Wenn Coaches Veränderungen begleiten, arbeiten sie immer auch mit Trennungen und Übergangsphasen ihrer Klienten. Der digitale Wandel fordert Unternehmen und ihre Belegschaften hierzu besonders heraus. Gleichzeitig verheißen Trennungen auch Ausblicke auf etwas Neues: Ein reizvolles wie anspruchsvolles Arbeitsfeld für die Coaching-Branche.
Der Duden liefert zum Begriff „Trennung“ schwere Kost: „Abschied, Fortgang, Scheiden, Aufteilung, Zerwürfnis, Unterscheidung, Absage, Abwendung“.
Der Blick auf Trennungen im beruflichen Umfeld sieht meist so aus: Einzelne Mitarbeiter, Führungskräfte oder eine Gruppe von Menschen werden aus dem Unternehmen „herausgespült“. Anlass kann eine Kündigung sein, die Abberufung der Geschäftsführung oder auch kollektive Trennungen bis hin zu Massenentlassungen. Bisher kannte die Coaching-Branche deshalb folgende Ausgangspositionen für ihre Arbeit:
Im Idealfall umfasste die Aufgabe des Coachs auch die Stärkung der zurückbleibenden Teams und Führungskräfte. Danach kehrte allmählich wieder Normalität ein. Alle atmeten auf. Endlich Ruhe.
Der personelle Kern vieler Unternehmen schmilzt. Bereits heute arbeiten viele Menschen in unsicheren Formaten mit Zeitverträgen oder via Arbeitnehmerüberlassung. Ergänzt wird diese Stammbelegschaft je nach Bedarf von externen „Add-ons“ wie freiberuflichen Fachexperten, unterbezahlten Clickworkern, Kooperationen mit Startups sowie Mitarbeitern der Kunden- und Lieferantenfirmen. Zugehörigkeit ist hier nicht immer klar definierbar. Wer ist „drinnen“, wer ist „draußen“, wer gehört dazu und unter welchen Konditionen und mit welchen Freiheitsgraden?
Alle diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind darauf angewiesen, in wechselnden Teamkonstellationen gut und erfolgreich miteinander zu arbeiten. Sie haben weder Zeit noch Kraft, ihre Produktivität gegen veraltete hierarchische Strukturen, isoliertes Silodenken oder hilflose (da nicht unterstützende) Führungskräfte zu verteidigen. Es braucht eine Kultur der Zusammenarbeit aller Beteiligten. Eine Kultur, die auch Trennungen und Abschiede wahrnimmt, würdigt und diese in den Arbeitsalltag integriert. Getrennt wird ja auch, wenn Teams neu besetzt oder aufgelöst, räumliche Gemeinschaften beendet, Strukturen aufgebrochen, Aufgaben ausgegliedert oder Projekte gestoppt werden.
Weder die Unternehmen noch die Coaching-Branche selbst haben diese, meist internen, Trennungen bisher auf dem Radar. Gleichzeitig löst die Fokussierung auf Teamwork, getrieben durch Digitalisierung, agile Arbeitsmethoden und VUCA-Welt, weitere Trennungssituationen aus. Hier einige Beispiele, was die Ausweitung des Trennungsbegriffs für Teams, Führungskräfte und die Unternehmen selbst bedeutet, und welche Coaching-Themen sich daraus ergeben.
Teams trennen sich sozusagen von Trennungen: Von Bereichssilos, die um Einfluss und Ressourcen konkurrieren, von der Angst, Fehler zu machen oder schlechter als die anderen dazustehen. Sie trennen sich von der Zerstückelung der Kundensicht in einzelne Scheiben wie Produktentwicklung, Produktion, Vertrieb, After Sales, Innendienst, Außendienst, die, statt permanent miteinander im Dialog zu sein, getrennt voneinander oder gar gegeneinander arbeiten.
Mögliche Coaching-Themen:
Die Entwicklung kooperativer, funktionsübergreifender Teams. Coaching von Teamkonflikten, die aus veränderten Rollen und stärkerer Verantwortung resultieren. Vermittlung von Coaching-Haltung und -Techniken an die Teamleitung und die Teams selbst.
Teams nehmen Abschied davon, selbst nur wenig entscheiden zu dürfen oder zu können. Je näher sie am Kunden sind (und Digitalisierung bedeutet, alle arbeiten kundenzentriert), desto wichtiger wird es, als Team Entscheidungen schnell zu treffen und umzusetzen.
Mögliche Coaching-Themen:
Umgang mit Unsicherheit, Fehlern und Verantwortung. Coaches könnten Experten werden zum Erarbeiten praktikabler Entscheidungsformen gemeinsam mit Teams und Management.
Einzelne Teammitglieder verabschieden sich vom Fokus auf Gehorsam, davon, sich abzusichern, nicht aufzufallen, im Team mit zu schwimmen. Sie sollen stattdessen eigene Ideen einbringen und persönliches Standing zeigen.
Mögliche Coaching-Themen:
Stärkung von Selbstreflexion und -steuerung, Mut-Haltung.
Teams gestalten Übergänge selbst: Wie bekommen sie zukünftig ihre Zusammenarbeit geregelt, wenn die Grenzen in und außerhalb des Teams verschwimmen? Wie stellen sie die Qualität ihrer Kommunikation sicher?
Mögliche Coaching-Themen:
Vermittlung sinnvoller Feedbackformate zur systematischen Reflexion im Joballtag. Ändert sich die Teamzusammensetzung öfter, sollten Team-Coaching oder -entwicklung auch Trennungen und Abschiede thematisieren.
Führung verabschiedet sich von Zentralisierung. Beschleunigt durch die digitale Transformation und beeinflusst durch agile Organisationsformen, wird Führung zukünftig stärker auf verschiedene Rollen aufgeteilt werden. Führung muss nicht zwangsläufig eine Position in der Hierarchie sein. Sie erfolgt durch erfolgreiche Beziehungsgestaltung.
Mögliche Coaching-Themen:
Begleitung der Führungskraft durch persönliche Change-Phasen wie Wut, Widerstand, Verwirrung, Trauer und Abschied. Sparringspartner sein für Führungskräfte, die neue Erfahrungen mit Status, basierend auf Teilen und Kooperation, machen. Unterstützung bei der Gestaltung attraktiver Übergangsrollen.
Führungskräfte werden sich teilweise von ihrer Entscheidungsmacht trennen müssen. Als Einzelne überblicken sie die Auswirkungen ihrer Entscheidungen immer weniger. Sie haben auch gar nicht mehr die Zeit, ständig Mikromanagement durch Entscheidungen zu betreiben. Meist entscheiden ihre Teams schneller, vielfältiger und kundenorientierter.
Mögliche Coaching-Themen:
Beratung und Coaching zu Formaten und Ebenen von Entscheidungen im Unternehmen (Appelo, 2018).
Führungskräfte trennen sich auch – manchmal ungern, manchmal erleichtert – von Glaubenssätzen. Diese können Aufgaben betreffen (die Führungskraft als oberster fachlicher Experte, Alleswisser oder -entscheider), Status (Einfluss durch hierarchische Position oder Betriebszugehörigkeit) wie auch das eigene Verhalten (keine Schwäche zulassen, Unsicherheit nicht zeigen, Menschen für Fehler abstrafen).
Mögliche Coaching-Themen:
Die Führungskraft ermutigen, selbst neue, eigene Wege zu entdecken. Durch Wertearbeit Reflexion auslösen. Komplementär arbeiten: Das Gute im Schlechten. Das Leichte im Schweren. Das Vertraute im Neuen.
In den nächsten Jahren verabschiedet sich die Generation Babyboomer sukzessive in den Ruhestand. Diese „normalen“ Trennungen werden, wie andere Nachfolgethemen auch, von vielen Firmen unterschätzt. Die Babyboomer sind oft lange in „ihrem“ Unternehmen. Gerade als Fachexperten haben sie ein riesiges, oft informelles Wissen über Organisation und Produkte aufgebaut. Nicht immer haben sie gelernt, ihr Wissen frühzeitig zu teilen und zu „vererben“. Als Führungskraft sind sie in den vertikalen, hierarchisch geprägten Strukturen der Achtziger und Neunziger Jahre aufgestiegen. Viele mussten sich buchstäblich hochkämpfen und haben dieses alte Bild von Führung teilweise verinnerlicht.
Jetzt kommen die Jungen, die nächsten Generationen, oft unbeeindruckt von der Lebensleistung der Babyboomer und deren Beharrungsvermögen. Unternehmen, die Leistung und Anpassungsfähigkeit ihrer „Felsen“ im Betrieb rechtzeitig vor deren Abschied wahrnehmen und benennen, tun sich mit dieser Übergangsphase vermutlich leichter.
Mögliche Coaching-Themen:
Als Coach den Übergang der Babyboomer begleiten, vielleicht auch den Abschied von Machtpositionen, von Beziehungen und Erfolgen. Unternehmen beraten, den allmählichen Ausstieg der Mitarbeiter und die Weitergabe ihres Wissens zu moderieren. Unternehmen dafür sensibilisieren, wie ein guter Abschied gelingt.
Wie bereits erwähnt, treiben Unternehmen auch die Trennung von Firmengrenzen voran. Die teilweise Auflösung von „innen“ und „außen“ mit ihren dynamischen, teilweise fragmentierten Formen von Zusammenarbeit in Teams und Projekten ist besonders herausfordernd für die Unternehmenskultur und braucht Unterstützung.
Mögliche Coaching-Themen:
Externe Moderation von Klausurtagen oder Open-Space-Formaten zur Partizipation aller Beteiligten. Coaching zur Teamintegration und -entwicklung (und zur Linderung der Trennungsschmerzen). Das Ungewisse, Unsichere handhabbar(er) machen, Selbstwirksamkeit und Resilienz stärken.
Nicht zuletzt werden Unternehmen sich auch weiterhin von Mitarbeitern und Führungskräften trennen (Karabasz, 2018). Unternehmen sollten deshalb ermutigt werden, dazu ein systematisches Trennungsmanagement ins Leben zu rufen. Trennungen, sowohl die stillen innerhalb wie auch die sichtbaren nach außen, dürfen nicht (mehr) als Zerwürfnis, Abwendung oder Scheidung erlebt werden. Trennungskultur ist schließlich nichts anderes als die „Rückseite“ des Recruitings von Mitarbeitern.
Neben den anfangs genannten Anlässen im Trennungsmanagement werden Coaches verstärkt jene Unternehmen begleiten, deren Mitarbeiter sich von ihnen trennen: Ob hochspezialisierte Experten, Menschen im mittleren Alter mit viel Organisationswissen, ganze Teams, Auszubildende besonders im ersten halben Jahr oder Mitarbeiter, die auf ihrem Berufsweg stecken geblieben sind: Coaching bedeutet hier zuallererst, Präventionsarbeit mit dem Unternehmen selbst zu leisten, z.B. mit HR und dem Management.
Trennungen im Unternehmen sind nicht nur nicht zu verhindern. Sie werden als Teil des beruflichen Alltags noch stärker zur Normalität werden. Dadurch müssen wir sie anders wahrnehmen. Trennungen sind dann sowohl die Basis für Veränderungen als auch deren Folge. Trennungen können Möglichkeiten zur persönlichen Reife aufzeigen. Sie sind ein wichtiger Faktor für unternehmerisches Wachstum. Ihre Umsetzung wirkt als gelebte Unternehmenskultur. Gleichzeitig basiert die Maximierung vieler Geschäftsmodelle auf einer systematischen Auslagerung von Menschen und deren Aufgaben. Der Umgang mit Trennungen im Zuge des digitalen Wandels wird ein permanenter Kampf um Sicherheit und Zugehörigkeit bleiben.
Genau hier liegt auch die Rolle von Coaches, Moderatoren oder Beratern: Mensch und Organisation dabei zu stärken, einen für alle gangbaren Weg zu finden.