Niemand macht gerne Fehler und insbesondere Personen, die im weitesten Sinne beraterisch tätig sind, möchten anderen Menschen bei der Vermeidung oder Korrektur von Fehlern Unterstützung geben. Insofern ist es leicht nachvollziehbar, dass natürlich auch Coachs versuchen, Fehler zu vermeiden. Wer träumt nicht von null Fehlern oder davon, einen begangenen Fehler ungeschehen zu machen?
Systeme mit null Fehlern haben jedoch zumeist auch eine Effizienz in der gleichen Größenordnung. Oder anders formuliert: Wer mit null Fehlern etwas produzieren oder eine Dienstleistung erbringen möchte, erkauft sich das i.d.R. teuer. In manchen Bereichen ist natürlich die Minimierung von Fehlern unabdingbar, man denke z.B. an die Luftfahrt oder den Betrieb eines Kernkraftwerks. Hier ist jeder sicherheitsrelevante Fehler fährlässig, denn es geht in diesen Bereichen um Menschenleben. Dennoch gilt auch hier, dass das Plus an Sicherheit teuer bezahlt werden muss, z.B. in Form mehrfach redundanter Systeme, die auch Teilsystemausfälle abfangen. Und dennoch gibt es auch in solchen Systemen immer wieder Fehler.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass menschliches Verhalten nicht mit technischen Systemen oder Produktionsabläufen vergleichbar ist. Die Fehlerquote eines spezialisierten technischen Systems kann der Fehlerquote menschlichen Handelns extrem deutlich überlegen sein. Der Mensch wiederum verfügt dafür über Fähigkeiten, die kein technisches System vorweisen kann, z.B. deduktives und induktives Schlussfolgern oder die kreative Problemlösung.
Beim Umgang mit Fehlern gilt es daher, je nach Anforderung eine individuelle Balance zu finden. Dabei verhält es sich wie mit dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Das eine bedingt das andere. Ein zuviel von dem einen schadet aber dem anderen. "Wer bereit ist Sicherheit gegen Freiheit zu tauschen wird beides verlieren", wusste schon Benjamin Franklin.
Somit erweist es sich auch als geradezu kitschiger Trugschluss, anzunehmen, ein fehlerfreier Mensch wäre ein anzustrebendes Ziel. Tatsächlich würde eine solche Unfehlbarkeit immer in einer Erstarrung münden. Es darf bezweifelt werden, dass dies erstrebenswert oder sinnvoll bzw. langfristig erfolgreich ist.
Bei nüchterner Betrachtung bleibt somit eine simple Erkenntnis: Fehler sind nie komplett vermeidbar. So wie auch keine Führungskraft ernsthaft von sich behaupten kann, niemals einen Fehler in ihrer Führungsarbeit begangen zu haben, wird auch kein Coach eine derartige Behauptung glaubhaft aufstellen können. Selbstverständlich kann und darf es nicht Sinn von Führung oder Coaching sein, absichtlich Fehler zu begehen oder durch mangelnde Sorgfalt zu provozieren. Dennoch werden selbst bei bester Absicht, fundiertem Wissen und sorfältigem Vorgehen immer Fehler geschehen können. Darin liegt aber eine große Lernchance für den Klienten – und auch für den Coach. Denn entscheidend ist weniger, ob es Fehler gibt, sondern wie viele Fehler es gibt, ob es neue oder alte Fehler sind und in welcher Art und Weise mit einem Fehler umgegangen wird. Hier ist ein Coach in seiner Professionalität gefragt.
Unbedingt keinen Fehler begehen zu wollen, ist (nicht nur) im Coaching bereits der erste Fehler. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Ausbildung neuer Coachs nicht selten zu beobachten ist, dass diese ganz genau wissen möchten, wie Coaching "funktioniert", um nur gar keinen Fehler machen zu müssen. Erst wenn sie lernen, dass genau diese Perspektive den eigentlichen (und größeren) Fehler darstellt, kann an dem dahinterliegenden Impuls gearbeitet werden, der für jeden Coach von großer Bedeutung ist: Das Loslassen von der Vorstellung im Coaching-Prozess die 100%ige Kontrolle zu besitzen und die (im Grunde pubertäre Vorstellung) jederzeit souverän sein zu müssen.
Denn mit diesen überzogenen und unmenschlichen Unfehlbarkeitsanspruch wiederholt bzw. verstärkt ein junger Coach eben genau die Machbarkeitsfantasien so mancher Führungskraft, die mit der Absicht ins Coaching kommt, zum perfekten Mitarbeiter-Dompteur zu mutieren. Dieser Versuchung sollte im eigenen und im Interesse des Klienten widerstanden werden. Sie ist Ausdruck eines Denkens, das Fehler pauschal abwertet und Unfehlbarkeit zur alleinig erstrebenswerten Norm erklärt. Genau solche Denkhorizonte sind es aber, die tatsächlich massive Probleme erschaffen und sich heimtückischerweise selbstbezüglich verstärken, nach dem Motto: Ich muss perfekt sein und wenn ich das nicht schaffe, muss ich mir mehr Mühe geben. Das Tempo auf dem Holzweg wird erhöht, um den Verlust der Orientierung zu "kompensieren".
Wer Fehler derart abwertet und sich selbst überfordert, vergisst das positive Element, das jedem Fehler innewohnt: Das Lernpotenzial. Jeder Fehler zeigt an, was anders und vielleicht sogar besser gemacht werden kann. Statt krampfhaft zu versuchen, Fehler zu vermeiden, gilt es vielmehr die Entstehungsgeschichte eines Fehlers offen zu analysieren und insbesondere schamfrei zu klären, was dieser Fehler über den Klienten sagt. War er zu sorglos? Oder zu gierig? Wurde zu schnell gehandelt? Wurden Probleme ausgeblendet? Wurde etwas vermieden? Und wie kann man unterstützen, aus den Antworten zu diesen Fragen tatsächlich etwas für die Zukunft gelernt zu haben, damit der gleiche Fehler nicht wieder und wieder gemacht wird?
In der reifen Umsetzung bedeuten diese Gedanken nicht, solange alle Fehler auszumerzen, bis man einen gewissen Zustand an (ohnehin nur eingebildeter) Perfektion erreicht hat, sondern den Prozess des lebenslangen Lernens anzunehmen. Und dabei handelt es sich um einen Denkhorizont, der einen deutlich entspannteren Umgang mit Fehlern zulässt, ohne an Engagement und Leistungsfreude nachzulassen – im Gegenteil.
Die Vorstellung mit null Fehlern handeln zu können, erweist sich bei näherer Betrachtung als Ausdruck eines verkürzten Menschenbildes. Daher haben Coachs gerade im Umgang mit Fehlern eine Vorbildfunktion für die Klienten. Es geht weder darum, absichtlich Fehler zu produzieren, noch sich als perfekt darzustellen. Im Vordergrund steht vielmehr der reife Umgang mit Fehlern. Damit einher geht der Abschied von Kontrollfantasien – und diese sind bei den Führungskräften beliebt, weil sie (Schein-)Lösungen versprechen. Gerade hier hat der Coach die Aufgabe, als Sparringspartner zu fungieren und dem Klienten vor dem Treffen von Entscheidungen neue Perspektiven zu vermitteln.