Ein Begriff und ein Konzept erleben einen Boom und das gerade auch in der Coaching-Branche: die Resilienz. Der Begriff, der ebenfalls in der Naturwissenschaft und Mathematik zu finden ist, wurde in den Siebzigerjahren geläufiger und bezog sich damals auf die einmaligen, persönlichen Stärken von Kindern im Umgang mit Beeinträchtigungen körperlicher und sozialer Art und hatte seine Wurzeln auch in der Pädagogik. 1977 veröffentlichte die US-Entwicklungspsychologin Emmy Werner eine Aufsehen erregende Studie über Kinder auf der hawaiianischen Insel Kauai und machte erneut auf das Phänomen Resilienz, das einige dieser Kinder zeigten, aufmerksam.
Optimismus, Akzeptanz und Lösungsorientierung stehen heute im Zentrum dessen, was einen resilienten Menschen ausmacht. Andere nennen Selbstwirksamkeit und das Vorhandensein stabiler und guter sozialer Netzwerke als grundlegende Resilienzfaktoren. Es gibt aber keine einheitliche, von allen anerkannte Definition.
Die meisten Resilienzforscher und -Coaches können sich aber auf die Aspekte einigen, die Prof. Dr. Jutta Heller, Expertin für das Thema Resilienz, angibt und die sich mit den eben genannten in etwa decken (Heller, 2013; Heller, 2017). Sie geht von sieben „Säulen“ aus (Reivich & Schatté, 2013): Akzeptanz, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung, Netzwerkorientierung, Lösungsorientierung, Zukunftsorientierung.
Der Heidelberger Coach und Arzt für Psychotherapie Dr. Gunther Schmidt reklamiert Resilienzorientierung im erweiterten Sinn für den Pionier der Hypnotherapie, den Psychiater Milton Erickson. Ohne den Begriff „Resilienz“ ausdrücklich zu verwenden, habe Milton Erickson sein gesamtes Leben (1901–1980) auf diesen Aspekt gesetzt; mit seiner Fokussierung auf Ressourcen statt auf Symptome und Defizite habe er lange alleine gestanden, sagt Schmidt. Das hat sich nun geändert.
Resilienz hat sich als Konzept in Wissenschaft und im Coaching etabliert; wenn auch die Evaluation noch am Anfang steht. Salutogenese, Epigenetik, Neuroplastizität, das alles sind Stichworte für Forschungsentwicklungen, die in eine Richtung gehen und zeigen: Es ist zielführender, sein Augenmerk auf das Gesunde im Menschen zu richten, statt auf das Kranke (Salutogenese), und auch im Erwachsenenalter kann der Mensch fast alles lernen und sogar manche Gene beeinflussen (Neuroplastizität und Epigenetik) – Letzteres passiert in aller Regel aber unbewusst bzw. unwillentlich und oftmals willkürlich. Da nun akzeptiert ist, dass Resilienz nicht nur eine teils angeborene, teils ererbte Fähigkeit ist, extreme Belastungen besonders gut zu verarbeiten, die für Kinder eine Rolle spielt, sondern, dass sie auch für Erwachsene von erheblicher Bedeutung sein kann, erleben die Forschung und die Beratungsarbeit auf diesem Gebiet eine Blüte.
Ein einzigartiges Beispiel dafür ist das Mainzer Deutsche Resilienz-Zentrum. Es ist das erste universitäre Zentrum seiner Art in Europa und wurde im Sommer 2014 ins Leben gerufen. Es arbeitet interdisziplinär, führt Längsschnittstudien durch und hat als Ziel, eine Ambulanz anzubieten, die Einzelpersonen und Organisationen ansteuern können, wenn die Stärkung von Resilienzfaktoren angebracht ist. Wenn also Menschen oder Organisationen von bestimmten Stressfaktoren belastet werden und die Gefahr von psychischen Erkrankungen oder Störungen im Unternehmen gegeben ist.
Aber auch präventiv wollen die Forscher tätig sein und sind es derzeit schon. Für Coaches bedeutsam und interessant ist insbesondere etwa der Workshop „Gesund und resilient führen“. Führungskräfte werden hier unterstützt, beispielsweise Akzeptanz, Optimismus oder Selbstwirksamkeit ihrer Mitarbeiter zu stärken, etwa durch Rückmeldung. Weiter halten die Mainzer Forscher eine wertschätzende Kommunikation und den kollegialen Austausch mit anderen Führungskräften für wichtig. Schließlich vermitteln sie aber auch Kenntnisse darüber, wie Frühwarnzeichen für psychische Belastungen und erst recht Erkrankungen zu erkennen sind.
Doch die Ambulanz ist noch im Aufbau. Zurzeit werden in den Workshops Resilienzfaktoren anhand von kleinen Übungen trainiert, die allgemein anerkannt sind. Ziel ist aber, am Deutschen Resilienz-Zentrum Trainings für verschiedene Zielgruppen zu entwickeln und die Ergebnisse des Trainings wiederum zu evaluieren. Ein Sonderforschungsbereich „Neurobiologie der Resilienz gegenüber stressinduzierten psychischen Dysfunktionen“ wurde Mitte letzten Jahres von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit über 12 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre ausgestattet. Wenn alles läuft, wie geplant, wird das Thema Resilienz in diesem Rahmen dann noch weitere acht Jahre wissenschaftlich untersucht.
Dabei haben die Mainzer Forscher keinerlei Berührungsängste mit der Coaching-Branche, im Gegenteil. Es wird als generell gut erachtet, dass Coachings angeboten werden, denen der salutogenetische Ansatz zugrunde liegt. Eine zertifizierte Ausbildung zum Resilienz-Coach gibt es derzeit nicht. Eine solche würden die Forscher im Dschungel der Angebote begrüßen.
Dr. Gunther Schmidt, der die Mainzer von seinem Heidelberger Milton-Erickson-Institut aus wohlwollend beobachtet, hält eine zertifizierte Ausbildung ebenfalls für sinnvoll, betont aber die Haltung des Resilienz-Coaches als ausschlaggebend (Schmidt & Müller-Kalthoff, 2011). Entscheidend sei, ob der Coach seinen Klienten „mindestens auf Augenhöhe“ entgegenkomme und ob er sogenannte „Probleme“ als Schwäche behandele oder als klugen, intuitiven Wissensbereich, wobei der Klient möglicherweise nur noch nicht Zugang zu seinen Lösungskompetenzen habe. Schließlich sei Transparenz wichtig und die Möglichkeit, den Coach auch kritisch zu hinterfragen.
Prof. Dr. Jutta Heller hat die Frage nach der Qualität nicht nur der Ausbildung zum Resilienz-Coach umgetrieben. Sie wollte generell einen Akzent setzen, dass die weitere Entwicklung des Themas auf dem Coaching-Markt auch durch die Arbeit einer Institution unterstützt wird. Deshalb hat sie Anfang dieses Jahres den Verband für Organisationale Resilienz (ORES) ins Leben gerufen, der sich nicht nur die Förderung von Resilienz einzelner Personen oder Organisationen auf die Fahnen geschrieben hat. Die Gründungsmitglieder, allesamt anerkannte Resilienz-Experten wie etwa Ella Gabriela Amann oder Sylvia Wellensiek, wollen das Konzept durch Tagungen und Kongresse weiterentwickeln, außerdem Qualitätsstandards erarbeiten und sie zu verankern versuchen.
Resilienz war auch das Kernthema des Erdinger Coaching-Kongresses 2017, den Jutta Heller für die Hochschule für angewandtes Management, an der die promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin auch im Bereich „Business-Coaching und Beratung“ lehrt, organisiert hat.
Unter dem Titel „Resilienz für die VUCA-Welt“ (VUCA = Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) hat sie Resilienz-Fachleute nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus vier europäischen Nachbarländern versammelt. Dabei war zum Beispiel auch die eben erwähnte Resilienz-Expertin Ella Gabriela Amann („Bambus-Prinzip“).
Amann hat vorgestellt, wie sie in ihrem Berliner Resilienz-Forum ihre Klienten berät: über die sogenannte Resilienz-Kompetenz-Diagnostik. Dabei kombiniert sie ein Persönlichkeitsmodell, das von einem inneren Parlament und sechs verschiedenen Bedürfnissen ausgeht, mit den von ihr auf acht Säulen erweiterten Resilienzfaktoren. Ganz einfach gesagt, entwickelt ein kreativer Mensch andere Stresssymptome als ein analytischer Mensch. Das gilt es, aus Sicht Amanns genauso zu berücksichtigen wie ganz exakt beim Coaching-Auftrag zu bleiben. Was für den Klienten nicht zum Lern- und Themenfeld gehört und seiner Ansicht nach nicht bearbeitet werden soll, wird nicht angetastet.
Das grobe Fazit des Kongresses lautete: Resilienz-Coaching ist auf dem Vormarsch und zwar vor allem auch im Hinblick auf Organisationen, also Unternehmen. Denn in Zeiten der Arbeitswelt 4.0 müssen auch sie in Bereichen, in denen sie sie nicht sowieso besitzen, Resilienz entwickeln.
So hat etwa Coach und Psychologe Markus Väth fünf Kategorien für organisationale Resilienz entwickelt, die er „INSEL“ nennt. Diese kann man als ein neues Schwesterkonzept der eben genannten sieben Säulen von Resilienz einer einzelnen Person betrachten. Unter „INSEL“ versteht Väth Informationsökonomie (Wie gehen Unternehmen mit Informationen um?), Netzwerkkompetenz (Wie gehen die Mitarbeiter miteinander um?), Selbstorganisation, Ethik und Leadership (Inwiefern unterstützt die Führung das Unternehmen als neue, agile Organisation?).
Je nachdem, wie weit das Unternehmen in diesen einzelnen Kategorien jeweils Punkte sammeln kann, erreicht es ein optimales Resilienzprofil. Wo Punkte fehlen, versucht Väth, mit der Führung unter schnellstmöglicher Einbindung der Mitarbeiterschaft durch Diskussionen, Workshops usw. an den Aufgabenstellungen zu arbeiten. Die Bedeutung von organisationaler Resilienz könne in unserer New-Work-Welt, in der VUCA-Welt oder der Arbeitswelt 4.0, wie auch immer die derzeitigen Umwälzungen bezeichnet werden, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Resilienzfähigkeit sei der entscheidende Faktor, um in diesen Welten zu überleben, so Markus Väth.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Thema „Resilienz“ nicht nur die Coaching-Branche, sondern auch Forschung und Öffentlichkeit immer stärker beschäftigt. Dabei rückt jetzt die organisationelle Resilienz besonders in das Blickfeld. Resilienz-Experten und Resilienz-Coaches professionalisieren und organisieren sich.