Zu den interessanten Seiten der Tätigkeit als Business Coach gehört der Einblick hinter die Kulissen der Machtausübung. Mit Macht zu gestalten, ist ein notwendiger Teil der Arbeit von Führungskräften – und durch Machtausübung gestaltet zu werden, bis in die eigene Innenwelt hinein, ist der Preis, den man dafür bezahlt.
Dass "Macht bedeutet, nicht lernen zu müssen" (Karl W. Deutsch), ist wohl eines der hilfreicheren Zitate, um Macht nicht nur rein sozialwissenschaftlich zu verstehen. Folgt man der Idee dieses Zitats, so kann man sich den Luxus des Nicht-Lernens nur so lange leisten, bis aus Macht irgendwann Ohnmacht geworden ist. Denn spätestens dann wird Lernen zwangsläufig, zumindest wenn ein Scheitern vermieden werden soll. Diese Erfahrung macht jeder kleine und große Diktator, der in der Arroganz der Macht erstarrt ist und sich dem Lernen verweigert. So gehört es eben zu der Professionalität von Führung, zwar nicht lernen zu müssen, aber es eben dennoch zu praktizieren, wenn einem an langfristiger Macht gelegen ist. Oder anders formuliert: Wissen mag Macht bedeuten, Lernen aber ist eine notwendige (nicht hinreichende) Bedingung für den Machterhalt.
Machtkrisen ist daher nahezu immer eine Lern- bzw. Entwicklungskrise vorausgegangen. Eine solche Entwicklungsverzögerung bzw. -verweigerung allerdings rein auf persönliche Charaktereigenschaften zurückzuführen, wäre eine zu simple Erklärung. Tatsächlich hat die Ausübung von Macht ein erhebliches Potenzial einen Menschen zu verändern. Schon Lord Acton fasste dies in einem zum allgemeinen Kulturgut gewordenen Zitat zusammen: "Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut."
Trotz der Beliebtheit dieses Zitats: Auch diese Perspektive ist zu eng, um in einer hilfreichen Art und Weise zu verstehen, warum Macht Menschen verändern kann. Denn hätte Lord Acton mit seiner Aussage Recht, müsste jede Art von Machtausübung mit zunehmender Größe immer in Machtmissbrauch ausufern. Misanthropen mögen dies so sehen, eine nützliche Perspektive hat dies aber nicht.
Als Alternative mit Gestaltungspotenzial sei daher für folgende Betrachtung plädiert: Es ist weniger die Macht an und für sich, die korrumpiert, als a) der Glaube, dafür nicht belangt werden zu können und b) die Angst, die Macht zu verlieren. Die erste Variante sorgt dafür, dass Menschen das Maß verlieren und im Größenwahn enden. Die zweite Variante lässt den Machterhalt zum kleingeistigen Selbstzweck werden, man bleibt am Stuhl kleben. Die Ausübung der Macht dient dann nicht mehr dem konstruktiven Gestalten eines höheren Ziels, sondern der individuellen Bereicherung und der ziellosen Macht um der Macht willen. Beides ist Ausdruck einer inneren Orientierungslosigkeit und führt langfristig ins Abseits. Eine solche Entwicklung kann aber überwunden bzw. idealerweise verhindert werden.
Wer unter Orientierungslosigkeit leidet, dem fehlt eine hilfreiche Rückmeldung durch seine Umwelt. Oftmals ist dies der Fall, weil Menschen in einer abgekapselten sozialen "Blase" leben, was eine Begleiterscheinung von Machtausübung sein kann. Wer kennt nicht die von außen geradezu absurd wirkenden Handlungen von Topmanagern und Politikern? Sie sind eine Konsequenz des Lebens in einer solchen Blase. Ohne ein soziales Korrektiv für diese Schieflage ist eine "déformation professionnelle" geradezu vorprogrammiert. Dies muss nicht zwangsläufig bedeuteten, dass Menschen, die Macht ausüben, ein Coaching benötigen, denn es gibt viele Möglichkeiten einer geistigen Monokultur entgegenzuwirken. Allerdings ist Coaching auch eine Möglichkeit das Feedback zu erhalten, das häufig genug vom sozialen Umfeld nicht mehr erwartet werden kann. Insbesondere, wenn das soziale Umfeld zuvor gelernt hat, dass Reden Silber ist ...
Neben dem reinen Feedback hat ein solches Coaching idealerweise aber auch die Funktion, die ursprünglich zum Problem führenden Prozesse näher zu beleuchten, um eine Wiederholung zumindest unwahrscheinlicher werden zu lassen. Wenn eine Machtkrise Ausdruck einer vorherigen Lern- und Entwicklungskrise ist, sollte daher daran gearbeitet werden, wie solche Lern- und Entwicklungskrisen zukünftig verhindert werden können.
Um an einer solchen Ebene eine Veränderung bewirken zu können, ist oft ein erheblicher Widerstand zu überwinden. Denn machtbedingte Lernkrisen entstehen in Phasen von Erfolg und dieser hat stabilisierende Wirkung. Ausgerechnet dann, wenn also Zweifel besonders wichtig wären, werden sie im "Erfolgsrausch" ausgeblendet. In der Folge werden notwendige Einsichten übersehen, Lernen bleibt aus, Entwicklung wird verzögert und die Erosion der Macht beginnt bis die Notwendigkeit zum Lernen (oder Scheitern) zwangsläufig geworden ist. So entstehen Schweinezyklen der Macht. Es sind phasenverschobene Sinuskurven von Lernen und Erfolg.
Das Coaching von mächtigen Menschen folgt dabei spezifischen Regeln, die auch aus einem "normalen" Coaching bekannt sind. Allerdings verteilen sich die Schwerpunkte in solchen Coaching-Prozessen teilweise anders: Ein solches Coaching muss berücksichtigen, dass die "Scham des Lernens" bei Mächtigen stärker ausgeprägt ist, was insbesondere mit sozialen Standards zusammenhängt. Ein Coach muss daher noch mehr als sonst einen geschützten Raum herstellen, in dem Lernen ohne Stigmatisierung möglich ist. Weiterhin ist ein solcher Coaching-Prozess gekennzeichnet durch den – oftmals unbewussten – Versuch der Klienten, den Coach für sich einzunehmen, d.h. ihn durch subtile Machtausübung zu beeinflussen. Um so wichtiger ist es daher für den Coach, Machtspiele aufzudecken und seine Neutralität zu bewahren, denn nur so kann er eine nützliche Außenperspektive und damit das erforderliche Feedback für den Klienten sicherstellen. Trotz aller Neutralität ist ein Coach aber auch als Solidarpartner sehr wichtig, insbesondere in Krisenphasen, die mit erheblichen Anfeindungen einhergehen können. Die Fähigkeit, mit Nähe und Distanz angemessen umgehen zu können, ist daher in einem solchen Coaching von besonderer Bedeutung.
Teil II von "Coaching und Macht" beschäftigt sich mit der Ohnmacht der Mächtigen.