HR

Onboard-Coaching

Nachhaltigkeit in der Mitarbeitergewinnung

Gute Fachkräfte sind nicht automatisch auch gute Führungskräfte. Leider ist es in vielen Unternehmen automatisch üblich, gute Fachkräfte „als Belohnung“ zu Führungskräften zu befördern. In ihrer neuen Position ist dann zu beobachten, dass sich die frisch gebackenen Führungskräfte noch intensiver der Rolle des Spezialisten widmen. Hier gilt es Coaching mit Onboarding zu verbinden – und so Mitarbeiter auf der Schwelle von der Fach- zur Führungskraft zu begleiten und sie bei der Entwicklung eines eigenen, zur Persönlichkeit und zur Unternehmenskultur passenden Führungsstils zu unterstützen.

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2013 am 20.02.2013

Neuer Job, neues Glück?

Die meisten von uns kennen die quälenden Gefühle vor dem ersten Arbeitstag bei einem neuen Arbeitgeber. Wie sind die Kollegen? Komme ich mit den Aufgaben zurecht? Überstehe ich die Probezeit? Ein neuer Job birgt viele Chancen, aber ist natürlich auch immer ein Risiko. In den Vorstellungsgesprächen bekommt man einen ersten Eindruck von dem Unternehmen und den Vorgesetzten, hinter die Fassade kann man jedoch erst später blicken. Es bleibt immer die Frage, ob sich der neue Job wirklich so gestaltet, wie man es sich vorher ausgemalt hat, und ob man sich in diesem neuen Umfeld wohl fühlt und einbringen kann.

Ohne ihr neues Arbeitsumfeld mit seiner einzigartigen Unternehmenskultur und speziellen Machtgefügen verstanden zu haben, besteht die Gefahr, dass neue Mitarbeiter in einen vorschnellen Aktionismus verfallen, der entweder gravierende Fehlentscheidungen oder eine Intervention der Vorgesetzten nach sich zieht. In beiden Fällen sind nicht selten Frustration und Unzufriedenheit die Folge. Dies ist besonders bei jüngeren oder stark (technisch) spezialisierten Mitarbeitern zu beobachten und wird dadurch verstärkt, dass Kandidaten, die über externe Beratungen rekrutiert wurden, unter besonderem Erwartungsdruck stehen.

In der Regel fehlt es den hoch ausgebildeten und motivierten Mitarbeitern dabei nicht an den notwenigen Fähigkeiten, eine geeignete Strategie für ihre neue Position zu entwickeln, sondern am Verständnis der systemischen Zusammenhänge ihrer neuen Arbeitsumwelt sowie am Bewusstsein dieser Unkenntnis.

Die Verbindung von Onboarding mit Coaching

Der Begriff Onboarding bezeichnet die möglichst optimale Integration eines neuen Mitarbeiters in bestehende Strukturen eines Unternehmens. Ziel des Onboard-Coachings, d.h. des Coachings bei dem Übergang in eine neue Position, ist es folglich, den Mitarbeiter für die einzigartigen und komplexen Zusammenhänge in seinem Umfeld zu sensibilisieren und ihn in der Sammlung notwendiger Informationen sowie der Entwicklung geeigneter Erfolgsmuster und Verhaltensweisen zu unterstützen. Darüber hinaus bietet ein Jobwechsel eine gute Möglichkeit, sich eigener jobunabhängiger Verhaltensmuster bewusst zu werden und an den Ursachen zu arbeiten. Es soll verhindert werden, dass dysfunktionale Verhaltensweisen, die im alten Job zu Unzufriedenheit geführt haben, unreflektiert im neuen Umfeld weitergeführt werden. In diesem Zusammenhang verspricht eine internale Betrachtung von z.B. inneren Antreibern, vergangenen Erfolgen oder individuellen Beziehungen zu bestimmten Personen entsprechende Erkenntnisse.

Viele erfahrene Coaches wissen aus ihrer Arbeit mit Klienten, dass Ursprünge der Probleme ihrer Mandanten nicht selten so alt sind wie das Beschäftigungsverhältnis oder sich sogar über mehrere berufliche (wie private) Stationen erstrecken können. Ursachen lassen sich in dieser ersten Phase leichter bearbeiten, da die Mitarbeiter noch nicht so stark in Strukturen eingefahren sind. Dieser Ansatz, noch nicht voll entfaltete Probleme präventiv zu behandeln, ist sowohl erfolgsversprechend als auch äußerst ressourcenschonend. Für den Coach hat die frühe Intervention den Nachteil, dass sich mögliche Themen beim Klienten nicht so leicht erkennen lassen, da sie eben noch nicht voll entfaltet sind. Außerdem wird sich der Klient möglicherweise der Bedeutung der Ergebnisse des Coaching-Prozesses gar nicht voll bewusst, da der mögliche Schaden ja präventiv abgewendet wurde, bevor er zur signifikanten Belastung des Klienten werden konnte.

Zielgruppe des Onboard-Coachings

Da ein Jobwechsel häufig Reibungsverluste mit sich bringt, können Mitarbeiter, deren Aufgabengebiet sich verändert, grundsätzlich von einer externen Unterstützung durch einen Coach profitieren. Bestimmte Eigenschaften seitens der Unternehmen und der Mitarbeiter verstärken jedoch die Wahrscheinlichkeit entsprechender Probleme, so dass sie sich als Zielgruppe besonders anbieten.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass besonders technische Fachkräfte, in erster Linie Ingenieure diverser Spezialisierungen, die von einer Fach- in eine Führungsposition oder/und zwischen Unternehmen wechseln, als Klienten von einem Onboard-Coaching profitieren können. Da diese Mitarbeiter häufig mit einem starken Fokus auf rein fachliche Fähigkeiten ausgebildet werden und von ihren bisherigen Arbeitgebern sozialisiert wurden, tun sie sich bei einem Wechsel in eine Führungsposition besonders schwer. Gibt es keine proaktive Personalentwicklung, welche in der Lage ist, erfahrene Spezialisten zu Führungskräften zu entwickeln, behalten viele Mitarbeiter ihre Strategien als Fachkraft auch in der neuen Rolle bei – und scheitern.

Besonderheiten

Beim Onboard-Coaching sind einige Faktoren besonders zu beachten, welche den Erfolg des Coachings nachhaltig beeinträchtigen können. Während die Unterstützung von Coaches meist von Klienten mit einem ausgeprägten Problembewusstsein und Leidensdruck in Anspruch genommen wird, um an einem mehr oder weniger klar formulierten, vom Klienten vorgegeben Thema zu arbeiten, geht beim Onboard-Coaching der erste Schritt meist nicht vom Klienten aus.

Entweder hat das Unternehmen das Übergang-Coaching bei einem externen Personaldienstleister im Rahmen der Personalsuche eingekauft oder die Personalabteilung selber lässt dem neuen Mitarbeiter die Unterstützung auf der Grundlage eigener Erfahrungen und Einschätzungen zukommen. In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass der Klient sich aufgrund sozialer Erwünschtheit dem Prozess fügt und diesen über sich ergehen lässt, um seinem neuen Arbeitgeber zu gefallen. Anstatt die Chance zu nutzen, sich mit den eigenen Themen zu befassen, werden etwaige Schwierigkeiten und Probleme meist von der Euphorie eines neuen Jobs überschattet, von langjährigem Leidensdruck kann gar keine Rede sein.

Ob der neue Mitarbeiter wirklich willens ist, sich auf ein Coaching einzulassen, also in der Lage ist, den persönlichen Nutzen für sich und sein berufliches Weiterkommen zu erkennen, ist erst einmal fraglich. Natürlich ist es für einen erfolgreichen Prozess notwendig, dass der Klient bereit ist, sich auf den Prozess einzulassen. Solange der Klient dieses nicht wirklich annimmt und bereit ist, inhaltlich mitzuarbeiten, wird der Coaching-Prozess nicht an Tiefe gewinnen können.

Ablauf des Onboard-Coachings

Da die inhaltliche Steuerung des Coaching-Prozesses dem Klienten obliegt, weiß der Coach zu Beginn eines Prozesses nicht „wo die Reise hingeht“. Dies verhält sich im Onboard-Coaching anders, da eine grobe Zielsetzung, nämlich optimal vorbereitet in die neue Herausforderung zu starten, bereits vorgegeben ist. Im Folgenden soll daher grob der Ablauf des Onboard-Coachings skizziert werden, der dem Coach als Leitfaden dient. Der Leitfaden soll ihn dabei jedoch nicht von individuellen Impulsen des Klienten ablenken.

Es gibt verschiedene Ansätze für Übergangs- und Transitions-Coachings, die unterschiedliche Arten der Segmentierung des Prozesses vorschlagen. Aufgrund der Natur derartiger Veränderungsprozesse lassen sich am einfachsten fünf Phasen identifizieren, welche inhaltlich aufeinander aufbauen und meist auch chronologisch ablaufen.

  1. In der Orientierungsphase verschaffen sich Klient und Coach einen (Themen-)Überblick, verständigen sich auf eine Vorgehensweise und vereinbaren die letzten Details des Rahmens.
  2. Die darauffolgende Abschlussphase, die zeitlich vor Aufnahme der neuen Arbeit stattfinden soll, ist dem Abschluss des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses gewidmet. Es soll dem Klienten ermöglicht werden, offene Prozesse sauber abzuschließen, entsprechende Gespräche zu planen, um möglichst wenig „Altlasten“ und möglichst viele bewährte Erfolgsmuster in seinen neuen Job mitzunehmen.
  3. Hat der Klient mit seinem alten Job soweit abgeschlossen, beginnt die Übergangsphase. Aufgrund eines nahtlosen Übergangs findet diese zeitlich häufig kaum eine Entsprechung, dennoch sollte sie dargestellt werden. Hier hat der Klient die Möglichkeit „nach dem Schlussstrich“ den vergangen Abschnitt zu reflektieren, persönliche Verabschiedungsrituale durchzuführen, Vorsätze für den nächsten Abschnitt zu fassen und die ersten Schritte im neuen Job zu planen.
  4. Sobald der Klient seine neue Arbeit aufgenommen hat, begleitet ihn der Coach während der Diagnosephase bei der Sammlung systemrelevanter Informationen. Dies beinhaltet zum Beispiel die Planung von Gesprächen mit wichtigen Personen und die Aufstellung von Systemen. Auch eine dezidierte Analyse der Organisationskultur des neuen Arbeitgebers kann dem Klienten wertvolle Hinweise auf die grundsätzliche Passung seiner Persönlichkeit zum Unternehmen liefern.
  5. Nach drei bis vier Monaten sollte diese Phase abgeschlossen sein und der Klient widmet sich in der Strategiephase mehr und mehr der Entwicklung adäquater Strategien zur Erreichung seiner fachlichen und persönlichen Ziele. In dieser Phase ist der Coach häufig nur noch am Rande aktiv und unterstützt den Klienten bei der Erarbeitung von Visionen und der Planung strategischer Maßnahmen.

Dadurch, dass der Coach idealerweise bereits während oder kurz nach dem Rekrutierungsprozess mit dem Coaching beginnt, ist er in der Lage, einen gewissen Vertrauensvorsprung gegenüber dem neuen Arbeitgeber aufzubauen, der bewirkt, dass der Klient sich besser auf den Coach einlässt. Aufgrund der Unabhängigkeit des Coachs von unternehmenspolitischen Zwängen kann er sich voll und ganz auf die Bedürfnisse seines Klienten konzentrieren. Informationen und Eindrücke, die der Coach in den ersten Phasen über den Kandidaten sammeln konnte, können nach Eintritt mit Veränderungen durch den neuen Arbeitsplatz verglichen und Diskrepanzen als zusätzliche Quelle an den Klienten widergespiegelt werden.

Fallbeispiel

Ein kleineres, mittelständisches Unternehmen war auf der Suche nach einem technischen Leiter. In der Vergangenheit gab es immer wieder starke Reibungsverluste bei der Einarbeitung erfahrener, von außen kommender Mitarbeiter, was das Unternehmen auf seine einzigartige Unternehmenskultur zurückführte. Da mit der Besetzung eine neue Produktsparte zur Marktreife gebracht werden sollte, hatte die Unternehmensleitung beschlossen, die Position mit einem Erfahrungsträger von außen zu besetzen, um so neues Wissen in das Unternehmen zu bringen. Aus diesem Grund hatte man einen erfahrenen Leistungsträger aus der bestehenden Abteilung, welcher sich ebenfalls auf die Stelle beworben hatte, abgelehnt. Man befürchtete nun, dieser könne aufgrund einer persönlichen Kränkung einem neuen Vorgesetzten gegenüber Widerstände aufbauen oder das Unternehmen verlassen, was aufgrund seiner zentralen Rolle und seines technischen Kenntnisstandes auf jeden Fall verhindert werden sollte.

Aus diesen Gründen beschloss die Personalabteilung, dem neuen Mitarbeiter eine Übergangsbegleitung anzubieten und kaufte bereits vorab ein Onboard-Coaching ein. Neuer technischer Leiter wurde Herr M., der in der Vergangenheit als Spezialist und Projektleiter in einer IT-Beratung tätig war und nun erstmals auch disziplinarische Führungsaufgaben übertragen bekam. Die Aussicht auf eine „neutrale“ Unterstützung während seiner Einarbeitungsphase hat schließlich zu seiner Entscheidung beigetragen, die Herausforderung anzunehmen. Noch während seiner Anstellung bei seinem alten Arbeitgeber stieg er in den Coaching-Prozess ein.

In der Reflektion der vergangenen Anstellungen konnte der Klient für sich neben einer Reihe bewährter Erfolgsmuster auch eine wiederkehrende Ungeduld bei der Teamarbeit entdecken. Der Klient formulierte aus seinen Erkenntnissen eine Reihe von Vorsätzen, die er in seiner neuen Position umsetzen wollte und die er schriftlich festhielt. Die festgehaltenen Absichten umfassten in erster Linie besondere Stärken des Klienten, die er zukünftig noch mehr zur Geltung bringen wollte, beinhalteten jedoch auch Verhaltensweisen hinsichtlich derer er sich in seiner neuen Anstellung anders zu verhalten gedachte.

Wenig später stand der erste Arbeitstag im neuen Betrieb vor der Tür, so dass Coach und Klient sich den vorausliegenden Ereignissen widmeten. Um seine Vorsätze besonders gut umsetzen zu können, entwarf der Klient verschiede „Schlachtpläne“, wie er in den ersten Tagen starten wollte. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Vorbereitung des Umgangs mit dem Mitarbeiter aus seinem Team, der sich erfolglos als technischer Leiter beworben hatte, was Herr M. unter anderem durch Rollenspiele mit seinem Coach umsetzte. Tatsächlich gelang es dem Klienten seinem Mitarbeiter feinfühlig und souverän entgegenzutreten, wodurch ihn dieser schnell und mit einer gewissen Erleichterung als neuen Vorgesetzten akzeptieren konnte.

In der folgenden Diagnosephase arbeitete der Klient mit seinem Coach die systemischen Zusammenhänge und organisationskulturellen Besonderheiten seines neuen Arbeitgebers heraus. Mit Begeisterung im Umgang mit dem Systembrett erfasste der Klient die speziellen Bedürfnisse und Interessen der Akteure in seiner Peripherie und entwickelte auf dieser Grundlage ein eigenes Verständnis von seiner neuen Rolle als Führungskraft. So gelang es ihm, Strategien zu entwerfen, die sowohl seiner Rolle als Führungskraft als auch seiner Persönlichkeit gerecht wurden und stimmte diese optimal auf die Unternehmenskultur ab.

Fazit

Durch Onboard-Coaching gelingt es neuen Mitarbeitern oft, Dinge klarer zu sehen und zu verstehen. Sie sehen nicht mehr nur die eine Seite des Problems, sondern beleuchten dieses aus verschiedenen Perspektiven, wobei sie vom Coach unterstützt werden. Es ist wichtig, dass Mitarbeiter an sich arbeiten und aus eigener Kraft zu einer Lösung kommen. Machen sie sich ihre persönliche Lösung zu Eigen und setzen diese eigene, persönliche Entscheidung um, ist die Chance des Erfolges und vor allem der Nachhaltigkeit gegeben. Die neu gewonnenen Erkenntnisse sollen sich im Verhalten widerspiegeln und bei Bedarf so abrufbar sein, dass Krisen und Konflikte nachhaltig vermieden werden können bzw. eine Besserung eintritt.

Diese Ausrichtung des Coachings ist eine Möglichkeit, neue Mitarbeiter und Führungskräfte beim Jobwechsel zu unterstützen und ihnen Raum zu geben, sich in ihre neue Rolle einzufinden. Gerade junge Führungskräfte haben noch keinen eigenen Führungsstil entwickelt und orientieren sich häufig an anderen, bereits etablierten Führungskräften. Das Problem hierbei ist allerdings, dass deren Art zu führen eine andere Persönlichkeit zu Grunde legt und der „abgeschaute“ Führungsstil daher nicht authentisch ist. Durch Onboard-Coaching erhalten diese jungen Führungskräfte die Möglichkeiten, in vollem Bewusstsein einen eigenen „passenden“ Führungsstil zu entwickeln. Da dieser zur eigenen Persönlichkeit passt, ist er authentisch und kann den jeweiligen Anforderungen optimal gerecht werden. Onboard-Coaching leistet einen wichtigen Beitrag in der nachhaltigen Entwicklung einer authentischen Führungspersönlichkeit.

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