In die Analyse aufgenommen wurden 30 Führungskräfte mittlerer und höherer Ebene. Alle Klienten kommen aus Großunternehmen oder Konzernen, für die wir als Coachs tätig sind. Es sind also überwiegend die Leistungs- und Potenzialträger der Unternehmen, die wir hier betrachten, denn diese sind es, die in der Regel ein Coaching erhalten.
Als Coachs und Berater sind wir seit über 15 Jahren kollegial vernetzt und verfügen über eine vergleichbare inhaltliche wie auch methodische Ausrichtung. Dennoch arbeiten wir mit unterschiedlichen Klienten, die wir sicherlich auch persönlich unterschiedlich wahrnehmen. Entsprechend haben wir unsere Analysen auch jeweils individuell vorgenommen. Die weitgehend übereinstimmenden Analyseergebnisse haben uns darin bestärkt anzunehmen, dass es sich um relevante Trends und Beobachtungen handelt.
Von den Coachings wurden 16 im Laufe des Jahres 2009 abgeschlossen, 14 Prozesse laufen noch, sind jedoch überwiegend in einem fortgeschrittenen Stadium. Die Unternehmen, in denen die Klienten tätig sind, lassen sich grob in drei „Kategorien der Krisenbetroffenheit“ einteilen:
Positiv betrachtet lässt sich sagen, dass auch bei den hoch krisenbetroffenen Kunden gut zwei Drittel der Coachings weitergeführt oder optimal abgeschlossen werden konnten. Vereinzelt war die Krisensituation sogar explizit Anlass, Coaching zu beantragen oder zu genehmigen. Auffallend: Bei Coachings aus diesen stark krisengebeutelten Firmen waren zum Teil viele Terminverschiebungen und Terminschwierigkeiten zu verzeichnen. Auch sonst extrem termintreue Klienten sagten kurzfristig Stunden ab. Zum Teil konnte das Coaching nur zu besonderen Zeiten (20 Uhr oder an Urlaubstagen) durchgeführt werden. Aber auch (und gerade) diese hoch belasteten Führungskräfte haben das Coaching „durchgezogen“ – oder tun dies noch.
In knapp einem Drittel der Fälle sind jedoch einschneidende Veränderungen auf den Verlauf zu verzeichnen: Die Coachings wurden entweder gestoppt oder erhielten nicht (oder zunächst nicht) die sonst problemlos übliche Verlängerung. Bei den nicht verlängerten Coachings setzte ein Klient das Coaching privat fort, weil ihm das Coaching gerade in der jetzigen Herausforderung unverzichtbar erscheint. Zwei Klienten begannen das Coaching auf privater Basis. Als Grund wurde die eigene instabile Situation im Unternehmen genannt und die Befürchtung, „schlafende Hunde“ zu wecken, wenn man einen Coaching-Bedarf anmelden würde.
Bei den Unternehmen, die leicht bis mittel von der Krise betroffen sind, sind nur vereinzelt negative Auswirkungen zu verzeichnen (Kostendruck, Arbeitsverdichtung), bei den (noch) nicht Betroffenen gibt es erwartungsgemäß keine negativen Auswirkungen. Bei diesen Unternehmen wird ein Coaching für Schlüsselpersonen im Veränderungsprozess teilweise explizit gefördert.
Gerade in der Krisensituation wird Coaching also als persönlich stabilisierend erlebt und trotz enormer Arbeitsbelastung und geringen zeitlichen Freiräumen weiter wahrgenommen oder sogar teilweise „auf eigene Rechnung“ weitergeführt oder initiiert.
Zur generellen Handhabung des Coachings ist zu sagen, dass laufende Prozesse bislang nur in Ausnahmenfällen gestoppt werden. Allerdings werden neue Prozesse seitens der Unternehmen eher zögerlich in Angriff genommen, wofür sich drei Gründe ausmachen lassen:
Selbstverständlich wurden die Coaching-Ziele vorab festgelegt, um eine klare thematische Ausrichtung zu gewährleisten. Ebenso selbstverständlich dürfte es sein, dass auch bei einem zielgerichteten Coaching-Prozess auf die aktuellen Befindlichkeiten der Klienten einzugehen ist, und sei es nur im Sinne des Prinzips „Störungen haben Vorrang“.
Welche Themen sind es nun, die in der Krise „hochpoppen“, entweder außerhalb der vereinbarten oder als explizite Coaching-Inhalte? Es lassen sich ganz klar drei thematische Schwerpunkte ausmachen:
Weniger häufig, aber dennoch klar zu beobachten, ist ein weiteres Thema: Die Verarbeitung persönlicher Rückschläge und Misserfolgserlebnisse. „Wie kann ich mit Kränkungen umgehen?“, fragen Klienten. Bereits fest vereinbarte Karriereziele werden plötzlich obsolet oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Der eigene Bereich erfährt als Cost-Center plötzlich keine Wertschätzung mehr und es gilt, sich Motivation und Bestätigung zumindest vorübergehend in anderen als dem beruflichen Lebensbereich zu holen – um nur zwei Beispiele zu nennen.
Wichtig ist uns an dieser Stelle, auch eine eindeutig positive Nachricht an die Firmenverantwortlichen weiterzugeben: Von den 24 Klienten, die in mehr oder weniger krisengebeutelten Firmen arbeiten, gibt es nur vier, bei denen wir davon ausgehen würden, dass sie das Unternehmen verlassen werden, wenn die Zeiten wieder besser sind. Zwar leiden die Klienten aktuell zum Teil sehr stark unter dem Imageverlust einiger krisengebeutelten Branchen, sie sind aber, trotz zum Teil erheblichem Frustrationsgrad, nach wie vor loyal zum Unternehmen eingestellt und tragen die teilweise harten Einschnitte mit. Die Firmen brauchen sich also, so unsere Einschätzung, keine Sorgen zu machen, dass nach der Krise reihenweise ihre Leistungs- und Potenzialträger abwandern. – Eher besteht die Gefahr stressbedingter psychischer und/oder körperlicher Erkrankungen!
So wie es unterschiedliche Persönlichkeitstypen gibt, gibt es persönlich unterschiedliche Verarbeitungsmechanismen und Muster im Umgang mit krisenhaften Veränderungen. In der konkreten Analyse der gecoachten Manager und Topmanager haben sich drei Muster herauskristallisiert, die wir mit den Stichworten „Kämpfen, Flüchten, Standhalten“ betiteln wollen.
Insgesamt zeigt sich, dass eine optimistische Lebenseinstellung auch in der Krise erhalten bleibt. Von diesen optimistischen Klienten wird die derzeitige Situation als Herausforderung gesehen, in der sie viel lernen können. Und auch eine eventuelle persönliche Betroffenheit, sprich Jobverlust, wird nicht als Weltuntergang gesehen. Man ist im Gegenteil davon überzeugt, dass sich auch dann neue Chancen auftun würden. Bei allen Klienten, bei denen diese Einstellung als ausgeprägt anzusehen ist, ist aufgefallen, dass sie über vielfältige Firmenerfahrungen verfügen, also deutlich mehr als einen Arbeitgeber kennen gelernt haben. Vielleicht ist es so, dass diese berufliche Sozialisation als persönliche Ressource zu sehen ist, im Sinne von gestärkter Resilienz. – Allerdings wird auch umgekehrt ein Schuh daraus: Optimistische Menschen sind offener für neue Erfahrungen und machen diese somit entsprechend häufiger.
In der Analyse unserer Coaching-Prozesse haben wir uns – naturgemäß – auf die individuelle Perspektive fokussiert. Unter organisationalen Aspekten sind sowohl „Garten Eden“- als auch „Katastrophen“-Szenarien im Zusammenhang mit der Krise denkbar.
Für ein krasses Negativszenario müssen wir nur über die Grenzen schauen: In Frankreich verpflichtete Arbeitsminister Xavier Darcos alle 2.500 französischen Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern dazu, sich einem Notplan gegen Suizide in Unternehmen anzuschließen. Aber auch bei uns hat die Verzweiflungstat des Torwarts Robert Enke im Herbst 2009 die Gemüter stärker als jedes andere Ereignis bewegt. Da drängt sich die Frage auf: Wie ist es um das Klima in deutschen Unternehmen bestellt? Wächst der psychosoziale Druck hier in Folge von unsicheren Finanz- und Absatzmärkten ebenso? Wächst die Misstrauenskultur und büßt Personalentwicklung den mühsam aufgebauten Einfluss auf Unternehmensprozesse flugs wieder ein? Unser Eindruck: Ja, es gibt sie – die Unternehmen, die ohne Umsicht agieren, Druck ausüben und Härte von den Führungskräften einfordern. Das oben beschriebene Phänomen, aus Angst vor Imageverlust ein Coaching lieber selber zu zahlen, als es bei der Personalentwicklung zu beantragen, ist ein Indiz dafür.
Doch das ist eine Minderheit und in Deutschland kein Massenphänomen! In einem Workshop mit 14 unserer Kunden (Personalentwickler, alle für das Thema Coaching zuständig) wurde dieser Eindruck bestätigt: Unternehmen mit einer gewachsenen und werteorientierten Unternehmenskultur fahren zwar ihre Programme zurück, schicken die Personalentwicklung aber nicht grundsätzlich auf die Ersatzbank. In einigen – zugegebenermaßen derzeit noch positiven Ausnahmefällen – wird die Personalentwicklung stark an Veränderungsprozesse geknüpft, damit strategischer angebunden und gewinnt an Bedeutung. Ein Unternehmen, für das wir arbeiten, hat beispielsweise „Change Coachs“ eingesetzt, die regelmäßig mit allen Mitarbeitern sprechen.
Vielfach beobachten lässt sich folgendes Phänomen: Personalentwickler stellen sich ihren internen Kunden vermehrt als Berater zur Verfügung; und werden als hilfreiche Ansprechpartner von ihren Führungskräften mehr als je zuvor ins Vertrauen gezogen. Solchermaßen engagierte interne Personalexperten sehen sich damit langfristig in ihrer Rolle und Akzeptanz im Unternehmen gestärkt, frei nach dem Motto: „Unsere Kunden sehen, dass wir keine Schönwetterprediger, sondern auch und gerade in kritischen Zeiten eine wichtige Anlaufstelle sind. Und: Die Personalentwickler kämpfen um ihre Konzepte, viele Projekte im Personalentwicklungsbereich sind fürs neue Jahr schon abgesegnet und warten nur noch auf den Startschuss!
Wenn wir uns fragen, ob und wie wir die Krisenkompetenz im Coaching steigern können, erscheint uns dieses Konstrukt hilfreich. Resilienz bezeichnet die bislang wenig erforschte seelische Kraft, die Menschen dazu befähigt, Niederlagen und Stresssituationen, wie kritische Ereignisse besser und schneller zu meistern. Seit Anfang der 90er-Jahre macht der sperrig klingende Fachterminus in der Verhaltensforschung Furore. Das Wort kommt aus der Physik und bezeichnet in der Materialforschung hochelastische Werkstoffe, die nach jeder Verformung ihre ursprüngliche Form wieder annehmen.
Die Verhaltensforscher haben den Begriff schließlich auf den Menschen übertragen: Resilient ist, wer die emotionale Stärke aufbringt, unter Stress, Krisen und Schicksalsschlägen handlungsfähig zu bleiben. Früher hätte man schlicht von Abhärtung gesprochen – „Was mich nicht umbringt, das macht mich stärker“, sagte Friedrich Nietzsche –, oder man hätte den berühmten „Stehaufmännchen-Effekt“ zur Erklärung herangezogen. Der Unterschied zu populärwissenschaftlichen Hypothesen ist, dass zum Konzept Resilienz inzwischen etliche harte wissenschaftliche Daten vorliegen.
Selbstwirksamkeitserwartung ist ein psychologisches Konstrukt, das die persönliche Überzeugung bezeichnet, etwas bewirken zu können, auch in schwierigen Situationen Einfluss auf die Dinge, die Welt nehmen zu können. Menschen, die über eine starke Selbstwirksamkeitserwartung verfügen, sind im Beruf erfolgreicher und haben einen geringere Anfälligkeit für Depressionen und Angststörungen.
Interessant in diesem Zusammenhang ist der „High-performance-circle“: Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung führt zu höheren Ansprüchen an die eigene Person, man sucht sich anspruchsvolle Herausforderungen und deren Bewältigung führt wiederum zu Bestätigung und Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung: Das ist das Verhaltensmuster erfolgreicher Führungskräfte.
In der gegenwärtigen Krise wird die Selbstwirksamkeitserwartung der Leistungsträger empfindlich gestört: Ich tue viel, gebe alles – und dennoch bewirkt es wenig bis nichts, hat es keinen Einfluss auf den Verlauf der Krise. Könnte es sein, dass sich daraus ein Low-Performance-Circle entwickelt, wozu die psychische und physische Überlastung ihr Übriges tut? Wie wäre es mit einer kleinen Anleitung zur Pflege der Selbstwirksamkeitserwartungen in schwierigen Zeiten: