Wir alle wissen, dass sich die globale Wirtschaft in einem historischen Transformationsprozess befindet. Da ist nicht nur der digitale Transformationsprozess zu erwähnen, sondern auch der weltweite Krisenmodus in Bezug auf den Klimawandel, Energiekrise, die Veränderungen von Märkten und die eingeschränkten Zugriffe auf Ressourcen. Vom Fachkräftemangel ist in Deutschland mittlerweile jede Branche und fast jedes Unternehmen betroffen. Management- und Beratungsansätze versuchen seit einiger Zeit, Unternehmen und Organisationen in der Bewältigung dieser Transformationsprozesse zu unterstützen, denn für manche Unternehmen geht es bereits ums schlichte Überleben.
Führungskräfte und Mitarbeitende stehen angesichts dieser nicht berechenbaren Anforderungen und Veränderungen oft unter einem nie dagewesenen Druck. Statistiken belegen, dass die psychische Belastung bei allen Beschäftigten kontinuierlich wächst (Badura et al., 2022).
Auf einen Blick
Das Konzept der Resilienz erfreut sich vor diesem Hintergrund einer immer größer werdenden Nachfrage. Nicht nur, weil persönliche Resilienzfaktoren Beschäftigten und Führungskräften helfen, Anforderungen zu bewältigen, sondern auch, weil die Idee der organisationalen Resilienz darauf abzielt, Unternehmen und Organisationen in ihrer Funktionsfähigkeit und Widerstandkraft gegenüber Krisen und Herausforderungen in der globalen Wirtschaft zu stärken. Folgerichtig ist die Nachfrage an Resilienz-Trainings in den letzten Jahren stark gestiegen. Und auch in Coaching-Prozessen sind Konzepte der Resilienz gefragter denn je.
Doch das Konzept der Resilienz ist mitnichten die Wunderpille, die, einmal mittels Training oder Coaching verabreicht, alle beschriebenen Probleme löst. In einigen Fällen scheinen Resilienz-Coachings und -trainings sogar schädlich:
Verändert sich nur der einzelne Mensch, aber nicht die Organisation, dann verschlechtert sich sogar die Situation, denn was nutzt es einzelnen Personen, resilienter zu werden, wenn die Organisation selbst in ihren Strukturen und Rahmenbedingungen unverändert Belastungen hervorruft, die Führungskräfte und Mitarbeitende dann wieder (resilient) bewältigen müssen?
Dieser Beitrag möchte aufzeigen, wie es gelingen kann, Konzepte der persönlichen (hier: individuellen) Resilienzentwicklung mit Ansätzen der organisationalen Resilienz zu verbinden. Denn, wie oben beschrieben, erscheint es kurzsichtig, persönliche Veränderung nicht mit organisationaler Veränderung zu verbinden.
Die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner hat in den 1970er Jahren den Begriff Resilienz in ihrer berühmten Langzeitstudie zur Auswirkung von Risikobedingungen auf Kinder und Jugendliche geprägt. Die Untersuchungen mit Kindern auf der hawaiianischen Insel Kauai zeigten deutlich, dass ca. ein Drittel der Kinder psychisch stabil (sprich resilient) auf sehr schwierige soziale Lebensbedingungen reagierten. Das Konzept individueller Resilienzfaktoren wird seitdem in psychosozialen Arbeitsfeldern genutzt, um psychisch belastete und benachteiligte Kinder, Jugendliche und Familien gezielt zu stärken.
Die Resilienzforschung der letzten Jahrzehnte hat sich mit vielen unterschiedlichen Ansätzen beschäftigt. Folgende Resilienzfaktoren gelten heutzutage in den meisten Forschungsansätzen als relevant:
Das Leibnitz-Institut für Resilienzforschung (2023) beschreibt neben diesen Resilienzfaktoren sogenannte Resilienzmechanismen: „Unter Resilienzmechanismen werden jene erfolgreichen Methoden oder Strategien verstanden, die ein Individuum in der Konfrontation mit schwierigen Lebenslagen zum Zweck der Krisenbewältigung einsetzt. Es wird davon ausgegangen, dass Resilienzfaktoren die Aktivierung entsprechender Resilienzmechanismen wahrscheinlicher machen. So wird angenommen, dass ein optimistischer Denkstil oder eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung in Krisensituationen zu verhältnismäßig positiven Situationsbewertungen führen, die Überreaktionen vermeiden und Raum für eine flexible Herangehensweise und den notwendigen Wiederaufbau von Ressourcen lassen.“ (LIR, 2023).
Jonas (Name geändert) ist Projektleiter bei einem IT-Dienstleister. Aktuell leidet er aufgrund der Vielzahl von Projekten unter einer hohen Arbeitsbelastung. Außerdem schwelen seit längerem ungeklärte Konflikte mit seinem Vorgesetzten. Jonas reagiert resilient, denn trotz aller Belastung ist er sich bewusst, dass er über Möglichkeiten verfügt, seine Probleme zu lösen. Um hierbei Unterstützung zu erhalten, nimmt er ein Coaching in Anspruch und lernt gerade, anders mit der hohen Arbeitsbelastung umzugehen. So überlegt er, zur Not auch zu kündigen oder sich in einen anderen Arbeitsbereich versetzen lassen. Diese Überlegungen führen dazu, dass er sich trotz der Probleme als selbstwirksam und pro-aktiv erlebt. Er ist außerdem bereit, auszuprobieren, ob die Konflikte mit dem Vorgesetzten zu klären sind. Jonas wird seinen Chef auf diesen Konflikt ansprechen und nutzt somit seine sozialen Kompetenzen.
Das Konzept der Resilienz wird von Stressbewältigungsverhalten abgegrenzt. Typische Stressbewältigungsmaßnahmen sind z.B. die Anwendung von Atem-Entspannungstechniken oder Übungen des MBSR (Mindful-based Stress-Reduction, nach Kabat-Zin, 2019). Diese Techniken helfen Menschen, ihr Stresssystem unter Belastung wieder herunterzufahren. Resilienzfaktoren hingegen sind persönliche Grundeinstellungen, die zur Anwendung bestimmter Strategien führen, eine Krise zu bewältigen. Die meisten Experten gehen außerdem davon aus, dass eine funktionierende Stressbewältigung für die eigene Resilienz Grundvoraussetzung ist. Ohne Stressmanagement kann also keine Resilienz entstehen. Darüber hinaus wirkt ein gut funktionierendes Stressmanagement unmittelbar, während ein Resilienz-Training eher mittel- und langfristig wirksam wird.
Stressbewältigung wird oft mit Resilienz verwechselt. Coaches, die Resilienzmaßnahmen in Unternehmen anbieten, sollten in der Auftragsklärung auf diesen Unterschied achten, um Missverständnisse zu vermeiden. Ein weiteres Missverständnis, dass in der Auftragsklärung ausgeräumt werden sollte, beschreibt Jens Asendorpf: „Resilienz bedeutet nicht, dass man dauernd gut drauf ist.“ (Berndt, 2013, S. 85) Resilienz vermittelt vielmehr das Bemühen um ein lebenslanges Ringen für die Weiterentwicklung von Bewältigungsstrategien angesichts nie endender Herausforderungen und Belastungen. Der Mythos von einem optimalen Resilienzzustand, der statisch aufrecht erhalten werden kann, darf entzaubert werden.
Betrachtet man diverse Resilienzkonzepte (hier Nuber, 2016; Scharnhorst, 2013; Kéré-Wellensiek, 2011) und die u.a. dort aufgeführten Resilienzfaktoren, so kann man folgenden Querschnitt relevanter Faktoren festhalten:
In der Praxis können diese Resilienzfaktoren wie im folgenden Beispiel eingebunden werden:
Eine Behörde bietet für ihre Führungskräfte ein Resilienz-Coaching an. Anlass sind der Fachkräftemangel, aber auch Auswirkungen der Digitalisierung, die seit einigen Jahren in der Verwaltung umgesetzt werden sollen und zu zahlreichen organisatorischen und technischen Pannen führen. Der Fachkräftemangel und die damit verbundenen unbesetzten Stellen führen zu einer großen Arbeitsbelastung in den Fachbereichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten am Limit und beschweren sich bei den Vorgesetzten. Diese wiederum sehen kaum Lösungsansätze und erleben diese Unlösbarkeit der aktuellen Problematik als sehr belastend. Viele von ihnen reagieren mit psychosomatischen Beschwerden und immer mehr Führungskräfte fallen krankheitsbedingt aus. Das Coaching beinhaltet ein Konzept, das sowohl die Resilienzstärkung als auch Aspekte des gesunden Führens beinhaltet. Folgende Übungen stehen im Vordergrund:
Man kennt es von diversen Coaching-Tools, dass sie den beruflichen Rahmen verlassen und privates Terrain betreten, insbesondere wenn es um Lebenskrisen, Beziehungsthemen und um Fragen der seelischen und körperlichen Gesundheit geht. Die Resilienzförderung kennt exakt gezogene Grenzen zwischen „Privat“ und „Beruflich“ nicht, was vor allem in deren Anwendung im Team für Teilnehmende herausfordernd sein kann. Allerdings kann der Austausch zu allgemeinen Lebensthemen die Verbundenheit im Team fördern. Diese Offenheit und Vertrautheit lässt sich jedoch nicht erzwingen und ist wahrscheinlich auch nicht sinnvoll, wenn hier intime Details berichtet werden, die einen Tag später im Büro peinlich wirken. Daher empfiehlt es sich, diesen Umstand von Beginn an offen anzusprechen und die Teilnehmenden selbst bestimmen zu lassen, welcher Grad an Offenheit oder Vorsicht geboten ist – niemand darf sich gezwungen fühlen.
Das „Energiefass“ (Zander-Schreindorfer, 2021) ist gut geeignet, erste Schritte zum Aufbau von mehr Resilienz zu gehen und sich gleichzeitig erstmalig mit der eigenen Belastung-/Gesundheitssituation zu befassen.
Stellen Sie sich vor, Ihre gesamte Energie im Sinne von Kraft und Gesundheit befände sich in einem großen Topf oder Fass. Morgens beim Aufstehen hat man meist ein Gefühl, wie voll bzw. leer sich das eigene Energiefass anfühlt. Es wird von etlichen Energiespendern (=Resilienzfaktoren) und Energieräubern (=Belastungen) befüllt bzw. entleert.
Vor allem in der Auswertung in der Gruppe sollte darauf geachtet werden, dass keine Problemtrance entsteht, indem nur über Energieräuber gesprochen wird. Meist ist es sehr passend, darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, i.d.R. aufkommendes Jammern und Klagen zu beenden und insofern resilient zu reagieren, indem die Opferrolle konsequent verlassen wird. Die Übung mit dem Energiefass sollte idealerweise immer mit konkreten Lösungsschritten enden.
Die Idee der resilienten Organisation beschäftigt die Managementberatung seit ca. zehn Jahren. Angesichts aktueller Krisen findet die Idee, dass auch das soziale System „Organisation“ sich angesichts wachsender globaler Unsicherheit und Veränderungstempo widerstandsfähig aufstellen kann, mehr und mehr Resonanz. Seit einigen Jahren existiert eine DIN ISO Norm für die organisationale Resilienz (22136:2017). Sie besagt, dass bestimmte Faktoren die Widerstandskraft eines Unternehmens stärken (Hartwig et al., 2016; Heller, Huemer, Preissegger et al., 2018):
Aktuell gibt es nur sehr wenige Unternehmen, die an der Weiterentwicklung ihrer organisationalen Resilienz interessiert sind. Wahrscheinlich ist das Konzept noch zu fremd. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch sofort, dass einige der Resilienzfaktoren durchaus Gegenstand anderer Management-Konzepte sind. An einer geteilten Vision zu arbeiten, ist beispielsweise Thema in einem Beratungsprozess zur Verbesserung der Unternehmenskommunikation oder Bestandteil einer Marketingstrategie. Der Faktor „Stetige Verbesserung“ ist als „KVP-Prozess“ bekannt und Bestandteil vieler Qualitätsmanagement-Prozesse. „Veränderungen zu antizipieren“, kann Bestandteil eines Change-Prozesses sein. Doch es gibt zur Zeit noch zu wenige fundierte Erkenntnisse, welchen Return on Investment ein Unternehmen erzielt, wenn in den organisationalen Resilienzprozess investiert wird.
Im Rahmen von Inhouse-Veranstaltungen ist es jedoch sehr bedeutsam, auf die Verzahnung persönlicher und organisationaler Resilienz hinzuweisen. Wie schon erwähnt, ist es nicht effektiv, nur auf den Aufbau individueller Resilienzfaktoren zu setzen, wenn in den Arbeitsbereichen Entlastung erfolgen soll.
Ein mittelständisches Unternehmen möchte seine Führungskräfte resilienter machen und organisiert daher ein Resilienz-Coaching. Das Coaching, dem ein Resilienz-Seminar für das gesamte Führungskräfte-Team angeschlossen ist, verläuft erfolgreich. In der Abschlussrunde wird bereits thematisiert, dass die Erkenntnisse auch die Geschäftsleitung und andere höhere Führungskräfte interessieren könnten, da gewisse Struktur- und Rahmenbedingungen als ineffizient für die Produktionsabläufe bewertet werden. Man vereinbart, die Geschäftsleitung zu informieren und zu einem weiteren Gespräch für den Aufbau organisationaler Resilienzfaktoren einzuladen.
Die Geschäftsleitung reagiert erbost. Der Coach wird einbestellt und es wird kritisiert, dass „der Schuss nach hinten losgegangen sei“. Das Ziel sei gewesen, die Führungskräfte resilienter zu machen. Nun würden sie stattdessen die Verantwortung einfach nach oben verschieben und sich beschweren.
Folgendes können Coaches aus diesem Beispiel lernen:
Der gesundheitsgerechte Führungsstil ist streng genommen kein Element der Resilienz. Gesundes Führen als Konzept wird meistens dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement zugeordnet und zählt dort zu einer Maßnahme der Verhältnisprävention.
Allerdings sind immer mehr Kunden daran interessiert, im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der organisationalen Resilienz ihre Führungskräfte diesbezüglich zu schulen. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass der gesundheitsgerechte Führungsstil einen unmittelbar positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit von Mitarbeitenden hat (Rothe et al., 2017). Auf der Suche nach Maßnahmen zur Reduzierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz stehen Seminare zum „Gesunden Führen“ seit Jahren an oberster Stelle.
Momentan möchten viele Unternehmen diese Ansätze kombinieren: Resilienzförderung auf der individuellen und organisationalen Ebene mittels Seminarinhalten zum gesunden Führen. Die Erfahrung zeigt, dass im Verlauf eines Seminars oder Trainings „Gesund führen“ das Interesse an gesundheitsförderlichen Maßnahmen geweckt wird, die wiederum das soziale System Organisation betreffen.
Ein Medienunternehmen entscheidet sich für ein flächendeckendes Seminare „Gesund führen“. Sämtliche Führungskräfte werden zu diesem Thema geschult. Nach einiger Zeit werden verstärkt Diskussionen geführt, die sich darum drehen, ob die jeweils höhere Führungsebene, die ja ebenfalls das Seminar absolviert hat, wirklich so gesund führt, wie es vermittelt wurde. Es wird jedoch gleichzeitig vermutet, dass untere Führungsebenen möglicherweise genauso kritisch mit dem eigenen Führungsverhalten sein könnten.
Daraus entsteht die Idee, in einem großen Führungs-Workshop diese Fragen zwischen „Anspruch und Wirklichkeit“ offen anzusprechen und anstatt übereinander, konsequent miteinander zu reden. Der Workshop findet statt und die beteiligten Führungskräfte können wichtige Maßnahmen in punkto authentische Umsetzung des gesunden Führens und weitere wichtige Maßnahmen u.a. zur Bewältigung des Fachkräftemangels besprechen.
Der gesundheitsgerechte Führungsstil umfasst folgende Verhaltensweisen:
Immer dann, wenn Workshops, Seminare, Trainings etc. zum gesundheitsgerechten Führungsstil für alle Führungskräfte eines Unternehmens durchgeführt werden, wird „Gesund führen“ zum organisationalen Resilienzfaktor, bzw. es kann zum Organisations-Know-how werden. Davon profitiert die Organisation vor allem in Krisenzeiten.
Resilienzförderung unterstützt sowohl Führungskräfte und Mitarbeitende als auch die gesamte Organisation bei der Weiterentwicklung ihrer Widerstandsfähigkeit. Trainer und Coaches, die in diesem Beratungsbereich tätig werden, profitieren von einem speziellen Know-how in Bezug auf gesunde Führung und Resilienzförderung. In Zukunft verschmelzen bei diesem Thema die bisher eng gezogenen Grenzen zwischen Business- und Life-Themen, sowie auch zwischen Training, Organisationsberatung und Coaching. Spezielle Weiterbildungen helfen Trainern und Coaches, sich für diese Verzahnung fit zu machen.