Die emotionale Kompetenz eines Coachs erlangt in der Coaching-Forschung mehr und mehr an Bedeutung. Auf der Grundlage geeigneter Ansätze der Emotionsforschung wird ein fundiertes Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coachs im Coaching-Prozess entwickelt, welches zur Diagnose und Entwicklung der eigenen emotionalen Coaching-Kompetenz dienen kann. In diesem Beitrag werden folgende Fragen beantwortet: Was sind die Kernkompetenzen eines emotional kompetenten Coachs? Wie lassen sich diese (wissenschaftlich) in einem Kompetenzmodell abbilden? Wie wurde das Modell konzipiert? Und: Was ist der Nutzen für die Coaching-Praxis?
Ein Coach muss sich vielfältigen emotionalen Anforderungen stellen, denn Coaching ist eine zwischenmenschliche Begegnung, bei der Coach und Klient stark emotional miteinander verwickelt sind, beispielsweise dann, wenn sich starke, negative Emotionen wie z.B. Ärger des Klienten auf den Coach übertragen und er dadurch belastet wird. Die Psychotherapiewirksamkeitsforschung zeigt z.B., dass nicht die Methodenwahl ausschlaggebend für den Therapieerfolg ist, sondern die Beziehung(sgestaltung) zwischen Therapeut und Klient. In einer Metaanalyse wurde die Relevanz der Beziehungsaspekte auch für den Coaching-Kontext bestätigt (Kotte et al., 2016) und gilt u.a. als wichtiger erfolgsrelevanter Wirkfaktor. So ist ausschlaggebend, dass ein emotional kompetenter Coach hohe emotionale Fähigkeiten besitzen sollte und ein gutes Emotionsmanagement vorweisen kann.
In Anlehnung an Konzepte der emotionalen Kompetenz (siehe z.B. Rindermann, 2009) sollte ein emotional kompetenter Coach also handlungsleitend die eigenen Emotionen und die des Klienten erkennen, eigene Emotionen regulieren und zum Ausdruck bringen können. In diesem Beitrag soll das an der Universität Paderborn entwickelte Modell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coachs im Coaching-Prozess (Niedermeier & Schaper, 2017) für Coach-Praktiker vorgestellt werden.
Erste Untersuchungsergebnisse zur Emotionalität im Coaching zeigen, dass Emotionen einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf eines Coaching-Prozesses haben und nicht ignoriert und unterdrückt werden sollten. Bachkirova und Cox (2007) haben sich mit der Relevanz einer bewussten und reflektierten Haltung des Coachs bezüglich seiner eigenen Emotionen und den Emotionen des Klienten gegenüber befasst. Sie gehen dabei von der Annahme aus, dass emotionsgeladene Coaching-Gespräche die Beziehung zwischen Coach und Klient stärken, aber eben auch schwächen können. Eine weitere Studie von Cremona (2010) zeigt, dass ein Coach sehr häufig seine wahrgenommenen Emotionen für seine Handlungen und Gedanken nutzt, um den Klienten zu beeinflussen, indem er die Gefühle des Klienten z.B. empathisch spiegelt und dabei beobachtete sowie eigene Emotionen mitteilt, sodass auch das Vertrauen zueinander verstärkt wird.
Es gibt verschiedene Kompetenzmodelle, welche die Anforderungen an entsprechende berufliche und professionelle Tätigkeiten eines Coachs beschreiben, doch aktuell gibt es noch immer „keine einheitliche und standardisierte Vorstellung darüber, welche Kompetenzen einen professionellen und erfolgreichen Coach ausmachen“ (Michel et al., 2014, S. 432).
Vor dem Hintergrund dieser Forschungslücke wurde ein Kompetenzmodell, welches die emotionalen Kompetenzen eines Coachs im Coaching-Prozess auf der Grundlage von konzeptionellen Überlegungen abbildet, entwickelt. Das im Folgenden vorgestellte Kompetenzstrukturmodell soll die Bedeutsamkeit emotionaler Anforderungen an einen Coach im Coaching-Prozess differenziert aufzeigen und als Grundlage dafür dienen, dass Coaches die eigene emotionale Kompetenz diagnostizieren, reflektieren und verbessern können (eine ausführlichere Darstellung des Modells findet sich in Niedermeier & Schaper, 2017).
Die drei folgenden psychologischen Konzepte aus der Emotionsforschung befassen sich beschreibend und erklärend mit emotionalen Vorgängen in Alltags- und Berufskontexten. Sie dienten als wesentliche theoretische Zugänge für die Erstellung des Kompetenzmodells im Coaching-Prozess.
Die emotionale Intelligenz gilt als integratives Konzept von kognitiven und verhaltensbezogenen Komponenten dieser Intelligenzfacette. Nach Salovey und Mayer (1990, 1995) besteht die emotionale Intelligenz aus vier hierarchisch organisierten Persönlichkeitsmerkmalen, die sich auf (1) die Wahrnehmung, (2) den Ausdruck, (3) die Bedeutungsinterpretation sowie (4) das Management von Emotionen bei sich selbst und anderen beziehen. Dies sind auch wesentliche emotionale Anforderungen in Bezug auf die Arbeit eines Coachs: So kann ein emotional intelligenter Coach seine eigenen sowie die Emotionen seiner Klienten richtig einschätzen, erfolgreich und rational regulieren und zielgerichtet einsetzen, um sich selbst zu motivieren und gewünschte Ziele und Leistungen im Coaching-Gespräch zu erreichen.
Ähnlich wie die emotionale Intelligenz bezieht sich auch die emotionale Kompetenz auf Fähigkeiten (Saarni, 2002), mit eigenen Emotionen und Bedürfnissen sowie mit denen anderer angemessen umgehen zu können, hat ihre Wurzeln aber eher in der Entwicklungspsychologie. Nach Steiner (1999) bezieht sich die emotionale Kompetenz auf den angemessenen Umgang mit eigenen (intrapersonalen) und fremden (interpersonalen) Gefühlen in emotionalen Situationen. Der Begriff der emotionalen Kompetenz betont stärker die Möglichkeit zur Veränderbarkeit entsprechender psychischer Voraussetzungen als die emotionale Intelligenz und gilt somit als entscheidende Ressource eines Coachs.
Ein weiterer Forschungsansatz befasst sich mit der Regulation von Emotionen. Nach Gross und Thompson (2007) beinhaltet die Emotionsregulation alle (un-)bewussten Strategien und Prozesse, um eine (oder mehrere) Komponente(n) einer affektiven Reaktion zu verändern (z.B. deren Intensität zu verringern), Voraussetzung ist die bewusste Wahrnehmung von Emotionen. Neben Emotionsregulationsstrategien spielen auch Kognitionen über Regulationsmöglichkeiten und das Nachdenken über Emotionen eine wichtige Rolle (also eine reflektierte Metakognition über Gefühlszustände), wobei Salovey et al. (1995) drei Dimensionen der Meta-Mood-Erfahrung unterscheiden: Aufmerksamkeit für die emotionalen Inhalte, Gefühlsklarheit und Emotionsbeeinflussung von Emotionen im Sinne der Regulierung negativer Emotionen. Dazu ein Beispiel für den Coaching-Kontext: Als Coach ist man aufmerksam in Bezug auf die eigenen nonverbalen und verbalen Signale und kann z.B. die eigene Betroffenheit bei emotionsgeladenen Erzählungen des Klienten wahrnehmen und einordnen und sich schließlich trotz negativer Gefühle immer wieder entspannen.
Wie dargestellt sollte ein Coach emotionsspezifische Regulationsfertigkeiten aufweisen, um angemessen auf die eigenen Emotionen (intrapersonale Emotionsregulation) und die des Klienten (interpersonale Emotionsregulation) reagieren zu können. Wichtig anzumerken ist, dass diese Kompetenzen trainierbar sind.
Das entwickelte Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coachs im Coaching-Prozess ist mit seinen neun Hauptkomponenten in der Tabelle zu sehen. Für die Kompetenzmodellierung wurde eine „deduktive“ Vorgehensweise (Schaper, 2009) gewählt, sodass Kompetenzkategorien aus bereits vorhandenen Konzepten und Modellen herangezogen und auf den Coaching-Kontext übertragen wurden. Dazu wurden die drei oben beschriebenen Theorien und Konzepte sowie Theorien und Wirkfaktoren der Psychotherapieforschung und theoretische Ansätze von Autoren, die sich vertiefter und differenzierter mit den emotionalen Anforderungen an einen Coach auseinandersetzen, herangezogen.
Folgend werden die Kompetenzfacetten und -kategorien des entwickelten Modells zur emotionalen Kompetenz von Coaches, das im Hinblick auf Fragen zur Reflexion und Weiterentwicklung dieser Kompetenzen ausgearbeitet wurde, praxisorientiert vorgestellt. Zukünftig soll das Modell mithilfe empirischer Verfahrensweisen konkretisiert, ausdifferenziert und validiert werden.
(1) Wahrnehmen und Verstehen der eigenen Emotionen: Ein Coach sollte eigene Emotionen anhand von körperlichen Zuständen, Stimmungen und Gedanken richtig wahrnehmen, verstehen und ausdrücken können.
(2) Analysieren und Reflektieren eigener Emotionen und Haltungen: Ein Coach sollte die eigenen subjektiven Deutungen, Emotionen und Haltungen kritisch und konstruktiv evaluieren können.
(3) Authentizität/Echtheit: Als Coach bin ich aufrichtig und verhalte mich konform zu meinen zentralen Werthaltungen und meiner Persönlichkeit.
(4) Intrapersonale Emotionsregulation: Ein Coach sollte die eigenen Emotionen bzw. den eigenen emotionalen Zustand entsprechend der geforderten Coaching-Situation steuern, regulieren oder beeinflussen können.
(5) Emotionale Fremdwahrnehmung – Wahrnehmen und Verstehen von Emotionen des Klienten: Ein Coach sollte die Emotionen des Klienten anhand von nonverbalen und verbalen Signalen in Bezug auf die Situation korrekt wahrnehmen, verstehen, ausdrücken und bewerten können.
(6) Emotionale Fremdwahrnehmung – Empathie und achtsames Zuhören: Ein Coach sollte achtsam zuhören, sich gedanklich und gefühlsmäßig in die Klienten-Situation einfühlen und seine emotionalen Reaktionen und Befindlichkeiten richtig erkennen und deuten können, um entsprechend darauf zu reagieren.
(7) Emotionale Fremdwahrnehmung – Bewusstsein für Übertragung: Ein Coach sollte sich der wechselseitigen Übertragung des Klienten bewusst sein.
(8) Interpersonale Emotionsregulation – Einflussnahme auf die emotionale Reaktion oder Bewertung des Klienten: Kann ich gezielt durch Interventionsmaßnahmen Einfluss auf die Emotionen des Klienten nehmen (interpersonale Emotionsregulation)? Kann ich den Klienten dabei unterstützen, effektive individuelle Strategien der Emotionsregulation zu finden und zu entwickeln (Training von Regulationsstrategien)?
(9) Interpersonale Emotionsregulation – Emotionale Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klient: Ein Coach sollte dem Klienten Vertrauen, Wertschätzung, Respekt, adäquate Nähe und Distanz entgegenbringen, um eine Vertrauensbasis für die Coaching-Beziehung herzustellen und aufrechtzuerhalten.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine modifizierte Kurzfassung von: Niedermeier, Sarah & Schaper, Niclas (2017). Die Rolle der emotionalen Kompetenz von Coaches im Coachingprozess. Coaching | Theorie & Praxis, 3, S. 47–64. Veröffentlicht unter CC BY 4.0 Attribution Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).