaches und Klienten wurde in abgebrochenen Coachings deutlich schwächer wahrgenommen. Signifikante Unterschiede bestanden auch für die emotionale Stabilität und die Nebenwirkungen, doch waren sie etwas kleiner. In abgebrochenen Coachings wurden die Klienten als emotional weniger stabil wahrgenommen. Gleichzeitig beobachteten die Coaches mehr unerwünschte Effekte des Coachings für den Klienten. Dies bestätigt die Ergebnisse aus Tabelle 2.
Abbrüche von Coachings treten deutlich seltener auf als im psychotherapeutischen Kontext. Dennoch lohnt sich die Beschäftigung mit diesen, da die Mehrheit der Coaches regelmäßig mit ihnen konfrontiert wird. Die Coaches aus Studie 2 erlebten durchschnittlich ungefähr zwei Coaching-Abbrüche pro Jahr in ihrer Karriere und sie verloren pro Abbruch durchschnittlich 1.084,32 Euro. Doch war die Variabilität der Verluste sehr groß.
Wie die beiden durchgeführten Studien zeigen, sind die Ursachen für Coaching-Abbrüche sehr vielfältig. Vier Faktoren treten aber besonders hervor, wenn man abgebrochene und nicht abgebrochene Coachings miteinander vergleicht. Sie sollten von Coaches berücksichtigt werden, wenn sie die Wahrscheinlichkeit für einen Abbruch senken wollen. Menschen mit einer niedrigen Veränderungsmotivation scheinen Coachings eher abzubrechen. Dasselbe gilt für Klienten mit niedriger emotionaler Stabilität. Aber auch zwei Variablen, die sich vor allem im Coaching-Prozess entwickeln, können für einen Abbruch ursächlich sein. Die Beziehungsqualität zwischen Coach und Klient ist in abgebrochenen Coachings weniger positiv ausgebildet. Auch werden in den abgebrochenen Coachings mehr unerwünschte Nebenwirkungen wahrgenommen.
Eine große Limitation beider Studien ist die Quelle der Daten. Statt der Klienten, die das Coaching abgebrochen haben, wurden die Coaches befragt. Zwar können Coaches auf mehr Erfahrungen mit dem Thema Abbruch zurückgreifen, aber sie können die Beweggründe der Klienten nur aus der Außenperspektive bewerten. Eine quantitative Befragung von Klienten, die ihr Coaching abgebrochen haben, gestaltet sich aber schwierig. Bei einer Abbruchquote von 5 Prozent müssten 1.000 Klienten rekrutiert werden, um 50 Abbrüche statistisch analysieren zu können. Zudem ist es fraglich, ob Klienten überhaupt an einer Befragung teilnehmen würden, nachdem sie sich entschieden haben, sich nicht mehr coachen zu lassen.
Ein umfassende Darstellung der bisherigen Coaching-Forschung des Autors findet sich in: Schermuly, Carsten C. (2019). Erfolgreiches Business-Coaching. Weinheim: Beltz.