Führung

Eine Frage der Macht

Der Umgang mit Führungsstrategien als Coaching-Anlass

Gefährlich, manipulativ, lähmend: So lauten negative Konnotationen, mit denen der Machtbegriff häufig verbunden wird, wenn auch mitunter nur zwischen den Zeilen. Zu spüren ist dies etwa in aktuellen Diskussionen um moderne, partizipative oder demokratische Führung. Jedoch kommen, so eine hier vertretene These, auch neuere Führungsstile nicht ohne den Einsatz von Macht aus. Folglich werden Führungsstrategie-Coachings auch in Zukunft immer mit der Frage nach Machtmotiven und -taktiken verbunden sein. Ist dies schlimm? Nicht zwingend, rückt man den Begriff näher an seine ursprüngliche Bedeutung.

15 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2017 am 06.09.2017

Macht oder Ohn-Macht ist (nicht) die Frage

„Führen ohne Macht“ ist ein durchaus gängiger Seminartitel. „Führen mit Macht“ dagegen wird nicht angeboten oder nachgefragt. Dabei gehören Führung und Macht zusammen, und zwar auch im angeblich „modernen Führungsstil“. Wenige Themen erscheinen so widersprüchlich: Macht sei ein „heißes Thema“, das „überall diskutiert“ wird; es werde tabuisiert, nur „hinter vorgehaltener Hand“ angesprochen, sei verpönt und dunkel. Gleichzeitig ist es aber normal und allgegenwärtig (von Ameln, 2017). Diese Zuschreibungen gelten für Coaches wie für Führungskräfte, für die doch Macht das „täglich Brot“ sein müsste. So wird in Coachings das angeblich zentrale Thema häufig nur verdeckt behandelt. 

Der folgende Artikel soll aufzeigen, wie man Macht als Thema in Coachings behandeln kann: anhand konkreter Beispiele aus der Arbeit mit Führungskräften. Ziel ist es, die Relevanz zu verdeutlichen und Macht zu enttabuisieren.

Macht ist weder gut noch schlecht

Da, wo Macht angesprochen wird, wird sie häufig indirekt oder direkt negativ konnotiert, aber selten neutral gesehen. Dabei ist dies die Voraussetzung, sich offen mit ihren positiven und negativen Aspekten auseinanderzusetzen. Nur so kann die Frage, was gut oder schlecht ist, geprüft werden. Das Wort Macht kommt von dem gotischen Begriff „magun / magan“, was bewirken bedeutet. Macht ist also Wirksamkeit, ein zumindest neutraler Begriff. Führungskräfte und Coaches werden für ihre Wirksamkeit bezahlt, und das Konzept der Selbstwirksamkeit als Schlüssel zu einem als sinnvoll erlebten Leben ist in aller Munde. Macht kann daher positiv gesehen werden – insbesondere in der Arbeit mit Menschen, die sich verändern wollen.

Wann ist Macht ein Thema im Coaching?

Nach den Erfahrungen vieler Coaches wird Macht meist dann thematisiert, wenn Klienten unter der Macht anderer leiden: der Macht des Chefs, des Vorstands, des Aufsichtsrats. Deren Macht wird als etwas angesehen, das beschränkt werden müsse, da sie mit „moderner“ oder „guter“ Führung nicht zu vereinbaren sei. Nicht selten erhält ein Coach den impliziten Auftrag: „Machen Sie was, damit mein Chef weniger mächtig ist und mich somit weniger quälen kann.“ Mit anderen Worten: Der Coach soll den Chef des Klienten anhalten, er möge seinen Führungsstil ändern. Gibt es keinen Vorgesetzten, der sich ändern soll, so ist der Klient häufig selbst verunsichert und möchte wissen, wie er mehr „auf Augenhöhe“ führen und sich seine „Machtworte“ abtrainieren kann.

„Ich bin absolut machtlos.“ – Frau B.

Einen impliziten Auftrag, ihre Chefin „zurechtzubiegen“, erhielt der Coach von Frau B., die in einem großen Fachverband der Gesundheitsbranche die fachliche Ausrichtung von Tagungen und Kongressen verantwortete. Die Frau B. vorgesetzte Bereichsgeschäftsführerin führte ihr Team relativ flach und partizipativ. Das Verhältnis der beiden war bisher gut, fast freundschaftlich, man redete auch über Privates. Bis zu dem Tag, an dem die Chefin begann, Frau B. schlechte Arbeit, fehlenden Einsatz und Illoyalität vorzuwerfen. Die Anlässe schienen banal – ein kleiner Verzug im Zeitplan, ein Scherz unter Kollegen. Frau B. begann, über ihre Arbeit akribisch Buch zu führen, und dachte: „Wie ungerecht, ich werde es ihr schon beweisen, dass das nicht stimmt.“ Die Chefin aber nahm die Aufzeichnungen zum Anlass, ihre Kritik zu verschärfen und mit einer Abmahnung zu drohen. Als sie zusätzlich Anspielungen auf der privaten Ebene machte („Ich verstehe ja, dass es dir schlecht geht, weil es schwierig ist, in deinem Alter noch einen Partner zu finden.“) und von „persönlicher Enttäuschung“ gegenüber der „früheren Unterstützerin“ sprach, suchte Frau B. einen Coach auf. Ihre Schilderung gipfelte in der von heftigem Weinen begleiteten Aussage, sie sei „absolut machtlos“. 

Coach und Klientin analysierten zunächst das Verhalten der Chefin und ihre Machtstrategien, die von Angriff über Mitleid und Verständnis bis zum Entzug von Zuwendung reichten. Zu jedem Verhalten entwickelten Coach und Klientin Gegenstrategien und analysierten die Machtressourcen und -instrumente Letzterer: ihre langjährige Führungsposition, die gute Beziehung zum Vorstand, ihre Unersetzbarkeit im Team und ihre guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Frau B. ging erleichtert und gefestigt, hatte aber Schwierigkeiten, die neuen Strategien umzusetzen. In der dritten Sitzung schilderte sie erregt das „schreckliche Verhalten“ ihrer Chefin, wie „abgrundtief schlecht“ sie dieses finde und dass sie nie so werden wolle wie sie. Der Coach spiegelte ihre Heftigkeit und Absolutheit des Urteils und schlug vor, an ihrem Machtbegriff weiterzuarbeiten. 

Die Klientin meinte, eigentlich nie Macht gehabt zu haben, und schilderte ihre Kindheit als Älteste von vier Geschwistern, für die sie die alltägliche Aufsicht übernommen hatte. Sie erläuterte ihre damaligen Strategien, die kleineren Geschwister möglichst „pflegeleicht“ zu halten, um selbst Freiräume zu bewahren, ihrer berufstätigen Mutter den Rücken freizuhalten und dafür die Anerkennung ihres Vaters zu bekommen. Dabei strahlte sie, sichtbar stolz auf ihre Leistung als Kind. Im Coaching wurde analysiert, welche fein austarierten Strategien sie damals angewandt hatte: gegenüber den Geschwistern, Eltern, Verwandten, Lehrern. „Sie konnten ja ausgezeichnet mit ihrer Macht umgehen“, fasste der Coach zusammen, was sie zunächst irritierte, bevor sie letztlich zustimmte.

Ihre damaligen Machtstrategien empfand Frau B. als positiv, da nötig, wirksam und zu ihr und der Situation passend. Schritt für Schritt übertrugen Coach und Klientin diese Strategien auf ihre Situation als Führungskraft und den Umgang mit ihrer Chefin. Als sie ihre eigenen Machtpotentiale und -strategien erkannt und als positiv bewertet hatte, konnte sie diese als Ressource für ihr heutiges eigenes Verhaltensrepertoire nutzen; sie entwickelte einen gelasseneren Umgang mit den Machtstrategien ihrer Chefin, beobachtete diese genau und nutzte sie als Beispiel. Ein Jahr später war die Chefin entlassen und sie ihre Nachfolgerin.

„Hatte ich wirklich keine Chance?“ – Herr F.

Herrn F. kannte der Coach als kompetenten Beraterkollegen. Er kam ins Coaching, weil er im Zuge des Neuaufbaus seiner Firma an „alte heiße Eisen“ kam: sein früheres Scheitern als Projektentwickler und Geschäftsführer in der Freizeitbranche. Er hatte einen großen Freizeitpark geleitet und war „ganz übel ausgetrickst worden“. Eigentlich sei er drüber hinweg. „Aber mich treibt wieder die Frage um: Hätte ich es verhindern können? Oder hatte ich wirklich keine Chance gegen meine Gegner?“ 

Er war bei diesem Vorzeigeprojekt zwischen die verschiedenen Interessen geraten: Der Bürgermeister, der für seine Wiederwahl punkten wollte, die Bürger, denen ein bezahlbares attraktives Angebot versprochen worden war, die Betreiberfirma, die sich verkalkuliert hatte, und sein Vorgänger, der Ex-Geschäftsführer, der nun im Ruhestand einen Beratervertrag mit der Firma hatte. Von allen war er zunächst positiv begrüßt worden. Der Bürgermeister lobte ihn in der Presse, die Kommunikation mit den Einwohnern lief positiv. In der Firma war man froh, ihn zu haben, und sein Vorgänger schien ihm wohlwollende Ratschläge zu geben. „Bis zu dem Tag, nach einem Jahr, an dem von heute auf morgen alles anders wurde“, beschrieb er den Umschwung, der für ihn „völlig unerklärlich den Schalter umlegte“ und alle gegen ihn aufbrachte. Dabei war angeblich nichts passiert. 

„Was meinen Sie denn, was die Beteiligten mit ihrem Verhalten bezweckten?“, fragte der Coach. Er hatte keine Ahnung. „Wir wollten doch alle dasselbe: rechtzeitig eröffnen und die Kosten im Griff behalten.“ Coach und Klient legten die Akteure – symbolisiert durch Knöpfe und Steine – auf den Sitzungstisch, definierten Beziehungen und nahmen eine Interessenanalyse vor. Herr F. tat sich schwer damit, betonte erneut, dass alle doch nur ein gutes Projekt wollten, und geriet über seine damalige Tätigkeit ins Schwärmen. „Sie hatten ja ganz schön viel Macht“, warf der Coach ein, was ihn abrupt stoppte; sein Gesicht erstarrte, er wandte sich ab, vom Coach, vom Tisch, von der gemeinsamen Coaching-Arbeit. Nach einigen Minuten beiderseitigen Schweigens spiegelte der Coach ihm: „Das war ja ganz schön heftig für Sie.“ Er bejahte, sichtlich erstaunt. Darüber müsse er erst einmal nachdenken. Die Gesprächspartner beendeten die Sitzung mit der Anregung, der Klient solle doch zehn Minuten intuitiv aufschreiben, was ihm zum Begriff Macht einfalle, per Hand, in einer entspannten Situation, außerhalb des Büros. Da er gern schrieb, nahm er die Anregung auf. 

In der nächsten Sitzung berichtete er von den heftigen Gefühlen, die das Schreiben bei ihm ausgelöst hatte, und den negativen Begriffen im Text. „Es war wie früher, wenn ich von Teufel, Fegefeuer und Hölle geträumt habe.“ Da sein Ziel des Coachings war, die damalige Situation zu beleuchten und nicht, an seiner Persönlichkeit zu arbeiten, vergewisserte der Coach sich des Kontrakts für die Sitzung und gab einen kurzen Input zu McClellands (2010) Modell der Grundmotive des Menschen. Dieses beschreibt das Miteinander von Leistungs-, Zugehörigkeits- und Machtmotiv, wobei alle Motive gleichwertig sind und zusammen die Gesamtheit der Motivgrundstruktur (100 Prozent) eines Menschen ergeben. Der Coach verfolgte den Ansatz, sich die Motivgrundstruktur des Klienten gemeinsam mit diesem klarzumachen und zu überlegen, was hieraus an nützlichem Verhalten folgt und was Barrieren sind. „Ich bin auf jeden Fall sehr zugehörigkeits- und leistungsorientiert“, sagte der Klient und ordnete den beiden Motiven jeweils 49 Prozent zu, weshalb für Macht ganze zwei Prozent übrig blieben. Es wurde besprochen, was hieran in der Position als Geschäftsführer hinderlich sein könnte – und was an einem starken Machtmotiv nützlich. Danach ordnete er den verschiedenen Stakeholdern eine Motivstruktur zu und arbeitete ihre Interessen mit Unterstützung des Coachs heraus: Der Bürgermeister wollte sich gegen seinen Gegenkandidaten behaupten, den Vorgänger des Klienten. Dieser wiederum wollte nicht schlechter dastehen als sein Nachfolger. Die Firma brauchte einen Sündenbock für die Überziehung des Bauetats, um dann, nach Rausschmiss des Klienten, einen Neuanfang hinlegen zu können – mit einem erhöhten Etat. 

„Das war nicht der richtige Job für mich“, schloss er die Analyse ab. Seine Entscheidung, selbständig ein Unternehmen aufzubauen, war für ihn richtig. Sein Persönlichkeitsthema in Bezug auf Macht wollte er erst einmal nicht angehen. Sieben Jahre später erzählte er dem Coach, er arbeite nun therapeutisch daran.

Macht und Menschen im Bereich Politik

Die Verteilung der drei Grundmotive ist sehr individuell und verschiebt sich im Verlauf des Lebens leicht. Es gibt Untersuchungen, dass sich bestimmte Motivstrukturen in bestimmten Branchen häufen – so angeblich in der Politik, in der viele Menschen mit einem starken Machtmotiv tätig seien. Dies ist zwar nicht gesichert, es scheint aber einleuchtend, dass sich hier Menschen finden, die besonders stark etwas bewegen wollen. Umso enttäuschender, so manche Erfahrung aus Coachings im Politikbereich, ist es dann für diese, wenn sie an die Grenzen ihrer Wirksamkeit stoßen. 

Auch hier greift das negative Image von Macht: „die Politiker“, die angeblich nur ihren Vorteil, ihre Macht sehen und diese mit „allen Mitteln knallhart“ durchsetzen wollen. Im wahren Leben weisen Klienten aus der Politik zwar diese Motivstruktur auf, aber häufig verbunden mit dem Willen, nicht für sich selbst, sondern um „der Sache willen“ etwas zu bewegen. Es geht um den Machttypus, in diesem Fall: gemeinschaftsdienliches Machtstreben oder social-power (McClelland, 2010). Ein Konflikt besteht neben der mangelnden Wirksamkeit häufig darin, dass das Bedürfnis nach Zugehörigkeit dem Machtbedürfnis untergeordnet oder primär mit der Zugehörigkeit zur eigenen politischen Untergruppe befriedigt wird.

„Zurück an Heim und Herd!“ – Frau C.

Frau C., eine erfolgreiche Politikerin im Bundestag, stand vor der Entscheidung, gegen Widerstände aus den eigenen Reihen erneut zu kandidieren oder zurück zu ihrer Familie in ihre süddeutsche Heimat zu gehen und in ihren Ursprungsberuf zurückzukehren. Sie hatte eine klare Bewertung der Situation: „Das ist ja das Typische: zurück an Heim und Herd!“ Sie konnte nicht tun, was sie eigentlich wollte, da sie dies als Rückschritt gegenüber ihren gesellschaftspolitischen Idealen und frauenpolitischen Erfolgen sah. „Wie soll ich denn weiterhin Frauen ermutigen, in die Politik zu gehen, wenn ich selbst zurückgehe und wieder Lehrerin werde!“ Dies war keine Frage, sondern der verzweifelte Ausdruck der als Niederlage empfundenen Karriereüberlegungen. Sie hatte sich viel mit Macht beschäftigt und stand zu ihrem Machtmotiv.

Erfolgreich war sie als Grundschullehrerin in einer Kleinstadt in die Partei eingetreten, hatte sich über die Orts-, Kreis- und Landesebene bis hin zum Bundestagsmandat hochgearbeitet und war eine angesehene Bildungspolitikerin. Mit 50 stand sie nun in Konkurrenz zu den jungen, aufstrebenden Kollegen, die mit effektiven Machtstrategien daran arbeiteten, ihren Platz einzunehmen. „Soll ich da klein beigeben?“ Ihr half es, ihre Machtoptionen herauszuarbeiten und eine mögliche effektive Gegenstrategie zu entwickeln: mit Bündnispartnern, Imagekampagne, verdeckten wie offenen Gegenangriffen – ein Potpourri von mehr oder weniger „noblen“ Machttaktiken und Instrumenten. Sie war lange genug in der Politik, um für sich eine Messlatte zu haben, was sie für „erlaubt“ hielt und was nicht in ihren Wertekanon passte. 

Als dieser beeindruckende Instrumentenkasten vor ihr lag, fasste sie zusammen: „Ja, ich kann es schaffen. Mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit.“ Coach und Klientin verabredeten, dass sie diese Erkenntnis sacken lassen solle, um dann möglicherweise an der weiteren Umsetzung zu arbeiten. Nach einer Woche teilte sie dem Coach mit, sie habe sich entschlossen, nicht zu kandidieren und zurückzugehen. Sie wolle aber noch einmal mit ihrem Coach drüber reden. In dieser Sitzung erarbeiteten beide eine Offensivstrategie, wie sie die Entscheidung begründen konnte, und an Optionen, ihr Machtmotiv in der Provinz, als Grundschullehrerin, Kommunalpolitikerin und Autorin, weiter zu befriedigen. „Jetzt ist mein Familien-Gen dran“, sagte sie. „Aber mal sehen, was ich mache, wenn ich in Rente gehe.“

Nicht in die Falle tappen

Auch Coaches haben eine Motivstruktur – und die ist mal förderlich, mal hinderlich in ihrer Tätigkeit. Hilfreich und notwendig ist es auf jeden Fall, diese zu kennen, sich mit dem eigenen Begriff von Macht auseinanderzusetzen, den eigenen Tabus und Fallstricken. Dazu gehören sensible Machtantennen, die gut geeicht sind, aber nicht überreagieren. Denn die Coaching-Situation ist quasi das Labor für das Verhalten „da draußen“. Was zwischen Coach und Klient abläuft, spiegelt deren Umgang mit Macht im Alltag. Coaches haben Macht und nutzen sie – ebenso wie Klienten, auch wenn sie mit dem Eigenlabel kommen, Macht nicht zu wollen und nicht einsetzen zu können.

„Ich will mehr Macht.“ – Frau Z.

Frau Z., eine Naturwissenschaftlerin, fühlte sich in ihrem großen Industrieunternehmen kaltgestellt und in der Beförderung übergangen. Frau Z. und ihr Coach analysierten in der ersten Sitzung das Machtumfeld der Klientin und ordneten die verschiedenen Machtbeziehungen und Strategien. Schnell benannte Frau Z. die Strategien der anderen – der Personalchefin, ihres Vorgesetzen, ihres Kollegen.

Der Coach gab ihr die Aufgabe, ihre eigenen Strategien aufzulisten und ihren jeweiligen Erfolg zu bewerten. Sie kam ohne eine solche Liste zur zweiten Sitzung und erklärte, ihre eigenen Strategien könne sie ja schon alle; der Coach solle ihr nun als Machtexperte weitere nennen. Ihre unfähigen Mitarbeiter werde sie nicht los und ihr Chef mache auch nicht, was sie wolle. Der Coach blieb dabei, doch zunächst einmal anzuschauen, was die Klientin bisher gemacht hat, bevor Verhaltensalternativen aufgezeigt werden sollten. Sie ließ sich widerwillig darauf ein und forderte den Coach immer wieder auf: „Sagen Sie doch mal, was Sie machen würden.“ Zum Ende der Sitzung lag ein stattliches Repertoire an Machtinstrumenten und Strategien auf dem Tisch, die sie selbst erprobt oder bei andern als erfolgreich erlebt hatte, und sie ging (scheinbar) zufrieden.

Kurz vor dem dritten Termin teilte sie per Mail mit, sie sei enttäuscht und habe noch nie einen so schlechten Coach erlebt. Der Coach versuchte, ihre Kriterien für eine Einordnung in „schlecht“ oder „gut“ zu erfragen und verwies auf ihre Erwartungen und Ziele, die die Klientin zu Anfang formuliert hatte. Hierauf ging diese nicht ein, sondern beharrte auf ihrem Urteil. Selbstkritisch überprüfte der Coach sein Vorgehen, konnte aber hierin keinen Grund für die vernichtende Bewertung sehen. Der Coach bot ihr die Auflösung des Vertrages und ein offenes Auswertungsgespräch an, zu dem sie zusagte. 

„Na, dann rechtfertigen Sie sich mal“, wurde der Coach von Frau Z. begrüßt. Er eröffnete das Gespräch mit der Bitte, Frau Z. möge doch ihre Erwartungen und Enttäuschungen noch einmal konkretisieren. Diese konterte: „Ich habe noch nie so etwas schlechtes erlebt.“ Im Coach tauchten sofort eigene biografische Bilder auf, verbunden mit einer heftigen innerlichen Körperreaktion. Vor dem inneren Auge des Coachs nahmen die Kollegen von Frau Z. plötzlich konkrete Gestalt an.

Diese Bilder stellte der Coach seiner – ehemaligen – Klientin supervisorisch zur Verfügung und fragte, ob sie ihr heutiges Verhalten als Machtstrategie kenne und ob es bisher erfolgreich gewesen sei. Sie wandte sich ab, redete, als hätte sie den Hinweis nicht gehört, und wiederholte stereotyp ihr Urteil, gleichsam erstarrt, körperlich wie sprachlich. Der Coach sah sich gezwungen, das Gespräch zu beenden, worauf sie wiederum mit verbalen Angriffen reagierte. Auch danach attackierte Sie den Coach weiter per Mail, der aber ging nicht auf ihren Machtkampf ein, bis Frau Z. aufgab. Diese Machtstrategie der Attacke und Herabwürdigung konnte der Coach später häufig in Coachings nutzen: als Beispiel für Führungskräfte, die genau diese Strategie von ihren Chefs kannten.

Fazit

Das Machtthema ist präsent – auch wenn Coaches es nicht offensiv ansprechen, auch wenn Führungskräfte „modern“ und „auf Augenhöhe“ führen, auch wenn man Macht nicht erwähnt. Und auch wenn Macht vornehmlich noch negativ gesehen wird, ist sich die Autorin einig mit Ian Robertson (2014), der fragt, ob Macht eine gefährliche Quelle des Bösen in der Welt sei, und sich selbst antwortet: „Natürlich ist sie das. Aber sie ist auch eine enorme Quelle des Guten – und dieses Gute nennen wir Führungsqualität.“

Literatur

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