Portrait

Interview mit Dr. Bernd Schmid

Coaches sind Zehnkämpfer: Sie müssen alle Perspektiven der Organisation im Blick haben

Dr. Bernd Schmid gehört zu den Pionieren der Coaching-Branche und seine Konzepte, sowohl für den Umgang mit Menschen als auch mit Organisationen entwickelt, sind im Coaching mittlerweile kaum wegzudenken, wie das international sehr gefragte „Drei-Welten-Modell“. In seinem Verständnis ist der Coach ein „Zehnkämpfer“: Er muss die Belange der Organisation in allen ihren Aspekten begreifen und so ganzheitlich in ihrer Entwicklung unterstützen. Das Herauspicken und künstliche „Aufblähen“ von lediglich Teilperspektiven greift zu kurz. Daneben schadet es keinesfalls, sein Weltbild immer wieder zu hinterfragen und so für neue Ideen und Konzepte offen zu bleiben.

19 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2014 am 10.09.2014

Ein Gespräch mit Dawid Barczynski

Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken, was sehen Sie?

Tatsächlich bin ich in einem Alter, in dem man auf sein Leben zurückblickt und etwas aufräumt. Dabei fügt sich auch ein Bild der Dinge, die man gelernt und begriffen hat, zusammen. An vielem darf man sich erfreuen und mit anderem muss man sich versöhnen. Auch sollte man Abschied nehmen von den Dingen, die man wahrscheinlich nicht mehr tun kann und sich dabei bewusst werden, was man eigentlich mit dem Rest seiner Zeit tun möchte – so wird man mit seiner Zeit wählerischer.

Insgesamt bin ich zufrieden damit, dass diese in Beziehungen oft ungeschickte, aber auch voller unausgereifter Talente und Ambitionen steckende junge kraftvolle Person, die ich war, ihren Weg gefunden hat. Ich bin auch froh, dass ich es geschafft habe, jeweils das zu tun, was für mich stimmig war. Das Ringen um Resonanz für meine Sichtweisen hat letztlich doch zu vielen Früchten geführt. Es ist ja auch bereichernd, dass das Leben weit mehr zu bieten hat an Schönem wie auch an Schmerzlichem als man sich das als junger Mensch vorstellen kann. Und ich habe noch vieles vor!

Ein Ausblick auf weitere Arbeitsperspektiven?

Ja, wobei ich nicht mehr in Hektik und Lieferdruck lebe – ich gebe selbst in meinem Unternehmen isb keine Seminare mehr, habe alle operativen Positionen besetzt und kann wirklich strategisch und orientierend tätig sein und etwas ganz Neues aufbauen, wie die Schmid-Stiftung, zu der wir noch sicherlich kommen. Daneben habe ich Zeit zum Denken, Reden und Schreiben. Ich schreibe seit 40 Jahren und lerne es allmählich. Schreiben wird wie Fotografieren zunehmend zu Selbsterfahrung und Selbstausdruck. Meine Essays bietet vielen im Berufsfeld eine geistige Erholungspause im Berufsalltag.

Weiter zurückgeblickt: „Coach“ war nicht Ihr Berufswunsch …

Damals, in den 60ern, gab es den Begriff noch gar nicht – zumindest nicht in meiner Welt.

Sie wollten Handelslehrer werden.

Das ist eine etwas längere Geschichte: Ich war Legastheniker und ich habe es deswegen schwer gehabt in der Schule und mich geschämt. Man ging damit damals aber auch nicht sehr zartfühlend um. Damals wusste ich aber nicht, dass mein Problem eine Behinderung bzw. eine Entwicklungsbeeinträchtigung ist, die sich vollständig im Laufe der Jahre auswachsen kann, wie bei mir geschehen.

Im Rückblick sehe ich aber, dass in der Legasthenie ein besonderes Talent steckt: Man hat zwar mit vorgegebenen Ordnungen und Zusammenhängen seine Probleme, kann aber Dinge sinnhaft neu zueinanderfügen und damit Konventionen sprengen. Und das konnte ich schon als junger Mann, was mir positive Resonanz eingebracht hat. Dann habe ich mich, obwohl ich ein schlechter Schüler und sitzengeblieben war, als Nachhilfelehrer versucht und gemerkt, dass ich das eigentlich ganz gut kann. Und so wollte ich – in aller Naivität – Lehrer werden. Aber weil ich so ein schlechter Schüler war, kam kein Fach infrage.

Als ich hörte, dass man Lehrer in der Wirtschaft werden konnte, habe ich einfach das gemacht und weil man, um Handelslehrer zu werden, ein einjähriges Betriebspraktikum machen musste, habe ich Praktika in einem Industrieunternehmen und bei der Deutschen Bank geleistet und dabei zugleich größere Unternehmen kennengelernt. Ohnehin war die damalige Generation nicht gut aufgeklärt bezüglich Berufsperspektiven etc. Man hat einfach das Nächstliegende gemacht, wenn es stimmig war. Ich hatte nie einen langfristigen Plan.

Aber ich habe immer mehr ein Gefühl dafür entwickelt, welche Richtung stimmt und wohin man noch aufbrechen müsste, damit es noch stimmiger wird. Meine Berufsentwicklung ist so durch Drift und Experiment entstanden. Den Schuldienst habe ich dann ausgeschlossen: Das Klassenzimmer und die Schüler, das hat mir gefallen. Aber als ich das Lehrerzimmer und die Atmosphäre dort erlebte, wusste ich, dass das nicht meine Welt sein konnte. 

Weshalb?

Weil mir die Menschen dort irgendwie schmal und verkümmert vorkamen. Das war eine intuitive Entscheidung, die ich als junger Mann für mich getroffen habe. Daraufhin wollte ich eigentlich gerne eine Karriere an der Hochschule machen, denn ich war zwar ein schlechter Schüler aber ein eifriger Student, der neben seinem Wirtschaftsstudium viel Psychologie und Pädagogik studiert hat. Doch daraus wurde nichts, weil ich dort nirgends reingepasst habe: Den Wirtschaftlern war ich zu pädagogisch, den Pädagogen zu psychologisch, den Psychologen interessierte ich mich zu sehr für Gruppendynamik – ich war einfach ein zu bunter Hund. Dann habe ich irgendwann gehört, wie Evolutionstheoretiker Mutanten nennen, die sich später als erfolgreiche Urväter entpuppen: „hopeful monster“. Der Begriff war mir ein Trost.

Sie sind auch ein „hopeful monster“?

Die Evolution macht viele Experimente und das Schicksal eines Einzelnen interessiert nicht, so dass viele Unangepasste Schiffbruch erleiden und untergehen. Irgendwie haben mich aber glückliche Umstände, einige Talente und Ambitionen sowie viel Fleiß davor bewahrt. Zudem hatte ich immer ein Gespür dafür, wohin sich meine Umwelt entwickeln wird und lag dabei eigentlich nie wirklich falsch. Im Laufe der Zeit konnte ich das immer besser formulieren und entsprechend agieren, sodass ich dann, wenn auch immer viele Jahre später, auf die in die erahnte Richtung gegangene Entwicklung gut vorbereitet war.

Wie haben Sie es trotz Legasthenie geschafft, zu promovieren?

Ich glaube, dass ich die Legasthenie zu dem Zeitpunkt schon sozusagen überwunden habe. Trotzdem hatte ich eine fürchterliche Orthografie, weil ich nach Gehör geschrieben habe. Das ist natürlich umso schlimmer, wenn man etwas dialekteingefärbt ist. Ich bin auch heute noch ein hauptsächlich auditiver Mensch. Was dazu beigetragen hat, dass sich meine Legasthenie im Laufe der Jahre gelegt hat, weiß ich nicht genau, eher die inoffiziellen Bildungserfahrungen. So war ich z.B. in der Schule Chorsänger und spielte begeistert Schultheater, dann war ich ein engagierter und erfolgreicher Reiter und später habe ich Beat-Musik gemacht. Dadurch habe ich viel über Zusammenspiel, Harmonisierung und Rhythmisierung gelernt.

Ähnliches habe ich an meinem Sohn bemerkt, der auch Legasthenie hatte: Sein Grundschullehrer hat immer, wenn es beim Lesen schwierig wurde, eine Gitarre herausgeholt und mit ihm gesungen. Ich denke, da gibt es einen Zusammenhang. Jedenfalls ist Lesen auch heute noch Arbeit für mich, weil ich den Vorgang des Lesens nicht ausblenden kann. So habe ich schon im Studium wenig gelesen, aber das Wenige habe ich sehr gründlich verarbeitet und es so wirklich verstanden und integriert. Insofern war das für meine Promotion keine Behinderung –Behinderung erlebte ich eher dann, wenn ich mit Desinteresse und intriganten Haltungen zu kämpfen hatte.

Was meinen Sie damit?

Nun, ich hatte mehrere Betreuer, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, dass jeder vor dem anderen gut dasteht. Gab es im Nachhinein Kritik, wurde alles auf meinen Rücken abgewälzt. Betreuung, Zuverlässigkeit und Rückenstärkung im Rahmen der Promotion – Fehlanzeige. Allerdings gab es auch ganz andere Erfahrungen. So hat ein Professor der VWL meine kritische Art zu schätzen gewusst, mir die Leitung großer Tutorenprogramme übertragen und mir als Student die Veröffentlichung meines ersten Buchs im renommierten Springer-Verlag ermöglicht.

Als sich Ihr Arbeitgeber, die Uni Heidelberg, weigerte, Ihnen für Fortbildungen in den USA u.a. bei Milton Erickson unbezahlten Urlaub zu gewähren, haben Sie gekündigt und sind hingeflogen ...

… nur war das nicht so unbedacht, wie es scheint. Damals, 1979 hatte ich schon viele Jahre Gruppendynamik gemacht und so meine ersten Schritte als Freiberufler getan. Zudem stand ich vor dem Abschluss meiner Transaktionsanalyse-Ausbildung, hatte schon eine eigene Therapiegruppe, zu der auch immer mehr Klienten kamen und so habe ich gemerkt, dass ich davon leben kann. So war das kein Absprung ohne Fallschirm in der Hoffnung, dass er noch geliefert wird. Ich war zuversichtlich, dass das klappt.

Das kam Ihnen im Grunde gelegen?

Es kam mir auch entgegen, weil ich einen ethischen Konflikt gespürt habe. Ich war nämlich an der Studentenberatungsstelle und eigentlich für eine ganzheitliche Beratung von Studenten bezüglich Studienfragen zuständig. Ich wollte aber Psychotherapeut werden und habe hauptsächlich nur Psychotherapie gemacht, was aber nicht der Sinn dieser Stelle war. Irgendwann habe ich auch gespürt, dass der Kanzler, der das immer wieder kritisiert hat, Recht hatte. So war es mir willkommen, diese Nichtstimmigkeit zu beenden und selbst zu verantworten, dass ich Psychotherapie machen wollte – auf eigene Rechnung.

Wie sind Sie dann zum Coaching gekommen?

Um diese längere Geschichte kurz zu fassen: Es gab eine Zeit in den späten 70er und 80er Jahren, da hatten Unternehmen viel Geld und haben die Bildungs- und Personalentwicklungsabteilungen einfach machen lassen. Auch sie haben die neuen Freiheiten der späten 68er Zeit genutzt und sich auf den bunten Psycho-Markt begeben, um Leute einzustellen. Da es nicht auf das Geld ankam und noch keine richtigen Gütekriterien vorhanden waren, wurden auch abenteuerliche Dinge gemacht: Neben humanistischer Psychologie und Gruppendynamik wurde Exotisches wie über glühende Kohlen laufen ausprobiert. In dieser Zeit wurde ich in Unternehmen eingeladen, um sowohl TA zu lehren als auch Teamentwicklung und -beratung zu betreiben.

Zunächst habe ich natürlich Methoden aus der Psychologie eingesetzt, verbunden mit meinem Verständnis aus dem Wirtschaftsstudium. Irgendwann wurde ich dann gefragt, ob ich nicht neben meiner Psychotherapeutenausbildung auch speziell für Wirtschaftler eine Weiterbildung aufbauen will. Das habe ich gemacht und es „systemische Beratung“ genannt – „systemisch“ war damals der aktuelle Wertbegriff. Irgendwann wurde ich auch von Leuten, die als „Coaches“ firmieren wollten, als Lehrer angefragt und musste so den „Coaching“ genannten Container mit neuen Konzepten und neu Konfiguriertem befüllen. Dass „Coaching“ ein neuer Wertbegriff im heutigen Ausmaß werden würde, habe ich damals nicht vorausgesehen. Doch dann kam Christopher Rauen und 2004 die Einladung, den DBVC zu gründen, dann 2008 der Coaching-Kongress des DBVC und erst dann habe ich diesem Begriff zunehmend Bedeutung beigemessen.

Sie haben sehr viele Ausbildungen zur TA, Hypnotherapie …

… und eine Gesprächspsychotherapieausbildung, eine gruppendynamische Ausbildung und weitere Weiterbildungen ohne formalen Abschluss gemacht u.a. in Jung’scher Psychologie. Ich war schon immer so, dass ich zwar etwas mit großem Eifer, großer Identifikation gelernt habe, aber mich nie eingeschränkt habe in meinem Weltbild. Ich war immer kreativ und habe oft intuitiv etwas anders gemacht als es die Schulen vorsehen. Es braucht einfach sehr viel mehr Horizont, um die ganze Breite des Lebens, mit der ich umgehen wollte, zu bedienen, weshalb ich viele Ausbildungen gemacht und alles ausprobiert habe. Daraus habe ich die für mich relevanten Essenzen rausgezogen und den Rest fallenlassen. Die Enge nur eines (vorgefertigten) Weltbilds war mir immer unbehaglich.

Nach 1985 haben Sie keine Ausbildungen besucht. Haben Sie „ausgelernt“?

Auf keinen Fall! Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass sich die Art zu Lernen erschöpft hat und so habe ich 1985 nach meinem internationalen Examen zum TA-Lehrer und -Supervisor beschlossen, für einige Jahre zu pausieren und aus dem Erlernten eigene Entwicklungen zu machen. In den 20 Jahren danach habe ich dann die meisten meiner Konzepte entwickelt. Man sagt auch in der Evolutionsbiologie, dass während der Entwicklung einer neuen Spezies nicht zu viele Rückkreuzungen stattfinden sollten, damit wirklich etwas Neues entstehen kann. Deswegen war es auch ganz gut, dass Wiesloch, der Institutssitz des isb, als abgeschiedenes Biotop eine gewisse Abgeschlossenheit bieten konnte.

Gleichzeitig wurde uns gerade deswegen früher öfter gesagt, dass unsere Konzepte zwar sehr kompetent und überzeugend seien, aber man das alles manchmal nach Außen nicht so gut vermitteln könne. Und unsere „Abgeschiedenheit“ nährte den Verdacht, dass auch die Inhalte provinziell sein könnten. Das war für mich der Impuls, mich wieder stärker mit anderen Strömungen der Gesellschaft auseinanderzusetzen, wofür der DBVC und einige dort vertretene Ansätze durchaus geeignet waren. Mittlerweile haben wir bewiesen, dass wir in wichtigen gesellschaftlichen Sphären Nützliches zu bieten haben und ankoppelungsfähig sind. Dabei sind uns die Entwicklungen im Zeitgeist und im Professionsfeld entgegengekommen.

In diesem Zusammenhang merkte ich auch, dass die deutschen Anbieter weltweit gesehen Gefahr laufen, hochwertiges zu vertreten, damit aber am Rande zu bleiben. Deswegen habe ich mit Hilfe meiner internationalen Vernetzung in der TA eine Initiative gestartet, um Konzepte etc. auch englischsprachig zu repräsentieren. Das ist auch ein Grund, weshalb ich mich nun in Zusammenarbeit mit dem DBVC der Entwicklung des „International Network for Organizational Coaching“ widme. Die Idee ist, auszuloten, was in die Welt passt, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Dabei sollten wir eine Pionierfunktion übernehmen.

Ähnlich wie Ihr Drei-Welten-Modell, das international gefragt ist?

Stimmt, ja. Mir hat neulich eine englische Kollegin geschrieben, dass sie es in Japan rauf- und runterlehrt und es sehr gut ankäme. Das Drei-Welten-Modell ist eine Weiterentwicklung des Ich-Zustands-Modells der TA und führt über persönlichkeitspsychologische Betrachtungen hinaus. Diese fand ich für meine Arbeit in Organisationen unzureichend und habe nachgedacht: Welche Rollen sind für eine berufliche Weiterentwicklung relevant, welche für das Unternehmen?

Daraufhin habe ich eine Grafik an die Tafel gemalt, aus der ersichtlich wird, dass man entscheiden muss, ob es im Moment um Organisationsrollen in der Organisationswelt geht oder ob es um die Berufsentwicklung, für die man überlegen muss, wie die Berufswelt aussieht oder was das alles für die private Welt, für den Lebensstil, für Familie und das sonstige Privatleben bedeutet. Also Rollen verstehen, Rollen einnehmen und Inszenierungen gestalten, die Stücke und Bühnen, auf denen sie gespielt werden, verstehen. Ohne das kann Persönlichkeit nicht gelingen. Eigentlich ist es naheliegend, das Leben als eine Ansammlung von Szenen in Inszenierungen anzusehen, in denen man eine Rolle spielt. Daher arbeiten wir erfolgreich mit der Theater-Metapher.

Ein solches Modell erfasst zwar auch psychologischer Aspekte, kann aber von jedem Nichtpsychologen sofort verstanden und benutzt werden. Es umfasst viele andere Komponenten von Wirklichkeit, die für Coaches relevant sind, gleichermaßen. Dennoch ist es wichtig, sich mit dem eigenen Agieren auseinanderzusetzen, man muss dafür aber nicht auf klassische psychologische Konzepte zurückgreifen.

Coaching ist also eher Praxis – Psychologie Theorie?

Nein. Psychologie ist eine Teilperspektive in Theorie und Praxis. Teilperspektiven sollten integrativ mit anderen Perspektiven konzipiert werden, um Komplexität nicht unnötig zu erhöhen. Es gibt Traditionen, Coaching als angewandte Psychologie zu betrachten. Das tue ich nicht. Ich sehe Coaching als spezifische Kompetenz, als integrative Perspektive und ich sage: Coaches sind Zehnkämpfer.

Ein Organisations-Coach muss ein Verständnis entwickeln, wie ökonomisch-technische Faktoren, wie Dimensionen des Menschen im Unternehmen, wie unternehmerische Verantwortung und Steuerungsbelange von Organisationen, wie das alles für Mensch und Organisation erfolgreich zusammenspielen kann. Deswegen muss Coaching alle Perspektiven dieser Verantwortung integrieren und kann nicht eine Teilperspektive wie die klassische Psychologie oder sonst etwas, das man gut kann, einseitig hervorheben und aufblähen und es dann anderen Berufsständen überlassen, sich um die anderen Dimensionen zu kümmern. Dann wären wir kein ernstzunehmender Partner für Professionelle und Unternehmen, weil diese eine integrierte Dienstleistung suchen und nicht für jede Fragestellung einen eigenen Fachmann engagieren wollen – was völlig unökonomisch wäre.

Steht Ihre für die Coaching-Branche prognostizierte Marktbereinigung in diesem Zusammenhang?

Ja, wobei es immer Nischen geben wird für Spezialbereiche im Coaching. Man muss aber bedenken, dass mittlerweile viele Führungskräfte und andere Interne Coaching-Ausbildungen besuchen, wodurch sie aufgrund ihrer Kenntnisse höhere Ansprüche an sich und andere stellen können. Diese Leute werden auf Dauer nichts mehr einkaufen, was nicht auch der Organisation und ihrem Daseinsgrund wirklich dienlich ist, sprich was keinen ganzheitlichen Blick auf das Zusammenspiel von Mensch und Unternehmen sowie auf die Ziele des Unternehmens hat. Coaches, die sich ohne Urteilsvermögen und Verantwortung fürs Ganze in ihren Spezialbereichen bewegen, werden wahrscheinlich durch diese zunehmend qualifizierte Nachfrage ausgelesen werden.

Auch im Coaching-Weiterbildungsbereich sehe ich eine Auslese kommen: Wer als Coach erfolgreich ist, betätigt sich gerne als Coaching-Weiterbildner, weshalb es mittlerweile ein riesiges Angebot gibt. So werden immer mehr Coaches ausgebildet, die wiederum am liebsten Coaching-Lehrer wären. Aber dadurch bläht sich das Ganze auf, was in einer Wachstumsphase, die wir jetzt hatten, akzeptabel ist. Doch irgendwann ist eine Sättigung erreicht. Dann werden die Coaching-Weiterbildungsanbieter, die versäumt haben, den Finger in den Wind zu halten und komplexe, vielschichtige Anforderungen in ihren Weiterbildung zu berücksichtigen, wahrscheinlich einen schweren Stand haben. Ein weiterer Punkt sind die Unternehmensstrukturen der Coaching-Anbieter. Zumindest große, internationale Unternehmen kaufen Dienstleistungen eher bei verlässlichen Anbietern ein.

Das ist im IT-Bereiche auch so: Wer längerfristig mit einem System arbeiten will, kauft nicht in einer Bastelwerkstatt, sondern sucht sich einen Partner, der Kontinuität und Entwicklung über viele Jahre bieten kann und zwar auch unabhängig davon, ob die Person des Bastlers noch da ist oder nicht. Auf das Coaching-Feld übertragen heißt das, wer längerfristig Partner solcher Nachfrager sein will, unternehmerische Formen entwickeln muss, die deren Erwartungen entsprechen. Doch die meisten Coaches lieben die kleineren spontaneren Formen, auch ich. Um das eine mit dem anderen zu verbinden, gibt es die Alternative unternehmerische Netzwerkstrukturen zu entwickeln. In einem Netzwerk mit genügend Homogenität, Leistungsfähigkeit und der Kompetenz, Hand in Hand zu arbeiten, kann man auch Großaufträge bearbeiten. Doch müssen dafür Geschäftsmodelle und Marktpositionierungen entwickelt werden. Die einen werden sich aufmachen und hauptsächlich Coaching-Unternehmer werden, die anderen vermehrt in solchen Verbünden arbeiten.

Sie haben die „Schmid-Stiftung“ ins Leben gerufen. Warum?

Vielleicht muss man damit anfangen, wie es geschichtlich dazu kam: Unternehmensnachfolge ist überall ein Thema. In meiner Familie gibt es niemanden, dem ich die Bürde auflasten könnte, mein Unternehmen weiterzuführen. Ein Unternehmen, das so stark kulturgeprägt ist wie das isb, kann man nicht einfach verkaufen und jemandem geben, der diese Kulturtradition nicht auch pflegen kann und möchte. Auch wollte ich nicht einfach aufhören und es offen lassen, was von wem wie weitergetragen wird. Es wäre schade, wenn einem sehr lebendigen Unternehmen und seinem gesellschaftlichen Engagement kein nachhaltiger Rahmen erhalten würde.

Aber wie sollte unternehmerische Nachfolge aussehen? Wie meist, unter der Dusche, hatte ich plötzlich die Idee: Ich mache eine Stiftung! Zunächst habe ich ganz naiv und einfach nur großzügig gedacht, dass ich die erheblichen wirtschaftlichen Überschüsse des Unternehmens nicht mehr brauchen werde und sie für den guten Zweck, für den isb steht, nämlich Wirtschafts- und Gesellschaftskulturentwicklung, zur Verfügung stehen sollten. Eine Stiftung könnte zu einem qualifizierten unternehmerischer Träger entwickelt werden. In dieser Naivität habe ich die Schmid-Stiftung gegründet – da war ich schon 65. Doch ist mir danach schnell klar geworden, was ich eigentlich hätte wissen können: Eine Stiftung ist nur ein Mantel und der unternehmerische Geist mit einer eigenen Kultur des Zusammenspiels von Profit- und Non-Profit-Welt muss erst geschaffen werden. Das ist eine sehr anspruchsvolle unternehmerische Aufgabe und ich werde dafür die besten Kräfte aus meinem Umfeld brauchen.

Was das nicht erwerbsorientierte gesellschaftliche Engagement betrifft, habe ich mich entschieden, nicht Geld, sondern die Essenzen aus Jahrzehnten isb-Entwicklung zu geben: Der Zweck der Stiftung ist, gemeinwohlorientierten Initiativen und Organisationen unser Coaching- und OE-Knowhow für ihre Entwicklung zur Verfügung stellen. Aber nicht indem wir einfach Dienstleistungen, die sie normalerweise kaufen müssten, verschenken, sondern indem wir Organisationen helfen zu verstehen, wofür man Coaching- und OE-Knowhow zur eigenen Entwicklung nutzen kann und sie darin begleiten, zu lernen, wie man in eigener Verantwortung OE-Knowhow integriert. Die Verfolgung dieses Zweckes wird aus den Überschüssen der isb finanziert. Gleichzeitig profitiert das isb von entsprechenden Entwicklungen und bleibt so selbst letztlich Gemeinwohlorientiert.

Das klingt recht abstrakt. Haben Sie ein Beispiel?

Kürzlich kamen Musiker aus einem Verein für Moderne Musik – weltweit renommiert –, die gemerkt haben, dass sie auf einen Bankrott zulaufen. Zwar nicht nur auf einen finanziellen Bankrott, das ist in diesem Bereich oft am Horizont, sondern auch auf einen Kräftebankrott, weil diejenigen, die das jahrelang in Selbstaufopferung betrieben haben, einfach müde wurden. Sie haben nie eine Struktur zur nachhaltigen Entwicklung, Übergabe an weitere Funktionsträger usw. geschaffen, nie ein Verständnis dafür entwickelt, dass sie so etwas brauchen könnten.

Ganz aus ihrer Musikerprofession heraus agierend, haben sie alles Unternehmerische und Organisatorische ziemlich hemdsärmelig-laienhaft und oft recht egozentrisch betrieben. Sollten sie nun Veränderungen anstreben, dann stellen wir ihnen Fachleute aus unserem Netzwerk zur Seite, die ihnen helfen, sich auf OE- und Coaching-Knowhow zu beziehen und es anzuwenden, um ihre Organisation zu entwickeln. Anderen Geber-Organisationen bieten wir unser Knowhow komplementär zu ihren Mitteln an, dass die Ressourcen Geld, persönliches Engagement usw. auch wirklich in gesellschaftliche Wohlfahrt und in nachhaltiges Engagement umgesetzt werden können. Da geht leider viel zu viel den Gulli hinunter.

Die festen Mitarbeiter der Stiftung entwickeln und betreiben solche Unterstützungsstrukturen. Sie werden aus den Überschüssen des isb finanziert Die Fachleute aus dem Netzwerk dagegen machen das alle kostenlos und sogar gerne. Allerdings wollen sie auch eine Begrenzung ihres Engagements und wissen, dass ihre Hilfeleistung wirksam eingesetzt wird. Und sie wollen interessante Einblicke in andere Welten nehmen und gemeinsam mit anderen etwas entwickeln, was dort nachhaltig hilfreich ist.

Und wenn die Musiker ein tiefergreifendes Coaching benötigen?

Wenn sie ein richtiges, längeres Coaching benötigen als nächsten Schritt für die Entwicklung ihrer Organisation, dann helfen wir, einen guten Coach zu finden. Der muss aber bezahlt werden.

Ich denke, Ihnen wird nicht langweilig werden.

Nein, aber sagen wir es mal so: Ich habe das große Privileg, dass ich all die Rollen, die ich nicht mehr selbst ausfülle, also isb-Leiter, Lehrender usw., so rechtzeitig und erfolgreich übergeben habe, dass ich mir nun meine Rollen nach meinen Alters-Kompetenzen, meinem Hunger nach meiner Weiterentwicklung aber auch nach meinen Muse-Bedürfnissen auswählen kann. Ich muss eigentlich sehr wenige Dinge tun, die ich als Last empfinde.

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