Führung

Konfliktprävention im Führungskräfte-Coaching

 Individuelle Führung

Dass Coaching Führungskräfte im Umgang mit bereits eskalierten Konflikten unterstützen kann, ist bekannt. Aber wäre es nicht besser, Konflikten von vornherein entgegenzuwirken und die bisweilen erheblichen Konfliktkosten zu vermeiden? Tatsächlich kann jedes Coaching, das der Verbesserung von Führungskompetenz dient, konfliktvermeidende Aspekte berücksichtigen und zu einer präventiv wirkenden Führungsarbeit beitragen. 

17 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2017 am 22.02.2017

Führungskräfte-Coaching = Konfliktprävention

Führungskräfte-Coaching hilft der Führungskraft, Konflikte zu vermeiden. Dabei ist es sinnvoll, der Führungskraft Wirkungszusammenhänge menschlichen Verhaltens in Konflikten zu vermitteln sowie die maßgebliche Rolle „guter“ Kommunikation. Gute Kommunikation hat eine beinahe immunisierende Wirkung bei der Vermeidung dysfunktionaler (destruktiver) Konflikte in der Arbeitswelt. In Abgrenzung zu funktionalen (konstruktiven) Konflikten, die wichtiger Bestandteil jedes kreativen Prozesses in Organisationen sind und treibende Kraft für positive Lösungen, haben dysfunktionale Konflikte zerstörerische Wirkung und sind fruchtbarer Boden für Demotivation, innere Kündigung, Fluktuation und Mobbing. Die konsequente und unangenehme Folge sind hohe, konfliktbedingte Kosten.

Friedrich Glasl, österreichischer Ökonom, Organisationsberater und anerkannter Konfliktforscher, stellt fest, dass in zwischenmenschlichen Beziehungen dann Konflikte entstehen, wenn es zur Unvereinbarkeit im Denken, Wollen, Fühlen und Handeln kommt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Konflikte vermieden werden, wenn die Vereinbarkeit im Denken, Wollen, Fühlen und Handeln zumindest überwiegend erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird. In der Führungsarbeit trägt hierzu eine Form der Kommunikation bei, die Konflikte am besten prinzipiell vermeidet. Diese Kommunikation ist transparent, einbindend, zuhörend, reflektierend, kongruent – kurz gesagt, empathisch und wertschätzend.

Der Coach kann der Führungskraft im Rahmen des Coachings die Wirkung bekannter Methoden guter Kommunikation wie aktives Zuhören, unterschiedliche Fragetypen (ressourcenöffnende, direkte, zirkuläre, strategische, reflexive Fragen) oder auch Reframing erleben lassen. Die Kenntnis der Wirkung von Ich-/Du-Botschaften sowie die Kommunikationsmethode der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) können im Rahmen von Führungskräfte-Coachings ebenfalls vermittelt werden. Diese Methoden sind Führungskräften heute aus Seminaren meist bekannt. Kennen heißt jedoch nicht Können.

Der Coach benötigt Sensibilität dafür, wie er diese „Kommunikations-Skills“ bei der Führungskraft platziert, und sollte achtsam sein, dass diese sehr wertvollen Methoden nicht in die „Esoterik-Ecke“ gestellt und deswegen abgelehnt werden. Das wäre bedauerlich.

Hilfreich ist, zu reflektieren, wie Tiere und Menschen im Bedrohungsfall reagieren. Drei Strategien stehen zur Verfügung:

  • Angriff
  • Flucht
  • Totstellen/Unterwerfung

Entsteht ein Konflikt, nutzt ein Mensch instinktiv eine dieser Strategien. Neurobiologisch betrachtet, aktivieren Konflikte das Schmerzzentrum des menschlichen Gehirns. Die Energie, die von Menschen aufzuwenden ist, um aus konflikthaften Settings wieder herauszufinden, steht nicht mehr für andere (konstruktive) Zwecke zur Verfügung. Energie wird „negativ“ gebunden. Insofern ist der Vermeidung von Konflikten ein hoher Stellenwert in Unternehmen und Organisationen beizumessen.

Konfliktkosten

Konfliktkosten in Organisationen können empirisch ermittelt werden. Eine schnelle und sehr einfache Art, an diese Informationen zu kommen, kann der Coach selbst vornehmen: Er fragt die Führungskraft, wie viel Zeit ihr Team mit Konfliktthemen verbringt. Führungskräfte können das meist bestens einschätzen. Dann folgt die einfache Multiplikation:

Personalkosten x ermitteltem Prozentsatz = Konfliktkosten Personal.

Konkret an einem Beispiel aus der Praxis: Abteilung mit 102 Mitarbeitern, Einschätzung der Führungskraft à 15 Prozent der Zeit (bei einem Acht-Stunden-Tag entspricht dies 72 Minuten) verbringt die Belegschaft mit Konfliktthemen – erfahrungsgemäß liegt der Prozentsatz deutlich höher, wenn ein Coaching in Anspruch genommen wird. Durchschnittliche Gesamtkosten pro Mitarbeiter p.a. = 46.000 Euro:

Personalkosten 4.692.000 Euro x 15% = 703.800 Euro Konfliktkosten Personal

Nimmt der Coach diese Zahl zu seinen Aufzeichnungen, kann er nach erfolgreichem Abschluss des Coaching-Prozesses zusammen mit seinem Klienten ermitteln, wie sich der Coaching-Prozess wirtschaftlich für den Klienten und seinen Arbeitgeber ausgewirkt hat. Sofern natürlich der Prozentsatz, zu dem sich die Belegschaft mit Konfliktthemen auseinandersetzt, reduziert werden konnte, was mit guter Führungsarbeit gut und meist zügig umzusetzen ist. Aufgabe des Coachs ist es, mit dem Klienten die Situation zu analysieren und Tools zu entwickeln, mit denen er seine Führungsarbeit optimieren kann.

Ein Weg, Coaching-Arbeit messbar zu machen. Hier mag der Analytiker zu Recht monieren, keine empirische Grundlage für diese Kostenermittlung zu haben. Der Verfasser jedoch weiß aus seiner Praxis als Führungskraft und auch aus seiner Arbeit als Coach mit Führungskräften, dass die Welt so einfach tatsächlich sein kann.

Was beeinflusst individuelle Führung?

Wie Führungskräfte führen, wird durch den übergeordneten Organisations-Kontext beeinflusst. Jede Organisation prägt im Laufe der Zeit eine eigene, typische Kultur aus und schafft ein Klima, in dem ihre Führungskräfte wirken. Oft stimmt das theoretische Modell, in dem sich eine Organisation gerne sieht, nicht überein mit der Realität. Immer wieder ist von Führungskräften zu hören, dass zwar eine wertschätzende Führung von ihnen erwartet wird, sie sich gleichzeitig aber selbst nicht wertgeschätzt geführt fühlen.

Organisationsrichtlinien für den Papierkorb

Beispiele dafür sind die meist in langen Prozessen ausgearbeiteten „Organisationsrichtlinien“ oder „Leitsätze unserer Führungsarbeit“, an die sich nach ihrer Verabschiedung oft niemand hält und die häufig in der Schublade verschwinden.

Natürlich ist die Ausarbeitung der Richtlinien von großer Bedeutung, entscheidend ist aber eine langfristig ausgelegte Implementierung der gewünschten Haltung in der Organisation und ein beständiges Anpassen der Richtlinien an die gewollten Realitäten. Nicht zu vergessen ist dabei, dass bei einer erfolgreichen Umsetzung von Organisationsrichtlinien oder Führungsgrundsätzen ein klassischer Top-down-Ansatz Voraussetzung für Erfolg ist. Nur was die Führung vorlebt, kann sie von der Belegschaft erwarten.

Eine Führungskraft beschwerte sich, dass ihre Mitarbeiter Blindkopien, sogenannte BCC-Mails verschickten, obwohl in den Leitfäden des Unternehmens vereinbart war, dass solche Blindkopien nicht verschickt werden. Während einer Coaching-Sitzung wurde klar, dass die Führungskraft teilweise selber solche BCC-Mails erhielt und bisher keine Maßnahmen ergriffen und Strategien entwickelt hat, wie sie damit umgehen kann und wie diese Praxis zu beenden ist. Damit der Klient die emotionalen Auswirkungen des Themas auf ihn und sein Team erfassen kann, kann der Coach mit sogenannten „Gefühlsmonsterkarten“ arbeiten. Sie helfen, Gefühle zu visualisieren und zu verbalisieren und somit klarer zu erkennen, welche Bedeutung das Ganze hat. Im Rahmen des Coachings wurde in der Folge erarbeitet, wie die Führungskraft die Thematik im nächsten Meeting anspricht und sicherstellt, dass Blindkopien in Zukunft nicht mehr versendet werden und dass die Mitarbeiter in Zukunft den Absender von blindkopierten E-Mails auffordern, diese Praxis zu unterlassen. Nach wenigen Wochen war das Thema in der betroffenen Abteilung vom Tisch. 

Individualität versus Systemgewalt

Zwar gibt jede Organisation einen kulturellen Rahmen für die Führung vor, jede Führungskraft hat es jedoch in der Hand, zu entscheiden, wie sie in der täglichen Arbeit mit ihren Mitarbeitern umgeht und welche persönliche Form der Kommunikation sie wählt. Die Anerkennung, die einer Führungskraft entgegengebracht wird, hängt weniger von Charisma ab, sondern wie sehr sie als

  • zuverlässig,
  • authentisch,
  • gerecht,
  • kongruent,
  • ehrlich,
  • kompetent und
  • interessiert

erlebt wird.

Der Coach kann mit einer einfachen Methode ansetzen, den Klienten im Rahmen eines Führungskräfte-Coachings ans Flip-Chart treten lassen und ihn nach den Wesenszügen / Charaktereigenschaften / Verhaltensweisen seines (ehemaligen) Vorgesetzten, den er am meisten schätzt, fragen. Der Klient nennt in aller Regel die zuvor eingeführten Punkte. In einem nächsten Schritt bittet der Coach den Klienten um Nennung jener Punkte, die er im Gegensatz zu vorheriger Feststellung am wenigsten schätzt. In der anschließenden Reflexion ist abzufragen, was der Klient als Mitarbeiter bereit war, für den geschätzten aber auch für den am wenigsten geschätzten Chef zu tun. Die Antworten hierauf sind denkbar einfach:

  • Für den geschätzten Chef: durchs Feuer gehen
  • Für den am wenigsten geschätzten: nichts

Die abschließende Bitte, nun zu überlegen, wie die eigenen Mitarbeiter urteilen würden, für die der Klient Führungsverantwortung trägt, wirkt deutlich nach.

Mitarbeiterbindung

Die Commitmentforschung unterscheidet zwischen affektiver, kalkulatorischer und normativer Mitarbeiterbindung. Gute Führungskräfte sind in der Lage, eine hohe soziale und moralische Verbindung zu den eigenen Mitarbeitern zu schaffen. Diese enge Bindung – normative Bindung – führt dazu, dass Fluktuation selbst dann weitgehend ausbleibt, wenn die Rahmenbedingungen, in der die Organisation sonst existiert, die Belegschaft zur Flucht treiben. Eine hohe normative Bindung schafft ein ebenso hohes Maß an Stabilität im „Mikrokosmos Team“, auch wenn drumherum der Teufel los ist. Auch hier spielt eine konfliktvermeidende Kommunikation eine entscheidende Rolle.

Im Coaching kann am Flipchart oder Whiteboard erarbeitet werden, welche Merkmale und Charaktereigenschaften ein gutes Team hat. Hilfreich ist hierbei ein vorbereitetes Arbeitsblatt, mittels dessen ein Abgleich vorgenommen werden kann, um Punkte, die falsch sind oder fehlen, zu identifizieren. Der Klient erkennt so, wie sein Team einzuordnen ist, als Team an sich, aber auch im Vergleich zu anderen Teams. Eine weitere Übung im Coaching kann sein, abzugrenzen, wodurch sich Teams von Arbeitsgemeinschaften unterscheiden.

Führen oder Sachen bearbeiten?

Die Führungskraft benötigt Zeit für die Führungsaufgabe. „Zu wenig Zeit für Führung“, ein Standardsatz von Führungskräften. Auf die Frage des Coachs, woran das liegt, wird gerne mit „zu viele Sachaufgaben“, „Aufgaben, die sich nicht delegieren lassen“, „es wird erwartet, dass ich das erledige“ und vergleichbaren Argumenten geantwortet. Der Coach ist hier gefragt, dem Klienten vor Augen zu führen, dass es seine Aufgabe ist, sich den Freiraum zu schaffen, der notwendig ist, um gute, für die Vermeidung von Konflikten notwendige Führungsarbeit leisten zu können. Nicht die Systemgewalt bestimmt, welchen Raum die Führungskraft für Führung hat, sondern die Führungskraft selber.

Der Coach erarbeitet mit dem Klienten die Abgrenzung zwischen Rolle und Aufgaben. Die Ergebnisse werden visualisiert. Während des Prozesses hilft der Coach dem Klienten, zu erkennen, dass sich seine Führungsaufgaben durch seine Rolle definieren, nicht durch seine Aufgaben. Gleichzeitig führt diese Methode dem Klienten vor Augen, dass viele Aufgaben delegierbar sind.

Ein Abteilungsleiter leitet eine Abteilung, der Sachbearbeiter bearbeitet Sachen. Beide Aufgaben haben einen gleich hohen Stellenwert, sind aber dort zu erledigen, wo sie beheimatet sind. Gute Führungskräfte sind in der Lage, sich so zu organisieren, dass Sachaufgaben im Team erledigt werden. Methodisch kann der Coach hier gut ansetzen, indem er mit der Führungskraft erarbeitet, wie Rolle und Aufgabe in der Führungsarbeit abzugrenzen sind.

Orientierung geben

Führen heißt, Orientierung zu geben. Orientierung kann nur geben, wer selber orientiert ist. Der Coach erarbeitet mit der Führungskraft, ob diese selber orientiert ist, eigene Ziele, Teamziele und Ziele auf „Metaebene“, sprich Ziele, die die Organisation hat, formulieren und darstellen kann. Gute Führungskräfte schaffen überprüfbare Ziele für sich selber und für ihr Team bzw. die Organisation, der sie vorstehen. Entscheidend dabei ist, dass alle Beteiligten eine hohe Motivation haben, diese Ziele zu erreichen. Natürlich sind monetäre Anreize Teil dieser Motivation. Der viel nachhaltigere Motivator ist jedoch das Verstehen und der Sinn eines Ziels. Der Coach sollte mit dem Klienten nicht nur erarbeiten, ob dieser in der Lage ist, seine Ziele zu formulieren, sondern auch zu erklären, warum er diese Ziele erreichen will und ob sein Team die Ziele und deren Sinn verinnerlicht hat.

In der Praxis erarbeitet der Coach mit seinem Klienten verständlich formulierte und messbare Ziele. So ist z.B. die Verbesserung der Kundenzufriedenheit ein zwar ehrenhaftes Ziel, jedoch keines, das objektiv messbar ist. Grundlage für eine Verbesserung von Kundezufriedenheit ist, zunächst zu ermitteln, wie die aktuelle Kundenzufriedenheit tatsächlich ist. Aus dieser Kenntnis entwickelt der Klient dann sein konkretes Ziel, so z.B. die Reduzierung von Wartezeiten im Service-Call-Center um 25 Prozent bis Ende des folgenden Jahres. Kennt er sein Ziel, kann konkret mit dem Team erarbeitet werden, welche einzelnen Maßnahmen eingeleitet werden müssen, um zu einer reduzierten Wartezeit zu kommen.

Messbare Ziele lassen sich in jeder Art von Organisation erarbeiten, gleichgültig ob Behörde, Verwaltung, Non-Profit-Organisation oder Unternehmen. Erfolg braucht messbare Ziele. Ziele geben Orientierung und die Möglichkeit zur Korrektur des eingeschlagenen Weges. Wer das Ziel kennt, wird den Weg finden. Wer Ziel und Sinn kennt, wird den Weg schneller und konsequenter finden und hierdurch zudem Reibungsverluste vermeiden.

Teamentwicklung: originäre Aufgabe der Führungskraft

Gute Führungskräfte verstehen Teamentwicklung als ihre ureigene Kernaufgabe. Zwar kann der Coach unterstützend zur Seite stehen, Teams und Team-Buildings moderieren, dem Team und den Führungskräften helfen, Ideen zu entwickeln und dabei unterstützen, Klarheit zu finden. Nicht aber abnehmen kann der Coach der Führungskraft die tägliche Führungsarbeit. Genau hier aber entscheidet sich, wie gut Führungskraft und Team zusammenwirken. Zwei Beispiele, die in Coaching-Prozessen bestens thematisiert werden können:

1. Meeting-Kultur: Was wird thematisiert und wie wird es thematisiert? Bleibt ausreichend Raum für die „Pflege“ der Beziehungsebene innerhalb der Belegschaft? Der Coach weiß, dass die Beziehungsebene entscheidet, was auf der Sachebene zu erreichen ist. Aber hat die Führungskraft die Instrumente erlernt, die notwendig sind? Gibt es eine regelmäßige Reflexion darüber, ob in Meetings das erreicht wird, was erreicht werden soll?

Interventionsbeispiel hin zur Metaebene: „Lassen Sie uns kurz überlegen, was hier gerade passiert. Ich nehme wahr, dass Sie sich/wir uns gegenseitig Vorwürfe machen. Was können wir tun, um zum eigentlichen Thema dieses Treffens zurückzukommen?“

2. Nachhaltige Delegation: Ein klassischer Fehler von Führungskräften ist, Mitarbeitern nicht die Zeit und Anleitung zu geben, den individuellen Aufgabenbereich eigenständig führen zu können. Die souveräne Beherrschung des eigenen Verantwortungsbereiches durch den dafür zuständigen Mitarbeiter ist eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Delegation.

Aufgabe einer Führungskraft ist, folgt man diesem Gedanken, die Selbständigkeit bei den Mitarbeitern herzustellen. Die Führungskraft sollte sich auf die Beobachtung der vom jeweiligen Mitarbeiter in seinem Verantwortungsbereich erzielten Ergebnisse konzentrieren. Sind diese unzureichend, so ist es die Aufgabe einer Führungskraft, solange neue Anläufe zu nehmen, bis sich das gewünschte Ergebnis einstellt.

Gibt eine Führungskraft zu früh in dem Bestreben auf, dass der Mitarbeiter seinen Verantwortungsbereich souverän beherrscht, schafft dies ein Erledigungsvakuum, das entweder von anderen Mitarbeitern gefüllt werden muss, oder die Führungskraft in die Rolle des „selber machen Müssens“ zurückfallen lässt. Lässt sie dies zu, so handelt es sich um eine (verdeckte) Rückdelegation von Aufträgen, die an die Mitarbeiter delegiert wurden, aber wieder bei der Führungskraft landen. Dies sollte nicht akzeptiert und konfliktvermeidend unterbunden werden.

Der Einsatz konfliktvermeidender Kommunikationstechniken, der etwa beim Versuch einer (verdeckten) Rückdelegation gefragt ist, kann im Coaching in einem Rollenspiel zwischen Coach und Klient eingeübt werden.

Ein Beispiel

Mitarbeiter M.: „Ich soll hier diesen speziellen Fall eines unserer Großkunden bearbeiten, komme aber einfach nicht weiter. Die Angelegenheit hat wohl weitreichende rechtliche Konsequenzen und ich denke, das ist ein Thema, wo Sie als Chef involviert sein sollten. Eigentlich wäre mir wohler, wenn Sie das Thema übernehmen würden. Ich denke, auch der Investor würde lieber sehen, wenn Sie das direkt mit ihm klären.“

Führungskraft F.: „Sie haben über den Fall nachgedacht, finden aber nicht zur richtigen Antwort? Sie glauben, der Großkunde würde das Thema lieber mit mir direkt klären?“

M.: „Richtig. In der Sache komme ich einfach nicht weiter und bin unsicher, ob ich mit meinen Gedanken richtig liege. Was den Kunden betrifft, höre ich eher auf mein Bauchgefühl. Ob der Kunde möchte, dass Sie die Sache mit ihm klären, weiß ich nicht wirklich. Bisher konnten wir alles in der Abteilung erledigen.“

F.: „Ich verstehe Ihre Aussage so, dass es Ihnen wohler wäre, wenn Sie Ihre Entscheidung auf der Grundlage besserer Informationen fällen könnten. Was brauchen Sie, um weiterzukommen, welche Informationen fehlen Ihnen und Ihrem Team und wer könnte Ihnen helfen, das Problem so zu lösen, dass Sie und Ihr Team ähnliche Vorgänge in Zukunft sicher erledigen können?“

M.: „Ich denke, wir sollten einen externen Fachanwalt hinzuziehen und um Rat fragen. Ebenso scheint es mir in diesem Fall angebracht zu sein, dass wir einen Wirtschaftsprüfer damit beauftragen, die steuerlichen Konsequenzen zu durchleuchten. Ich habe bisher gescheut, dies zu tun, da ich weiß, dass erhebliche Kosten entstehen, wenn wir Externe beauftragen, und dies hausintern nicht gerne gesehen wird.“

F.: „Ich denke, Sie haben da dennoch den richtigen Ansatz gefunden. Auch wenn wir es nicht gerne sehen, wie Sie ja richtig feststellen, externe Berater hinzuzuziehen, manchmal lässt es sich eben nicht vermeiden! Welche hausinternen Ressourcen haben wir Ihrer Meinung nach, den Sachverhalt zu klären?“

M.: „Vielleicht sollte ich mit den Kollegen in der Rechtsabteilung den Fall doch noch einmal klären. Denkbar ist auch, dass unser CFO Ideen dazu hat.“

F.: „Gute Idee. Machen Sie es wie von Ihnen vorgeschlagen. Ich würde Sie nur bitten, mich zu informieren, wenn Sie tatsächlich externe Berater beauftragen müssen und die zu erwartenden Kosten 10.000 Euro übersteigen, ebenso den CFO. Wenn Sie eine andere Lösung finden, würde mich diese auch interessieren. Mir wäre es wichtig, wenn Sie das Thema selbständig erledigen. Sollten Sie Unterstützung in der Kommunikation mit dem Investor benötigen, können Sie gerne auf mich zurückgreifen. Ich denke aber, das wird nicht nötig sein.“

Dieses Beispiel zeigt und im Coaching wird der Führungskraft verdeutlicht, wie durch den Einsatz konfliktvermeidender Kommunikationstechniken wie aktivem Zuhören, speziellen Fragen oder auch Reframing der Versuch der Rückdelegation konstruktiv und positiv abgewehrt wird.

Die Führungskraft verzichtet auf Lösungsvorschläge, sie führt den Mitarbeiter auf einen Weg, auf dem dieser eine eigene Lösung entwickeln kann. Gleichzeitig signalisiert die Führungskraft Interesse an der gefundenen Lösung, bietet Unterstützung an, ohne sie aufzudrängen, und drückt Wertschätzung aus, indem sie Vertrauen signalisiert, dass der Mitarbeiter den Vorgang eigenständig erledigen wird.

Führen braucht Kondition

Führen heißt, Dinge solange zu wiederholen, bis sie so funktionieren, wie sich eine Führungskraft dies wünscht und die Prozesse es erfordern. Ein Ergebnis dieser Konsequenz ist ein zufriedener Mitarbeiter, der Eigenverantwortung erlebt und Anerkennung empfindet.

Ein anderer Effekt ist, dass selbständige Mitarbeiter und Teams einer Führungskraft Freiraum schaffen, sodass es meist nicht mehr erforderlich ist, Aufgaben zu delegieren, weil diese selbständig von den Mitarbeitern erkannt und übernommen werden. Es entsteht eine mutige Kultur, in der sich die Belegschaft traut, Aufgaben anzunehmen und abzuarbeiten. Dies schafft der Führungskraft den Raum, Prozesse im Großen zu überdenken, strategische Themen anzugehen, nachhaltige Planungen zu erarbeiten, sich komplexen Strukturveränderungen anzunehmen, einfach gesagt, das „Big Picture“ im Auge zu behalten.

Je mehr Freiraum sich eine Führungskraft schaffen kann von der Erledigung von Sachaufgaben, umso mehr Zeit verbleibt ihr, die wichtigen Dinge zu tun. Es ist kein Qualitätsmerkmal, wenn eine Führungskraft auf Dauer 50 oder mehr Stunden pro Woche arbeitet. Wenn dies der Fall ist, dann verdient der „Hintern das Geld, nicht der Kopf“.

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