Fach- und Führungskräfte nehmen Coaching in Anspruch, weil sie vor Anforderungen stehen, denen sie sich nicht mehr oder noch nicht gewachsen fühlen. Diese Anforderungen
Was sie an Anforderungen wahrnehmen, wie sie diese bewerten, welche sie zurückweisen, welche sie ignorieren, welche sie akzeptieren, und welche Konsequenzen sie für ihre zukünftigen Handlungen daraus ziehen: All das ist das Ergebnis gelegentlich wohl überlegter, meist jedoch unbewusster Interpretationsleistungen, in denen es nicht nur um eine fachliche Sicht der Dinge geht, sondern auch darum zu klären, was moralisch angemessen ist. Auch wenn fachlich sauber gearbeitet wurde, auch wenn die Operation Erfolg hatte, die Frage ist damit noch nicht beantwortet: Sind die Ergebnisse sowie die Wege dort hin auch verantwortbar? Wurde oder wird mit diesen Entscheidungen und Tätigkeiten eventuell jemandem geschadet?
Aber geht es in diesem moralischen Reflexionsprozess nur um Schadensvermeidung oder -begrenzung? Geht es nicht in der Wirtschaft insgesamt darum, der Bevölkerung ausreichend Güter und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die die Lebensqualität eines jeden auf angemessenem Niveau gewährleisten können? Geht es nicht im Letzten um ein gutes, ein gelingendes, ein geglücktes Leben für alle? Selbstverständlich ist dafür nicht allein die Wirtschaft zuständig. Aber sie trägt eine Teilverantwortung. Denn ohne wirtschaftliche Prosperität hat das Glück für möglichst viele wohl kaum eine reelle Chance. So sind gerade Fach- und Führungskräfte gefordert, ihren Teil dazu beizutragen, weil ihre Tätigkeiten die Biografien vieler Menschen oft entscheidend beeinflussen.
Daher geht es im Coaching nicht nur darum, die Klienten fit zu machen, so dass sie ihre Aufgaben leistungsgerecht managen können. Es geht auch darum, ihnen dabei zu helfen, ihre konkrete Verantwortung je nach Position und Branche zu sehen und auch angemessen wahrzunehmen. Warum sollten sie das aber tun? Meine Antwort: Weil sie nur dann selbst glücklich sein können. So ist das Streben nach Glück für sich und für die anderen, für die man eine Mitverantwortung trägt, der entscheidende Motivator für die Bereitschaft, auch in der Arbeit moralisch zu handeln. Coachs, die das begriffen haben, können sich in ihrer Beratungsarbeit mit einer starken Kraft verbünden, die nicht nur ihren Klienten neue Potenziale erschließt, sondern auch sie selbst beflügelt. Und sie können mit ihrer Arbeit einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Moralität von Fach- und Führungskräften ganz konkret zu fördern. Ein Beitrag, der gerade in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage auf große Resonanz stoßen dürfte.
Was also müssen Coachs wissen und können, um ihre Klienten auf diese Weise zu begleiten? Neben der üblichen Beratungskompetenz und einer ausreichenden Feldkenntnis müssen sie sich ausführlich mit Ethik und „Glücksforschung“ befasst haben. Und sie müssen die Erfahrung gemacht haben, dass sich die Berücksichtigung dieses Wissen auch in ihrem eigenen Leben bewährt hat. Es geht also zunächst um ein zusätzliches Studium, das autodidaktisch, aber auch in Studiengruppen mit oder ohne Unterstützung von Fachleuten erfolgen kann. Denn dieses Wissen geht weit über das hinaus, was üblicherweise im Hochschulstudium (es sei denn man hat sich mit Philosophie, Moraltheologie oder Wirtschaftsethik befasst) oder in einer Beratungsausbildung vermittelt wird. Und ob die selbst gestrickte Lebensphilosophie ausreicht, kann nur beurteilt werden, wenn sie sich an anderen, elaborierten Entwürfen abgearbeitet hat. Mit welchen Themen sollte ein Coach sich also befasst haben? Ich schlage vor: mit Glück, mit Verantwortung und mit Lebenskunst.
Wenn wir Klienten aus dem westlichen Kulturkreis beraten, sollten wir vor allem westliche Traditionen kennen. Seit den alten Griechen wird zwischen Zufallsglück (altgr.: euychía; engl.: luck) und Glückseligkeit (altgr.: eudaimonía; engl.: happiness) unterschieden. Im Coaching kann es nicht darum gehen, auf den Zufall zu setzen. Auch kann Glückseligkeit nicht direkt produziert werden. Aber es können individuelle und gesellschaftliche Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Die Glückseligkeit umfasst auch das, was wir Lust, Vergnügen, Freude nennen (altgr.: hedoné; engl.: pleasure). Glück umfasst also nicht nur geistige Genüsse, sondern auch das leibliche Wohl. Schon Aristoteles (384-322 v.u.Z.) hat in seiner Nikomachischen Ethik überzeugend dargelegt, dass das höchste Gut, das alle Menschen letztlich anstreben, das Glück (eudaimonía) ist. Und Voraussetzung für diese Glückserfahrung ist ein tugendhaftes Leben. Der Tugendbegriff hat aber im üblichen Sprachgebrauch einen schlechten Klang. Er meint jedoch ursprünglich Tauglichkeit oder Tüchtigkeit (die Wortverwandtschaft ist augenscheinlich). Wenn wir darunter ein Vermögen verstehen, ein Leben zum Gelingen zu bringen, dann scheint mir dieser Begriff auch heute noch brauchbar zu sein.
Neben Aristoteles hat für mich Epikur (um 341-270 v.u.Z.) eine große Bedeutung. Für ihn ist die Basis des Glücks, Leiden vermeiden und Lust steigern zu können. Lust soll aber so gelebt werden, dass sie Freude bereitet, nicht nur für mich, sondern auch für die, mit denen ich in Freundschaft verbunden bin. Sie muss also kultiviert werden. Es sollte ferner eine Minimalübereinkunft geben, sich nicht gegenseitig zu schädigen. Epikur ist also keineswegs ein Hedonist im üblichen, abwertenden Sprachgebrauch, dem es ganz egoistisch nur um die Steigerung der eigenen Lust geht. Leider ist dieses Missverständnis seit der Spätantike gerade vom Christentum verbreitet worden.
Anknüpfend an Epikur hat der Utilitarismus eine liberale Konzeption lustvoller Moral vorgelegt: John Stuart Mill (1806-73) zum Beispiel argumentiert so: Um das allgemeine Glück zu befördern, kann es notwendig sein, die individuelle, sinnliche Lust einzuschränken. Diese zeitweise Einschränkung ermöglicht aber erst das eigene Glück „on the long run“. Diese einsichtsvolle Solidarität bereitet nun wieder geistige Lust. Diese angelsächsische Tradition fand schon zuvor ihren prominentesten Ausdruck in der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776: In dieser Proklamation wird „the persuit of happiness“ zu den Menschenrechten gezählt.
Eine aktuelle Theorie des Glücks hat der deutsche Philosoph Martin Seel vorgelegt. Er bestimmt das Glück nicht inhaltlich, sondern formal. Was das Glück im Einzelnen ausmacht, muss jeder selbst wissen. Formal zeigt sich das Glück als Wunscherfüllung oder als erfüllter Augenblick. Wenn diese episodischen Glücksmomente immer wieder auftauchen, ja wenn man das Leben so selbstbestimmt gestalten kann, dass sie das Leben kennzeichnen, kann man von übergreifendem Glück sprechen. Das impliziert aber, dass man in der Lage ist, den Anforderungen, die die Welt an einen stellt, in entscheidender Hinsicht eine angemessene Antwort zu geben. Dieses Glück muss sich dann auch in allen Bereichen menschlichen Lebens zeigen: Nicht nur im spielerischen Vergnügen, nicht nur in erfreulichen Begegnungen oder in besinnlicher Kontemplation, sondern eben auch in einer erfüllenden Arbeit.
In der Tradition des Aristoteles hat der amerikanische Psychologe Martin Seligman eine Konzeption „authentischen Glücks“ vorgelegt: Wer seine Talente vortrefflich ausbildet, der wird dafür belohnt und kann deshalb viel Freude empfinden. Es kommt also alles darauf an, seine Talente zu erkennen und auszubilden – und sie dauerhaft zum Wohl der Mitwelt einzusetzen. Mihaly Csikszentmihalyi, ebenfalls amerikanischer Psychologe, hat festgestellt, dass wir tiefes Glück empfinden, wenn wir vollständig in einer uns interessierenden und fordernden Tätigkeit aufgehen. Deshalb propagiert er, ganz in der Tradition des Epikur, in allen Bereichen des Lebens dieses Flow-Phänomen zu nutzen.
Diese Überlegungen zeigen: Wer glücklich sein will, muss sich entschließen, sich mit einem persönlich angemessenen Lebensstandard zufrieden zu geben. Denn das Streben nach immer mehr kann stets nur episodisches Glück hervorbringen. Das aber verführt zu erneutem Glückskonsum und weiterem Finanzierungszwang. Damit wird aber letztlich eine sich selbst beschleunigende Unglücksspirale in Gang gesetzt. Ein glückendes, gelingendes, gutes Leben aber hat zwei Voraussetzungen:
In der traditionell christlichen, aber auch in der Tradition des Philosophen Immanuel Kant wird das Glücksstreben als eher hinderlich für einen moralisch einwandfreien Lebenswandel gesehen. In diesen Traditionen werden Glück und Moral als Gegensätze konstruiert. Im Unterschied dazu plädiere ich mit dem deutschen Philosophen Hans Krämer für eine Integration der Sollensethik (Pflichtenethik, deontologischen Ethik) und der Strebensethik (Güterethik, teleologischen Ethik) [s. Kasten]. Das bedeutet: Glücklich sein kann ich nur, wenn die Menschen, mit denen ich zusammenlebe, mein Glück teilen oder zumindest tolerieren können. Und das gilt gegenseitig. Mir muss dann auch am Glück der anderen gelegen sein. Die Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Glücksinteressen von anderen ist aber die Basis jeglicher Moralität. Die Regeln und Praktiken der Rücksichtnahme bezeichnet man als Moral. Die reflexive Beschäftigung mit Moralität und Moral nennt man Ethik. Schon diese begriffliche Differenzierung kann so manchem verschwommenem Moraldiskurs Klarheit verschaffen.
Die Sollensethik befasst sich damit, was man tun soll. Die dann formulierten Pflichten werden oft inhaltlich bestimmt, wie das z.B. die Zehn Gebote tun. Man kann aber auch eine formale Bestimmung vornehmen, wie das z.B. Kant mit dem Kategorischen Imperativ getan hat. Eine von mehreren seiner Formulierungen lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Auch die Goldene Regel ist eine in fast allen Kulturen nachweisbare formale Fassung der Sollensethik: „Behandle andere so, wie du auch von ihnen behandelt sein willst.“ Wer also seine Pflicht tut, müsste auch „on the long run“ glücklich sein.
Dagegen orientiert sich die Strebensethik an materiellen bzw. immateriellen Gütern, die eine erstrebenswerte Lebensqualität sichern können. Für Aristoteles lassen sich all diese Güter in einem Gut zusammenfassen: der Eudaimonia, der Glückseligkeit. Um aber dieses Glück zu erreichen, muss ich auf alle anderen, die für mich bedeutsam sind, Rücksicht nehmen. Denn der Mensch kann als ein soziales Wesen nicht für sich allein auf Dauer glücklich sein. Um aber mein und dein Glück zu ermöglichen, ist somit moralisches Verhalten notwendig.
Im Coaching geht es im Wesentlichen um Individual- oder personale Ethik, allerdings durchaus in Korrespondenz zur Sozialen oder Politischen Ethik, da wir es hier mit einzelnen Menschen und deren begrenzten Verantwortungsbereich zu tun haben. Weil jegliches Handeln Freud oder Leid für jemand anderen bedeuten kann, es also moralisch gerechtfertigt sein muss, kann es keine moralfreien Räume geben. Auch das gute Funktionieren eines Unternehmens oder des Wirtschaftssystems als Ganzes kann schlimme Folgen haben. Hier darf es prinzipiell keinen Reflexionsabbruch geben, worauf besonders der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich immer wieder hingewiesen hat.
Um moralisch zu handeln, sind sicher gut begründete Argumente wichtig. Wichtiger jedoch ist der Rollentausch mit den Menschen, die Rücksichtnahme erwarten können. So erst erfahre ich konkret etwas über deren Lage und deren Interessen. Und so spüre ich heraus, wie ich antworten muss im Abgleich mit meinen eigenen legitimen Interessen. Erst dann kann ein Motiv zum moralischen Handeln erwachsen, das allen von meinen Handlungen Betroffenen gerecht wird. Hier ist vor allem an die Positionen der schottischen Moralphilosophen David Hume (1711-76) und Adam Smith (1723-90), mancher Nonkognitivisten und vor allem der Care-Ethik anzuknüpfen [s. Kasten]. Der psychodramatische Rollentausch [s. Kasten] bietet hierzu die passende Technologie.
Die feministisch inspirierte Care-Ethik opponiert gegen die übliche Moralphilosophie, weil diese nach ihrer Einschätzung der kognitiven Argumentation eine zu große Bedeutung zumisst. Diese Ausrichtung der Ethik führt sie auf das auch in der abendländischen Philosophie dominierende männliche Denken zurück. Im Gegensatz dazu verortet sie Moralität in der Fürsorge (Care) für den anderen. Das Grundmuster dieser Ethik wird in der liebevollen, uneigennützigen Zuwendung einer Mutter zu ihrem Kind gesehen. In dieser Sicht wird nicht den Kognitionen (Ethischer Kognitivismus), sondern den Gefühlen die entscheidende Rolle für die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme gesehen (Ethischer Nonkognitivismus).
Beim psychodramatischen Rollentausch geht es darum, die Interessen, Überlegungen und Gefühle derjenigen umfassend und intensiv kennen zu lernen, mit denen man eine gemeinsame Situation zu bewältigen hat. In einem psychodramatischen Rollenspiel tauscht dann der Protagonist (hier: der Coaching-Klient) mit wichtigen anderen Personen dieses Interaktionszusammenhangs (die von Gruppenmitgliedern gespielt werden) die Rolle: Der Protagonist ist jetzt der Andere in diesem Handlungszusammenhang und der Andere ist jetzt der Protagonist.
In der weiteren Aktion erfahren beide konkret, wie es ist, in der Rolle des jeweils anderen zu sein. Und der Protagonist erfährt, wie er von jemandem anderen dargestellt wird. Dadurch werden die inneren Bilder des Protagonisten, die er bisher von den anderen Personen und von sich selbst im Interaktionszusammenhang hatte, um viele Dimensionen erweitert, die ihm bisher nicht bewusst waren. Die Interessen der anderen werden ihm leibhaftig nahe gebracht. Dadurch wird er motiviert, sie genau zu spüren, sie ernst zu nehmen und sie in seinem künftigen Handeln zu berücksichtigen.
Angemessene Moralität entsteht also durch umfassende Übernahme der Rolle des anderen sowie durch die anschließende Rückkehr in die eigene Rolle. Rolle und Gegenrollen beeinflussen sich somit gegenseitig. Es kommt beim Rollentausch darauf an, einen gerechten Ausgleich zwischen den legitimen Interessen der anderen sowie den eigenen zu finden. Diese intensiven Erfahrungen im „Als-Ob“ eines Rollenspiels bewirken innere Veränderungen, die die künftige Alltagspraxis in der Arbeit beeinflussen werden; sie dürfte verantwortlicher gestaltet werden.
Dieses gegenseitige Mitgefühl nennen David Hume und Adam Smith „sympathy“. In ihren Moraltheorien ist diese Sympathie die Basis jeglicher Moralität. Einseitiges Sich-Hinein-Versetzen in den Anderen (Empathie) reicht dazu nicht aus.
Vor allem die Erkenntnisse der Psychopathieforschung lassen allerdings erwarten, dass es auch heute Menschen gibt, die gerade auch im Arbeitsleben zu unvorstellbar Bösem fähig sind. Da sie massiven Schaden anrichten können, wir aber in der Normalkommunikation keinen Einfluss auf sie haben, müssen wir uns vor ihnen schützen. Es wäre ein Fehler, Coaching-Klienten, die diesen Personen ausgesetzt sind, dazu befähigen zu wollen, mit ihnen gut auszukommen.
Fach- und Führungskräfte tragen eine besondere Verantwortung. Daher schlage ich als den zentralen ethischen Begriff den der Verantwortung vor. Er umfasst drei Aspekte:
Der Begriff der Verantwortung muss heute den der Pflicht ersetzen, weil das Pflichtkonzept eindeutige Kausalzusammenhänge von Handlungsverläufen voraussetzt, die den pluralistischen und hyperkomplexen Gesellschaften der Postmoderne zu unterstellen nicht mehr angemessen ist. Gerade weil wir heute in vielen Fällen nicht mehr eindeutige Verursacher festmachen können, müssen wir freiwillig Verantwortung für die Systeme, in denen wir leben und arbeiten, übernehmen. Das aber verlangt wiederum ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Und hier sind wieder die Tugenden gefragt: Wie etwa Klugheit, situative Urteilskraft, Reflexivität, Flexibilität, aber auch Fürsorgebereitschaft und Solidarität. Je weniger wir zur Verantwortung gezogen werden können, desto mehr müssen wir sie freiwillig übernehmen. Ansonsten landen wir in einem Chaos der Verantwortungslosigkeit. Hier das rechte Maß zwischen Über- und Unterforderung zu finden, kann Aufgabe des Coachings sein.
In der Arbeitswelt müssen wir zwischen verschiedenen Stufen der Verantwortungsübernahme unterscheiden: Sach- und Sozialverantwortung kann von jedem Mitarbeiter verlangt werden. Von Fach- und Führungskräften kann darüber hinaus Engagement im Einsatz für die Ziele der Organisation erwartet werden, wenn sie denn der Verbesserung der Lebensqualität dienlich sind. Heroismus jedoch, auch für eine gute Sache, kann vorkommen, kann aber nicht eingefordert werden. Gerade Führungskräfte müssen für eine Organisationskultur Sorge tragen, in der durch Etablierung geeigneter Rückenstützen allen Mitarbeitern die Möglichkeit verschafft wird, soziale und moralische Verantwortungsübernahme auch im Arbeitsalltag zu praktizieren. Sonst stellen Ethik-Codices oder Verhaltensleitlinien (wie z.B. der Deutsche Corporate Governance Kodex) Zumutungen dar, die nicht beachtet oder gar unterlaufen werden.
Gerade große Organisationen stehen in der Gefahr, durch die äußerst differenzierende und segmentierende Arbeitsteilung auch eine Aufteilung der Verantwortung vorzunehmen, so dass die Teilverantwortung, die für den einzelnen Mitarbeiter noch übrig bleibt, von diesem als unbedeutend angesehen wird. Verantwortungsübernahme für Handlungen und Prozesse, die über den eigenen Verantwortungsbereich hinausgehen, kann daher leicht ohne große Bedenken abgelehnt werden. Diese moralische Negativwirkung von Organisationen kann aber auch ins Positive gewendet werden: Organisationen können auch Moralität verstärkende Anreize in ihre Organisation einbauen. Hier sollten gerade Führungskräfte initiativ sein. Solche Möglichkeiten auch zu ergreifen, dazu kann das Coaching motivieren.
Glücksstreben, das wir vor uns und vor anderen verantworten können, verlangt nach dauerhaften Bemühungen. Ziel muss ein ausgeprägter Lebens- und Arbeitsstil sein, der sowohl im Alltag als auch in besonders herausfordernden Lebenslagen angemessenes Handeln gewährleistet. Einen solchen Lebens- und Arbeitsstil auszubilden und ständig weiterzuentwickeln, ist Aufgabe der Lebenskunst. Bei dieser ars vivendi geht es um die kunstvolle Herstellung, das heißt dauerhafte Gestaltung eines originären, authentisch gelebten Lebens. Die so geschaffene Lebens- und Arbeitsweise soll mit allen Sinnen als ästhetisch schön wahrgenommen werden. Erst dann hat das Leben „Stil“.
Die Philosophie hat vor allem in der Antike wichtige Anregungen zur Lebenskunst gegeben von Sokrates, Aristoteles und Epikur über Epiktet, Seneca und Cicero bis zu Marc Aurel. Diese Tradition wurde vom Christentum an die Seite gedrängt und nur von wenigen Außenseitern wie z.B. von Michel Montaigne (1533-92) weitergeführt. Heute werden diese Traditionen wieder aufgegriffen, um angesichts des Erblassens traditioneller Lebensmodelle, aber auch angesichts der Verbreitung großzügiger Liberalität Hinweise zur selbstbestimmten Lebensorientierung zu erhalten. Coachs sollten sich dabei nicht mit der Lektüre von platten Anthologien der Lebensweisheiten aller Zeiten und Völker zufrieden geben! Sie sollten sich schon mit durchdachten und gut begründeten Entwürfen auseinandersetzen, die für die heutige Zeit angemessen sind.
Mit der „Sorge um sich selbst“ etwa hat der französische Philosoph Michel Foucault (1926-84) den Individuen in der Postmoderne eine Perspektive gegeben: Sie sollen sich selbst stärken, um im Geflecht der Machtbeziehungen mithalten zu können. Ihm geht es um Gouvernementalität als einer Regierungskunst, die sowohl die Ermächtigung seiner selbst wie die Bemächtigung anderer umfasst. Coaching ist dabei ein nicht unwichtiges Instrument.
Der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid fordert die Individuen auf, unter den verschiedenen Lebensmöglichkeiten die richtige Wahl zu treffen, eine Wahl, die sie mit ihrer gesamten Existenz bejahen können. Um das leisten zu können, bedarf es der Klugheit, der Handlungskompetenz und der Kunstfertigkeit. Diese Sicht bietet eine gute Orientierung gerade für Entscheidungen von Fach- wie von Führungskräften.
Mit der Erläuterung eines aktualisierten Tugendkatalogs bietet der französische Philosoph André Comte-Sponville eine Skizze der Fähigkeiten, die vortrefflich dazu taugen, in verantwortlichen Positionen angemessene Entscheidungen zu fällen und ihre Folgen auf Dauer auch mittragen zu können.
Das Anstreben eines jeden Arbeitsziels im Coaching muss mit der Orientierung an umfassenden Lebenszielen vereinbar sein. Als allgemeine Ziele schlage ich vor:
Gerade die Tätigkeiten von Fach- und Führungskräften im Umgang mit Menschen können als Beziehungs-, Steuerungs- oder Regierungskünste im Rahmen von mikropolitischen Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb von Organisationen verstanden werden. Sie könnten sich dann als Künstler verstehen, die mit Menschen Gestaltungsideen entwickeln, damit spielerisch improvisieren und kreative Kräfte bei sich und anderen hervorrufen. Sie entwickeln dabei einen originären, möglicherweise originellen Arbeitsstil, der sich durch ein angenehmes und elegantes Können auszeichnet. Auch Menschenführung ist eine hohe Kunst, die sowohl kunstvoll Rahmenbedingungen für zielführendes Arbeiten in einer angenehmen Organisationskultur gestaltet als auch in direkter Beziehung Talente fördert und Leistungen herausfordert.
Als generelle Orientierungspunkte der Lebenskunst können – als Resümee dieser Überlegungen – gelten: Klugheit, Vortrefflichkeit, Spiritualität und Weisheit. Weisheit besteht dann darin,
In diesem festen Glauben an die Realisierbarkeit eines visionären Projekts zeigt sich für mich Spiritualität. Coaching sollte diesen weiten Horizont eröffnen.
Wer sich in seinem Leben darüber klar geworden ist, was ihn persönlich glücklich macht, und dabei das Glück der anderen, mit denen er es zu tun hat, ausreichend berücksichtigt, der kann sein Leben als sinnvoll bezeichnen. Man kann also sagen: Verantwortetes Glück macht Sinn. Wer diesen Sinn in seinem Leben erkannt hat, weiß, worum es geht. Wie er mit den Anforderungen umgeht, die auf ihn einstürmen, entscheidet er dann danach, ob ihn das in einem übergreifenden und umfassenden Sinn glücklich macht oder eben nicht. Diese Haltung kommt auch in seiner Arbeitstätigkeit zum Tragen.
Nun muss nicht jeder Coaching-Prozess explizit um diese existenziellen Fragen kreisen. Sie stehen aber meist im Hintergrund und können plötzlich manifest werden. Dann muss der Coach in der Lage sein, damit angemessen differenziert umgehen zu können. Daher ist es nützlich, das übliche Verständnis von Coaching als einer Managementberatung um Ethikberatung und Lebensberatung zu erweitern. Dieses erweiterte Verständnis nenne ich zusammen mit meinem Kollegen Christoph Schmidt-Lellek: Life-Coaching.
Der Coach als Ethikberater könnte dann Unternehmensethiker unterstützen, die im Konzept einer „integren Unternehmensführung“ der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich und Thomas Maak in jedem Unternehmen für die Implementierung und Einhaltung ethischer Standards zuständig wären. Die ethische Reflexion muss dann nicht von außen an die Mitarbeiter und Führungskräfte herangetragen werden. Sie ergibt sich ganz selbstverständlich bei der Bearbeitung ganz konkreter Anliegen im Beratungsprozess.
Aber erst die Verbindung mit der Lebensberatung kann Ethikberatung attraktiv machen. Denn wer will sich schon ohne Unterlass um die Qualität der Arbeit kümmern, für die er zuständig ist, wenn er nicht weiß, was er selbst davon hat außer, nicht negativ aufzufallen. Die Sollensethik kann daher im Life-Coaching gut mit der Strebensethik verbunden werden, so dass es im Interesse eines jeden liegt, zu seinem eigenen Glück auch Verantwortung für den Erfolg seines Unternehmens zu übernehmen.