In unserer anspruchsvollen Leistungsgesellschaft ist ein langfristiger Umgang mit steigenden Belastungen gefordert und es wäre eine Illusion zu glauben, dass Stressfaktoren und Belastungen sich in nächster Zeit reduzieren würden. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Veränderungen, die uns berühren, unser Leben verändern, uns verunsichern und uns Entscheidungen abverlangen, in immer kürzerer Zeit auftreten. Bei all dem sind wir zunehmend nicht beeinflussbaren Faktoren ausgesetzt, die langfristige Konsequenzen haben. Sowohl jeder Einzelne als auch die Unternehmen müssen lernen, damit zu leben und vor allem so damit umzugehen, dass es nicht dauerhaft zur Arbeitsunfähigkeit kommt.
Erst wenn Menschen durch Burn-out arbeitsunfähig werden, wird dies derzeit in den Statistiken als Schaden für die Unternehmen erfasst. 436 Milliarden Euro waren das im Jahr 2009 für deutsche Unternehmen laut Hamburger Weltwirtschaftsinstitut.
Was ist aber mit dem Schaden, der schon vorher durch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters entsteht? Wie wirkt sich diese auf seine Arbeitsergebnisse, seine Arbeitsumgebung, seine Kolleginnen und Kollegen aus? Aufgrund solcher Überlegungen müsste es die Verantwortlichen eigentlich interessieren, wie viele Mitarbeiter im Unternehmen unerkannt unter Stress leiden und welche Folgen das hat.
In der Regel leidet unter gestressten Kollegen die Teamstimmung deutlich, die Kommunikation wird angespannter und damit schlechter. Andere Mitarbeiter müssen die geringere Leistung des Gestressten kompensieren, die Ergebnisse verschlechtern sich, es kommt zu Fehlleistungen und Zeitproblemen. Außerdem ist das Ansteckungspotenzial für weiteres Personal groß. Nicht nur die genannten Symptome sorgen für Verwirrung, auch dabei zusehen zu müssen, wie eine Kollegin oder ein Vorgesetzter immer hilfloser in der Stressfalle gefangen ist, macht die Beobachter zu ohnmächtigen Betroffenen in nächster Nähe. Kommt es dann zum Burn-out, sind alle schockiert – auch weil es derzeit in vielen Unternehmen und bei vielen Menschen noch keine wirkliche Kultur gibt, darüber miteinander zu reden. Zu sehen, wie jemand es nicht mehr schafft, aus eigener Kraft aus dem Stresskreislauf heraus zu kommen, löst bei allen beteiligten Personen Emotionen aus.
Der Herzinfarkt eines 43-jährigen Vorstandskollegen oder der Schlaganfall der Mitarbeiterin wirkt genauso wie ein Burn-out bedrohlich und wird auch als Arbeitsüberlastungsfolge wahrgenommen. Das löst Angst aus: Kaum jemand fühlt sich davor gefeit, dass ihm einmal Ähnliches passiert. Wenn man dann noch einem durch einen Burn-out oder andere Stressfolgen sehr veränderten Menschen begegnet, in dessen Leben nichts mehr so ist, wie es war, kann das weitere Ängste auslösen, zumal man weiß, dass nur die Hälfte der Betroffenen wieder in einen Arbeitsprozess zurückfindet.
Bis ein Mensch durch Stress im Betrieb auffällt, dauert es durchschnittlich 2,5 Jahre. In der Zeit wären bei genauer Betrachtung folgende Symptome bei betroffenen Personen zu erkennen:
Grundsätzlich gilt, dass die Auswirkung auf die Organisation und den Unternehmenserfolg um die Anzahl der Mitarbeiter steigt, die direkt und indirekt einer Person mit stressbedingter Dysfunktionalität unterstellt sind. So konnte ich als Coach in einem großen deutschen DAX-Unternehmen die Auswirkungen eines überstressten Vorstands auf alle Ebenen nachvollziehen. Ein gestresstes Vorstandsmitglied (dem man zunächst nichts anmerkte), in dessen Bereich 45.000 Mitarbeiter arbeiten, sorgt für eine Stresskultur, deren Auswirkung zu einer Ausfallquote der Belegschaft von über fünf Prozent führt. Die Diagnosen lauteten dort aber nicht Burn-out, sondern: Tinnitus, Hörsturz, Asthma und Herzkreislauferkrankungen.
Um dem entgegen zu wirken, müssen sich Unternehmen, Coachs und Betroffene mit den Vorgängen und Auswirkungen bei Stress auseinandersetzen und die dadurch auftretenden Phänomene beachten.
Es gibt deutliche Warnsignale, die jeder für sich erkennen kann. Wenn vier der folgenden Punkte oder mehr gleichzeitig auftreten, dann ist der Zustand kritisch:
Stress bezeichnet hier den gesunden Hormonausgleichsfaktor zu der entsprechend zu bewältigenden Lebens- oder Belastungssituation. Bei der Entwicklung von Stress kann man drei Phasen erkennen:
Der schleichende Ressourcenverlust geht einher mit einer allmählichen Steigerung der Symptome. Dies birgt die Gefahr der Gewöhnung der beteiligten Person und auch deren Umgebung. Angehörige, Kollegen und Vorgesetzte gewöhnen sich an den langsamen Prozess, wodurch das persönliche und soziale Korrektiv fehlt.
Mit den abnehmenden Möglichkeiten, auf die eigenen Ressourcen zugreifen zu können, geht immer eine Zunahme der Realitätsentfremdung einher. Für den Extremstress hat die Natur uns eine Überlebensbiologie mitgegeben, die dafür sorgt, dass wir uns auf den einen, zum Überleben notwendigen Punkt konzentrieren. Meistens ist dies die bereits begonnene Aufgabe und wir haben durch die biologische Ausnahmesituation enorm viel Kraft, diese immer weiter zu betreiben.
Es kann sein, dass das Großhirn in dieser Notsituation biologisch ausgeschaltet wird und man dadurch nicht mehr in der Lage ist, die Zusammenhänge zu erkennen. Kreative Denkprozesse finden nicht mehr statt. Die biologische Reaktion, die in der Urzeit zum Wegrennen vor dem Säbelzahntiger gedacht war, findet heute oft nicht auf einen Schlag, sondern langsam und schleichend durch die Alltagsbelastungen statt.
Oft erlebe ich Menschen im Coaching ohne den Ansatz eines Bewusstseins darüber, dass sie sich von ihrer Realität entfernt haben, dass ihr Verhalten nicht mehr kreativ und situationsangemessen ist, dass Prioritäten und Delegationen nichts mehr mit der Zielsetzung zu tun haben.
Wie weit ein Realitätsverlust gehen kann, zeigte mir das Coaching mit einer Krankenschwester. Sie hatte, bevor sie wegen Burn-out krankgeschrieben wurde, im guten Glauben, ihre Arbeit zu verbessern und schneller zu werden, Unterschriften gefälscht, um für sie logische Entscheidungen von Ärzten und Vorgesetzten zu umgehen und ihre Arbeit zu beschleunigen. Die Konsequenzen und die Risiken waren ihr in dem Zustand überhaupt nicht bewusst. Mit klarem Kopf erschrak sie zutiefst.
Es ist zwingend nötig, sich auch dieser biologischen (nicht nur der psychischen) Stressfolgen bewusst zu sein und sie zu beachten. Ein Unternehmen tut gut daran, die Stressfolgen nicht nur in Form von Ausfallzeiten zu berechnen. Weitere Sicherungsmechanismen sollten eingebaut werden. Eine davon ist der Einsatz speziell geschulter Coachs. Diese verfolgen und beobachten die Konzentrationsfähigkeit und haben die Regenerations- und Entspannungsfähigkeit im Auge. Dabei ist es normal, dass nicht nur reine Gespräche stattfinden, sondern auch der Körper mit tiefem Atmen und Entspannen einbezogen wird.
Achtsamkeit, das heißt, den Körper als inneren Resonanzgeber zu kennen und wahrzunehmen, ist in einem solchen Coaching nicht das einzige, aber ein wichtiges Prinzip. Wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter zusätzlich in Stresskompetenz schult und im Coaching dies berücksichtigt, kann eine Stressausweitung verhindert werden. Belastung und Entspannung in ein Verhältnis zu setzen, ist Aufgabe aller Beteiligter, nicht nur die der Personalentwickler.
In der Regel steigen die Klienten erst im letzten Moment, wenn der Körper sie dazu zwingt, aus dem Berufsleben aus. Häufig meldet sich der Körper und zwingt durch einen Infarkt, einen Hörsturz oder einen Bandscheibenvorfall den Menschen zu einer Pause. Kurz vor einem Zusammenbruch kann der bedenkliche Zustand angesprochen werden, zum Beispiel von einem aufmerksamen Vorgesetzten, einem Personalverantwortlichen oder einem Coach.
Wir sprechen von einem Burn-out, wenn ein Mensch einfach nicht mehr in die Gänge kommt, er keine Energie verspürt, die kleinste Vorstellung von Arbeit oder Anforderung Schweißausbrüche, Atemnot oder Wutgefühle erzeugt. In dem Moment ist der neurologische Schutzschalter ganz umgelegt und der betroffene Mensch kann sich nicht mehr weiter selbst zugrunde richten.
Das Brainjoin-Stresscoaching mit Neuroimagination® findet in folgenden Phasen statt:
Manfred Schulze, 43 Jahre, Vater zweier Kinder, ist Geschäftsführer einer deutschen Firma, die Teil einer internationalen Holding ist. In der Firma ist er seit neun Jahren. Nach vier Jahren übernahm er die Länderverantwortung für Deutschland, was einen enormen Aufstieg bedeutete. Er fiel durch ausgewiesenes Fachwissen, höchstes Engagement, Ideenreichtum und hohe Loyalität auf, mit denen er sich den Aufgaben stellte. Seine Firma konnte in den fünf Jahren seiner Geschäftsführertätigkeit von 250 auf 550 Mitarbeiter wachsen.
Ich lernte ihn kennen, als er gerade von seinen Aufgaben freigestellt wurde. In einem Führungsgespräch hatten ihn die Konzernpersonalchefin und der Gesamtländerchef aller Verpflichtungen wegen Stressfolgen enthoben und ihm ein Burn-out-Coaching offeriert. Nach sechs Wochen sollte seine Zukunft im Konzern, eventuell mit einer anderen Aufgabe oder sein Ausscheiden, besprochen werden.
Nach einem längeren Telefongespräch und einigen Gesprächen mit anderen Führungskräften im Konzern, die schon ein Burn-out-Coaching gemacht hatten, entschied Manfred Schulze sich zum Einstieg. Schon fünf Tage später kam er für drei Tage in unser Coaching-Hotel, welches einen passenden Rahmen für eine Auszeit bietet.
Das individuell durchgeführte Coaching findet immer in Einzelsitzungen statt. In der Regel arbeiten zwei Coachs drei bis fünf Tage mit dem Klienten. Da sich in der Regel auch andere Klienten im Hotel aufhalten, bieten sich in den Pausen und beim Essen interessante Gesprächsmöglichkeiten, die meist als Bereicherung erlebt werden.
Im ersten Coaching-Gespräch wird eine Analyse der individuellen Situation gemacht. Im Fall von Manfred Schulze zeigte sich, dass seine neuronale Stresssituation schon seit über 1,5 Jahren bedenklich war. Er konnte nicht wirklich entspannend schlafen. Urlaub hat er sich gerade mal zwei Wochen gegönnt. Körperschmerzen quälten ihn in Form von Nackenschmerzen und ständigen Bauchschmerzen, die in Ruhephasen anstiegen. Seine Konzentrationsfähigkeit gab er als mittelmäßig an, gestand aber auf Nachfragen, dass er seit Monaten kaum noch E-Mails beantworten konnte. Er war fixiert darauf, das Jahresbudget unbedingt noch fertig zu machen, was er aber nicht geschafft hatte. Dies war ein Grund, warum man ihn aus dem „Verkehr“ gezogen hatte. Sein Privatleben war ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen: Die Ehe mit seiner Frau war mittlerweile brüchig, es gab keine Freizeitgestaltung mehr. Doch auf den ersten Blick war Manfred Schulze das alles nicht anzusehen, die Fassade war perfekt.
In diesem ersten Gespräch ging es mir darum, Manfred Schulze mit neurobiologischem Fachwissen zu helfen, seine körperliche Situation zu verstehen. Anschließend bestätigte ein Check-up, der eine Mischung aus Leistungsmessung, Konzentrationsfähigkeits- und Persönlichkeitstest ist, dass Manfred Schulze maximal 30 Prozent seiner eigentlichen Leistungsmöglichkeiten ausschöpfen konnte. Dies bestätigte die frustrierende Situation eines erfolgsgewohnten Managers. Nach dieser Analyse wurde seine Work-Life-Balance anhand der fünf Lebensbereiche Körper, Beziehung, Arbeit, Freizeit und Muße strukturiert betrachtet.
Dann folgte ein heikler Moment, weil wir erklärten: Nur wenn Manfred Schulze sich bereit erklärte, sich nach einem Auflösen seiner stressbedingten neurobiologischen Fragmentierung seinen persönlichen Themen zu stellen und diese in einem weiteren Coaching-Verlauf in Angriff zu nehmen, wollten wir weiterarbeiten.
Warum machen wir diese Einschränkung? Die Methode Neuroimagination® soll keinesfalls als Instrument dienen, um sich nur oberflächlich zu helfen, sich besser und schneller selbst ausbeuten zu können und sich so letztlich langfristig zugrunde zu richten.
Manfred Schulze erkannte relativ schnell, dass er in allen Bereichen Veränderungsbedarf hatte. Er sah ein, dass er in der Arbeit immer einem inneren Antreiber folgt, einer Stimme, die ihm sagt, er müsse mehr tun und dass es nicht reiche, was er mache. Wir versprachen uns, das Thema in Angriff zu nehmen, sobald der Kopf wieder klar sei und sein Regenerationssystem wieder funktionierte.
Mit der Methode Neuroimagination® konnte Manfred Schulze eine Entstressung durchführen. Die Kombination von Atemübung und Stoffwechselanregung im Gehirn, als Grundlage des Achtsamkeitstrainings, wirkte schon nach der zweiten Übungseinheit. Dies motivierte ihn, auch außerhalb der Coaching-Stunden seine Übungen selbstständig durchzuführen. So konnte die Stressblockade abgebaut werden. Schon in der ersten Nacht konnte Manfred Schulze gleich fünf Stunden am Stück schlafen. Am zweiten Tag lösten sich dann die Nackenmuskelverspannungen und die Denk- und Konzentrationsfähigkeit war schon deutlich besser. Jetzt konnten auch verschiedenen Arbeitsbelastungsfaktoren besprochen werden. Gedanken, um die Manfred Schulze bisher ergebnislos intensiv gekreist war, konnten konkretisiert werden und ein konstruktiver Prozess der Auseinandersetzung begann.
Dann folgte der Zeitpunkt, an dem nach lösungsorientierten Vorgaben, die Zukunft in Form von Veränderungsvorstellungen erstmals imaginiert wurde. Dies gelang Manfred Schulze relativ einfach, nachdem er sich seiner vor dem Burn-out erlebten Fähigkeiten wie der bewusst wurde. Die Imagination seiner Zukunft brachte eine deutliche Wendung in seine Körperhaltung und auch erstmals wieder ein Leuchten in die Augen. Hier wurde ihm bewusst, was er in den letzten Jahren versäumt hatte und er entwickelte erst eine Wut auf die äußeren Umstände, die ihm „seine Situation eingebrockt haben“. Jetzt war es Aufgabe des Coachings, die Verantwortungsübernahme für sich selbst, seine persönliche Stresshormonbildung, seine Aufopferungstendenzen, seine Zielsetzung und seine fehlende Bereitschaft, Grenzen zu setzen, zu betrachten. Diese Themen begleiteten nun den dritten Tag, an dem weiterhin auch die Entstressungsmethode geübt und vertieft wurde und die Lebensveränderungsthemen nun mit einem klaren Kopf besprochen werden konnten.
Im weiteren Verlauf hatte Manfred Schulze dann fünf weitere halbtägige Sitzungen in unserem Coaching-Center in Hamburg genutzt. Themen waren die Wut auf sich selbst und auf das eigene Versagen, welche durchlebt und umgewandelt wurden.
Fünf Wochen nach dem Intensiv-Coaching und anlässlich des letzten Burn-out-Coachings fühlte Manfred Schulze sich wieder fit. Der Check-up bestätigte das: Seine Konzentration war um 60 Prozent besser, seine Fähigkeiten konnten zwischen 75 bis 90 Prozent nutzbar gemacht werden. Er hatte sich entschieden, seine Bereitschaft im Unternehmen zu bleiben, zu signalisieren. Meinem Coaching-Tipp folgend, plante Manfred Schulze nun einen vierwöchigen Erholungsurlaub direkt im Anschluss an die intensive Coaching-Phase. Ihn wollte er nutzen, um den nun wieder klaren Kopf für seine Ehe und Familie einzusetzen.
Um seine Fortschritte bei einem Wiedereinstieg in eine neue Tätigkeit fortzusetzen, vereinbarten wir ein zwei-bis dreistündiges Coaching alle vier Wochen, damit wir gemeinsam diverse Themen, die im Burn-out-Coaching zur Sprache kamen und sein Führungsverhalten sowie sein inneres Zielkonzept betreffen, weiter verfolgen zu können.
Ein gutes Coaching sollte immer die persönliche Balance des Klienten im Auge haben und dazu beitragen, dass diese erhalten bleibt. Dazu sind alle Bereiche des Lebens genauso angesprochen wie die körperliche Komponente. Ein guter Coach erkennt dazu die Stressanzeichen und kann die Auswirkungen von Stress auf die Kommunikation, auf die Beziehungsgestaltung, auf die Planungssicherheit sowie die Ausgleichsfaktoren Entspannung und freie Zeit einschätzen.