Coaching ist in Unternehmen – Stichwort „positive Coaching-Kultur“ – heute allgemein akzeptiert und für mehr und mehr Führungskräfte ein sichtbarer Beleg dafür, dass sie zu den förderungswürdigen Leistungs- und Potentialträgern gehören. Konflikte dagegen sind negativ behaftet und werden vielfach mit einer Unfähigkeit zu rationalem und effizientem Handeln gleichgesetzt. Konflikte zu haben ist mit dem Selbstbild von Managern nach wie vor schwer vereinbar und wird vielfach als persönliches Versagen und mangelnde Managementkompetenz (miss-)verstanden.
Proaktive Konfliktlösungsmethoden sind in den wenigsten Organisationen etabliert und akzeptiert und Mediation wird, wenn überhaupt, nur als letzter Versuch einer alternativen Konfliktlösung in Betracht gezogen. Hinzu kommt, dass im Management oft ein geringes Wissen darüber vorhanden ist, was Mediation eigentlich ist und leisten kann, bis hin zu einer offenbar gar nicht so seltenen Verwechslung von Mediation mit Meditation – was die Methode natürlich gänzlich ins falsche Licht rückt.
Das Coaching-Setting eignet sich hervorragend dafür, Mediationselemente zu integrieren, vorausgesetzt, dass dieser Prozessschritt klar und transparent kommuniziert wird und der Coach über die notwendige professionelle Zusatzkompetenz verfügt – auf beides wird noch näher einzugehen sein.
Grundsätzlich lassen sich zwei unterschiedliche Anwendungsfelder des Coachings mit mediativen Anteilen (CMA) unterscheiden. Im ersten Coaching-Fall werden die mediativen Anteile in einen bereits laufenden Coaching-Prozess integriert, im zweiten Fall von Beginn an mit beiden Konfliktpartnern ein gemeinsamer Coaching-Prozess gestartet.
Herr H. leitet seit rund einem Jahr in einem Versicherungskonzern die Abteilung „Investment“ und führt ein kleines Team hochspezialisierter Analysten. Im Coaching reflektiert er sein Führungsverhalten vor dem Hintergrund, dass er neben seiner Führungsrolle als Fachspezialist gemeinsam mit einem Mitarbeiter (Dr. T.) ein Fachgebiet betreut und dies nicht ohne Konflikte abläuft.
Während in der allgemeinen Führungsthematik gute Fortschritte erzielt werden, droht der Konflikt mit dem Mitarbeiter zu eskalieren. „Dr. T. setzt zu wenig Prioritäten, verzettelt sich in Details und hält sich nicht an vereinbarte Prozesse. Ich dachte, ich biete meinem besten Mitarbeiter die Zusammenarbeit an und jetzt habe ich den Eindruck, dass ich die eigentliche Arbeit alleine machen muss!“ Besonders verärgert ist der Klient, als Dr. T. zur Nachbesprechung des Mitarbeitergesprächs ohne vorherige Ankündigung mit einem Mitglied des Betriebsrats erscheint und ihm bei dieser Gelegenheit umfangreiche Excel-Sheets vorlegt, in welchen er seine Tätigkeiten offenbar schon seit über einem Vierteljahr akribisch protokolliert. Der Konflikt bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Team, in Fachbesprechungen wird die Spannung zwischen den beiden zunehmend zur Belastung.
An dieser Stelle schlägt der Coach CMA als Methode vor. Im ersten Prozessschritt beraumt der Coach eine Einzelsitzung mit dem Mitarbeiter Dr. T. ein, um dessen Sichtweise kennenzulernen und ihn abzuholen. Es erscheint ein sichtlich belasteter Mensch, belastet auch durch einen Berg von Unterlagen, den er mitbringt, um dem Coach zu belegen, „was ich alles leiste und arbeite. Vom Chef wird das in keiner Weise anerkannt, im Gegenteil. Er kritisiert und überarbeitet alles, was ich mache.“ Die Bewertung im Mitarbeitergespräch empfände er als ungerecht und habe daher Einspruch einlegen wollen. Bevor er diesen offiziellen Schritt gehen wolle, habe er nochmals um ein Gespräch „im Guten“ gebeten und sich dafür Unterstützung beim Betriebsrat gesucht.
In der ersten gemeinsamen Sitzung wird die Konflikthistorie analysiert und die unterschiedlichen Sichtweisen werden offengelegt. Jeder der beiden Konfliktpartner notiert die für ihn wichtigen „Konfliktmeilensteine“ auf Kärtchen. Weiterhin wird das Tool „Aktives Zuhören und Paraphrasieren“ eingeführt und jeweils wechselseitig angewendet.
Beispiel: Die Karte mit dem Meilenstein „Zuziehen des Betriebsrats“ wird an der Metaplanwand an einer zuvor vorbereiteten Zeitschiene sichtbar festgehalten. Dr. T. stellt seine Sichtweise vor, sein Chef hört zu und paraphrasiert. Danach schildert er sein Erleben der Situation, Dr. T. hört zu und paraphrasiert. Der Coach achtet auf die Einhaltung dieser Spielregel und formuliert am Ende Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wobei der Fokus auf den Gemeinsamkeiten liegt. Beispiel: „Ich sehe, dass Sie beide den Willen hatten, zu einer Einigung bzgl. der Bewertungen zu kommen und dass Sie beide eine Eskalation vermeiden wollten. Sie, Herr Dr. T., hätten sich gewünscht, dass Ihr Vorgesetzter offen für das Gespräch mit dem Betriebsrat ist, während Sie, Herr H., lieber nochmals zu zweit gesprochen hätten.“
Diese Arbeit ist für beide Parteien sehr fordernd, aber auch sehr erhellend. Am Ende ist vieles klarer geworden, die Positionen sind herausgearbeitet: Dr. T. möchte im Rahmen des gemeinsamen Fachgebiets einen abgegrenzten Aufgabenbereich, Herr H. ein abgestimmtes Agieren in Teamsitzungen und keine Ausflüge zum Betriebsrat mehr.
Jetzt kommt der entscheidende Prozessschritt, in welchem die tiefer liegenden Bedürfnisse herausgearbeitet werden. In der Mediation gilt diese Phase als das „Herzstück“ und unterscheidet sie von anderen Formen der Konfliktbearbeitung. Gleichzeitig stellt dieser Schritt die größte Herausforderung für den Coach/ Mediator dar, denn er muss hierzu während der Sichtweisenklärung „im Stillen“ Hypothesen entwickelt haben, die er nun mit verschiedenen (Frage-)Techniken überprüft.
Mit einigen Formulierungshilfen werden in diesem Fall bei beiden Konfliktpartnern die gleichen, bisher nicht genannten Bedürfnisse aufgedeckt: Das Bedürfnis nach Vertrauen (in meine Leistung als kompetenter Mitarbeiter bzw. in meine Gesprächsbereitschaft als Vorgesetzter – auch ohne Betriebsrat) und das Bedürfnis nach Annerkennung (meines Arbeitseinsatzes als Mitarbeiter bzw. meiner Vorgesetztenrolle). Man muss es erlebt haben, wie das Aussprechen bzw. zutage fördern dieser Bedürfnisse die Stimmung zwischen den Beteiligten, ja die ganze Atmosphäre im Raum verändert.
Im vorliegenden Fall schlägt der Vorgesetzte spontan dem Mitarbeiter per Handschlag einen Neuanfang vor. Dieser zögert. „Was bräuchten Sie, um hier Ja sagen zu können?“, lautet die Frage des Coachs. „Dass die Rückstufung im Mitarbeitergespräch zurückgenommen wird und ich keine finanziellen Einbußen habe“, ist die Antwort. Es wird ein Kompromiss gefunden, den beide tragen können. Die Erarbeitung von Spielregeln für die weitere Zusammenarbeit gestaltet sich in diesem Fall eher unspektakulär: Der Durchbruch war durch die Kompromissfindung und das gegenseitige Versprechen, das „Kriegsbeil zu begraben“, geschaffen.
Vorphase:
Arbeitsphasen:
Der Bereichsleiter „International Strategies“ geht in den Ruhestand. Ein sehr erfahrener Abteilungsleiter wirft den Hut in den Ring – den Zuschlag für die Nachfolge erhält jedoch der Assistent des Vorstandsvorsitzenden. Nach einem halben Jahr äußerst konfliktreicher Zusammenarbeit entschließen sich beide zu einem „gemeinsamen Coaching“. Die Prozessschritte und Charakteristika ähneln in vielerlei Hinsicht den im ersten Fallbeispiel beschriebenen und werden daher komprimiert in einer Kurzübersicht über die insgesamt zehn Coaching-Sitzungen geschildert.
Sitzung 1 und 2: Einzelsitzungen mit den Klienten mit Sichtweisendarstellung z.B. anhand von Bildern. Für die aktuelle Situation und die Wunschsituation werden jeweils Bilder erstellt oder ausgewählt.
Sitzung 3: In dieser ersten gemeinsamen Sitzung stellen die Klienten sich anhand der Bilder ihre jeweiligen Sichtweisen und Zielvorstellungen vor. Spielregeln für die Zusammenarbeit werden gemeinsam mit der nötigen Ruhe und Ausführlichkeit erarbeitet.
Sitzung 4: Die Konflikthistorie wird anhand von „Meilensteinen“ aus der jeweils individuellen Sicht ausgerollt und visualisiert.
Sitzung 5 und 6: Einzelsitzungen zur Reflexion der z.T. neuen Erkenntnisse.
Sitzung 7: In der dritten gemeinsamen Sitzung, dem „Herzstück“ des Prozesses, werden die zugrundeliegenden, verletzten Bedürfnisse (Anerkennung in meiner Chefrolle – Annerkennung meiner Erfahrung; Vertrauen in meine Führungsfähigkeiten – Vertrauen in meine Loyalität und Aufgabenerfüllung) herausgearbeitet und besprochen.
Sitzung 8 und 9: Einzelsitzungen zur Reflexion dieser Bedürfnisse, ggf. vor dem Hintergrund der individuellen Biographie/Lerngeschichte bzw. des eigenen Selbstbilds.
Sitzung 10: In dieser letzten gemeinsamen Sitzung werden die konkreten Erwartungen und Wünsche an den jeweils anderen gesammelt und Spielregeln für die Zusammenarbeit erarbeitet.
Obwohl die meisten Techniken, die in der Mediation zur Anwendung kommen Coaches sehr vertraut sind, hält das CMA doch ganz spezifische Herausforderungen bereit. Zum einen benötigt man eine große Sicherheit im Umgang mit Dreiecksgesprächen und der eigenen Rolle in diesen. Dem erfahrenen Business-Coach dürfte dies vertraut sein. Hinzu kommt, dass ein Rollenwechsel von der Parteilichkeit für den Klienten zur Neutralität und Allparteilichkeit in den Dreiersitzungen bewältigt und stets klar und transparent gemacht werden muss.
Was ist damit gemeint? Die so genannte Allparteilichkeit ist einer der Grundpfeiler der Mediation (Holler, 2010). Dieser Begriff ist abgeleitet von dem Wort „Allparteienregierung“, der bedeutet, dass alle im Parlament vertretenen Parteien in der Regierung sind, um eine Krise gemeinsam zu bewältigen. Allparteiliches Verhalten bedeutet also, beiden Konfliktpartnern gleichermaßen stärkend und wertschätzend zur Seite zu stehen. Die Kunst dabei besteht darin, gleichzeitig neutral zu bleiben: also weder ablehnend noch sympathisierend zu sein, sondern mit allen Aussagen wertfrei umzugehen. Klingt schwierig – und ist es auch!
Eine Mediationsausbildung ist einerseits hilfreich, andererseits noch lange keine Garantie für das Gelingen dieser Haltung. Im vollen Umfang ist diese Ausbildung auch keineswegs notwendig, da zu viele Inhalte dem erfahrene Coach vertraut sind und zu seinem Kern-Handwerkszeug gehören. Deren Anwendung in der Moderation zweier Konfliktpartner unterscheidet sich jedoch z.T. erheblich von der in Einzel-Coaching-Situationen. Daher sind einige Stunden Supervision bei einem erfahren Mediator oder eine Mediations-Intensivausbildung für Coaches durchaus empfehlenswert.
Eine wichtige Erfahrung, die der Coach/ Mediator einmal selbst erleben sollte, ist die Dynamik und Anspannung, die bei den Konfliktparteien in der ersten gemeinsamen Sitzung herrschen. Damit zusammenhängend ist wiederum die gelebte Allparteilichkeit ein erfolgskritischer Faktor, d.h., der Coach/Mediator muss sich beiden Parteien gleich stark zuwenden.
Das beginnt bei der Sitzordnung, die einem Dreieck gleicht und in welcher der Abstand zu beiden Klienten unbedingt gleich zu sein hat. Ein weiterer Faktor ist die Sitzhaltung: Wenn eine Partei spricht, darf der Coach sich beim Zuhören ihr nicht zu sehr zuwenden und damit der anderen Partei „die kalte Schulter“ zeigen. In der verbalen Kommunikation gilt die Grundregel: Man kann gar nicht zu viel paraphrasieren und gar nicht vorsichtig genug formulieren.
Positive Verstärkung und Anerkennung von Stärken und Ressourcen ist ein ganz wichtiges Tool im Coaching – im CMA kann dieses nur bei der Formulierung von Gemeinsamkeiten zum Einsatz kommen. Wird ein Konfliktpartner bei seinen Ausführungen einseitig positiv verstärkt, führt dies sofort zur Reaktanz und dem Gefühl der Ungleichbehandlung beim anderen. Die Erfahrung zeigt, dass die Worte des Coachs in dieser Situation mit Bedacht zu wählen sind.
Andererseits sollte man sich von einer gewissen Konfliktdynamik auch nicht einschüchtern lassen. Es ist nicht zu vermeiden, dass mal einer der Partner widerspricht, sich nicht ausreichend gewürdigt oder sogar unverstanden fühlt. Perfektionismus ist hier hinderlich, Fehler sind allemal erlaubt und man darf sich auch als Coach/Mediator dafür entschuldigen – solange die Haltung der Neutralität/ Allparteilichkeit grundsätzlich gewahrt wird. Hier gilt es, sich selbst kritisch zu prüfen: „Bin ich in der Lage, diese meinem Klienten gegenüber einzunehmen oder fürchte ich, dass unsere Coaching-Beziehung dies (noch) nicht trägt?“ Nur wenn man sich selbst ein sicheres „Ja“ dazu geben kann, sollte man CMA vorschlagen.
Mit dem akzeptierten Instrument des Coachings zur Lösung von Konflikten beizutragen, bringt einen echten Mehrwert, denn Konflikte kosten die Unternehmen Jahr für Jahr viel Geld. So hat eine KPMG-Studie aus dem Jahre 2009 zu den Kosten von Konflikten in Unternehmen zum Beispiel folgende empirischen Ergebnisse erbracht: 10 bis 15 Prozent der Arbeitszeit in jedem Unternehmen wird für Konfliktbewältigung verbraucht und 30 bis 50 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit von Führungskräften werden direkt oder indirekt mit Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen verbracht. Die Kosten pro Mobbingfall betragen laut dieser Studie im Durchschnitt 60.000 € und ein Prozent der Mitarbeiterkosten pro Jahr geht für unverarbeitete Konflikte verloren.
Darüber hinaus stellt CMA einen wichtigen Schritt dar, Coaching mehr in die Organisationen zu integrieren und mit (anderen) Instrumenten der Organisations- und Personalentwicklung zu verbinden. Unter dem Titel „Das Ende der Zweisamkeit im Business-Coaching“ (Coaching-Magazin 3/2012) wurden die Vorteile der Verbindung von Coaching mit Feedbackverfahren bereits beschrieben. Und generell sollte man sich vergegenwärtigen, dass der in Unternehmen weit verbreitete systemische Coaching-Ansatz seine Wurzeln in der systemischen Familientherapie hat. Diese war stets bemüht, das Umfeld der Patienten in den Prozess einzubeziehen – liegt es da nicht nahe, aktuelle Konfliktpartner in das Coaching einzuladen?