Copreneurs sind Paare, die gemeinsam ihr eigenes Unternehmen führen. Sie sind in einer Geschäfts- und Paarbeziehung zugleich. Ihr Leben weist kaum existierende Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben auf. Copreneurs von Kleinunternehmen (KU) erleben zudem hohe Belastungen durch die Konzentration vieler Aufgaben beim Inhaber bei gleichzeitig geringen organisationalen Ressourcen wie z.B. Unterstützung durch Führungskräfte. In der Regel fehlen Möglichkeiten zum Delegieren rechtlicher oder personalpolitischer Aufgaben, deren Bewältigung häufig weit über die Kompetenz der Copreneurs hinausgehen. Die Allgegenwärtigkeit des Betriebs kann das Eintreten in Phasen der Erholung, insbesondere des Abschaltens von der Arbeit, erschweren. Studien weisen auf ein erhöhtes Burn-out-Risiko für Inhaber von KU hin (Fernet et al., 2016). Burn-out zeigt sich insbesondere in dem Gefühl der emotionalen Erschöpfung. Ein erfolgreiches Management der Schnittstelle der verschiedenen Lebensbereiche ist nicht nur für das eigene Wohlbefinden und die Beziehungsqualität von Bedeutung, sondern hat sich auch für den Betriebserfolg als wichtig gezeigt (z.B. Michael-Tsabari et al., 2020).
In einer qualitativen Interviewstudie mit erfahrenen Inhaberpaaren mittleren Alters im Handwerk wurde exploriert, wie Copreneurs trotz entgrenzter Lebensbereiche und ihrer Schwierigkeiten, von der Arbeit abzuschalten, zu Erholung und einer zufriedenstellenden Work-Life-Balance (WLB) kommen (Dreyer & Busch, 2021). WLB umfasst die Zufriedenheit damit, dass Anforderungen, die sich aus verschiedenen Lebensbereichen ergeben, gut erfüllt werden. Des Weiteren sollten für eine zufriedenstellende WLB belastende und erholsame Aktivitäten zur Wiederherstellung von Ressourcen ausgeglichen sein (Syrek et al., 2011). Das beinhaltet Pausen bzw. Ruhephasen während und außerhalb der Arbeit sowie Freizeit- und Entspannungsaktivitäten. Eine Trennung von Lebensbereichen ist generell förderlich für die Zufriedenheit mit der WLB und erleichtert das Eintreten in Phasen der Erholung (z.B. Abschalten von der Arbeit). Sind Paare durch ihre Arbeit verbunden, wie es bei Copreneurs der Fall ist, können sich die Partner gegenseitig in ihrer Erholung sehr gut unterstützen (Park & Haun, 2017).
Proaktive, zielgerichtete Strategien für eine zufriedenstellende WLB nennen sich auch WLB-Crafting-Strategien. Die Forschung unterscheidet wertebasierte Haltungen zur WLB (kognitive Strategien) wie z.B. die Einstellung, ein sportliches Leben führen zu wollen, von physischen Strategien wie z.B. den Ansatz, wöchentlich einen festen Sporttermin einzuplanen, und Strategien, die die sozialen Beziehungen im Fokus haben, wie z.B. den Partner am Freitagmorgen zu bitten, einem den Rücken freizuhalten, damit man konzentriert arbeiten kann. (Sturges, 2012)
Die befragten Copreneurs berichteten, individuelle und gemeinsame physische und kognitive Strategien einzusetzen, um Grenzen zwischen den Lebensbereichen zu setzen. Sie tun das z.B., indem sie ein Überschwappen, das sogenannte Spillover, von Belastungen und Rollenvermengung vermeiden. So berichteten Paare, dass sie nach 19 Uhr oder am Wochenende nicht über die Arbeit reden. Andere nutzen bewusst den Spillover von Ressourcen, z.B. die Unterstützung durch den Partner. Die Copreneurs berichteten zudem, dass sie neben der gezielten Segmentierung und Integration der Lebensbereiche auch Erholungsinseln gestalten. Dadurch können ressourcenschonende und gewinnbringende Erfahrungen ermöglicht werden. Der Partner kann als Gatekeeper fungieren und die Inseln des anderen Partners unterstützen. Frauen betonten die Bedeutung von Gesundheit und Erholungszeiten im Sinne kognitiven WLB-Craftings. Vor allem die weiblichen Copreneurs berichteten von ihren Bemühungen, gemeinsame Erholungszeiten zu schaffen.
Gemeinsames bzw. dyadisches Crafting zeichnet sich durch geteilte Ziele, gemeinsame Entscheidungsfindung und gegenseitige Unterstützung aus. Die Gestaltung von erleichternden Faktoren, z.B. eine Kultur im Betrieb zu schaffen, die zum Konzept der WLB des Paares passt, unterstützt die Zielverfolgung. Im Vergleich zu individuellen Crafting-Strategien enthalten dyadische Strategien zusätzlich ein beziehungsförderliches Element. Denn die Paare erarbeiten gemeinsam Lösungen und verbringen möglicherweise auch vermehrt Zeit miteinander, wenn sie geteilten Freizeitaktivitäten nachgehen, indem sie z.B. einen Tanzkurs besuchen, und sich ermutigen, die gemeinsam aufgenommenen Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Die soziale Unterstützung des Partners bei der Arbeit und in anderen Lebensbereichen scheint eine Schlüsselressource bei der Gestaltung von (gemeinsamen) Erholungsmöglichkeiten, die zu einer zufriedenstellenden WLB beitragen, zu sein.
In einer Tagebuchstudie mit 41 Paaren, die über fünf Tage lief, wurde die individuelle Gestaltung gemeinsamer Erholungszeit als eine WLB-Crafting-Strategie bei Copreneurs untersucht (Dreyer & Busch, 2022). Zudem wurde untersucht, ob die Strategien durch die Erholung am Morgen beeinflusst werden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die individuellen Bemühungen um gemeinsame Quality Time positiv auf die eigene WLB auswirken, aber nicht auf die des Partners, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Es liegen jedoch auch geschlechtsspezifische Effekte vor: Ausschließlich wenn die männlichen Partner sich morgens erholt fühlen, berichten beide, dass sie sich an diesem Tag für mehr gemeinsame Quality Time engagieren. An Tagen, an denen die Männer Engagement berichten, verringert sich die erlebte WLB bei den weiblichen Copreneurs. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Paare ihre wertvolle gemeinsame Zeit besser organisieren könnten, sowohl im Interesse ihrer privaten Beziehung als auch ihres Geschäfts.
Im Coaching können Copreneurs durch Reflexion eine Haltung entwickeln, die neben dem Streben nach beruflichem Erfolg auch die Selbstfürsorge beinhaltet. Ziel ist es, dass Unternehmerpaare die Gestaltung der Erholung und WLB ähnlich strategisch und proaktiv angehen, wie sie es bei der Bewältigung beruflicher Herausforderungen tun.
In diesem Sinne bietet das Copreneur-Coaching einen strukturierten Rahmen, nicht nur für die Reflexion aktueller Herausforderungen und Bedürfnisse und für die Willensbahnung zu mehr Selbstfürsorge, sondern auch zur Aktivierung von Ressourcen für die Entwicklung und Erprobung von WLB-Crafting-Strategien. Das Copreneur-Coaching zielt darauf ab, das Abschalten von der Arbeit als zentrale Erholungserfahrung und die Zufriedenheit mit der WLB zu steigern, und es dient der Burn-out-Prävention (Busch & Dreyer, 2020). Die Entwicklung, Erprobung und Evaluation dieses Konzepts erfolgte transdisziplinär in einem Verbundprojekt, finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Paarforscher zeigen auf, dass Paare darauf bedacht sind, gemeinsame Aufgaben und Projekte zu übernehmen, um die gegenseitige Instrumentalität für eine funktionierende Partnerschaft zu gewährleisten (Orehek & Forest, 2016). Ein Copreneur-Coaching stellt ein solches Projekt dar. Es werden Unternehmer erreicht, die sich alleine nicht in ein Coaching begeben würden, es aber für ihren Partner tun.
Für ein Paarsetting spricht zudem, dass Lebenspartner generell eine große Rolle einnehmen, wenn es um Verhaltensänderung geht (Nowack, 2017). Bei der Gestaltung der Erholung von der Arbeit und der WLB spielen die Partner der Copreneurs, deren Lebensbereiche kaum zu trennen sind, eine entscheidende Rolle. Die Partner geben sich während des Coachings ungeteilte gegenseitige Aufmerksamkeit. Der Coach fordert zur gegenseitigen Wertschätzung und Unterstützung auf.
Ein großer Pluspunkt des Copreneur-Coachings ist die Sicherung des Transfers des Erarbeiteten in den Alltag durch das Paarsetting. Die im Coaching erarbeiteten Haltungen, Ziele und Verhaltensänderungen können gut in den Alltag transferiert werden. Copreneurs sind sich gegenseitige, ständige unbewusste und bewusste Erinnerungshilfen im Alltag und geben sich idealerweise gegenseitig soziale Unterstützung, Wertschätzung und Feedback beim Transfer in den Alltag.
Die beiden Klienten arbeiten im Coaching an der Gestaltung ihrer selbstkongruenten Erholung und WLB – im Beisein, in Abstimmung und mit Unterstützung des Partners. Die übliche dyadische Arbeitsbeziehung zwischen Coach und Klient wird im Copreneur-Coaching erweitert auf eine triadische Arbeitsbeziehung, wobei der Coach vor allem die Prozessführung gewährleistet und zu gegenseitiger sozialer Unterstützung der Klienten im Coaching-Prozess auffordert. Die empathische und wertschätzende Kommunikation des Coachs spielt auch hier eine große Rolle, wie empirisch bestätigt ist (Busch et al., 2022a).
Das Copreneur-Coaching integriert das von Maja Storch und Frank Krause entwickelte Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) mit dem ergebnisorientierten Coaching-Konzept (Greif, 2008). Zudem wird mit Friedemann Schulz von Thuns Methode des inneren Teams und mit der des mentalen Kontrastierens gearbeitet. Theoretische Grundlage ist Julius Kuhls Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie), die das Wechselspiel psychischer Systeme und die Bedeutung von Affektwechsel und Selbstwahrnehmung für die Selbstentwicklung behandelt.
Der Coaching-Prozess wird entlang des erweiterten Rubikon-Prozessmodells der Verhaltensänderung nach ZRM und dem ergebnisorientierten Coaching-Konzept geführt. In einer ersten Phase werden aktuelle Bedürfnisse mit der ZRM-Bildmethode eruiert und zu einem bewussten Motiv entwickelt. Für die Motivklärung wird die Methode des inneren Teams eingesetzt. Nach der Motivklärung folgt der Gang über den „Rubikon“ mithilfe eines mit positiven Affekten versehenen, selbstkongruenten Haltungsziels. Entsprechend dem ZRM wird ein Haltungsziel entwickelt, das situations- und verhaltensübergreifend formuliert ist und sich auf eine innere Einstellung zum aktuellen Bedürfnis bezieht. In einer dritten Phase erfolgt die Ressourcenaktivierung mit Embodiment-Methoden des ZRM, um in der vierten Phase haltungszielkongruentes Verhalten mit einer Kombination aus mentalem Kontrastieren und Wenn-dann-Plänen zu erarbeiten. In der fünften Phase werden zur Transfersicherung und Rückfallprävention Stresssituationen antizipiert und vorbereitet. (Busch & Dreyer, 2020)
Das Copreneur-Coaching ist ein Blended-Coaching, das aus fünf Präsenz- bzw. Telesitzungen im Abstand von jeweils ca. drei Wochen, einem Tagebuch und drei Onlinekursen besteht. Die Onlinekurse bereiten die mittleren drei Sitzungen vor. Hier wird Wissen vermittelt und es finden Übungen zur Selbstreflexion statt. Jeder der drei Onlinekurse enthält ein Video, in dem die Inhalte der jeweiligen Sitzung einfach und mit vielen Beispielen vorbereitend erklärt werden. Die Onlinekurse sind kostenfrei nach einer Registrierung über diesen Link erreichbar.
Das Blended-Copreneur-Coaching wurde 2018 mit 16 Copreneur-Paaren von Coaches der IKK classic erprobt und wissenschaftlich begleitet. Das Tele-Coaching wurde über das Videokonferenztool Spreed.me angeboten, das mit einem Datenserver in Deutschland arbeitet. Die Evaluation erfolgte im Wartekontrollgruppendesign zu Wirkfaktoren des Coachings (z.B. ergebnisorientierte Selbstreflexion, soziale Unterstützung durch den Partner), Implementierungsprozessen (z.B. Interventionstreue des Coachs, Technikaffinität der Copreneurs) und generellen (Coaching-Zufriedenheit, Haltungszielerreichung) sowie themenspezifischen (Abschalten von der Arbeit, emotionale Erschöpfung) Coaching-Ergebnissen. Neben Interviews und Fragebögen für die Klienten und Coaches wurden Beobachtungsverfahren anhand der vollständig auf Video aufgenommenen Coachings eingesetzt.
Die Studienverantwortlichen führten Interviews zur Teilnahmemotivation der Copreneurs. Erfragt wurden die Qualität der Paarbeziehung, Erfahrung mit Coaching, das Bedürfnis nach Erholung sowie die eigene emotionale Erschöpfung. Bei der Hälfte der Unternehmerpaare folgte anschließend das Angebot der IKK classic, ein Team-Coaching zur Steigerung von Perspektivübernahme und Wertschätzung im Betrieb durchzuführen.
Die Ergebnisse der Evaluation zeigten die Wirksamkeit des Copreneur-Coachings mit mittleren Effekten für die zentrale Erholungserfahrung, das Abschalten von der Arbeit und vier Monate später auch für die emotionale Erschöpfung als Kerndimension von Burn-out im Vergleich zur Wartekontrollgruppe. Die Evaluationsergebnisse offenbarten zudem den zentralen Wirkfaktor des Copreneur-Coachings: die wahrgenommene soziale Unterstützung durch den Partner im Coaching-Prozess. Sie sagte sowohl die Coaching-Zufriedenheit drei Wochen nach dem Coaching als auch den Grad der Haltungszielerreichung vier Monate später hochsignifikant vorher. Die ergebnisorientierte Selbstreflexion und die Arbeitsbeziehung zwischen Coach und jedem der beiden Copreneurs sagten lediglich die Zufriedenheit mit dem Coaching drei Wochen nach dem Coaching signifikant vorher; Affekte hochsignifikant den Zielerreichungsgrad vier Monate später. (Busch et al., 2021)
In einer weiteren Studie zum Copreneur-Coaching mit Unternehmerpaaren von KU in 2019 wurde die Wirksamkeit auch auf die WLB untersucht. Zudem wurde das Coach-Verhalten in den Fokus der Untersuchung genommen. So wurde das Coach-Verhalten in Bezug auf die Interventionstreue beobachtet und darauf basierend die Copreneurs (N=42) in zwei Interventionsgruppen aufgeteilt. Die Empathie der Coaches gegenüber jedem der beiden Klienten wurde ebenfalls beobachtet. Mittels Fragebögen wurden die Wirkfaktoren und Ergebnisse aus Sicht der Copreneurs bis zu vier Monate nach Beendigung des Coachings untersucht. Die Ergebnisse zeigten die Wirksamkeit des Coachings auch für eine verbesserte WLB. So sind signifikante, große Effekte für das Abschalten von der Arbeit und signifikante, mittlere Effekte für eine zufriedenere WLB bis zu vier Monate nach Beendigung des Coachings, unabhängig von der Interventionstreue, zu berichten. Jedoch sagten die angenommenen Wirkfaktoren des Copreneur-Coachings, die ergebnisorientierte Selbstreflexion, die Affekte und die soziale Unterstützung im Coaching durch den Partner, die Wirksamkeit vier Monate nach dem Coaching ausschließlich in der Interventionsgruppe mit hoher Interventionstreue signifikant vorher. Eine interventionstreue Implementierung durch den Coach ist demnach von großer Bedeutung. Die Empathie der Coaches bestätigte sich als hochsignifikanter Prädiktor für die Zielerreichung. (Busch et al., 2022a)
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland (GKV) hat das Coaching als Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung für Copreneurs von KU anerkannt. Das Copreneur-Coaching-Konzept wurde pandemiegetrieben in 2021 zusätzlich in ein Online-Copreneur-Coaching weiterentwickelt (Busch et al., 2022b). Die IKK classic bringt das Copreneur-Coaching seit 2022 in der Blended- und Online-Version in den deutschlandweiten Transfer. Die Online-Copreneur-Coachings werden dabei wissenschaftlich begleitet, finanziert vom BMBF sowie der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern. Das Copreneur-Coaching wird aktuell für Unternehmer von KU ohne Lebenspartner in der Online-Version weiterentwickelt und wissenschaftlich begleitet. Auch diese Version ist bereits von der GKV als Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung für Unternehmer von KU anerkannt. Die IKK classic und das neu gegründete Center for Better Work an der Universität Hamburg bringen das Copreneur-Coaching und das Unternehmer-Coaching in den Transfer.