Kontrovers

Esoterik-Coaching

Hogwarts in deutschen Unternehmen

Bereits ein Blick auf die Büchertische in der Buchhandlung verrät es: Esoterik in allen Varianten und für alle Lebensbereiche erfreut sich großer Beliebtheit. Natürlich bleibt auch die Coaching-Branche von dieser Entwicklung nicht verschont. So werden z. B. Schamanismus und Kinesiologie als skurrile „Coaching-Methoden“ verkauft. Dass solche „Methoden“ aber mehr an Zauberei denn wissenschaftlich fundierte Praxis erinnern, sollte jeder bedenken, der solch ein Angebot wählt – und ebenso was es wohl über eine Führungskraft aussagt, wenn sie z.B. ein „Schamanismus-Coaching“ bucht. 

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2014 am 14.05.2014

Für den uneingeweihten Beobachter ist die Coaching-Szene schon ein merkwürdiges Feld (siehe Kanning, 2013). Während man bei einem Besuch in der Anwaltskanzlei oder im Krankenhaus mit einschlägig ausgebildeten Vertretern bestimmter Professionen rechnen darf, wähnt man sich bei der Suche nach einem geeigneten Coach mitunter im „Hogwarts“ der Harry-Potter-Romane – so bunt sind die Hintergründe der Anbieter und die von ihnen feilgebotenen Methoden. Die Bandbreite reicht vom promovierten Psychotherapeuten über Absolventen unterschiedlichster sozial- und geisteswissenschaftlicher Studiengänge bis hin zu Heilpraktikern, Astrologen und Esoterikern, wobei die Übergänge zwischen den letztgenannten Gruppen durchaus fließend sind.

Wer als potentieller Kunde auf „gut Glück“ ein Angebot aus der Trickkiste greift, wird alsbald möglicherweise lernen, alle wünschenswerten Ziele seines Lebens allein durch die Kraft der Autosuggestion zu erreichen. Ebenso gut könnte es aber sein, dass er über christliche Sinnsprüche sinnieren muss, um – auf wundersame Weise erleuchtet – zu einer besseren Führungskraft zu mutieren. Alternativ mag er es mit Pendeln, Meditation oder Geistheilung versuchen. Sicherlich hilft es auch weiter, wenn man weiß, zu welchem Zeitpunkt die Sterne günstig stehen, um wichtige Entscheidungen zu treffen oder wie man Geschäftspartner durch eine geschickte Manipulation der Körpersprache in willenlose Opfer verwandelt. Da fehlt eigentlich nur ein Seminar zur Verteidigung gegen die dunklen Künste.

Skurriles Coaching: Schamanismus

Schauen wir uns im Folgenden einmal zwei skurrile Methoden näher an (Kanning, 2013): In Zeiten, in denen die christliche Glaubenslehre zumindest in Deutschland zunehmend an Boden verliert, scheinen immer mehr Menschen alternative Modelle der Metaphysik für sich zu entdecken. Hierzu zählt auch der Schamanismus. Die Eingabe eines entsprechenden Suchbefehls bei einem bekannten Internetbuchhändler fördert mehr als 1.400 Artikel zu Tage. Kein Wunder, dass eine solchermaßen attraktive Thematik auch in der Coaching-Szene vermarktet wird.

Der Schamanismus wird häufig als eine Art Religion der Naturvölker beschrieben. Im Unterschied zu den großen Weltreligionen glaubt man hier allerdings nicht an eine übersinnliche Macht, die den Menschen erschaffen hat und unverrückbare Werte vorgibt. Vielmehr nimmt man an, dass die eigenen Vorfahren unsere Geschicke auf Erden beeinflussen können. Wer ein Problem in der hiesigen Welt lösen möchte, der kann die Verstorbenen in der jenseitigen Welt um Rat und Wundertaten anrufen. Dabei hilft ihm der Schamane, eine Art Medium, das mental zwischen den Welten hin und her pendelt. Der klassische Schamane bedient sich hierbei verschiedener Hilfsmittel, um in Trance die Reise ins Unbekannte anzutreten: Trommel, Glöckchen, Tanzrituale und bei Bedarf auch schon mal Drogen. So mancher Manager mag sich da an sein Studium erinnert fühlen, was den Vermarktungschancen möglicherweise zuträglich ist.

Der eine oder andere Anbieter schwächt den quasi-religiösen Auftritt der Methoden aber lieber ein wenig ab, indem er einen Methodenmix einsetzt. Vergleichbar zum NLP bastelt man sich einen Baukasten vermeintlich effektiver – de facto aber nur etablierter –Tools, aus denen der Coach sich nach Gutdünken bedient. In diesem Zusammenhang wird z.B. auf Methoden des systemischen Coachings verwiesen. Ebenso gut würde das Schamanen-Coaching zur orthodoxen Organisationsaufstellung nach Hellinger passen. Auch hier ist man ja gern bereit, mal kurz den verstorbenen Firmengründer zu reaktivieren, um die Absatzprobleme des Enkels zu lösen. Folgen wir den Versprechungen der Anbieter, so sind die Potentiale der Methoden geradezu überwältigend: „individuelle Weiterentwicklung“, „Hilfe bei Leistungsabfall und Burnout“, „Hochleistung“, „bei den Mitarbeitern ein Feuer entfachen“, „Verbesserung sozialer Kompetenzen“, „Erfolg“ und natürlich die „Beeinflussung des Unterbewusstseins“. Für Freunde blumiger Phrasen wird das Ganze dann auch noch mit Attributen wie „ganzheitlich“, „authentisch“, „wertschätzend“, „partnerschaftlich“ oder „achtsam“ garniert.

Es muss an dieser Stelle wohl kaum hervorgehoben werden, dass keinerlei belastbare Belege für einen entsprechenden Nutzen existieren. Stattdessen verweisen die Anbieter auf jede Menge wertvollster Erfahrung und ausnahmslos zufriedene Kunden. Der selbsternannte Coach unterscheidet sich nur unwesentlich vom erfolgreichen Staubsaugervertreter.

Nehmen wir einmal an, eine Führungskraft entscheidet sich für ein solches Coaching. Sie dokumentiert damit etwas, das man in der Psychologie eine fatalistisch externale Kontrollüberzeugung nennt und das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was man sich von einer Führungskraft wünscht. Die betroffene Person glaubt nicht etwa, dass sie durch ihr Handeln ihre Umwelt gestalten kann, sondern dass die Geschicke des Lebens durch sie nicht beeinflusst werden können. Verantwortlich erscheint hingegen eine höhere Macht, das Schicksal oder – in einer moderneren Variante – das System. Mehr noch, die Führungskraft zeigt, dass sie sich nicht kritisch mit den Verlockungen der Anbieter auseinandersetzt bzw. nicht auseinandersetzen kann. Sie geht einfachsten Marketingstrategien auf den Leim. Will man so jemandem tatsächlich Verantwortung übertragen?

Skurriles Coaching: Kinesiologie

Die zweite Coaching-Methode basiert auf der Kinesiologie. Die Grundannahmen der Kinesiologie finden sich in verschiedenen vorwissenschaftlichen Schulen der Heilkunde wieder. Demnach durchfließt den Menschen eine Art Lebensenergie entlang definierter Kanäle. Zu Problemen kommt es, wenn Stauungen im Energiefluss auftreten. Ziel der Behandlung ist zunächst die Lokalisierung der Stauung und anschließend die Auflösung derselben. Vertreter der Kinesiologie glauben, dass sich die Stauungen in Muskelverspannungen widerspiegeln. Zur Lösung aller Probleme soll daher gezielt die Muskelanspannung in bestimmten Regionen verändert werden.

Während es ursprünglich nur um Krankheiten ging, wurde der Ansatz im Laufe der Zeit auf alle Lebensbereiche übertragen. Da ist es fast schon folgerichtig, wenn man die Kinesiologie auch als Coaching-Methode im wirtschaftlichen Kontext mit folgenden Versprechungen anpreist: „Motivationssteigerung“, „Hilfe bei Mobbing“, „Verbesserung der Arbeitszufriedenheit“, „Förderung des Zusammenhalts im Team“, „Karriereberatung“, „Burnout-Prävention“ sowie „Kommunikation mit dem Unterbewusstsein“ – Letzteres kann bekanntlich niemals schaden.

Das Grundmodell ist so schön einfach und scheinplausibel, dass viele Menschen erst gar nicht auf die Idee kommen, es in Frage zu stellen. Zudem ist man indirekt dem gleichen mechanistischen Ansatz schon mehrfach in völlig unterschiedlichen Kontexten begegnet, beispielsweise in der klassischen Psychoanalyse oder der Akupunktur. Hier wirkt der Häufigkeits-Validitäts-Effekt: Je häufiger wir etwas hören, desto glaubwürdiger erscheint es uns.

Bislang haben weder die Anatomie entsprechende Kanäle, noch die Physiologie die postulierte Energie gefunden. Studien zur Akupunktur zeigen, dass die Effekte auch dann auftreten, wenn man die Nadeln an völlig anderen als den definierten Energiepunkten ansetzt. Dies spricht für einen Placebo-Effekt: Allein die Erwartung, dass wir einer wirksamen Behandlung ausgesetzt werden, verschafft uns Linderung.

Gezielte Untersuchungen zur Kinesiologie zeichnen ein verheerendes Bild. Die zentrale diagnostische Methode ist der sog. Muskeltest, bei dem der Kinesiologe durch das Abtasten des Körpers Verspannungen lokalisieren will. Dies ist durchaus vorstellbar. Leider funktioniert es in der Praxis nicht (Kanning, 2013).

Bittet man mehrere erfahrene Kinesiologen, dieselben Patienten zu untersuchen, kommen sie zu abweichenden Befunden. Bittet man sie, ihre eigenen Diagnosen bei denselben Patienten zu replizieren, sind sie hierzu nicht in der Lage, wenn die Identität des Klienten verborgen bleibt (= Blindversuch). Bei der Identifizierung von Allergien – eine vermeintliche Spezialität der Kinesiologie – sind die Experten nur so gut wie der Zufall.

Bislang spricht mithin nichts für die Kinesiologie. Ihre Grundannahmen stammen aus einer fernen Zeit, in der die Menschen sich die Funktion des Körpers nicht zutreffend erklären konnten. Ebenso gut könnte man heute auf die Viersaftlehre des griechischen Arztes Galenos (ca. 129–216 n. Chr.) zurückgreifen und annehmen, alles Menschliche sei durch das Verhältnis von gelber Galle, schwarzer Galle, Blut und Schleim zu erklären. Ähnlich negativ fallen die Befunde zur angewandten Kinesiologie aus. – Viel Nebel und nichts dahinter. Welches Bild vermittelt wohl eine Führungskraft die sich jenseits aller Rationalität für ein Kinesiologie-Coaching entscheidet?

Das (bittere) Fazit

Fast ist man versucht, den Kunden statt eines Besuchs beim Esoteriker die Lektüre von „Harry Potter“ zwecks Weiterbildung ans Herz zu legen. Dies ist weitaus kostengünstiger, unterhaltsamer und sicherlich nicht weniger hilfreich.

Literatur

Kanning, Uwe Peter (2013). Wenn Manager auf Bäume klettern: Mythen der Personalentwicklung und Weiterbildung. Lengerich: Pabst.

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