In Zeiten der Globalisierung und zunehmenden Digitalisierung sowie Auflösung fester Beschäftigungsmerkmale und Arbeitsformen hat sich in den letzten Jahren eine Arbeitskultur etabliert, bei der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen und arbeitsbezogene Erholung immer schwieriger wird (Kreiner et al., 2009). Die zunehmende Erreichbarkeit der Beschäftigten außerhalb der Arbeitszeit (DGB-Index, 2012) in Verbindung mit mangelhaftem „psychological detachment“, also dem mentalen Lösen oder auch „Abschalten“ von der Arbeit (Sonnentag & Fritz, 2007) stellen weitere potentiell erholungsgefährdende Aspekte dar.
All dies trägt vermutlich dazu bei, dass immer mehr Erwerbstätige unter Erschöpfung leiden – laut einer AOK-Befragung unter 40.000 Beschäftigten ein gutes Viertel (Ducki, 2008). Die Unternehmen hingegen verzeichnen als Folge von steigenden psychischen Beanspruchungen eine Zunahme der Fehlzeiten (DGFP, 2011).
Somit kommt einer wirksamen und effektiven, arbeitsbezogenen Erholung der Berufstätigen, die als erlernbare Fähigkeit und Kompetenz eines jeden Einzelnen – als sogenannte Erholungskompetenz – angesehen werden kann, eine immer größer werdende Bedeutung zu (Clauß et al., 2016).
Die These, Erholung geschieht nicht von alleine und automatisch, sobald die Beanspruchungsphase endet, ist bis dato kaum untersucht worden und statistisch weitestgehend unbelegt. Erholung ist aufgrund von ermüdungsbedingter Leistungsminderung durch Beanspruchungen erforderlich. Das Wissen um diese Beanspruchungen und persönliche Erfahrungen mit konkreten Auslösern ist gemäß Clauß et al. (2016, S. 22) eine der Voraussetzungen für Erholungskompetenz. Diese ist folglich „die Fähigkeit, sich auf Grundlage dieses Wissens und persönlicher Erfahrungen funktionale Erholungsstrategien (Fertigkeiten) anzueignen“. Erholungsfähigkeit allein reicht jedoch nicht. Zusätzlich zum Wissen, wie man sich in bestimmten Situationen mit entsprechenden Maßnahmen optimal erholt, benötigt die Person auch Erholungsbereitschaft, also die Motivation, eine Erholungsphase einzulegen. Dieses Erholungsbewusstsein kann dabei helfen, die eigene Erholung aktiv und bewusst zu planen und zu gestalten.
Generell existiert eine große Bandbreite an Erholungsmaßnahmen, die kategorisch in high-effort activities und low-effort activities eingeteilt werden können. Zu den aktiven (high-effort) Maßnahmen zählen alle Arten von sportlicher Betätigung, zu den passiven Aktivitäten (low-effort) zählen Lesen, Schlafen, Wellness und eine Vielzahl von Achtsamkeitsübungen (Sonnentag, 2001; Rudow, 2014; Eichhorn, 2009). Neben Yoga und autogenem Training sind aktuell progressive Muskelentspannung und Meditation sehr beliebt (Stiftung Warentest, 2011). Optimale Effekte können durch eine gute Mischung und regelmäßige sowie langfristige Umsetzung und Integration der Maßnahmen in das tägliche Arbeitsleben erzielt werden (Seiler et al., 2013). Um die exponentiell verlaufende Ermüdung über den Arbeitstag gering zu halten, empfiehlt es sich, Kurzpausen in Verbindung mit Bewegung und frischer Luft einzubauen (Krajewski et al., 2013).
Auch im Coaching spielt Erholungskompetenz eine wichtige Rolle. Verfügt der Klient schon über hohe Erholungsfähigkeit, kann der Coach diese als wertvolle Ressource aktivieren und die Person damit wirksame Handlungsmöglichkeiten für anstehende Veränderungen und Bewältigungssituationen kreieren lassen. Erholungskompetenz wirkt hierbei als Beanspruchungspuffer, da Veränderungsprozesse meist kraftraubend und anstrengend sind.
Kristallisiert sich in einem Coaching hingegen heraus, dass ein Klient über eine geringe Erholungsfähigkeit verfügt, so kann der Coach situativ in die Rolle des Beraters wechseln, notwendiges Wissen vermitteln und mit der Person zusammen geeignete und förderliche Erholungsmaßnahmen erarbeiten. Wie oben dargelegt, ist die Erholungsbereitschaft hierbei nicht außer Acht zu lassen. Die reflexive Coaching-Arbeit ist geeignet, unbewusst wirkende Hemmnisse wie etwa innere Antreiber und Glaubenssätze (z.B.: „Ich muss immer alles schaffen!“) aufzudecken, diese zu hinterfragen und förderliche „Erlaubnisse“ zu entwickeln (Burckhardt, 2019). Auf dieser Basis kann der Klient eine weitere wichtige Ressource entwickeln, um mit zukünftigen Belastungsspitzen und erhöhten Beanspruchungen lösungsorientierter und kräfteschonender umgehen zu können.
Erholungskompetenz wird im nächsten Jahrzehnt mehr und mehr an Bedeutung gewinnen und sollte im Coaching verstärkt bearbeitet werden. Erschöpfte Arbeitnehmer sind nicht nur weniger leistungsfähig und öfter krank, sondern verfügen mitunter auch über weniger Veränderungsbereitschaft und Durchhaltevermögen. Benötigt werden erholungskompetente, gesunde Mitarbeiter, um den steigenden Anforderungen weiterhin gerecht zu werden.