In den vergangenen Jahren wurden zunehmend Coaching-Kompetenzmodelle entwickelt, die nicht nur rein praktisch orientiert sind, sondern auch nach wissenschaftlichen Standards erarbeitet wurden. Dennoch weisen fast alle Modelle spezifische Schwächen auf. Um Business-Coaching stärker als bisher Profil zu verleihen und evidenzbasiert zu evaluieren, wurde von den Autoren basierend auf dem aktuellen Wissensstand ein umfassendes Modell mit fünf Kompetenzklassen, 29 Kompetenzclustern und 117 Kompetenzen entwickelt. Dieses soll im Folgenden vorgestellt werden.
Im Coaching-Markt existieren national wie international zahlreiche Kompetenzmodelle. Häufig handelt es sich um Modelle, die aus der Praxis heraus entstanden und wissenschaftlich kaum belegbar sind. Zunehmend beschäftigt sich allerdings auch die Forschung mit dem Thema. So hat Blumberg (2016) in seiner Dissertation mit Bezug auf 26 andere Coach-Kompetenzmodelle ein Modell von verhaltensorientierten Kompetenzkategorien entwickelt. Es basiert allerdings auf nur 16 Interviews von Executive-Coaches und fasst handlungsbezogene Best-Practice-Verhaltensweisen zusammen. Notwendige bzw. sinnvolle Voraussetzungen für diese Verhaltensweisen und mögliche zugrundeliegende Fähigkeiten bleiben aber ungenannt. Um den bisherigen Wissensstand in ein Modell für Business-Coaching zu überführen, welches praktisch relevant und mit Bezug auf wissenschaftlich erforschte Konstrukte begründbar ist, haben die Autoren das folgend beschriebene Modell entwickelt.
Für eine erste Anforderungsanalyse wurden unter dem Titel „Was macht ein Coach?“ im DBVC-Fachausschuss „Profession“ sowie der „Qualitätskonferenz der Coaching-Weiterbildungsanbieter“ Coaching-Tätigkeiten gesammelt und zu Tätigkeitsclustern zusammengefasst.
Im Rahmen einer aufwändigen Kompetenzanalyse wurden parallel in vorhandenen empirischen Ausarbeitungen Coach-Kompetenzen recherchiert. Dazu wurden die Arbeiten von Kuchen und Pedrun (2006), Merz und Frey (2011), Steinke (2015) und Blumberg (2016) ausgewertet. Die dort behandelten Kompetenzen befinden sich auf sehr unterschiedlichem Abstraktionsniveau. Diese wurden mit Bezug auf die Definition vorhandener Konstrukte mehrerer diagnostischer Instrumente für Persönlichkeit (MBTI, BIP), Soziale Kompetenz (ISK) und berufliche Handlungskompetenz (KODE-Kompetenz-Atlas) vereinheitlicht. Außerdem wurden drei Vorarbeiten zu Coaching-Kompetenzen einbezogen: ein internationales Modell (ICF Core Competencies), ein europäisches Modell (ECVision – Europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching) sowie ein nationales deutsches Modell (PAS 1029:2008 Kompetenzfeld Einzel-Coaching des DIN – Deutschen Instituts für Normung).
Mittels heuristischer Theoriegewinnung (Dörner, 1994) wurde so ein Anforderungsprofil aus Coaching-Kompetenzanforderungen entwickelt, das zwischen Kompetenzfeldern (Kompetenzklassen), übergreifenden Schlüsselkompetenzen (Kompetenzclustern), zugehörigen Coaching-Kompetenzen (Kompetenzanforderungen) und Verhaltensankern (Handlungskompetenzen) unterscheidet.
Kompetenzen werden in dem Modell nicht (wie oftmals üblich) mit Verhalten gleichgesetzt. Kompetenzen sind gerade die in und hinter dem Verhalten existierenden, personennahen Dispositionen und Konstrukte, die eine enorme Verhaltensvielfalt zur Lösung von Aufgaben oder Problemen bzw. zur Bewältigung von (beruflichen) Anforderungen hervorbringen. Es scheint auch nicht mehr haltbar, den Begriff „Fähigkeit“ in der Psychologie nur für grundlegende kognitive und emotionale Fähigkeiten zu reservieren. Das Verhältnis von Kompetenzen zu der Kategorienbildung innerhalb der Psychologie (z.B. zu Fähigkeit, Fertigkeit, Motivation, Eigenschaft) ist und bleibt unklar. Es macht daher vorerst keinen Sinn, Kompetenzen ohne Verhaltensanker zu beschreiben. Ansonsten würde aufgrund der enormen Vielfalt an Konstrukten unklar bleiben, was konkret mit einer Kompetenz gemeint ist.
Aktuell kann allerdings lediglich von Anforderungen an Kompetenzen im Coaching gesprochen werden, denn wissenschaftliche Nachweise für Coaching-Kompetenzen sind schwach. Derzeit steht noch nicht fest, ob die aufgestellten Kompetenzkonstrukte existieren und wie relevant sie für professionelles Business-Coaching sind. Daher ist geplant, die hinter dem Anforderungsprofil liegenden Konstrukte im Rahmen einer Dissertation wissenschaftlich zu überprüfen und eine Konstruktvalidierung durchzuführen.
Ein Kompetenzmodell hat eine Definitions- und Repräsentationsfunktion: Durch ein Coaching-Kompetenzmodell wird implizit transportiert, was unter Coaching verstanden wird und auf welche Weise es sich von anderen Coaching-Ansätzen abgrenzt.
Ein Kompetenzmodell ist für die Ausbildung von Coaches bedeutsam: Es definiert, auf welche Fähigkeiten hin ausgebildet werden soll und welche Ausbildungsinhalte in das Curriculum gehören.
Die Formulierung von Coaching-Kompetenzen kann der Evaluation dieser Kompetenzen dienen, z.B. am Ende von Ausbildungen, durchaus aber auch in der Auswahl von Coaches (Assessments) in Coaching-Companies, Coach-Agenturen oder für organisationsinterne Coach-Pools.
In Kompetenzmodelle lassen sich strategisch relevante Anforderungen integrieren, die sich auf den zukünftig gewünschten Zustand beziehen können und Personen wie Organisationen auf diese Weise für die Zukunft vorbereiten (Sarges, 2001). Ein Kompetenzmodell eignet sich auch dazu, Entwicklungspfade für den (weiteren) Aufbau von Kompetenzen zu kreieren.
Eingeordnet werden die Coaching-Kompetenzanforderungen nach sogenannten Kompetenzklassen in Persönlichkeit (Selbst-Kompetenz), Sozial-kommunikative Kompetenz und Fachkompetenz. Die Fachkompetenz wird dabei in Sachkompetenz und Methodenkompetenz aufgegliedert, basierend auf der Unterscheidung von Erklärungswissen und Verfügungswissen (Buer, 2015; Steinke, 2015). Hinzu kommt eine Kompetenz, die insbesondere durch die Supervision Eingang ins Coaching gefunden hat: die Feld- und Funktionskompetenz (Berker, 1992; Merz & Frey, 2011; Steinke, 2015). Dabei wird davon ausgegangen, dass Kompetenzen nur gezeigt werden können, wenn Rolle und die Bedingungen, innerhalb derer gehandelt wird, dies ermöglichen (Reischmann, 2004); Coaching-Kompetenzen sind stets kontextabhängig.
Business-Coaching-Kompetenz wird daher als Reflexions- und Handlungsvermögen im Kontext der personorientierten dialogischen Begleitung von Menschen in der Arbeitswelt definiert. Damit wird einerseits eine Aktivitäts- bzw. Handlungsorientierung akzentuiert, d.h. die Fähigkeit, etwas zu praktizieren bzw. umzusetzen (Erpenbeck & v. Rosenstiel, 2007, S. XXIV). Akzentuiert wird andererseits die (Selbst-)Reflexivität in Sozialbeziehungen (Greif, 2008; Weth, 2014) und das „Bewusste-Verhalten-Zu“ Bedingungen, Bedeutungen, Handlungsmöglichkeiten. Die Coaching-Kompetenz (siehe Abbildung) umfasst folgende fünf Kompetenzklassen:
Die Selbst-Kompetenz (Persönlichkeit) wird verstanden als „Charakteristika der Persönlichkeit eines Menschen, die ihn zum Coaching befähigen“ (Steinke, 2015). Eine weitere, für den Coaching-Kontext anwendbare Definition lautet: „Fähigkeit, sich selbst (Person, Rolle, Organisation) wahrzunehmen und zu reflektieren, für sich selbst verantwortlich handeln können, eine realistische Selbsteinschätzung vornehmen und eigene Handlungen daran orientieren können, eigenes Autonomieerleben, Kompetenzerleben und Anstrengungen verantwortlich regulieren können, Motivation und Aufmerksamkeit in das Coaching einbringen können“ (DIN Deutsches Institut für Normung, 2006, S. 18). Hier zeigen sich folgende Kompetenzcluster und Kompetenzen:
Die Sozial-kommunikative Kompetenz ist die Fähigkeit, sich selbst und andere in intersubjektiven Beziehungen wahrzunehmen, die Beziehung und Interaktion mit anderen Menschen bewusst zu gestalten und sich in der Beziehung mit anderen Menschen diskursiv und instrumentell (d.h. zweckorientiert) zu verständigen (Habermas, 1981). Sozial-kommunikative Kompetenz ist Kontakt- und Kooperationsfähigkeit, auch in kontroversen zwischenmenschlichen Situationen. Dazu gehört auch, andere Menschen und soziale Situationen einschätzen zu können sowie die Anschluss- bzw. Ankopplungsfähigkeit, d.h. die Art der Interaktion auf unterschiedliche Rollen und Kontexte einzustellen.
Die Sachkompetenz ist die Fähigkeit, für Fachgebiete oder Sachbereiche reflexions- und urteilsfähig zu sein. Coaching braucht Wissensstrukturen, im Wesentlichen aus den Sozialwissenschaften. Die Sachkompetenz liefert auch den Reflexions- und Deutungshintergrund eines Coachs: Ein Coach muss das, was ihm an Erfahrungen aus (beruflichen) Rollen, sozialen Systemen und Organisationen berichtet wird, verstehen und einordnen können. Sachkompetenzen kann man in der Regel in Form von Qualifikationen oder Zertifikaten nachweisen.
Die Methodenkompetenz ist die Fähigkeit, selbständig Strategien und Vorgehensweisen einzusetzen, um in wechselnden Situationen flexibel Aufgaben zu bewältigen, Probleme zu lösen und Absichten umzusetzen, sowie dies selbst (weiter) zu entwickeln. Die Methodenkompetenz beschreibt die systematische Strukturierung von Tätigkeiten bezogen auf ein Ziel.
Die Feld- und Funktionskompetenz umfasst implizites Erfahrungswissen und Fähigkeiten im Umgang mit der spezifischen Kultur eines Berufsfeldes, einer Branche, einer Organisation oder Unternehmung. Dieses Erfahrungswissen ist nicht immer vollständig reflektiert und zugänglich. Es ermöglicht dem Coach aber, sich an ein soziales System und die dort geltenden Normen und Werte anzukoppeln, Akzeptanz für seine Person und Intervention zu erlangen und die für den Klienten relevanten Vorgänge und Kulturphänomene adäquat zu deuten und ins Coaching einzubeziehen.
Für die 117 Kompetenzen wurden zudem 323 Verhaltensanker entwickelt, die konkret beschreiben, welches Verhalten von einem Business-Coach auf welchem Kompetenzlevel (hoch, mittel, niedrig) erwartet werden kann. Beispielhaft sollen drei Verhaltensanker vorgestellt werden:
Die Kompetenz „Handlungsflexibilität“ (Kompetenzklasse: Persönlichkeit / Kompetenzcluster: Selbstregulation) wird (auf hohem und mittlerem Kompetenzlevel) u.a. anhand des Verhaltensankers beschrieben: „Der Coach zeigt eine hohe Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf neue oder unvorhergesehene Situationen einzustellen und Ungewissheit zu tolerieren.“
Die Kompetenz „Vertrauen bilden“ (Sozial-kommunikative Kompetenz / Beziehungsfähigkeit) wird (auf hohem, mittlerem und niedrigem Kompetenzlevel) u.a. folgendermaßen konkretisiert: „Der Coach verhält sich integer, interagiert offen, ehrlich und aufrichtig und informiert den Klienten transparent.“
Die Beschreibung der Kompetenz „Professionsethik wahren“ (Feld- und Funktionskompetenz / Professionalität) erfolgt (auf hohem und mittlerem Kompetenzlevel) u.a. durch den Verhaltensanker: „Der Coach sorgt dafür, dass Beschwerden niedrigschwellig möglich sind und nutzt diese zu einer selbstkritischen Reflexion seines professionellen Handelns.“
Auf der Basis dieses (Zwischen-)Standes erhoffen sich die Autoren eine fruchtbare Erforschung und Weiterentwicklung des Modells und der Profession des Business-Coachings.