Portrait

Interview mit Ralf Gasche

Was Coaching von Terrorfahndung und Kriminalarbeit lernen kann

Die Vita von Ralf Gasche liest sich nicht wie der „gängige“ Werdegang eines Coachs. Der frühere Terrorismusfahnder und Profiler im Bundeskriminalamt verfügt über umfangreiche Führungserfahrungen – und zwar vor allem in Extrem- sowie Gefahrensituationen. Aus dieser Zeit erwachsene Lehren und Kompetenzen sind es, die den Executive-Coach und Managementberater in seiner heutigen Arbeit prägen und beispielsweise über die Seelenverwandtschaft von Flucht und Führung oder die Vermeidung von Burn-out-Erkrankungen reflektieren lassen.  

21 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2018 am 05.09.2018

Ein Gespräch mit David Ebermann

Bevor Sie Coach wurden, waren Sie für die Bundespolizei und das Kriminalamt tätig. Wie kam es hierzu? Welche Funktionen haben Sie im Einzelnen ausgeführt?

Mein Werdegang ist in der Tat unkonventionell. Alles begann mit meiner freiwilligen Verlängerung der damaligen Wehrpflicht um zwei Jahre. Eine gute Startvoraussetzung für eine Führungslaufbahn im Staatsdienst, die ich anstrebte. Konkret wurde mein damaliger Weg enorm von der Geiselnahme 1972 während der Olympischen Spiele und der aufstrebenden Roten Armee Fraktion (RAF) beeinflusst. Nach dem Attentat in München wurde im September 1972 die GSG 9 gegründet, die ihre Feuerprobe 1977 bei der erfolgreichen Geiselbefreiung der Passagiere der Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu hatte. Dieser Einsatz faszinierte mich derart, dass ich beschloss, von der Bundeswehr zum damaligen Bundesgrenzschutz (BGS), der heutigen Bundespolizei, zu wechseln, um von da aus die Chance zu bekommen, in die GSG 9 oder eine andere Spezialeinheit aufgenommen zu werden. Ob Zufall oder nicht – der Aufnahmetest bei den Hubschrauberpiloten fand vor dem zur GSG 9 statt und so kam ich in die Ausbildung zum Flieger.

Im weiteren Verlauf hatte ich weitere sehr interessante Tätigkeiten: Ich wechselte ins Bundeskanzleramt nach Bonn zum Personen- und Objektschutz für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl; ich wurde abgeordnet in den Raum Aachen zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität, wechselte nach zehn Jahren beim BGS zum Bundeskriminalamt und absolvierte das Studium zum Diplom-Verwaltungswirt. Neben Studienfächern der Rechtskunde, Volkswirtschaft und BWL setzte ich mich auch mit den Themenbereichen Kriminalistik, Kriminologie und Viktimologie – der „Lehre vom Opfer“ – auseinander.

Ich wurde schließlich Spezialist für die Bekämpfung von Linksextremismus bzw. -terrorismus, fokussiert auf die RAF. Ich war eingesetzt in der Tatortgruppe des Bundeskriminalamtes und bildete die Bahnpolizei in Terrorismusfahndung aus. Zu Beginn der Neunzigerjahre war ich darüber hinaus an der Strafverfolgung des damaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR beteiligt. Man hatte uns die sogenannten „Rosenholzpapiere“ zugespielt – eine Liste mit 2.000 Klarnamen von Spionen, die die DDR in Westdeutschland installiert hatte. Diese galt es abzuarbeiten. Eine außerordentlich interessante Tätigkeit und historisch bedeutsam für die Bundesrepublik.

Was führte dann zu dem Entschluss, Coach zu werden?

Das war eine verrückte Geschichte, die ich Ihnen gern erzähle. Ende der Neunzigerjahre hatte ich mich sukzessive in einen Burn-out hineingearbeitet. Retrospektiv betrachtet bin ich damals einem „Sprachfehler“ unterlegen: Ich konnte nicht „Nein“ sagen. Meine Leidenschaft für den Beruf war zu diesem Zeitpunkt schier grenzenlos. Wer zum Wohl des Staates und seiner Bürger geschworen hat, sein Leben einzusetzen, wenn es erforderlich ist, der ist bereit, im Wortsinne alles zu geben. Eine ablehnende Haltung gegenüber Herausforderungen jeglicher Art war daher intrinsisch nicht vorgesehen.

Ich bin seinerzeit energietechnisch komplett zusammengebrochen und hatte nach längeren krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehrere Optionen. Ich habe mich letztlich dafür entschieden, den Dienst zu quittieren und nach der Prämisse zu handeln: „Wenn Du willst, was Du nie hattest, dann tue, was Du nie getan hast.“

Mein neuer Weg verlief interessanterweise zunächst passiv: Ich wartete und lebte auf kein konkretes Ziel hin, sondern sammelte neue Kräfte und gab meinem Inneren die Chance, herauszufinden, wo die Reise hingehen könnte. Spannenderweise hat mich die Idee – oder man könnte fast sagen Eingebung –, Coach zu werden, beim Autofahren gegen 22:10 Uhr ereilt. An einer Stelle, die ich heute noch oft passiere und die mich jedes Mal an diesen Moment zurückdenken lässt. Ich hatte im Rahmen meiner Erholung und inneren Weiterentwicklung viel zum Thema Coaching gelesen, es war mir bis zu diesem Moment aber nicht klar, wie sehr mich diese Dinge offenbar beeindruckt hatten. Plötzlich war er also da, der Impuls: Du wirst Coach! Ich kann mich noch so gut daran erinnern, weil das Gefühl in diesem Moment sehr schön, emotional und vor allem durchgängig authentisch war. Sämtliche inneren Stimmen, Kritiker und Bedenkenträger wurden von der Idee des begeisterten Mitglieds des inneren Pro-Coach-Teams überstimmt. Ich machte also eine Coaching-Ausbildung, hängte diverse Einzelausbildungen und Studien an und machte mich selbstständig. Heute habe ich drei Firmen rund um die Themen Business-Coaching, Leadership-Seminare und Keynote-Vorträge.

Gibt es Geschichten aus Ihrer Zeit als Kriminalhauptkommissar und Terrorismusfahnder, die Sie gern im Rahmen Ihrer heutigen Tätigkeiten aufgreifen?

Ja, jede Menge! Ich rekurriere sehr gern auf frühere Erfahrungen. Führung in Extremsituationen lehrt vor allem Achtsamkeit, Sorgfalt, Disziplin und Konsequenz. Die Unverzichtbarkeit von intensiver Vorbereitung jedes Einsatzes muss förmlich ins Blut übergehen. Hieraus lässt sich natürlich einiges für den beruflichen Alltag der Führungskräfte ableiten und übernehmen, mit denen ich zu tun habe. Ich denke dabei z.B. an fesselnde Details aus dem letzten großen Einsatz gegen die RAF in Bad Kleinen 1993 oder die Frage, wie gute Kommunikation in Cockpits und bei Einsatzkräften im Flugdienst oder auch in Sondereinsatzeinheiten funktioniert.

Der Zusammenhalt und die sorgfältige mentale Vorbereitung vor gefährlichen Einsätzen sind sehr gut auf Teams übertragbar, die im Führungsalltag in Unternehmen tagtäglich ihr Bestes geben, um ihre Bereiche gut und stabil aufzustellen. Auch drastische Perspektivwechsel sind sehr hilfreich, um sich gut aufzustellen: Meine in einer Übung gemachte Erfahrung, ein Schiff zur Ausbildung verschiedenster Einsatzkräfte entführt zu haben, mag auf den ersten Blick nichts mit Leitungsbüros und administrativen Tätigkeiten zu tun haben, aber in diesem Testfall waren die komplette GSG 9, die Wasserschutzpolizei, diverse Flug- und Polizeieinheiten hinter mir und meinen „Mittätern“ her. Sicher sind Flucht und Führung nicht immer seelenverwandt – doch die Demut, die man im Angesicht der Konsequenz und Drastizität eines Spezialkräfteeinsatzes aus der Perspektive des betroffenen Täters sehr eindrucksvoll erlebt, schult und prägt raumgreifend.

Meine Erkenntnisse: Sei dir deiner Position, deiner Bestimmung, deiner Reputation nie zu sicher. Bleibe wachsam, ohne paranoid zu werden. Bleibe engagiert und interessiert. Sei selbstbewusst, aber nicht selbstgerecht. Aus diesem Einsatz erwuchs die Erfahrung, die ich Führungskräften und auch Coaches sehr gerne weitergebe: für verschiedene Seiten offen zu sein. Sich immer auch für alle anderen Perspektiven zu interessieren. Es gibt viel zu lernen. 

Sie sprachen Ihre Zusatzqualifikationen – u.a. im Kurzzeit-Coaching, in themenzentrierter Interaktion oder auch in Hypnotherapie – an. Welche Konzepte erleben Sie als besonders wertvoll?

Insgesamt erlebe ich die Vielfalt meiner Zusatzausbildungen als sehr wertvoll. Es war stets meine Intention, möglichst viel aus unterschiedlichen Bereichen zu lernen und zu erfahren. Das hat sich auch auf meinen Coaching-Stil ausgewirkt, der keiner einzelnen Schule anhängt, sondern sich aus den Best Practices der unterschiedlichsten Schulen und Forschungsstände speist.

Einige Erfahrungen hierzu gebe ich gerne weiter, z.B. mein kürzestes Coaching: Das hat exakt sieben Minuten gedauert und den Fortbestand einer ganzen Firma gesichert. Es basierte auf den Herangehensweisen des lösungsorientierten Kurzzeit-Coachings, das sich – wie der Name schon sagt – einzig und allein auf Lösungen konzentriert und in diesem Fall den Klienten dazu brachte, sehr schnell und sehr konsequent einige überfällige Entscheidungen zu treffen. Sein Thema war eine Angstblockade vor Kaltakquisition. Durch mein konsequentes Nachfragen und Aufzeigen der drastischen Konsequenzen für ihn und sein Unternehmen konnte er sich überwinden, gleich am Folgetag potenzielle Kunden von sich aus anzusprechen. Es gelang ihm, zeitnah neue Aufträge zu generieren. Seine Firma überlebte.

Darüber hinaus haben mich nicht zuletzt meine Zusatzausbildungen in die Lage versetzt, mich nahezu auf jeden Klienten und dessen spezifische Persönlichkeit, auf seinen emotionalen und energetischen Zustand einzustellen. So kann ich mit entsprechenden Techniken Ruhe erwirken oder Dynamiken erzeugen, je nach Persönlichkeit, Coaching-Gesamtsituation und individueller Zielorientierung. Hier helfen mir insbesondere meine Schauspielausbildung und die jahrelange Vernehmungserfahrung, Stimmungsmomente zu erzeugen, zu halten und wirkungsvoll zu steuern. Seminare gewinnen dadurch an Spannung sowie Individualität und werden zu dynamischen Gruppen-Coachings.

Als Herangehensweise empfehle ich das auch meinen Klienten und Zuhörern: die Vielfalt zu nutzen, die das Leben und die Möglichkeiten der Weiterbildung in unserem Kulturkreis bieten, aber darüber hinaus auch jeden Tag neue Impulse aufzunehmen. Sei es aus Seminaren, Schulungen oder der Lektüre von Büchern – selbst wenn sich daraus nur ein einziger Gedankengang synthetisieren lässt, den es sich lohnt, in den Alltag zu implementieren.

Mein Ansatz lautet: „Es muss in der Praxis funktionieren: aus der Praxis, für die Praxis.“ Insofern ist auch die beste Fortbildung keine gute Fortbildung, wenn sie nicht dazu führt, das Gelernte in der Praxis anzuwenden. Ich habe sehr viel Geld und Zeit in meine Aus- und Weiterbildung investiert und würde es immer wieder so machen. Im Verlauf seines Werdegangs wird ein Coach seine Fähigkeiten und den Stand seiner Weiterentwicklung an der Qualität und Hierarchieebene seiner Klienten erkennen. Sie spiegeln ihm, wo er steht.

Ralf Gasche

© Foto: Gasche Pictures

Als Coach arbeiten Sie sowohl mit großen als auch mit kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammen. Was erwarten Unternehmen von einem externen Coach?

Unternehmen wie auch einzelne Menschen haben Erwartungen – und manchmal sind diese Themen auch sehr kongruent. Doch erlebe ich es in der Regel, dass die Erwartungen Einzelner sehr unterschiedlich sein können, je nachdem, welche Bilder und Vorstellungen sie von Coaching im Kopf haben. Der externe Coach wird von der Personalabteilung als jemand gesehen, der Aus- und Weiterbildung für das Unternehmen bietet. Der Chef sieht in ihm einen Mitstreiter, seine Führungskräfte zu beurteilen und – manchmal manipulativ – zu beeinflussen. Führungskräfte erwarten sich von ihm Hilfe, die eigenen Probleme zu minimieren und sich besser aufzustellen. Und last but not least wird der Coach von Investoren und Gesellschaftern als derjenige engagiert, der das Unternehmen insgesamt profitabel voranbringen soll, indem er Einfluss auf das Führungspersonal nimmt. So unterschiedlich sind die Erwartungshaltungen und so unterschiedlich gestalten sich auch zunehmend meine Aufträge.

Selbstverständlich finden sich auch Klassiker in meinem Portfolio wie Team- und Einzel-Coachings. Diese weiten sich in einigen Fällen hierarchieübergreifend aus, weil das Vertrauen in meine Arbeit und in meine Diskretion so groß geworden ist, dass ich gebeten werde, mit mehreren Ebenen gleichzeitig zu arbeiten. Ich erhalte dadurch einen Gesamtüberblick über alle Facetten und Wahrnehmungen in einem Unternehmen, was mir ermöglicht, alle Beteiligten miteinander ins konstruktive Gespräch zu bringen – etwas, was interne Führungskräfte nur sehr selten initiieren können.

Die Vertrauensbasis zu meinen Klienten ist so stabil, dass Einzel-Coaching-Klienten nach Abschluss eines bestimmten Coaching-Auftrages irgendwann wieder auf mich zukommen, selbst dann, wenn sie mittlerweile in andere Firmen gewechselt sind, auf neuen Positionen und unter neuen Verträgen arbeiten. Wenn Klienten international gewechselt haben, kommen dadurch interessante Einsätze wie z.B. in Wien, Zürich oder London zustande. Das freut mich sehr, weil es davon zeugt, dass unser gewachsenes Vertrauen eine Basis von Dauer und Bestand geschaffen hat. Die Menschen wissen zu schätzen, was ich tue und was sie in den Coachings erhalten.

Zunehmend kommen auch Startups und deren Investoren präventiv oder sehr kurzfristig auf mich zu, um drohendes Konfliktpotenzial aufzufangen. So z.B. ein Unternehmen, das erfolgreich aus einer TV-Show hervorging. Aufgrund seines Erfolges kämpft es mit stetig wachsenden Mitarbeiterzahlen und Hierarchieebenen – Expansionsschmerzen. Oder ein sehr erfolgreiches mittelständisches Unternehmen, das meine Führungsgrundsätze übernommen hat, um endlich Stabilität zu schaffen und eine Führungskultur zu implementieren. Thematisch analog betreue ich aktuell sehr interessante Projekte mit größeren Holdings, die meine Führungsansätze auf alle Führungsebenen übertragen wollen.

Auffällig ist der sich wandelnde Zeitgeist, den ich hierbei feststelle: Der unternehmerische Mittelstand erwartet zunehmend von einem Coach, als umfänglich einsetzbarer und strategischer Partner zu fungieren, und das häufig langfristig und disziplinübergreifend: Ob Einzel-Coaching, Coaching des Leitungsteams, Strategieentwicklung mit der Chefetage, Nachfolgeplanung für einen Familienunternehmer, Ausbildung der Trainees – den vielfältigen Erwartungen sind kaum Grenzen gesetzt.

Seit 2001 sind Sie als Coach tätig. Kann von einer Professionalisierung auf Seiten des Einkäufermarktes gesprochen werden?

Ja, diesbezüglich mache ich deutliche Beobachtungen. Dies gilt aber eher für größere Unternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeitern oder Konzernstrukturen. Insbesondere dort, wo man eine feste Personalabteilung oder sogar eine Personalentwicklung eingesetzt hat, ist man bemüht, den Coaching-Begriff zu schärfen und Coaching-Ansätze professionell zu implementieren. Das bedingt eine gute Vorauswahl, den Aufbau von Coach-Pools, die Schaffung von Grundsätzen, nach denen der Coach vorgehen soll, das Einholen von Expertisen und dergleichen. In kleineren Unternehmen ist im Gegensatz dazu eher noch umfänglich feststellbar, dass Unklarheit in Bezug auf Coaching oder sogar eine deutliche Ablehnung existieren. Ich denke, dass professionelle Coaches in der Zukunft durchaus gute Chancen im deutschen Mittelstand haben werden, aber das wird von einer umfassenden Aufklärungsarbeit begleitet werden müssen.

Sie verweisen darauf, dass Sie Aufträge ablehnen, wenn hinter den vordergründigen Anliegen „ethisch verwerfliche Absichten“ stehen. Haben Sie ein Beispiel für einen Fall, den Sie abgelehnt haben?

Ja, hier gibt es das ein oder andere Beispiel: Erstens eine große deutsche Bank, die die Idee hatte, mich zu beauftragen, einige ihrer High Potentials zu „coachen“. Wirklich hervorragende Führungskräfte, die bundesweit eingesetzt waren. Studienabsolventen mit summa cum laude, eben erstklassige Leute, die tatsächlich von neun bis ein Uhr arbeiteten – nicht 13:00 Uhr, sondern 1:00 Uhr! Man verlangte von mir, sie „noch fitter“ zu machen und noch mehr aus ihnen herauszuholen. Das geht über meine ethischen Grundvorstellungen hinaus und dazu möchte ich nicht beitragen.

Ich habe auch schon Aufträge abgelehnt, die darauf abzielten, im Coaching einzelner Führungskräfte persönliche Erkenntnisse zu gewinnen, die die Geschäftsleitung für sich nutzen wollte. Das heißt, ich sollte angehalten werden, Indiskretionen zu begehen. Das hätte einen Vertrauensbruch bedeutet, der im Coaching für mich absolut indiskutabel und damit ausgeschlossen ist.

Ein weiteres Beispiel ist ein Unternehmen, wo sich in den ersten Gesprächen mit dem Klienten und vor allem mit dessen Führungsebenen herauskristallisierte, dass dort Handlungen im rechtlichen Graubereich stattfanden, die nach meiner Einschätzung möglicherweise handfeste Straftaten beinhalteten. Auch hier habe ich den Auftrag abgelehnt.

Ich folge einer klaren persönlichen Ethik, nach der sich mir eine Zusammenarbeit mit Unternehmen verbietet, deren Dienstleistungen oder Produkte Schäden für die Gesundheit anderer Menschen oder sogar ganzer Gesellschaften nach sich ziehen können. Insofern kommt es für mich nicht infrage, mit der Tabak-, Zucker- oder Trinkalkoholindustrie sowie mit Firmen, die Waffen, chemische Kampfstoffe usw. herstellen, zusammenzuarbeiten. Hier greift meine „Triple-win“-Idee: Nicht nur meine Klienten, die Firmen und ich sollten jeweils einen Benefit haben, sondern auch – und das ist mir sehr wichtig – weitere Personen und Bereiche, die mittelbar oder unmittelbar von den Coachings betroffen sind. Deshalb lehne ich Aufträge ab, die negative gesundheitliche Folgen für andere haben könnten. Das ist ein gutes Prinzip für mich und mein Unternehmen und bedeutet, dass ich mir jeden Morgen guten Gewissens im Spiegel begegnen kann. 

Wie ist es Coaches möglich, verdeckte Absichten eines Auftraggebers zu erkennen? Haben Sie diesbezüglich einen Vorteil aufgrund Ihrer BKA-Tätigkeit?

Ja, eindeutig ergibt sich hier ein Vorteil, weil ich in meinen Ausbildungen und Einsätzen im BKA gelernt habe, wie man Vernehmungen führt, Lügen auch ohne Detektoren erkennen kann und vor allem, wie man Menschen genau beobachtet. Diese Eigenschaften habe ich im Laufe meiner Tätigkeit als Kriminalbeamter und später als Coach ständig vertieft. Insbesondere, weil ich mich im Zusammenhang mit meinem eigenen Burn-out darauf konzentriert habe, mich gut zu beobachten, und dadurch sehr intensiv lernte, wie Menschen „funktionieren“.

In meinen Ausbildungen rund um die Körpersprache der Mikro- und Makrosignale, auch bei Paul Ekman, dem FBI-Psychologen in den USA, habe ich meine Beobachtungsgabe intensiviert. Woraus unter anderem ein neues Tool erwachsen ist, welches ich Coaches und Führungskräften ans Herz lege: „Visual Profiling“ (siehe Coaching-Magazin 1/2018).

Insofern achte ich insbesondere bei einem Erstgespräch oder im berühmten Dreiergespräch zwischen dem Klienten, dessen Chef und/oder der Personalabteilung und mir sehr darauf, die Körpersignale, Mimik, Stimmen und Intentionen aller Beteiligten bewusst wahrzunehmen. So finde ich heraus, ob alle Menschen zu ihren Aussagen stehen oder möglicherweise Bedenken oder verdeckte Absichten hegen, die zunächst nicht geäußert werden. Durch diese bewusste Herangehensweise stelle ich für mich erfolgreich eine größtmögliche Achtsamkeit und Transparenz her.

©Valéry Kloubert

Sie können diverse Publikationen im Themenbereich Führung vorweisen. Worin bestehen Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Fehler von Führungskräften?

Zu viele Führungskräfte realisieren nicht, dass sie im Moment der Führungsübernahme einen vollkommen neuen Beruf zu erlernen haben: den Umgang mit Menschen, die ihnen anvertraut werden. Das erfordert eine hohe Disziplin, die Tätigkeit, die sie ursprünglich einmal erlernt haben, loszulassen und in weiten Teilen zu delegieren. Dieser logische und im Grunde einfache Vorgang ist bei vielen Führungskräften nicht wirklich intrinsisch zu verankern. Sie versuchen stattdessen, weiterhin alle Arbeiten zu erledigen und sogar noch die besseren Sachbearbeiter zu sein als ihre Mitarbeiter. Führung erfolgt „nebenbei“. Sie mischen sich in die tägliche Arbeit ein, verlieren die Prioritäten aus dem Blick, werden ungerecht und dominieren ihre Mitarbeiter.

Ein weiterer großer Fehler macht sich an folgendem Grundprinzip fest: Führen kann nur, wer sich selbst führen kann. Das bedingt, den Mut zu haben, sich und seine eigenen Stärken und Schwächen kennenzulernen, zu wissen, wo man empfänglich ist für Manipulationen und andere emotionale Einflüsse. Ein Chef sollte wissen, wovor er Angst hat und was ihn intrinsisch steuert, was ihn bremst und was ihn motiviert. Das versetzt ihn in die Lage, seine Mitarbeiter zu verstehen und mitarbeiterorientiert zu führen.

Diese einfachen – oder scheinbar einfachen – Herangehensweisen sind vielen Führungskräften nicht bekannt, werden von ihnen vernachlässigt oder sogar abgelehnt. Folge: Der Chef versteht nicht, was die Mitarbeiter motiviert, und erkennt nicht, was für wertvolle Menschen für ihn arbeiten. Er ist rundum ein schlechtes Vorbild.

Steigen Führungskräfte noch weiter auf, ist damit für sie die nächste neue Berufung, der nächste neue Beruf, verbunden. Sie führen dann Führungskräfte und sollten demnach den Umgang mit Menschen lernen, die selbst ziemlich genau wissen, was sie wollen. Das erfordert eine starke Persönlichkeit, neue Skills und neue Blickwinkel. Das Bewusstsein hierfür sehe ich in der Realität bei den Führungskräften, die Führungskräfte führen, eher nicht sehr stark ausgeprägt. Der weitere großer Fehler lauert im nächsten Karrieresprung: Ab einer bestimmten Exekutiv-Ebene geht es vermehrt um die Auseinandersetzung mit politischen Fragestellungen: mit der eigenen Positionierung, mit Abwehrtechniken gegen Angriffe, mit präventiven Vorbereitungen auf Unternehmensveränderungen und ähnlichen Fragen. Um diesen Herausforderungen Herr zu werden, sind weitere operative Themen zu delegieren. Die damit einhergehende Entfernung von den Sachthemen, ohne den Kontakt zur Praxis zu verlieren, ist ein Balanceakt.

Wie kann Coaching bei diesen Führungsfehlern bzw. -herausforderungen Abhilfe schaffen?

Mit der erweiterten Machtfülle und Hierarchieebene müssen vollkommen neue Verhaltensweisen einhergehen. Das ist erlernbar – doch braucht dies wieder neue Reflexion, Lerneinheiten und bewusste Erfahrungsschritte. Coaching kann Abhilfe schaffen, indem es den Klienten konfrontiert und auf den jeweiligen Ebenen die entsprechenden Fehler aufzeigt, neue Möglichkeiten entwickelt und gemeinsam Wege erschließt, wie die Führungsposition besser erkenn- und ausfüllbar ist. Mitunter kristallisiert sich dabei sogar heraus, dass eine bestimmte Ebene oder eine konkrete Führungsverantwortung für diesen speziellen Menschen nicht infrage kommt.

Sie haben eine Methode der Burn-out-Prävention entwickelt. Wie sieht diese in Grundzügen aus?

Als Betroffener ist man immer Experte und ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie ich den Burn-out bei mir hätte erkennen oder verhindern können. Weil ich immer öfter sehe, dass sich viele meiner Klienten ebenfalls gefährlich intensiv in diese Richtung bewegen, habe ich die Idee entwickelt, präventive Ansätze in meine Arbeit mit Führungskräften zu implementieren. Dazu gehört vor allen Dingen, darüber aufzuklären, woran man Burn-out im Frühstadium, noch bevor sich wirkliche Überlastungssymptome einstellen, erkennen kann.

Der zweite Schritt ist, sich in Positionen, die sehr anstrengend und energieaufwändig sind, gut zu reflektieren und für zuverlässige und vertrauenswürdige Feedbackpartner zu sorgen. Im Krankheitsverlauf gehen bestimmte eigene Erkennungsmuster verloren. Unser Gehirn täuscht uns, weil es ständig versucht, uns das aktuelle Leben, sei es noch so schwer, erträglich zu machen. Das führt in eine trügerische Scheinsicherheit.

Und als dritten wichtigen Folgeschritt in meiner Burn-out-Prophylaxe erarbeite ich mit den Klienten eine große Kunst: Mit ihrem „Lebensauto“ bei Tempo 200, schönstem Wetter auf freier Strecke, freiwillig und ohne Anlass, die Geschwindigkeit zu reduzieren und nur noch 100 zu fahren. So ungefähr fühlt es sich an, wenn eine Führungskraft aus dem normalen Alltag, dem „normalen Wahnsinn“, ohne Anlass, denn es ist ja noch kein krankheitswerter Umstand eingetreten, auf eine normale Dosis zurückfährt. Jeder kann sich gut vorstellen, wie schwer das ist, weil es sehr viele Umstände gibt, die dagegen sprechen. Druckszenarien in Unternehmen im Allgemeinen und in Führungskonstellationen im Besonderen. Beide machen es scheinbar unmöglich, die Arbeit bzw. die Geschwindigkeit zu reduzieren. Aber genau darin liegt das große Geheimnis, sich vor einem Burn-out zu schützen: Es ist möglich, erfordert aber höchste Disziplin sowie ein unterstützendes Umfeld.

Sie sind akkreditierter Coach für die Bundesregierung. Was ist hierunter konkret zu verstehen?

Meine spezielle Vergangenheit bahnte mir den Weg, in den Coach-Pool des Bundesministeriums des Innern aufgenommen zu werden. Auf dieser Basis können mich 500 nachgeordnete Dienststellen der Bundesrepublik beauftragen.

Was ist das Besondere an Coaching-Aufträgen in diesem Kontext?

Die Aufträge an sich unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Privatwirtschaft. Auch in der öffentlichen Verwaltung ist man den modernen Konzepten des Einzel- oder Team-Coachings gegenüber aufgeschlossener geworden. Es arbeiten viele motivierte Menschen zusammen, die etwas gemeinsam erreichen wollen. Doch es gibt auch Besonderheiten: So verhindern die Eigenarten der öffentlichen Verwaltung oft, dass Führungskräfte entschlossen ihre Maßnahmen durchsetzen können. Viele Mitarbeiter in Behörden sind verbeamtet oder haben in vergleichbar wertiger Tätigkeit einen größeren Kündigungsschutz, was sie zu der Annahme verleitet, „Narrenfreiheit“ zu haben. Das Beamtenrecht gibt nur wenige Ansätze, um hier konsequent tätig zu werden. Was mich jedoch nicht davon abhält, mit den Führungskräften und den Leitungsteams, die in der Regel aus den Ministerien heraus so einen Auftrag vergeben, daran zu arbeiten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die sie rund um den Bereich des konsequenten Führens an Sanktionsmöglichkeiten haben.

Als Dozent leiten Sie die Coaching-Ausbildung der Haufe-Akademie …

Ja, wir bilden unsere Teilnehmer im systemischen Business-Coaching aus. Die Ausbildung dauert gut ein Jahr, umfasst 20 Präsenztage sowie zehn Selbst- und Teamweiterbildungstage. Es werden verschiedenste Abschlussarbeiten und Präsentationen gefordert und die Absolventen sind im Anschluss in der Lage, selbstständig als Business-Coaches tätig zu werden.

Neben dem bereits angesprochenen Praxistransfer: Was prägt eine gute Ausbildung Ihrer Ansicht nach?

Unsere Ausbildung ist sehr geprägt vom Umgang mit Menschen sowie von Werkzeugen im Umgang mit Selbst- und Eigen-Coaching. Sie beinhaltet viele Aspekte, sich selbst zu erkennen, eigene Blockaden und Glaubenssätze für sich wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Das ist für die spätere Arbeit als Coach sehr wichtig, denn ein Coach dient dem Klienten nicht nur als Feedbackgeber und Sparringspartner, sondern auch als Vorbild, als eine Art Modell, an dem der Klient sich orientieren kann.

Die Coaching-Ausbildung lebt zentral aus der tiefen Erfahrung, alle Coaching-Werkzeuge aus verschiedensten Perspektiven zu erproben: Der Coach als Anwender des Werkzeugs, der Klient, der die Intervention erlebt, und der Beobachter, der aus seiner Perspektive Fallstricke und Feinheiten erkennt, die dem wachsenden Coach als Hilfestellung dienen können. Auch hier spiegelt sich meine Führungsethik: „Weich zu den Menschen, hart in der Sache.“ Wer später mit und für Menschen verantwortungsvoll arbeiten will, sollte unbedingt wissen, was er tut, und professionell reflektieren können.

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