Portrait

Interview mit Dr. Roswita Königswieser

"Vom Coaching zur systemisch-komplementären Beratung"

Der Einsatz von Kunst als Intervention im Coaching zwecks Perspektivenwechsel oder als Hilfsmittel zur Formulierung des eigentlichen Coaching-Anliegens erfreut sich in jüngster Zeit immer größerer Beliebtheit. Dr. Roswita Königswieser verfolgt diesen Weg allerdings schon länger, tatsächlich ist Kunst seit jeher fester Bestandteil ihres Coachings: Kunst, Tiefenpsychologie, Gruppendynamik, Systemischer Ansatz – dies sind im Grunde die Grundmauern Ihres Denkens, zumal sie den Systemischen Ansatz in der Beratergruppe Neuwaldegg mitbegründet hat.

18 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2015 am 25.02.2015

Ein Gespräch mit Dawid Barczynski

Sie haben am Anfang Ihres Studiums die Akademie der Bildenden Künste in Wien besucht. Das bringt man nicht unbedingt mit Coaching in Verbindung. Wie kam es dazu?

Das ist eigentlich recht einfach: Die väterliche Seite meiner Familie beschäftigte sich schon immer intensiv mit künstlerischen Themen, insbesondere mit Musik und bildender Kunst. Ich glaube, das habe ich „geerbt“. Mein Interesse an der Kunst ist im Laufe der Zeit nicht versandet, sondern ich habe viele künstlerische Elemente in Interventionstechniken, die ich im Zuge meiner Beratungstätigkeiten und meiner Coachings anwende, integriert. Dabei geht es darum, dass man mithilfe von Bildern, Geschichten, Metaphern, Aufstellungen im Raum und ähnlichem Zugang zu Problemen, Anliegen, Perspektiven usw. findet, den man über rein kognitive Prozesse nicht bekommen könnte.

Zur Nutzung von Ästhetik und Kunst im Coaching haben wir im Coaching-Magazin schon einiges gebracht – es scheint dies ein kommender Trend zu sein.

Wirklich? Das ist sehr gut!

Wie sieht das konkret aus, wenn diese kunstästhetische Denkweise ins Coaching übernommen wird?

Da muss ich ein bisschen ausholen und zuerst differenzieren, denn Coaching ist ja ein weiter Begriff. Ich unterscheide drei Coaching-Kontexte bzw. -formate. Das erste ist das Vier-Augen-Coaching, was tatsächlich die engste Auslegung des Begriffs darstellt, da es sich dabei um eine Interaktion zwischen zwei Menschen handelt. Ein ganz anderes Setting ist das Gruppen-Coaching, wo die Teilnehmer miteinander überlegen, wie sie wirksam sein können. In diesem Zusammenhang und innerhalb dieser Struktur spielen Architekturen, Konzepte und die grundsätzliche Frage, wie man etwas angehen könne, in der Regel eine zentrale Rolle. Der dritte Kontext des Coachings, das ich dann eigentlich nicht mehr als Coaching, sondern als Beratung betrachten würde – in meinem Fall würde ich das als „systemisch-komplementäre Beratung“ bezeichnen –, ist die Begleitung von Organisationen in Change-Prozessen. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei stets um eine Kombination aller drei Formen: Es wird nicht nur das System in seiner Gesamtheit gecoacht, sondern auch Subsysteme sowie Einzelpersonen. So wird etwa mit einer Gruppe von Vorständen ein Executive-Coaching durchgeführt. Und man arbeitet in einem Vier-Augen-Setting beispielsweise mit Führungskräften, Schlüsselpersonen, Vorständen etc.

Und jetzt zurück zu Ihrer Frage: In all diesen Formaten spielen für mich analoge Interventionen, also künstlerische Elemente, eine außerordentlich wichtige Rolle. So beginne ich ein Einzel-Coaching gerne mit der Frage an den Klient, ob er mir hinsichtlich seiner Kernfrage ein Bild zeichnen oder einen entsprechenden Film nennen könnte. Das Bild oder das Filmszenario sollen das eigentliche Coaching-Anliegen ausdrücken und somit helfen, die Probleme und Ambivalenzen, die es ja immer gibt, wenn man einen Coaching-Bedarf hat, aufzudecken. Schließlich geht es immer um eine nichtbalancierte Situation und um latente Konflikte in einem selbst und mit dem Umfeld. Durch die künstlerische Auflösung – oder Übersetzung – von Situationen kommt das Verborgene zum Vorschein und wird dem Klienten bewusster. Ich finde diesen Prozess sehr faszinierend.

Vor Kurzem hatte ich ein hierfür beispielhaftes Erlebnis: Ein Klient erzählt, dass seine Situation zwar schwierig, aber nicht wirklich dramatisch sei. Doch plötzlich drängt sich ihm das Bild eines Tsunamis auf und er stellt fest, dass seine Lage für ihn eigentlich „wie ein Tsunami ist“. Ihm wird schlagartig klar, wie er die Situation wirklich empfindet. Der drastische Vergleich mit einem Tsunami hat eine völlig andere Gefühlsqualität als die Aussage, es sei „schwierig“. Das hat natürlich Auswirkungen auf mögliche Problemlösungen.

Und wie sieht die Einbindung von Kunst in Bezug auf die Begleitung von Organisationen aus?

Wir, d.h. mein Unternehmen Königswieser & Network und ich, begleiten aktuell den Post-Merger-Prozess eines deutschen Konzerns mit einem amerikanischen Unternehmen. Die Eingangsfrage an die Klienten lautete: „Wie würden Sie die beiden Unternehmenskulturen mithilfe eines Bildes charakterisieren?“ Die erste Assoziation war: Ein Schnellläufer und ein nachdenklich-langsamer Geher. Das Künstlerische wird hier als Mittel zum Perspektivenwechsel, zur differenzierten Beschreibung genutzt. Ein anderes, schönes Beispiel hierfür war unsere Arbeit bei der Deutschen Bank. Die Quintessenz der ersten Systemdiagnose – also die Ergebnisse der Interviews – haben wir in ein Märchen übersetzt und dem Unternehmen zurückgespiegelt. Das Ergebnis war eine Sensation, da die Geschichte die wesentlichen Charakteristika transportiert und man sich im Verlauf des Projekts immer wieder darauf berufen hat. Man kann natürlich statt eines Märchens auch andere künstlerische Umsetzungen, wie beispielsweise Bilder, wählen. Wichtig ist dabei, dass durch analoge Interventionen Tiefenwirkungen erzielt werden.

Das hat in gewisser Weise etwas von Schillers ästhetischer Erziehung: Die einfache Vermittlung eines komplexen Sachverhalts mittels Kunst, in diesem Fall mithilfe eines Märchens bzw. des (einfachen) Erzählens, hin zur großen Erkenntnis. 

Ja, in gewissem Sinne schon. Und das Erzählen ist ohnehin etwas, das mich und meinen Werdegang stark prägt und untrennbar mit meiner Kindheit verbunden ist. Ich wuchs in einer Großfamilie mit fünf Geschwistern und einer Großmutter auf. Das Erzählen hatte bei uns einen sehr hohen Stellenwert. Am Mittagstisch z.B. gab es ein Ritual: Jeder erzählte, was in der Schule los war, warum man Konflikte mit dem Lehrer oder einer bestimmten Gruppe hatte und was einem sonst noch auf dem Herzen lag. Meine Mutter war da besonders kompetent, weil sie nicht strafend war, sondern es ihr immer darum ging, zu verstehen, wo und warum es Probleme gab, was das Schwierige daran war. Sie setzte dann auch in der Schule mit den Lehrern entsprechende Interventionen. Das hat mir sehr gefallen und ich habe diese Grundhaltung des Verstehen-Wollens und der Suche nach einem klärenden, lösungsorientierten Vorgehen vielleicht ein bisschen übernommen.

Kommunikations- und Interventionstechniken von Kindesbeinen an?

Ja, ich glaube schon. Auch die Tatsache, in einer großen Familie aufgewachsen zu sein, mit all den Dynamiken, die dazugehören, hat mich dann auf den Weg gebracht, Gruppendynamik spannend zu finden. Kommunikations-, Interventionstechniken und Gruppendynamik und natürlich die Kunstelemente, das sind die prägenden Faktoren aus meiner Kindheit und Jugend. Damit war für mich auch schon eine Weiche gestellt: Ich liebe Gruppen, Großgruppen mit all ihren Gefühlsdimensionen und Potenzialen. Dazu fällt mir ein, dass mein Vater in unserem Garten mit viel Freude innerhalb der Großfamilie „Olympiaden“ und weitere Inszenierungen – z.B. an Geburtstagen – organisierte. Das Inszenierungselement, mit vielen Menschen gemeinsam etwas „künstlerisch“ zu gestalten und dadurch besondere Prozesse zu initiieren, das kommt sicher von meinem Vater. Das spiegelt sich auch in meiner beraterischen Tätigkeit wider.

Wie kam es dann zur ungewöhnlichen Kombination Ihrer Studienfächer Kunstgeschichte, Pädagogik, Philosophie und Tiefenpsychologie?

Wo das Interesse für Kunstgeschichte herkommt, dürfte klar sein. Die Wahl der weiteren Fächer war dadurch motiviert, dass ich früh geheiratet und drei Kinder bekommen habe. Als das jüngste drei Jahre alt war, begann ich zu studieren. Natürlich kämpfte ich auch mit Schuldgefühlen und habe mich oft gefragt, ob ich alles richtig mache – deshalb Pädagogik. Von da ist man ganz schnell in der Tiefenpsychologie: Was spielt sich unbewusst ab? Ist das, was man manifest sieht, alles, oder gibt es auch latente Muster? Und dann ist man auch ganz schnell bei der Philosophie, weil die Frage aufkommt, wie man überhaupt Erkenntnisse gewinnen kann. Und erkenntnistheoretische Aspekte sind in der Philosophie beheimatet. Ich hatte in Philosophie faszinierende Lehrer, und wir hatten damals eine sehr lebendige Arbeitsgruppenkultur an der Universität in Wien, wo wir Marx, Hegel, Freud und Heidegger studierten und nächtelang diskutierten. Die Auseinandersetzung mit Konzepten und mit Theorien fand ich überaus faszinierend. Im weiteren Verlauf stieß ich dann auf die Gruppendynamik, wobei mich zunächst die Tatsache, dass es dabei so massiv in die Tiefe geht, ein wenig abschreckte.

Allerdings stellte ich schon bald fest, dass das eine absolute Bereicherung für mich bedeutet. Zudem hatte ich das Glück, Lehrern und Förderern zu begegnen, die mich als begabte Schülerin tatkräftig unterstützt haben. Dabei denke ich an Traugott Lindner, der die Gruppendynamik aus den USA nach Europa brachte. Ich denke an Siggi Hirsch, einen begnadeten systemischen Familientherapeuten, mit dem ich eine Ausbildungsgruppe organisierte und wo ich lernte, die Virtuosität der systemischen Familientherapeuten in den Kontext Wirtschaft zu übersetzen. Dabei handelt es sich um Interventionsformen – etwa der positiven Konnotation („Was ist das Gute im Schlechten?“) und der paradoxen Intervention –, die nicht nur im Vier-Augen-Gespräch hilfreich sind, sondern auch wirksam genutzt werden können, um anspruchsvolle Veränderungsprozesse in Großorganisationen auf den Weg zu bringen.

1974 haben Sie das Studium mit Ihrer Promotion abgeschlossen. Wie sind Sie zum Coaching bzw. zur systemischen Beratung gekommen?

Durch Traugott Lindner und die Gruppendynamik. Lindner war nicht nur Gruppendynamiker, sondern einer der Ersten in Europa, die Organisationsentwicklung praktizierten. Er hat mich sozusagen entdeckt und ich habe mit ihm gearbeitet. So entwickelten wir beispielsweise ein Motivationsseminar für Manager in Hernstein, Österreich. Parallel dazu unterzog ich mich einer Psychoanalyse. Das drängte sich gleichsam auf, weil ich besser Bescheid wissen und meine Schwierigkeiten und Ambivalenzen bearbeiten wollte. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse waren für mich extrem hilfreich und fruchtbar – vor allem auch bezüglich meiner Arbeit mit Menschen.

Für mich war immer offensichtlich, dass Berater, Trainer und Coaches ihre eigene Geschichte besser verstehen und reflektiert haben sollten, um in einer ganz anderen Qualität arbeiten zu können: Man kann die Anliegen der Klienten nicht nur oberflächlich betrachten und besprechen wollen – ob in Vier-Augen-Gesprächen, in Gruppen oder Organisationen –, sondern man muss auch das Unbewusste, das Verborgene anschauen. Das geht aber kaum ohne psychoanalytische Ausbildung, die ich dann auch durchlaufen habe. Zudem kamen gerade in dieser Zeit immer öfter Anfragen von Seminarteilnehmern und anderen Personen, ob ich nicht bei diesem oder jenem persönlichen Anliegen helfen könnte. Man nannte das damals aber nicht „Coaching“, man hat sich diesen Begriff geschenkt, weil es mit Therapie gleichgesetzt wurde.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen Coaching und Psychologie bzw. Psychotherapie?

Absolut. Man kann das nennen, wie man will, aber ohne auch die eigenen Anteile bewusst zu erkennen, kann man – radikal formuliert – nicht gut darin sein, mit Menschen zu arbeiten und eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.

Wo liegt dann Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen Psychotherapie und Coaching?

Da gibt es ist für mich definitiv einen Unterschied! Ich würde sagen, dass Psychotherapie eher Menschen als Zielgruppe hat, die massive ungelöste Konflikte, sprich neurotische Tendenzen, haben – woran man länger und tiefer greifend arbeiten muss. Coaching richtet sich an „gesunde“ Menschen – zwar hat auch jeder „Gesunde“ seine Probleme, aber es ist nicht nötig, lange und allzu sehr in die Tiefe gehend daran zu arbeiten. Hierin liegt für mich der Unterschied. Wobei ich sagen muss, dass die Art und Weise, wie wir mit Organisationen arbeiten, im Grunde eine Art „therapeutisches Einwirken“ auf das Gesamtsystem ist. Weil es eben nicht nur um Businessthemen geht, sondern um echte, langfristige und nachhaltige Musterveränderungen, um Haltungen.

Sollte ein angehender Coach eine psychologische oder psychotherapeutische Ausbildung oder gar ein Studium in diesem Bereich absolvieren?

Ich denke ein Psychologiestudium ist nicht nötig. Im Grunde kann aus vielen Berufsgruppen ein guter Coach hervorgehen – das kann ein Jurist, ein Wissenschaftler, ein Künstler sein. Meiner Erfahrung nach spielt der ursprüngliche Beruf keine allzu wichtige Rolle. Was allerdings dringend nötig ist, ist die professionelle Auseinandersetzung mit der eigenen Person, und zwar nicht nur einmal punktuell in einem Seminar. Die Teilnahme an einem Gruppendynamikseminar oder vielleicht sogar eine Ausbildung, die das berücksichtigt, wäre sehr empfehlenswert und zielführend. Sich sich selbst zu stellen und auch die eigenen Schattenseiten zu sehen ist unerlässlich, um professionell arbeiten zu können und nicht in Projektionen zu verfallen. Nur wer sich selbst kennt und versteht, kann anderen zur Selbsterkenntnis verhelfen.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie von Coaching oder systemischer Beratung leben können?

Das war für mich nie ein großes Thema, da ich das Glück hatte, Mitte der 80er Jahre in die Beratergruppe Neuwaldegg aufgenommen zu werden – als Gesellschafterin und auch als Geschäftsführerin. Dort haben meine Kollegen und ich über 15 Jahre hinweg den systemischen Ansatz in der Grundkonzeption mitentwickelt. Wir hatten ausreichend viele Aufträge, es war sicherlich auch eine andere Zeit als heute, wo man als Einzelperson auf dem freien Markt kämpfen muss. Ich war sehr privilegiert.

Wie muss man sich die Entwicklung des systemischen Ansatzes vorstellen?

Das war im Grunde sehr viel Pionierarbeit, die wir geleistet haben, zusammen mit der Wiener Schule. Wir haben viel diskutiert und uns viele Fragen gestellt: Was ist das, wie geht das, was funktioniert, was funktioniert nicht? Darüber hinaus suchten wir den Dialog mit Vertretern verschiedenster Disziplinen, um andere Perspektiven und Ideen kennenzulernen. So luden wir z.B. den Physiker Fritjof Capra ein. Da mich seine Publikationen faszinierten, rief ich ihn einfach in den USA, wo er lehrte, an und fragte, ob er mit uns in Wien diskutieren möchte, wir wären dabei, den systemischen Berateransatz zu entwickeln. Er meinte, er wolle ohnehin seine Mutter in Innsbruck besuchen und käme dann gerne übers Wochenende zu uns. So hat sich ein fruchtbarer Dialog entwickelt, dem eine gemeinsame Publikation folgte. Auch Niklas Luhmann arbeitete über Jahre mit uns zusammen, was zu nahezu freundschaftlichen Beziehungen führte. Im Grunde haben wir immer wieder – angetrieben von Neugierde und Unsicherheit – interessante Menschen eingeladen und mit ihnen in kleinem Kreis diskutiert, gestritten, gerungen und die Erfahrungen, die wir in Organisationen in unterschiedlichen Coaching- Kontexten gemacht hatten, reflektiert, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse dann zu publizieren.

Der systemische Ansatz beruht also auf der Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche. Entsprechend lässt sich das Systemische selbst im Grunde nicht auf eine Disziplin festmachen.

Ganz genau, der systemische Ansatz ist eine Metatheorie, die viele verschiedene Disziplinen integriert. Und natürlich gibt es auch nicht „die“ systemische Schule, sondern verschiedene Ausprägungen. Für mich persönlich spielt es eine große Rolle, Tiefenpsychologie und philosophische Ansätze zu integrieren.

2002 haben Sie Ihr Unternehmen Königswieser & Network gegründet. Warum haben Sie die Beratergruppe Neuwaldegg verlassen?

Bei der Bearbeitung von Projekten bin ich damals immer wieder an Grenzen gestoßen. Wir kamen in Unternehmen, um kulturelle Themen zu bearbeiten, doch die Businessthemen waren anderen Beratern vorbehalten – uns blieben „nur“ die emotionalen, die Beziehungsthemen. Ich sah aber wesentlich mehr Chancen und Nutzen in einer ganzheitlichen Unterstützung, sprich der Integration von Business und „Emotion“, d.h. von Fach- und Prozess-Know-how. Heute nenne ich das „komplementäre Beratung“. Allerdings teilte die Beratergruppe Neuwaldegg diese Sichtweise nicht. Also suchte ich Gleichgesinnte und gründete Königswieser & Network. Bei der Arbeit an diesem Ansatz haben mir dann Menschen geholfen wie z.B. der ehemalige Technikvorstand von Audi. Er hatte erlebt, wie wir die Höherpositionierung der Marke Audi drei Jahre lang begleiteten und als er das Unternehmen verließ, stieg er bei uns ein. Dass ehemalige Kunden Gesellschafter und Netzwerkpartner wurden, geschah mehrmals. Jedenfalls haben wir unseren komplementären Ansatz vorangetrieben und ihn wissenschaftlich durch die Soziologen Dr. Ulrike Froschauer und Prof. Dr. Manfred Lueger von der Universität Wien begleiten bzw. verifizieren lassen.

In einem Unternehmen sind Business und Emotionen miteinander verwoben?

Ganz richtig. Emotionen, Beziehungen und Machtdynamiken sind so ineinander verwoben, dass deren Untrennbarkeit eigentlich auf der Hand liegt. Wenn man es banal betrachtet, dann muss ja jeder Manager dieses Prinzip integrieren können: Businessthemen und das entsprechende Know-how zur Umsetzung, Mitarbeitermotivation, Integration zweier Teams, auch Change-Prozesse usw. Wir finden eigentlich ständig Aufgabenstellungen vor, die ein komplementär, interaktives Vorgehen nahelegen.

Zum Stichwort Change-Prozesse schreiben Sie in zahlreichen Publikationen „Change ist nicht gleich Change“. Was meinen Sie damit?

Vorab: Change-Prozesse gehören mittlerweile zum Alltag für jeden Manager und somit auch für jeden Berater, jeden Coach. Mit „Change ist nicht gleich Change“ ziele ich auf den Unterschied zwischen Veränderungen erster und zweiter Ordnung. Veränderung erster Ordnung kann man folgendermaßen beschreiben: „Wir machen immer mehr desselben. Wir sparen mehr, wir arbeiten mehr, wir führen mehr Gespräche mit Kunden.“ Das bringt aber zumeist nicht den erforderlichen, tief greifenden und somit nachhaltigen Veränderungserfolg. Veränderung zweiter Ordnung erfordert, dass man erkennt, dass solch ein Prozess, soll er nachhaltig sein, seine Zeit braucht, also ein Lernprozess ist. Es geht darum, die Art des Denkens, die Art, wie man Probleme angeht und löst, zu verändern. Um dies zu bewerkstelligen, werden z.B. relevante Vertreter von Abteilungen hinzugezogen, vielleicht auch ein Soundingboard eingerichtet, also ein Gremium zur Prüfung neuer Ideen und Konzepte. Es werden Rückkoppelungsschleifen eingebaut, Feedbacks eingeholt. Es gilt, die Strukturen nicht nur „von oben nach unten“ zu verändern, sondern wirklich den Dreiklang zwischen Strategie, Struktur und Kultur zu nutzen. Man muss einen ganzheitlichen Blick entwickeln. Das beeinflusst dann auch die Art und Weise, wie man Probleme angeht. Veränderungen zweiter Ordnung sind viel schwieriger zu bewerkstelligen.

Sie coachen auch internationale Großunternehmen. Gibt es hierbei Unterschiede zum Coaching mittelständischer Unternehmen?

Da gibt es einen großen Unterschied. Bei mittelständischen Unternehmen findet sich oft eine Kultur, die meist noch vom Eigentümer geprägt ist, auch wenn bereits ein Management eingesetzt wurde und die Familie nur noch Anteile hält. Das Denken ist vorrausschauender, wurde auf nachhaltigere, längerfristige Erfolge gerichtet und es ist auch, plakativ gesprochen, etwas menschlicher. In großen Organisationen sind die Manager sehr oft in einer Zwickmühle zwischen der Logik von Analysten, der Forderungen der Finanzbranche und den Interessen des Unternehmenswohls gefangen. Und ich erlebe sehr oft, dass dieses Dilemma zugunsten des Kapitals entschieden wird. Zudem haben Topmanager in der Regel nur kurze Verträge. Sie sind nicht ein Leben lang in einem Unternehmen – das wäre nicht wünschenswert für ihre Karriere. Daher streben sie in der Regel kurzfristig erreichbare Ziele an. Das wird noch dazu durch die Quartalsberichte getriggert. Ist das Unternehmen börsennotiert, wiegt dieser Umstand zusätzlich schwer: Der Shareholder-Value gibt den Ton an. Aufgrund dessen wird die gesamte Unternehmensausrichtung – und folglich auch allenfalls notwendige Change-Prozesse – meistens viel zu kurzfristig angelegt.

Sehen Sie Unterschiede zwischen dem deutschen und dem österreichischen Coaching-Markt?

Mir fällt insbesondere auf, dass österreichische Coaches und Berater in Deutschland einen sehr guten Ruf haben, dank der sogenannten Wiener Schule, durch die die Entwicklung des systemischen Ansatzes vorangetrieben wurde. Ich glaube, dass hier auch die Tatsache zum Tragen kommt, dass Traugott Lindner ein Österreicher war. Und er hat schließlich die Organisationsentwicklung auch theoretisch begründet und – stets in interdisziplinärer Kooperation mit Wissenschaftlern – weiterentwickelt. Österreich hat einen guten Ruf in Bezug auf Theoriebildung und Wissenschaftlichkeit in der Systemberatung. Das ist sicherlich ein gutes Argument für österreichische Coaches. Interessanterweise kommen aber 80 Prozent unserer deutschsprachigen Kunden aus Deutschland und der Schweiz. Die Österreicher sind hier eindeutig unterrepräsentiert. Das zeugt von einer geringeren Aufgeschlossenheit der Österreicher gegenüber Coaching-Prozessen oder Coaching-Angeboten, die, wie ich finde, in Deutschland wesentlich höher ist. Der Coaching-Markt in Deutschland ist natürlich auch größer – und internationaler.

In Österreich gibt es nur wenige Coaching-Verbände mit insgesamt überschaubaren Mitgliederzahlen. Sehen Sie hier Entwicklungspotenzial?

Wenn wir Coaching wieder unter dem Aspekt der unterschiedlichen Komplexitätsgrade betrachten, dann gibt es, finde ich, in Österreich einen grundsätzlichen Nachholbedarf in Bezug auf die Organisation der Berater und der Coaches – ich sage „und“, weil die Begriffe für mich nicht identisch sind. Insbesondere das Agieren in Systemen mit hochkomplexen Zusammenhängen würde ich eigentlich nicht mehr als Coaching, sondern als systemisch-komplementärer Beratung bezeichnen. Jedenfalls ist eine Organisation von Coaches und Beratern schon allein deshalb nötig, weil sich im Grunde jeder „Berater“ oder „Coach“ nennen kann. Es gibt hier nur ganz wenige Grenzen und Qualitätsmerkmale. Zu beobachten ist beispielsweise, dass Manager aus ihrem Unternehmen ausscheiden und dann einfach beschließen, Berater oder Coach zu werden. Ich finde es zwar sehr gut, dass es in Österreich Coaching-Verbände wie den ACC gibt und weitere gebildet werden, die für Ausbildung und Qualifikation etwas tun bzw. tun wollen. Aber das ist noch etwas unterentwickelt und ausbaufähig, vor allem verglichen mit der Art und Weise, wie sich Ärzte oder Anwälte in ihren Berufsgruppen organisieren und sich in Gesellschaft und Politik positionieren.

Man muss allerdings bedenken, dass Ärzte und Juristen das über Jahrhunderte aufgebaut haben.

Das ist richtig, die haben eine andere Historie. Nur sollte das heutzutage eigentlich nicht mehr zweihundert Jahre dauern, um so etwas für eine andere Berufsgruppe aufzubauen.

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