Kontrovers

Machbarkeitswahn und Menschenbilder im Coaching

5 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 04 | 2005

Der Coaching-Markt nimmt nicht nur an Umfang und Bedeutung zu, er entwickelt sich auch in andere Richtungen. So kann z.B. festgestellt werden, dass in der zunehmenden Zahl verfügbarer Angebote auch solche vertreten sind, die weitreichende Erwartungen wecken. So können in diversen Broschüren und Internetseiten oftmals Formulierungen folgender Art gefunden werden: 

  • "Sie erreichen Ihre Ergebnisse in 3-5 Sitzungen."
  • "Coaching hilft Ihnen dabei, Spitzenleistung zu entfalten."
  • "Unser Anspruch ist, Sie erfolgreich zu machen."
  • "Wir begleiten Sie bis zum Erfolg."
  • "Als Coach helfe ich Ihnen, Ihre Wunschziele zu erreichen."
  • "Was Sie im Coaching erreichen, hängt alleine von Ihrer Disziplin ab."
  • "Ab heute erfolgreich."
  • usw.

Angesichts solcher Aussagen stellt sich die Frage, welches Menschenbild derartige Coaching-Anbieter eigentlich vertreten, wenn Erfolg in nahezu beliebiger Größenordnung in Aussicht gestellt wird.

Sollte ein Coaching-Anbieter tatsächlich annehmen, dass Erfolg nur eine Frage des Klienten-Willens ist, so greift dieser Ansatz - vorsichtig formuliert - wohl zu kurz. Entsprechendes dürfte in diesem Fall für die Selbsteinschätzung des Anbieters gelten (über beraterische Kompetenzen, die nicht unwesentlich von der Fähigkeit zur Selbstreflexion beeinflusst sein dürften, sei hier nicht weiter gemutmaßt). 

Ist sich ein Coaching-Anbieter hingegen bewusst, dass die o.g. Aussagen eher verzerrend als realitätsnah sind, so scheint er zu anzunehmen, dass seine Zielgruppen entsprechende Formulierungen erwarten. Aber auch dieser Haltung liegt ein Menschenbild zugrunde, in dem Mündigkeit und Reflexion nicht eben zentral sein dürften. 

Im günstigsten Fall könnte man davon ausgehen, dass die o.g. Formulierungen einfach nur unbedacht erfolgt sind oder sie aus einem umfassenden Sinnzusammenhang herausgerissen wurden, um sich aus der Masse der Anbieter mit "markigen" Werbetexten hervorzuheben. Doch auch dann stellt sich die Frage, ob ein solcher Anbieter im Umgang mit den Klienten wohlmöglich ein ähnlich unbedachtes Verhalten an den Tag legt. 

Christoph Schmidt-Lellek bringt dies wie folgt auf den Punkt:

"Bei solchen Formulierungen, aber auch bei manchen Äußerungen von Klienten in Beratungsgesprächen habe ich jedoch zuweilen den Eindruck, hier handele es sich um Kitsch, also um ein 'irgendwie' unechtes, unwahrhaftiges Streben, um etwas eigentlich Schönes oder Wertvolles, das aber eine subtile Deformation in sich trägt. Kann es sein, dass manche Beratertätigkeit, indem sie solchen Wünschen zu entsprechen trachtet, dann selbst kitschige Züge trägt?" (Schmidt-Lellek, 2004, S. 379). 

Darin zeigt sich auch, dass nicht nur manche Coachs Wunschvorstellungen propagieren, sondern dass diese auch von einigen Klienten erhofft werden, bzw. entsprechende Wünsche an Coachs herangetragen werden. Es greift also auch zu kurz, den Coachs alleinig ein verkürztes Menschenbild zu bescheinigen. Vielmehr scheint sich dies - zumindest teilweise - gegenseitig zu bedingen.  

Nun ließe sich ja sagen, dies alles sei nicht weiter bemerkenswert, da solcherlei Anbieter und Nachfrager sich in ihrem Menschenbild kaum unterscheiden und somit eine Passung gegeben sei. Es gibt nur ein Problem dabei: Ein simplifizierendes Menschenbild und die daraus resultierenden Ableitungen werden den unterschiedlichen Anforderungen der Realität kaum gerecht. Es darf ernsthaft bezweifelt werden, dass eine solche "Beratung" zu nachhaltigen positiven Ergebnissen führt. Eher das Gegenteil kann angenommen werden und ist durch entsprechende Veröffentlichungen bereits belegt (Keden, 2002). 

Das Perfide bei einer "Beratung", die ein "alles ist möglich, wenn man nur will" suggeriert, ist: Ein Misserfolg kann scheinbar eindeutig zugewiesen werden. Der Klient ist schuld, er hat nur nicht genug gewollt. Somit ergibt sich die Notwendigkeit, sich noch mehr Mühe zu geben und noch mehr Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine reflektierte Vorgehensweise sieht anders aus. "Schon die alltägliche Lebenserfahrung zeigt, dass für viele Menschen aus unterschiedlichsten Gründen Versagen zum Alltag des Lebens gehört. Vorzugeben, jeder bzw. jede könne alles erreichen, was er bzw. sie sich vorstellt, ist abwegig." (Keden, 2002, S. 35). 

Spätestens hier stellt sich die Frage, in welcher Lebenssituation sich Menschen befinden müssen und welches Selbstbild sie von sich haben, um die o.g. Formulierungen attraktiv zu finden, bzw. sich davon ansprechen zu lassen. "Für Menschen mit Bindungsängsten ist es ein Traum, das Versprechen zu kriegen, Glück zu finden, ohne andere zu brauchen" (Eidenschink, 2005). Somit dürfte die Auswahl des (scheinbar) passenden Coachs insbesondere bei den Personen unbewusst beeinflusst werden, die entsprechend vorgeprägt sind. Jedoch ist ein derart ausgewählter Coach möglicherweise somit genau der falsche, weil er z.B. Bindungsängste eher verstärkt, als genau hier eine Lösung zu suchen. 

Daher sind die eingangs dargestellten Formulierungen bei näherer Betrachtung durchaus bei der Auswahl passender Coaching-Angebote hilfreich - allerdings anders, als sich dies entsprechende Anbieter vorgestellt haben dürften. Wer deutliche Hinweise auf mangelnde Authentizität und Reflexionsvermögen eines Coaching-Anbieters sucht, findet diese z.B. in folgenden Punkten:  

  • Erfolgsversprechen bzgl. Perfektionsphantasien
  • Überidealisierungen und Schönungen
  • Vereinfachungen, Ausklammern von Mehrdeutigkeiten
  • Machbarkeitideologien und vorgetäuschte Konfliktfreiheit

Aber auch Coachs sollten bereits in Erstgesprächen mit potenziellen Klienten darauf achten, dass diese aus unterschiedlichen Veranlassungen heraus bestimmte Themen nicht anfassen wollen und eine Beratung bevorzugen, die ein scheinbequemes "anything goes" in Aussicht stellt. "Die meisten [Klienten] haben keine Änderungsmotivation, sondern eine Stabilisierungsmotivation", resümierte Klaus Eidenschink auf dem CoachingKongress 2005. Inwieweit genau dies dann thematisiert werden kann oder ein Klient durch den Coach abgelehnt werden muss, bleibt dann dem Einzelfall überlassen.  

Literatur

  • Eidenschink, Klaus (2005). Problem und Lösung, Defizit und Ressource - Grundparadigmen des Coachings im Wandel. Vom Sinn und Blödsinn zweier beliebter Unterscheidungen. Vortrag auf dem CoachingKongress 2005 in Frankfurt/M.
  • Keden, Joachim (2002). Ein Beispiel für "Coaching und Visionsmanagement". EZW-TEXTE 2002, 164, S.29-47.
  • Schmidt-Lellek, Christoph (2004). Kitsch in Beratung und Psychotherapie als Ausdruck eines verkürzten Menschenbildes. OSC Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 4/04, Jg. 11/2004, S. 379-394.

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