Business-Coaching ist in aller Munde und niemand weiß genau, was jemanden auszeichnet, der Coaching anbietet. Der Artikel beschreibt die Ergebnisse einer empirischen Studie mit 314 Business-Coaches. Alle Teilnehmer durchliefen einen Persönlichkeitstest und beantworteten Fragen zu ihrer Bewährung im Job. Die Ergebnisse zeigen, welche Persönlichkeitsmerkmale in ihrer Ausprägung vom Durchschnitt abweichen und welche dieser Merkmale mit Kriterien beruflicher Bewährung korrespondieren.
Man denke an einen möglichst häufigen und gleichsam möglichst schlecht abgrenzbaren Begriff aus der HR-Welt. Nimmt man noch hinzu, dass der Begriff ein Berufsbild bezeichnen soll, kommen viele sicher auf diesen: Coach. Kaum eine Bezeichnung wird so inflationär benutzt und ist nicht zuletzt dadurch derart schlecht definiert. Doch was zeichnet Coaches oder – um etwas konkreter zu werden – „Business-Coaches“ eigentlich aus? Man könnte die Fachlichkeit, die Coaching-Schule, das Lebensalter oder die beruflichen Stationen heranziehen, um zu beschreiben, was einen „typischen“ Business-Coach ausmacht. Im Rahmen der durchgeführten Studie wurde die Frage etwas anders gestellt: Welches Persönlichkeitsprofil haben Business-Coaches? Und: Ist die Persönlichkeit dieser Gruppierung relevant für die berufliche Zufriedenheit, das Stresserleben oder gar den Erfolg der Coaches?
An der anonymen Erhebung nahmen 314 Business-Coaches (69 Prozent weiblich) mit einem Durchschnittsalter von 48 Jahren und einer mittleren Berufserfahrung im Coaching von elf Jahren teil. Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte über verschiedene persönliche und institutionelle Netzwerke im deutschsprachigen Raum, um eine möglichst heterogene Zusammensetzung der Stichprobe zu gewährleisten. Alle Teilnehmer durchliefen den IQP-Persönlichkeitstest, der online binnen 20 Minuten die folgenden sieben Persönlichkeitsmerkmale erfasst:
Zusätzlich zur Persönlichkeitsdiagnostik wurden mehrere Indikatoren beruflicher Bewährung erhoben, wovon die drei wichtigsten im Fokus stehen sollen: Zufriedenheit, Stresserleben und Zielerreichung in der Tätigkeit.
Zunächst wurde geprüft, inwiefern die untersuchten Business-Coaches Besonderheiten im Persönlichkeitsprofil aufweisen. Die explorative Frage: Weicht das Persönlichkeitsprofil der Coaches bedeutsam vom Mittelpunkt der persönlichkeitsbezogenen Intensitätsskala ab? Der IQP-Persönlichkeitstest meldet die Ausprägung jedes Persönlichkeitsmerkmals auf einer Skala von 0 (sehr gering) bis 100 (sehr hoch) zurück, wobei 50 für die mittlere Ausprägung steht. Weicht das Profil der Business-Coaches in relevanter Größenordnung von der Mitte ab, ist dies ein Hinweis auf eine psychologische Besonderheit. Die Abbildung stellt das mittlere Persönlichkeitsprofil der 314 untersuchten Business-Coaches dar.
Abb.: Mittleres Persönlichkeitsprofil von 314 Business-Coaches
Besonderheiten lassen sich bei zwei Merkmalen identifizieren: Geistige Flexibilität liegt 17 Punkte über dem Durchschnitt und Leistungsmotivation zehn Punkte darunter. Die Abweichungen der übrigen Merkmale bewegen sich im einstelligen Bereich, wobei Gewissenhaftigkeit lediglich einen Punkt vom Durchschnitt abweicht. Bei Business-Coaches im Hinblick auf die Persönlichkeit insgesamt von einem „exotischen Wesen“ zu sprechen, wäre daher übertrieben. Dennoch zeigt sich, dass vor allem eine überdurchschnittliche Neugier und Offenheit (geistige Flexibilität) sowie eine unterdurchschnittliche Wettbewerbsorientierung und geringeres Erfolgsstreben (Leistungsmotivation) kennzeichnend für die getesteten Business-Coaches sind. Doch welche der sieben Persönlichkeitsmerkmale korrespondieren damit, dass Business-Coaches zufrieden, gestresst oder erfolgreich in ihrem Job sind?
Die berufliche Bewährung wurde vordergründig über die drei Kriterien Zufriedenheit mit der Tätigkeit, Stresserleben in der Tätigkeit und Zielerreichung in der Tätigkeit erhoben. Allerdings ließ die Datenlage keine Analysen für die Zielerreichung (bezogen auf das Vorjahr) zu – konkrete Maßzahlen dafür lagen bei zu wenigen Teilnehmern vor, um belastbare Ergebnisse ableiten zu können. Die Zusammenhänge von Persönlichkeitsmerkmalen und den Kriterien wurden vorwiegend hypothesengeleitet, teils in Ermangelung eindeutiger vorheriger Befundlage oder Literatur, explorativ geprüft.
Zunächst zur Zufriedenheit: Die beiden Persönlichkeitsmerkmale, die am ehesten die Besonderheit von Business-Coaches ausmachen, geistige Flexibilität und Leistungsmotivation, wiesen signifikante Zusammenhänge mit der Zufriedenheit im Job auf. Sowohl eine geringere geistige Flexibilität als auch eine geringere Leistungsmotivation korrespondieren mit höherer Zufriedenheit (negative Korrelationen). Eine höhere Risikoneigung wiederum geht mit höherer Zufriedenheit einher, ebenso emotionale Belastbarkeit (positive Korrelationen). Letzteres Merkmal wies den stärksten Zusammenhang (Teilkorrelationskoeffizient rTeil = .25, p < .001) auf. Übersetzt man diese Korrelation in Gruppenunterschiede, zeigt sich, dass emotional sehr instabile Business-Coaches (Testwerte von 0–20) im Mittel zwölf Prozent weniger mit ihrer Tätigkeit zufrieden sind als emotional sehr stabile Kollegen (Testwerte von 81–100).
Auch in Bezug auf das Stresserleben in der Tätigkeit ist emotionale Belastbarkeit erwartungsgemäß relevant: Höhere Belastbarkeit korrespondiert mit geringerem Stresserleben, wobei der Effekt zwar signifikant, jedoch in der Höhe lediglich moderat (r = .19) ist. Lohnend ist allerdings ein Blick auf das verwandte Kriterium „Beeinflussung des eigenen Wohlbefindens durch Stress“. Hier zeigte sich, dass emotional sehr instabile Coaches um 38 Prozent stärker negativ von Stress beeinflusst werden als emotional sehr stabile Kollegen. Zusätzlich geht geringere Leistungsmotivation mit geringerem Stresserleben einher.
Die oben beschriebene Befundlage stellt einen kleinen empirischen Ausschnitt dar, sollte jedoch dafür sensibilisieren, dass die Persönlichkeit im Coaching eine nennenswerte Rolle spielen kann – sofern sie fundiert erfasst und korrekt interpretiert worden ist. Folgende fünf Implikationen lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – für die Coaching-Praxis ableiten:
Die zentrale Zielstellung der Psychodiagnostik besteht darin, zu identifizieren, ob eine bestimmte Person zu einer gewissen Tätigkeit passt. Aussagen über diese Passung können nur dann getroffen werden, wenn Merkmale der Person sowie der Tätigkeit gleichermaßen bekannt sind. Im Falle des Coachings ist von einer sehr großen Heterogenität auszugehen, die sich jedoch sicherlich auf einige Grundfesten eindampfen lässt. So ist Coaching zunächst eine hochgradig selbstbestimmte Tätigkeit, die hohe Anforderungen an die Selbstorganisation stellt. Zudem werden Techniken und Modelle auf sehr unterschiedliche Fälle angewandt – jeder Klient hat seine ganz eigene Lebenssituation und Historie, die vom Coach beachtet und letztlich bearbeitet werden müssen. Die intensive Arbeit mit Klienten, die sich in herausfordernden, oft gar schwierigen Situationen befinden, dürfte ebenfalls ein Kernkriterium der Tätigkeit sein.
Die Frage ist nun, wer zu dieser Art von Anforderungen eigentlich passt. Oder konkreter: Welches Persönlichkeitsprofil ist förderlich, um die beschriebenen Aspekte der Tätigkeit gut zu bewältigen? Während bis dato viel über die Abgrenzung des Coachings, das Handeln im Coaching-Prozess etc. gesprochen wird, ist über die Persönlichkeitsstruktur eines Coachs wenig bekannt. Jedoch ist gerade dies wichtig, um überhaupt beurteilen zu können, ob jemand im Berufsbild Coaching (noch) gut aufgehoben ist. Die Befundlage sollte nicht als Schablone genutzt, jedoch durchaus als Orientierung interpretiert werden – angehende und praktizierende Coaches tun gut daran, ihre eigene Persönlichkeitsstruktur zu ergründen und in Bezug auf die Implikationen für eine erfolgreiche und zufriedenstellende Tätigkeit im Coaching zu reflektieren.
Nun ist Coaching von Natur aus interaktiv, sodass die alleinige Betrachtung des Coachs und seiner persönlichkeitsbezogenen Besonderheiten zu kurz greift. Vielmehr sollte eine Perspektiverweiterung auf die Dyade „Coach – Klient“ stattfinden. Die Leitfrage: Passt die Persönlichkeit des Coachs zu der des Mandanten? Diese Passung kann je nach Coaching-Setting unterschiedlich betrachtet werden:
Zum einen als Passung im Sinne einer Harmonie. Das bedeutet, beide Akteure ähneln sich in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Dies wiederum erleichtert zumindest potenziell und je nachdem, in welchen Persönlichkeitsmerkmalen die Ähnlichkeit besteht, das Kennenlernen, den Aufbau von Vertrauen und die Konfliktbearbeitung.
Zum anderen ist Passung im Sinne einer Irritation denkbar. Passt die Relation beider Persönlichkeitsprofile zu einer wahrscheinlichen Erschütterung alter Denk- und Verhaltensmuster? Sprich: Lassen sich Gegensätze zwischen Coach und Klient nutzen, um die tradierten Muster des Klienten zu erschüttern und somit neue Lösungen zu identifizieren? So könnten beispielsweise gegenläufige Ausprägungen im Persönlichkeitsmerkmal Risikoneigung neue Handlungsoptionen eröffnen oder gegensätzliche Profilwerte in Bezug auf geistige Flexibilität alternative Denkmuster aktivieren.
In jedem Fall ist die Kenntnis über die Relation der Persönlichkeitsprofile beider involvierten Personen eine hilfreiche Zusatzinformation zu Beginn eines Coaching-Prozesses.
Coaching folgt der Grundlogik der Personalentwicklung, wonach der Mensch zur Einsicht und zur Veränderung fähig und hoffentlich willens ist. Beides kann durch Entwicklungsmaßnahmen aktiviert und begleitet werden. Auf die Frage „born or made“, d.h., ist jemand zu bestimmten Dingen „geboren“ oder kann man Menschen zu „allem entwickeln“, dürften die meisten Coaches mehr oder minder in Richtung „made“ tendieren. Nun ist jedoch die Persönlichkeit als solche zumindest mittelfristig stabil und somit kurzfristig nur durch gravierende Lebensereignisse spürbar veränderlich.
Personalentwickler – unternehmensintern wie auch extern – fremdeln manchmal mit dieser Perspektive. Der Überzeugung zu folgen, dass Coaching den Menschen entwickelt, ist richtig. Jedoch gibt es Grenzen – und eine relevante liegt in der Persönlichkeit. Coaching kann Techniken vermitteln, Impulse setzen und Einstellungen formen – und damit das Erleben und Verhalten nachhaltig prägen. Die in der Person tief verankerte Persönlichkeit lässt sich hierdurch jedoch nur bedingt bis gar nicht verändern. Dies zu verinnerlichen, gelingt dann am besten, wenn Persönlichkeitsdiagnostik erlebt wird. Somit kann das Durchlaufen persönlichkeitsdiagnostischer Instrumente dazu beitragen, den Sinn für das Stabile und nur bedingt Veränderliche zu schärfen. Eine Perspektiverweiterung, die die Grenzen des Coachings aufzeigt. Und eine Chance für Coaches: Die Kenntnis der Limitationen des eigenen Handelns ist nicht zuletzt ein wichtiger Indikator wahrer Expertise.
Trotz der Stabilität der Persönlichkeit per se ist die detaillierte Kenntnis der eigenen Persönlichkeitsstruktur ein wichtiger erster Baustein für die eigene Entwicklung. Gutes Coaching kann nur dann funktionieren, wenn Coaches sich selbst, ihr Handeln, ihre Grenzen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten intensiv reflektieren. Persönlichkeitsdiagnostik kann einen kleinen, jedoch nicht unwichtigen frühen Beitrag zur persönlichen Weiterentwicklung leisten. So lassen sich Felder identifizieren, in denen Coaches potenziell Schwierigkeiten bekommen könnten. Diese ließen sich durch Hinzuziehen fundierter Persönlichkeitsdiagnostik beispielsweise in kollegialer Beratung oder Supervisionen frühzeitig beschreiben. Schlussendlich kann das Persönlichkeitsprofil Impulse für konkrete Weiterentwicklungspfade des Coachs bieten.
Der Beitrag begann mit der kritischen Frage, was einen Business-Coach eigentlich auszeichnet. Weiter gedacht und die Kritik in Fachmagazinen und Medien aufgegriffen: Gibt es ein Berufsbild Business-Coach? Ob die Bezeichnung dann irgendwann einmal geschützt werden kann, sei an dieser Stelle nebensächlich. Im Kern ist von Interesse, welche Parameter zur Beschreibung eines Berufsbildes herangezogen werden könnten. Im Zentrum wird sicherlich immer die fachliche Qualifikation stehen. Gepaart mit Aspekten der Vita und Indikatoren persönlicher Reife dürfte sich zumindest schemenhaft ein Bild zeichnen lassen. Ein Baustein allerdings, der in Diskussionen zu Berufsbildern systematisch ignoriert wird, ist die Persönlichkeit. Und auch, wenn die vorliegende Studie nur als kleiner Einblick in diese Welt gesehen werden kann, so ist es doch denkbar, die Persönlichkeitsstruktur als differenzierendes Element einer Berufsbilddefinition aufzunehmen. Trotz aller Unterschiede zwischen den Coaches wäre zu untersuchen, ob sich das mittlere Profil von Coaches von dem anderer Berufsgruppen unterscheidet. Sollte eine ausreichende Trennschärfe gegeben sein, ließe sich die Persönlichkeit zukünftig in die Diskussion um die Profession Coach eingliedern.
Die vorliegende Studie ist als eine erste persönlichkeitspsychologische Annäherung an ein schwer zu greifendes Tätigkeitsfeld zu verstehen. Die Ergebnisse legen nahe, dass Besonderheiten in der Persönlichkeit von Business-Coaches bestehen und einige Persönlichkeitsmerkmale förderlich bzw. hinderlich für die Zufriedenheit und das Erleben von Stress in dieser Tätigkeit sein können. Für die Zukunft sind Replikationsstudien geplant, um die Belastbarkeit der bisherigen Befundlage zu prüfen. In jedem Fall lohnt jedoch schon jetzt eine persönlichkeitsbezogene Standortanalyse für alle, die in dieses Feld einsteigen möchten oder bereits als Coach aktiv sind. Die Kenntnis der eigenen Besonderheiten ist gerade in diesem Betätigungsfeld sinnvoll – solange sie auf wissenschaftlich fundierten Instrumentarien und Evidenz statt Bauchgefühl beruht.