Methoden

Wer schreibt, der bleibt

Wie selbstreflektierendes Schreiben den Coaching-Prozess vertieft und nachhaltiger gestaltet

Wie können Coaches gewährleisten, dass ihr Klient einen möglichst tiefen Zugang zur eigenen Person findet? Wie stellen sie sicher, dass der Coaching-Erfolg, vollzogene Entwicklungen und erlangte Erkenntnisse eine stabile Verankerung erfahren und sich nicht früher oder später verflüchtigen, wenn nach dem Coaching der Arbeitsalltag Einzug hält? Das hier vorgestellte Konzept, das die Integration des selbstreflektierenden Schreibens in den Coaching-Prozess vorsieht, bietet Antworten auf diese Fragen.  

15 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2020 am 26.02.2020

Wie nachhaltig ist eigentlich das, was ein Klient in einem Coaching erkennt, lernt, versteht, verändert und zumindest für eine Weile integriert? Wie lange erinnert sich der Klient an eine Coaching-Sitzung, deren Verlauf und wesentliche Wirkfaktoren – ohne eine Verschriftlichung? Was im Moment neu, anregend oder inspirierend erscheint, ist oft schon nach kurzer Zeit wieder vergessen oder nur noch schemenhaft erinnerbar. Was man dagegen aufschreibt, bleibt. Von daher sollte Coaching durch verschiedene Dimensionen des Schreibens abgesichert und ergänzt werden.

Der Wert selbstreflektierenden Schreibens

Normalerweise schreibt man im Alltag an andere – in Briefen, E-Mails, SMS, per Twitter – und nicht für sich selbst. Das Schreiben für eine vertiefende Selbstreflexion, für einen Dialog mit sich selbst zu nutzen, ist in dieser beschleunigten Gegenwart fast in Vergessenheit geraten. Dabei hat es in unserer Kultur eine jahrhundertelange Tradition. Es fand und findet vor allem beim Tagebuchschreiben statt (Klein, 2018). Erst seit kurzem kommt das Altvertraute nun in einem neuen Gewand als „Journaling“ aus den USA zurück ins öffentliche Bewusstsein. Dabei besteht zwischen beiden keinerlei Unterschied. Es geht um dieselbe Sache: um einen gezielten Dialog mit sich selbst.

Schreiben und Erinnern

Durch das Schreiben über sich selbst kann man das, was man vorher nur in seinem Kopf hatte – und beinahe wieder vergessen hätte – aufs Papier oder auf einen Bildschirm bannen. Seien es Ziele, Ideen, Erfahrungen, Vorsätze, herausragende Erlebnisse oder spontane Erinnerungen an einen wesentlichen Augenblick. Dadurch, dass das „nur“ Gedachte niedergeschrieben wurde, ist es dem Vergessen entrissen. Es kann nämlich wieder und wieder gelesen und damit sowohl bewusst erinnert als auch vertiefend eingeprägt werden. Wie wenig man selbst dem eigenen Gedächtnis vertrauen kann, ist den meisten bewusst – nur was man dagegen tun könnte, wird selten systematisch vermittelt, weder in der Schule noch im Studium oder in einer Coaching-Ausbildung.

Schreiben als Weg zur vertieften Erkenntnis

Das Niedergeschriebene wird aber nicht nur vor dem Vergessen bewahrt. Es ist auch auf einer anderen Ebene präsent: nicht nur kurz im Kopf, sondern fixiert auf dem Papier. Der Schreibende kann das, was er denkt, noch einmal „von außen“ betrachten und befragen. Habe ich das wirklich korrekt ausgedrückt? Ist das Ziel wirklich realistisch? Wofür könnte die Idee noch gut sein? Wie kann ich meinen Vorsatz in mir lebendig halten? Das heißt, die Selbstreflexion und die Vertiefung des eigenen Denkens ist im Prozess des Aufschreibens bereits integriert und wirksam – ohne dass es einer bestimmten Ausbildung oder Anstrengung bedarf. So unterstützt das Schreiben ganz von allein eine vertiefte Selbsterkenntnis.

Nebeneffekte des selbstreflektierenden Schreibens

Das Schreiben über sich führt obendrein zu einer größeren Konzentration, weil der Prozess des Schreibens (je länger, je intensiver) zu einer verstärkten Selbstzentrierung beiträgt. Es verbessert die Ausdrucksfähigkeit, da auch für diffuse Zustände und Gefühle Worte gesucht und gefunden werden. Es fördert die genauere Wahrnehmung von eigenen und fremden Gefühlen. Außerdem hilft es, Stress abzubauen und sich besser erinnern zu können. Eigene und die Umgebung betreffende Veränderungen können über längere Zeiträume beobachtet und wahrgenommen sowie Wesentliches von Unwesentlichem besser unterschieden werden. Das alles stärkt am Ende das eigene Selbstwertgefühl und macht unabhängiger von äußeren Zuschreibungen und Manipulationen. Genauer nachzulesen und ausführlicher in Klein (2018).

Warum ist selbstreflektierendes Schreiben wenig verbreitet?

Leider wird den meisten bereits in der Schule die spontane Freude am Schreiben ausgetrieben. Die Fokussierung auf Fehlerfreiheit, Geschwindigkeit und äußerlich vorgegebene Inhalte (Gedichtinterpretationen, Bildbeschreibungen, Aufsätze) führen oft zu Stress, nicht selten sogar zu Scham und Ängsten. Eine Anleitung zum selbstreflektierenden Schreiben findet überhaupt nicht statt. Wenn Jugendliche von sich aus spontan Tagebuch schreiben, tun sie das häufig nur in negativen Ausnahmesituationen. Und da es an Anleitung, Austausch und Ermutigung fehlt, stellen die meisten es bald wieder ein. So muss für die meisten Klienten (und Coaches?) die Freude am Schreiben und insbesondere am selbstreflektierenden Schreiben erst wiederhergestellt werden.

Selbstreflektierendes Schreiben im Coaching

Schreiben ist oft mit Ängsten und Scham besetzt. Daher ist es vorteilhaft, mit den Anregungen zum Schreiben möglichst niedrigschwellig zu beginnen.

Den Klienten zum Schreiben anregen

Nach einem ausführlichen, klärenden Vorgespräch könnte der Coach den Klienten zum Beispiel bitten, sich die Ziele oder Probleme, an denen er im Coaching arbeiten möchte, aufzuschreiben. Sich quasi einen Notizzettel zu machen und ihn zur ersten Sitzung mitzubringen. Sich Notizen zu machen, sind die meisten Menschen gewohnt. Das stellt keine hohe Hürde dar. Da es jetzt aber um den Klienten selbst geht, wird der Fokus des Schreibens bereits vom Außen auf das Innen verlegt. Der Klient kann außerdem die Erfahrung machen, dass er in dem Moment, in dem er die Ziele notiert, die Ebene wechselt. Er ist danach in der Lage, seine Ziele quasi noch einmal von außen anzusehen, zu umschreiben, zu präzisieren und vielleicht sogar schon von selbst, dahinterliegende Ziele zu entdecken.

Von der ersten Coaching-Stunde an mitschreiben

In der ersten Coaching-Stunde sollte neben den üblichen Themen (Ziele, Anliegen, Rahmen, Rhythmen, methodisches Vorgehen usw.) auch das Schreiben selbst zur Sprache kommen. Der Coach fragt z.B., wie leicht oder schwer dem Klienten das Aufschreiben der Ziele gefallen ist, wann und wo er geschrieben und was er für Erfahrungen dabei gemacht hat. Und es wird klargestellt, dass diese Notizen ebenso wie anderes selbstreflektierendes Schreiben im Coaching nicht beurteilt, bewertet oder gar zensiert werden – anders als in der Schule. Es geht auch nicht um Fehlerfreiheit, sondern ausschließlich um den Erkenntniswert für den Klienten, der durch dieses Verschriftlichen entsteht.

In der Coaching-Stunde macht sich der Coach selbst Notizen und lädt auch den Klienten ein, nach einem Abschnitt, einem Thema, einer bestimmten Erkenntnis oder Lösung sich einen Moment Zeit zu nehmen und ein paar Notizen zu machen. Das hilft, die Stunde zu strukturieren und die Selbstreflexion des Klienten zu stärken. Was ist ihm wichtig? Wie kann er das ausdrücken? Der Klient hat außerdem die Möglichkeit, noch einmal nachzufragen, wenn er beim Aufschreiben bemerkt, dass ihm etwas doch nicht so klar geworden ist, wie es im ersten Moment schien. Auch das führt in der Regel zu einer Vertiefung und Intensivierung des Coaching-Prozesses.

Empfehlungen am Ende der Coaching-Stunde

Am Ende der Stunde bekommt der Klient die Anregung und die durchaus dringende Empfehlung, sich alsbald, am besten schon am nächsten Tag, die eigenen Aufzeichnungen noch einmal anzusehen und mit einer schriftlichen Zusammenfassung der für ihn wesentlichen Elemente der Coaching-Sitzung zu beginnen. Er möge sich doch dafür einen gemütlichen, inspirierenden Raum suchen (Selbstsorge) und vor allem nicht zum eigenen Kritiker werden, denn es geht nicht um Perfektion, sondern um Erkenntnis. Von daher wäre es nützlich, sich die eigenen Notizen und den nach und nach entstehenden Text über die Erlebnisse, Erfahrungen, Erkenntnisse und Veränderungen wiederholt anzusehen. Wo und wann immer nötig oder möglich, könne er ja dann immer noch genauer formulieren oder ergänzen. Das hat normalerweise gleich mehrere Effekte. Zum einen wird der Coaching-Prozess auch zwischen den einzelnen Sitzungen gestärkt und zum anderen die Erwartungshaltung gemildert, die erste Zusammenfassung, die der Klient schreibt, müsse gleich „perfekt“ sein.

Angst und Selbstzweifel auflösen

Der Coach betont, dass diese Zusammenfassung in der Hauptsache der vertieften Selbstreflexion des Klienten dient. Dass der Klient dadurch die Möglichkeit bekommt, zu einem späteren Zeitpunkt seine Zusammenfassungen nachzulesen und so den eigenen Veränderungs- und Wachstumsprozess nachzuverfolgen. Dennoch wäre es natürlich ganz nützlich, wenn auch der Coach diese Zusammenfassungen noch einmal anschaut und mit dem Klienten bespricht. Auch dabei geht es wieder um Erkenntnis und Feedback und nicht um Bewertung. Erfahrungsgemäß nehmen viele Klienten dieses Angebot an. Die meisten schicken ihre Zusammenfassung dann zwei oder drei Tage vor der nächsten Sitzung an den Coach. Einige ziehen es vor, sie mitzubringen und mit dem Coach ad hoc zu besprechen.

Aufzeichnungen besprechen

Aufzeichnungen des Klienten mit den eigenen Notizen über die Stunde zu vergleichen und durchzulesen, ist eine deutliche Zusatzaufgabe für den Coach – aber sie ist es wert: Der Coach sieht, wo der Klient steht, was er gehört, verstanden, erkannt und was er bereits umgesetzt hat, was in der Zeit zwischen den Sitzungen passiert ist. Das macht die kommende Sitzung unglaublich dicht und effektiv. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass der Klient auch zwischen den Sitzungen aktiv im Coaching-Prozess ist und bleibt. Durch das Besprechen der Aufzeichnungen am Anfang jeder Stunde wird die Selbstreflexionsfähigkeit des Klienten gestärkt. Dabei wird nicht nur auf die Inhalte, sondern auch wieder auf das Schreiben als kreativen Prozess selbst eingegangen: Wie ist es dem Klienten beim Schreiben gegangen? Wo hat er geschrieben, wann, könnte er die Umstände des Schreibens verändern?

Die sensible Haltung des Coachs

Die Art und Weise, wie in der Coaching-Sitzung über die Aufzeichnungen des Klienten gesprochen wird, entscheidet maßgeblich darüber, ob der Klient mit Begeisterung weiterschreibt oder nicht. Grundsätzlich gilt, dass der Text des Klienten selbst zu einem Erkenntnisgegenstand für Klient und Coach wird. Er ist eben nicht nur eine Zusammenfassung der letzten Stunde und einiger Beobachtungen, sondern lädt seinerseits zu einer Entdeckungsreise ein. Denn woher soll der Klient wissen, was er denkt, bevor er liest, was er geschrieben hat? Von daher ist die Grundhaltung des Coachs folgende: „Als Sie den Text geschrieben haben, haben Sie das … formuliert, wenn Sie das jetzt lesen, fällt Ihnen da vielleicht auch … auf?“ Und dann kann man Auslassungen, Sprünge, Widersprüche, unbewusste Aspekte oder was auch immer ganz entspannt besprechen. (Denn die ausgesprochen prozessorientierte Haltung lautet somit ja: „Inzwischen sind Sie schon wieder ein Anderer und können anders auf das vor ein paar Tagen Formulierte zurückschauen.“) Die unbedingt zu vermeidende, weil fixierende und belehrende Haltung des Coachs wäre: „Sie haben hier doch … geschrieben!“ Alles, was der Coach dann sagt, wird (mit Recht) als Festlegung und als Kritik gehört, egal, wie vorsichtig sie formuliert wird.

Der Klient erkennt die Vorteile

Oft erkennt der Klient schon in der zweiten Sitzung intuitiv und meist auch explizit die Vorteile, die in diesem Verschriftlichen stecken: die Verdichtung des Prozesses, die Sicherheit, über die gleichen Dinge zu sprechen, einander präzise verstanden zu haben, gemeinsam auf einem Erkenntnisweg zu sein. Missverständnisse, Verwechslungen oder Fehlinterpretationen können aufgedeckt und erkenntnisfördernd beseitigt werden. Auf bestimmte Aspekte und Ansätze kann man vertiefend zurückkommen. Und dann können der Coach und der Klient äußerst präzise und sehr genau da weitermachen, wo sie in der letzten Stunde aufgehört haben. Die Frage, ob überhaupt, warum und wozu man eine Zusammenfassung nach einer Sitzung schreiben sollte, kommt in der Regel gar nicht mehr auf. Nachfragen des Klienten, ob die Zusammenfassung denn ausreichend, zu lang oder zu kurz gewesen sei, wird dem Klienten selbstverständlich immer elegant zurückgespiegelt. „Wenn Sie auch später Ihre Aufzeichnungen gerne wieder zur Hand nehmen und lesen, und wenn Sie Ihnen dann weder zu detailliert noch zu kurz sind, dann sind sie genau richtig.“

Alte Zusammenfassungen erneut lesen

Das Schreiben entfaltet außerdem eine beträchtliche Langzeitwirkung. Neben den schon beschriebenen Effekten beim Schreiben selbst und beim gemeinsamen kreativen Besprechen der Zusammenfassungen bekommen diese Texte natürlich auch den Charakter von authentischen Dokumenten. Erfahrungsgemäß vergessen Klienten oft ihre Ausgangssituation, mit der sie einmal ins Coaching gekommen sind. Das Nachlesen des eigenen Erkenntnis- und Veränderungsprozesses aus einer gewissen Distanz bringt daher noch einmal einen beachtlichen Erkenntnisgewinn. Vor allem kann auch noch einmal genauer nachvollzogen werden, was genau dem Klienten wirklich geholfen hat, was schwierige Muster waren, wo es zu Durchbrüchen und gänzlich neuen Erfahrungen gekommen ist und wie diese zustande kamen. Das gibt zusätzliche Orientierung, die Gewissheit voranzukommen und beflügelt oft den gerade stattfindenden Coaching-Prozess.

Schreiben als Interventionsmethode

Alles, was bisher über diesen Verschriftlichungs- und Selbstreflexionsprozess gesagt wurde, lässt sich problemlos methodisch in jede Art von Coaching integrieren, kann es vertiefen, absichern und intensivieren. Einmal an diesem Punkt angekommen, kann das Schreiben aber auch als eine eigene Interventionsmethode genutzt werden. So kann der Coach beginnen, dem Klienten noch andere Schreibaufgaben vorzuschlagen, die aus dem kreativen Schreiben, der Poesietherapie, dem Journaling und dem therapeutischen Schreiben stammen. Beispiele wären: ein Erfolgstagebuch zu führen; eigene Emotionen und Gefühle, ihr Entstehen und ihre Auswirkungen wahrzunehmen und zu beschreiben; glückliche Momente, außergewöhnliche Erfolge zu notieren; ein fokussiertes Tagebuch oder ein Arbeitsjournal über ein kreatives Projekt zu führen; einen Brief an einen Konfliktpartner oder den Chef zu schreiben – ohne ihn abzuschicken. Alle diese Übungen stärken neben ihrer thematischen Ausrichtung auch immer die Konzentration, die Selbststeuerung und die Fokussierung des Klienten.

Keine Zeit für das Schreiben?

Der Haupteinwand, der von manchen Coaches gegen den hier vorgestellten Ansatz vorgebracht wird, ist, dass Klienten für das Schreiben keine Zeit hätten. Nach 28 Jahren Erfahrung mit diesem Ansatz kann jedoch vom Autor dieses Beitrages festgestellt werden, dass Klienten jeder Hierarchieebene bis hin zu Vorständen während des Coachings dieses selbstreflektierende Schreiben praktizieren. Je weiter der Coaching-Prozess voranschreitet, umso intensiver, ausführlicher und auch individueller. Viele machen auch gerne Übungen, die darüber hinausgehen und ein großer Teil der Klienten behält das selbstreflektierende Schreiben auch nach dem Coaching bei. Dass mangelnde Zeit ein vorgeschobenes Argument ist, und wie man dem begegnet, ist in Klein (2007) zu lesen. Wenn Coaches berichten, dass ihre Klienten das Schreiben nicht wirklich annehmen und praktizieren, dann liegt das nach eingehenden Beobachtungen vor allem an drei Gründen: Einmal, dass der Coach selbst keinen wirklichen Zugang zum selbstreflektierenden Schreiben hat, es nicht selbst praktiziert und von daher auch nicht authentisch vermitteln und implementieren kann. Zweitens, dass er auf mögliche Schreibhemmungen, die der Klient mitbringt, nicht adäquat eingeht und diese nicht schon am Anfang auflöst. Oder drittens, dass er mit den Texten, die die Klienten schreiben, so umgeht, dass sich Klienten an eine bewertende Lehrer- oder Schulsituation erinnert fühlen und wieder mit dem selbstreflektierenden Schreiben aufhören.

Langzeitwirkung

Wer schreibt, der bleibt, sagt ein altes Sprichwort. Wir leben in einer Kultur, in der das (nur) gesprochene Wort inzwischen wenig oder oft sogar gar nichts mehr gilt, schriftlich fixierte Verträge, Protokolle von Sitzungen oder Arbeitsbesprechungen dagegen als „die“ wirklich bindende Realität wahrgenommen werden. Vor diesem Hintergrund ist es außerordentlich interessant, darüber zu reflektieren, inwieweit Beratungsprozesse, therapeutische Sitzungen und in diesem Falle Coaching-Sitzungen überhaupt als „wirkliche Realität“ angenommen und integriert werden (können).

Sind diese nicht doch nur zufällig, beliebig, punktuell, situativ und alles in allem schnell vergänglich? Wie ernst, realitätshaltig, fundiert nimmt ein Klient und am Ende auch ein Coach selbst das wahr, was in einer Sitzung gesprochen wurde? Was davon ist wirklich leicht vergänglich und nur auf den Moment bezogen und was hat einen bleibenden Wert? Was kann als eine gesicherte Ausgangsbasis genommen werden? Daher kann man sagen, dass innerhalb dieser westlichen Kultur der gesamte Prozess des Coachings durch eine Verschriftlichung definitiv aufgewertet wird. Und das nicht nur, weil er durch das Schreiben strukturierter, verbindlicher und intensiver wird – sondern eben auch, weil der ganze Prozess kulturell anders eingeordnet und verankert werden kann. Obendrein gerät das Coaching selbst gerade nicht, wie so vieles andere im Leben des Klienten, relativ schnell wieder in Vergessenheit.

Als letztes und ebenfalls nicht unerheblich ist anzumerken, dass der Klient in späteren Konfliktsituationen, oft noch Jahre nach dem Abschluss eines Coachings, einen enormen Gewinn aus seinen eigenen Aufzeichnungen ziehen kann. Er kann sich nämlich den gesamten Coaching-Prozess von damals noch einmal durchsehen, sich wichtige Anregungen, Übungen, Interventionen, Strukturen und Erkenntnisse vergegenwärtigen und auf seine neue Situation übertragen.

Tagebuchschreiben – für Coaches und Klienten

Zudem beginnen viele Klienten bereits im Coaching, ein Tagebuch zu führen. Und zwar neben und parallel zum eigentlichen Coaching-Prozess. Und im besten Falle tut der Coach es selbst auch für seine eigene Selbstentwicklung. Aber anders als der Name suggeriert, muss ein Tagebuch nicht täglich geschrieben werden und kann dennoch zu einem steten Begleiter werden. Es erlaubt einem, die Zeit noch einmal rückwärts laufen zu lassen und die eigene Entwicklung zu reflektieren. Es stärkt die Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber und ist nicht zuletzt ein Reich der Freiheit. Dort kann man wirklich rücksichtslos offen sein, ohne andere dadurch zu verletzen. Man kann genauer erkennen und unterscheiden, was die wirklich eigenen Antriebe, Werte und Bedürfnisse sind und welche man ungeprüft übernommen hat. Man kann das eigene Denken beobachten und ausrichten und die eigenen Emotionen beeinflussen. So stärkt es das Selbstwertgefühl und die Selbstbestimmung gleichermaßen (Klein, 2018). Und das kommt am Ende den Klienten zugute.

Literatur

  • Klein, Olaf Georg (2018). Tagebuchschreiben. Berlin: Wagenbach.
  • Klein, Olaf Georg (2007). Zeit als Lebenskunst. Berlin: Wagenbach.

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