Während meiner Ausbildung zum Stressverhaltens-Trainer und in der Zusammenarbeit mit erfahrenen Coachs habe ich wirkungsvolle Methoden der Stressbewältigung und Burnout-Prävention kennengelernt. Eines hat mich aber immer gestört: Die beengende Seminarraum-Atmosphäre, in der diese Techniken vermittelt wurden. Ich habe mich nach einer Umgebung gesehnt, in der man noch effektiver mit den stressgeplagten Klienten arbeiten kann. Statt in den nahe gelegenen Bergen bei München einen geeigneten Ort zu suchen, entschied ich mich für die weit entfernte Nordsee, wo ich meine ersten Wochenend-Coachings in den Räumlichkeiten einer Sylter Strandsauna durchführte. Und diese Entscheidung hatte gute Gründe:
Bereits 2005 habe ich mich mit der „Meereswahrnehmung und -Wirkung“ wissenschaftlich auseinandergesetzt. Mich interessierte, was für Bedeutungen wir Menschen mit dem Meer verbinden und wie sich dies auf unser Erleben und Verhalten ihm gegenüber auswirkt. Im Rahmen einer ausführlichen Studie ließ ich 44 Personen Essays über das Meer schreiben, um diese dann qualitativ auszuwerten. Es ergaben sich zwölf trennscharfe Bedeutungskategorien. Vor allem drei dieser Kategorien erschienen mir für ein Burnout-Coaching von immensen Vorteil zu sein:
In den letzten zwei Jahren hat sich diese Überlegung bei meinen Coachings am Meer immer wieder bestätigt und ich bin dazu übergegangen, diese Eigenschaften des Meeres ganz gezielt zu nutzen.
„Wenn ich die Möglichkeit habe, an einem Strand entlang zu wandern, das Rauschen der Wellen zu hören, empfinde ich meist Ruhe und Gelassenheit,“ formulierte einer meiner „Essayisten“. Dazu fällt mir eine Fallgeschichte ein:
Der Klient, Herr M., Zweigstellenleiter innerhalb eines Familienunternehmens, trifft vollkommen übermüdet und erschöpft aus Hamburg auf Sylt ein. Sein gesamter Bewegungsapparat ist angespannt. Es fällt ihm schwer, ruhig zu sitzen geschweige denn, sich zu konzentrieren. Ich schlage ihm einen Strandspaziergang vor, bei dem er mir sein Anliegen schildern kann. Die Bewegung tut ihm sichtlich gut. Aber zunächst nimmt er seine Umgebung kaum war, so sehr vereinnahmen ihn seine täglichen Probleme. Ganz allmählich fällt seine Aufmerksamkeit vermehrt auf einzelne Bestandteile der Küste: Er beobachtet kurz den Horizont, schaut einer Möwe nach oder hält kurz inne und lauscht dem Rauschen der Wellen.
„Ruhe und Entspannung“ sind die Empfindungen, die die Teilnehmer meiner empirischen Studie am häufigsten mit dem Meer assoziierten. Dabei wurden einzelne Elemente betont, die diesen beruhigenden Effekt hervorrufen, zum Beispiel die „blaue Färbung“, die „Weite“, die „gleichmäßige Brandung“ und vor allem das „Meeresrauschen“ (s. Kasten).
Bereits um 1911 setzte sich der deutsche Psychologe Willy Hellpach in seinem Buch „Geopsyche – die menschliche Seele unter dem Einfluss von Wetter, Klima und Landschaft“ mit der psychischen Wirkung der maritimen Umgebung auseinander. Dem Meer bescheinigt er dabei aufgrund seiner meist blauen Farbe einen lustvoll-beruhigenden Effekt. Die ausgedehnte und horizontale Fläche des Meeres wirkt auf das Auge des Betrachters ebenfalls entspannend. Einen beinahe hypnotisierenden Effekt hat laut Hellpach das Geräusch der Meeresbrandung: „Die Eintönigkeit rauschenden Wassers vermag uns in eine Art Dämmerzustand einzuwiegen, man kann dieses Hindösen am Seestrande (...) schon zu den ‚Hypnoiden‘ rechnen.“ Diese Beobachtungen des Geopsychologen wurden in meiner Studie und bei meinen Coachings am Meer immer wieder bestätigt.
Nach der ersten „Coaching-Einheit“ und einem kurzen Saunagang begibt sich Herr M., der seit Monaten an Schlafstörungen leidet, auf eine Liege bei der Strandsauna, um sich dem „Hindösen“ zu widmen. Wie er mir später berichtet, fällt er mithilfe des Meeresrauschens sofort in einen sehr erholsamen Halbschlaf.
„Gerade in stressigen Zeiten wünsche ich mir oft, die Möglichkeit zu haben, am Meer entlang zu wandern, um abzuschalten und wieder einen freien Kopf zu bekommen“, äußerte sich gleichlautend einer meiner Studienteilnehmer. Das Meer stellt in vielen dieser Essays eine Gegenwelt zum „ländlichen“ Alltag dar, die man aufsuchen kann, wenn einem „alles zu viel wird“.
Ausgerechnet die See überflutet einen nicht mit Information, ist nicht „zu viel“. Es ist der Mangel an Reizen, die Unbestimmtheit, die wir mit der Bedeutung „Ruhe“ versehen und als entspannend empfinden. Heute haben viele Menschen ein Bedürfnis nach einer solchen perzeptiven Ruhe und empfinden sie als angenehm und befreiend – so auch dieser „Essayist“: „Die Weite des Meeres bietet keine Ablenkung. Sie setzt einen Fluchtpunkt und lässt mich atmen. Ich komme mir nicht eingeschlossen vor. Sie macht meinen Kopf frei. Der Blick ist frei, wird nicht verwirrt durch zu viele Objekte, Farben, Bewegungen.“
Die Klienten, die ein Burnout-Coaching aufsuchen, weisen meist ähnliche Stresssymptome wie Herr M. aus Hamburg auf: Innere Anspannung und Unruhe, Nervosität, Schlafstörungen und Müdigkeit, eingeengte Wahrnehmung, rigides Denken …
In diesem Zustand ist es sehr schwer, konstruktiv und zielorientiert mit ihnen zu arbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich viele von ihnen zunächst nicht einmal für Entspannungsübungen empfänglich zeigen. Der beruhigende Effekt, der sich innerhalb der ersten Stunden am Meer einstellt, ist nicht nur äußerst wirksam gegen die Stresssymptomatik, sondern erleichtert gleichzeitig das Coachen. Mit Hilfe von Entspannungsmethoden unmittelbar am Strand, wie zum Beispiel einfachen Yogaübungen, Atemtechniken oder Progressiver Muskelentspannung lässt sich dieser Effekt anschließend noch verstärken.
Am nächsten Morgen gehe ich früh über den Dünenweg zum Strand. Herr M. sitzt bereits alleine im Sand und beobachtet die Morgendämmerung auf dem Meer. Seine Körperhaltung wirkt entspannt. Er nimmt seine Umgebung mit allen Sinnen wahr. Er ist an diesem Tag in der Lage, seine Probleme mit dem nötigen Abstand und der nötigen Ruhe anzugehen.
Eine markante Stimme aus meiner Studie: „Das Schwimmen in den hohen Wellen, in der Brandung, die Vitalität, die der perlende Sauerstoff zu geben scheint, die Welle, die Dich hebt und senkt, durchwalkt, erdrückt, vernudelt, freigibt, die Freude, die Angst, die Energie.“
Frau W., Sozialarbeiterin aus Österreich, hat vor dem Wochen-Coaching an der Algarve einen Stress bedingten Zusammenbruch erlitten. In den ersten Tagen fällt die Anspannung langsam ab und sie merkt, wie viel Kraft die letzten Monate gekostet haben. Sie fühlt sich zwar zunehmend ruhiger und ausgeglichener, aber gerade bei körperlichen Aktivitäten ist die sportliche Frau zunächst noch schnell erschöpft.
Der entspannende Effekt des Meeres ist vor allem zu Beginn eines Burnout-Coachings sehr hilfreich, damit sich die Teilnehmer von den zurückliegenden Belastungen erholen können. Doch diese beruhigende Wirkung alleine ermöglicht noch nicht unbedingt ein produktives Coaching! Bisweilen kann es dadurch sogar erschwert werden. Bei einem meiner ersten Coachings am Meer habe ich den Fehler gemacht, eine Coaching-Einheit durchführen zu wollen unmittelbar nachdem eine Klientin ausgiebig am Strand „gedöst“ hatte und nicht aufnahmefähig war.
Doch zum Glück bewirkt das Meer bei vielen Menschen noch einen nahezu entgegengesetzten Effekt: Es dient ihnen als Energiespender. Bereits ab 1750, als an den europäischen Küsten allmählich die Bädermode aufkam, macht man sich diese maritime Eigenschaft zunutze (s. Kasten).
Eine allgemeine Beunruhigung aufgrund der angeblichen Folgen der urbanen Zivilisation (Melancholie, Zartheit, Blässe ...) trägt dazu bei, dass Kaltwasserbäder im Meer als universales Heilmittel in Mode kommen. An den Küsten Frankreichs, Englands und auch Deutschlands entstehen zahlreiche Kurorte, in denen Ärzte den allzu bequemen und schlappen Stadtmenschen neue Lebensenergie einzuflößen gedenken.
Eine interessante Erklärung für die belebende Wirkung des Meeres liefert damals der Kurarzt Dr. Maret: „In der geistigen Vorstellung verbindet sich die Tiefe des Meeres stets mit dem Grauen der Furcht, verschlungen zu werden. Der tatsächliche Anblick des Meeres indes berührt die Menschen nur wenig, solange sie nicht befürchten müssen, hineingestoßen zu werden. Wirft man sie aber plötzlich in die Flut, ohne dass sie es hätten vorhersehen oder verhindern können, geht ein gewaltiger Aufruhr durch den ganzen Körper.” Diese Ausführungen spiegeln sich in der von Ärzten und Gehilfen praktizierten Methode wider, die Patienten mehrmals täglich in das kalte und wilde Wasser der nördlichen Küsten zu tauchen, damit sie unter Abwendung jeder realen Gefahr einen belebenden Schrecken empfinden.
Einen ähnlichen Energie spendenden Effekt erzielt man meiner Erfahrung nach auch, wenn die Klienten sich vollkommen freiwillig und selbstständig in die Fluten begeben. Sei es bei einem Bad in den Wellen oder bei sportlichen Aktivitäten wie dem Wellenreiten.
Solches wurde auch in meiner Studie immer wieder in diesem Zusammenhang erwähnt: „Auf der anderen Seite gibt einem das Meer beim Surfen unheimliche Energie. Und das ist es, was das Meer so sehr von den Bergen unterscheidet, zumindest wenn man sich aktiv im Meer bewegt“. Das Gefühl, von einer Welle geschoben zu werden, wird als ein „Glücksmoment“ erlebt, „in dem das Meer seine Energie auf dich überträgt“. Der anregende Effekt des Meeres hält bei einer weiteren Teilnehmerin der Studie auch nach dem Surfen noch an und führt zu „dem unbeschreiblichen Gefühl danach, voller Lebensenergie zu sein“.
Diese Äußerungen haben mich unter anderem auf die Idee gebracht, parallel zum Coaching Wellenreiten anzubieten. Gerade gegen Ende des Aufenthalts am Meer, wenn es darum geht, die konkrete Umsetzung des Erarbeiteten zu planen, kann eine derartige Erfahrung zusätzlich motivieren.
An einem Coaching freien Nachmittag nutzt Frau W. die Gelegenheit, Wellenreiten auszuprobieren. Nach etwas über einer Stunde in der kühlen Brandung kommt sie sichtlich belebt aus dem Wasser. Zeitnah erarbeiten wir im Coaching ihre Ziele für die kommenden Wochen und Monate. Diese geben ihr einen zusätzlichen Motivationsschub und sie plant voller Tatendrang deren Realisierung im Alltag.
Hier ist es besonders wichtig, die Inhalte des Coaching an die vom Meer beeinflusste Befindlichkeit des Klienten anzupassen.
„Meine Gedanken sind frei, sich neu zu sortieren,“ beschreibt das ein von mir zu Studienzwecken Befragter. „Das Meer zeigt sich als ganze Fläche, besteht aber aus so vielen Elementen und birgt so vieles, was an der Oberfläche nicht zu sehen ist, und scheint trotzdem geordnet, ist wandelbar, mal so, mal so, kann alles sein, wild und ruhig; so auch meine Gedanken. Es überträgt seine Vielseitigkeit auf mich und lässt mich so offen, wie es selbst scheint. Ich trete aus meiner gewohnten Perspektive heraus und kann sie wandeln und drehen, mich selbst beobachten; über mich nachdenken, ohne mich dabei im Kreis zu drehen. Denken in Bewegung.“
Das Meer wird oft als ein Auslöser für die Selbstwahrnehmung erlebt. Gerade zu Beginn meiner Coachings ist es auffällig, dass viele Teilnehmer das starke Bedürfnis haben, alleine am Meer zu sein. Sie wollen in Ruhe nachdenken und sich wieder über ihre Gefühlswelt klar werden. In der Hektik der letzten Wochen und Monate hatten sie meist kaum Gelegenheit, sich und ihre Empfindungen wahrzunehmen. Das Meer bietet eine Reihe von Eigenschaften, die bei diesem Prozess besonders hilfreich sein können (s. Kasten).
In den Essays, die ich für meine Studie gesammelt habe, taucht immer wieder der Begriff „Projektionsfläche“ auf. Unter Projektion versteht man in der Psychologie das unbewusste Abbilden oder Verlagern von Empfindungen, Gefühlen, Wünschen und Interessen in die Außenwelt. Der Interaktionspartner muss dabei keineswegs eine Person sein, sondern als Projektionsfläche kann auch die Natur dienen, wie der berühmte analytische Psychologe C. G. Jung im Zusammenhang mit dem Meer feststellt: „Die Natur, das Objekt überhaupt, spiegelt alles jenes wider, das Inhalt unseres Unbewussten, aber als solcher nicht bewusst ist. Viele Lust- und Unlusttöne der Wahrnehmung schreiben wir ohne Weiteres dem Objekt zu, ohne zu überlegen, inwiefern Letzteres dafür überhaupt verantwortlich gemacht werden kann.“ Gerade das Meer, das laut Jung in Träumen und Fantasien für das Unbewusste steht, eignet sich als riesige Projektionsfläche für unsere Affekte und Impulse.
Begeben wir uns an die Küste, stimmen wir das Meer nach unserer jeweiligen Gefühlslage und nehmen es dementsprechend als „fröhlich“, „bedrohlich“ oder auch „wütend“ wahr. Es kann allerdings auch passieren, dass wir bestens gelaunt vor einer stürmischen oder düsteren See stehen. Wie Willy Hellpach in seinem Buch „Geopsyche” anmerkt, kommt es in solchen Fällen möglicherweise zu einer „Kontrastierung der aus der Landschaft herwirkenden Gefühlstendenz zu der eigenen, inneren“.
In dem Kapitel „Stimmungslandschaft“ weist Hellpach auf beide Möglichkeiten hin: „Auf diesem Wege macht sich unsere Seele gleichsam zum Herrn der Landschaft; mag die Natur uns nun gegenübertreten wie sie will, stumpf oder farbig, düster oder licht, im Einklang oder im Gegensatz finden wir einen Rückhalt für unser Inneres, das sich bestärkt, indem es mit ihr geht oder gegen sie steht.“
Derartige Projektionen und Kontrastierungen vollziehen sich meist unbewusst und werden von vielen daher gar nicht bemerkt. Erst bei der Bewusstmachung dieser Prozesse tritt die Selbstreflexion in Erscheinung: Das Meer ermöglicht uns dann mittels eines verstärkenden Objekts, die eigenen Gefühle und Stimmungen vor Augen geführt zu bekommen – und über sie nachzudenken. Indem wir auf das Meer schauen, betreiben wir gleichzeitig Introspektion.
Ich habe versucht, diese Eigenschaften des Meeres gezielt in meine Coachings zu integrieren. So fordere ich die Teilnehmer am Ende einer Entspannungseinheit dazu auf, ihre Aufmerksamkeit zunächst auf die Küstenlandschaft und das Meer zu richten. Sie sollen die einzelnen Bestandteile sowie die momentane „Stimmung“ genau wahrnehmen. Im Anschluss sollen sie ihren Fokus nach innen auf die eigenen Stimmungen und Gefühle richten. Mithilfe dieser gesteuerten Wahrnehmungslenkung fällt es vielen Klienten leichter, sich über ihre Empfindungen – sowie über ihre Bedürfnisse und Wünsche – klarer zu werden.
„Die Wellen sind für mich auch ein Sinnbild dafür, dass es im Leben immer weiter geht“, formuliert einer meiner „Essayisten“. „Es kommen Aufs und Abs, aber den Lauf der Zeit kann man einfach nicht aufhalten. So wie die Wellen, die sich aufbäumen, brechen und dann auslaufen. Aber es ist nicht die einzige, hinter der gebrochenen Welle kommt die nächste, und das gleiche Spiel beginnt von vorne. Es geht immer weiter. Imponiert hat mir das und als Beispiel hab ich es mir genommen. Als Beispiel dafür, dass man nicht aufgeben darf.“ Das Meer kann – wie dieses Zitat zeigt – auch als eine Metapher oder ein Symbol dienen, welche bei einigen Menschen Gedanken über sich und ihr Leben anregen.
Der Klient Herr K., ein erfolgreicher Unternehmer aus München, kämpft beim Wellenreiten zunächst verbissen gegen die Brandung an und ist nach wenigen Minuten vollkommen erschöpft. Er scheint auf der Stelle zu paddeln. Nach einem kleinen Erfolgserlebnis – er kommt auf einer Welle zum Stehen – wirkt er wie ausgetauscht und hat plötzlich wieder ungeahnte Energien. Als er aus dem Wasser kommt, bleibt er noch eine Weile am Ufer sitzen und betrachtet nachdenklich das Meer.
Gerade in der direkten Konfrontation mit dem wandelbaren Element kann das Meer dem Menschen bestimmte Eigenschaften des eigenen Lebens vor Augen führen. In meinen Coachings arbeite ich immer wieder mit maritimen Metaphern, um den Klienten bestimmte Aspekte ihrer Situation zu veranschaulichen. Noch hilfreicher ist es allerdings, wenn die Teilnehmer von alleine auf derartige Zusammenhänge kommen:
In der darauf folgenden Coaching-Einheit spreche ich Herrn K. auf seine Erfahrung im Wasser an. Als er danach am Ufer saß, habe er über die Analogie zu seinem Berufsleben nachgedacht. Früher habe er auch kleine Erfolge bewusst genossen. In den letzten Jahren habe er zunehmend verbissen gearbeitet und sich keine Zeit mehr genommen, um positive Erlebnisse auszukosten. Gemeinsam erarbeiten wir Möglichkeiten, wie er in Zukunft in seinem Beruf wieder verstärkt Erfolge wahrnehmen und als Energiequellen nutzen kann.
Nicht nur als Metapher, auch als „Diagnose-Instrument“ kann das Meer eine Hilfe sein. Indem ich die Teilnehmer zum Beispiel beim Wellenreiten beobachte, kann ich oft mehr über sie und ihre dysfunktionalen Verhaltensmuster lernen als in einem ausführlichen Erstgespräch. Bestimmte Eigenschaften und Einstellungen, wie Perfektionismus oder übermäßiger Ehrgeiz, kommen in der Konfrontation mit den Wellen deutlicher zum Ausdruck als bei einem Gespräch, wo Faktoren wie „soziale Erwünschtheit“ zu Verfälschungen führen können.
Das Meer ist natürlich kein „Wunderheilmittel“, für das man es seinerzeit während der Bädermode hielt. Aber richtig eingesetzt kann es – vor allem bei Klienten, die sich dafür empfänglich zeigen – das Coaching wesentlich unterstützen. Ein Hauptergebnis meiner Studie war, dass unser Erleben und Verhalten gegenüber dem Meer hauptsächlich von den Bedeutungen bestimmt werden, die wir mit dieser riesigen Wasserfläche verbinden. Entscheidend ist daher, dass die oben dargestellten Kategorien im jeweiligen maritimen Bedeutungsraum zumindest ansatzweise vorhanden sind.
Ich habe auch Klienten, denen es in erster Linie um ein professionelles Coaching in einem angenehmen Umfeld geht. Sie würden wahrscheinlich auch an einem ruhigen Ort in den Bergen (oder in der Wüste) ein ähnlich effektives Coaching absolvieren, und das ist auch gut so. Ob ich selber in den Bergen (oder in der Wüste) ein ähnlich entspannter Coach mit der gleichen Energie und geistigen Flexibilität wie am Meer sein würde, wage ich allerdings zu bezweifeln.