In Zeiten der Pandemie und im Zuge der Digitalisierung ist die Hinwendung zu Online-Formaten im Coaching im vollen Gange. Höchste Zeit also, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Tools und Methoden im Online-Setting anwendbar sind und welche Anpassungsbedarfe dabei bestehen. Dieser Artikel gibt einen auf Erfahrungswerten basierenden Überblick über aus Sicht der Autorin gängige Möglichkeiten des Tool-Einsatzes im videobasierten Online-Coaching. Demnach sind neben Tools, die unter Rückgriff auf Visualisierungstechniken nutzbar gemacht werden, auch körperorientierte Verfahren im Online-Setting anwendbar. Bei der Übersetzung einiger Methoden ins Online-Setting sind sowohl Kreativität als auch ein gewisser Pragmatismus gefordert.
Unter dem Begriff Online-Coaching versammeln sich verschiedenste Formate. Auch das Coaching per Telefon, E-Mail, textbasiertem Chat etc. wird dem Begriff oftmals zugeordnet. Im Folgenden soll jedoch das Video-Coaching im Fokus stehen.
Möglichkeiten der Videoübertragung gibt es mittlerweile vielfältige: Skype, Zoom, Google-Hangouts und viele andere professionelle Plattformen bieten heute videobasierte Formate an. Auch existieren Plattformen, die spezifisch für das Coaching entwickelt wurden, so z.B. CAI World. Bei der Auswahl sollten sich Coaches auch Gedanken hinsichtlich der Datensicherheit machen.
Im videobasierten Online-Coaching können sich Klient und Coach sehen und hören, allerdings meist nur in einem „Brustbild“. Viele sehen hierin eine kommunikative Einschränkung (Kanalreduktion). Andere erleben die Möglichkeiten des aktiven und aufmerksamen Zuhörens aber als gegeben, dazu kommen Mimik und – zumindest in Teilen – auch Gestik und Körpersprache. Der Coach kann hier auf entsprechend Wahrgenommenes reagieren, es spiegeln und damit für den Prozess nutzen. Auch der Beziehungsaufbau und das Herstellen von Nähe werden, wie die Ergebnisse einer qualitativen Studie (Friesenhahn & Taylor, 2019) zeigen, nicht zwingend als schwieriger erlebt, sofern es nicht um emotional sehr aufgeladene Themen geht.
Das Setting sollte so gewählt sein, dass optimalerweise das Licht von vorne kommt. Dafür gibt es gute Ringleuchten für Stative. Auch eine gute Schreibtischleuchte, die über dem Tisch hängt und ein gutes Licht von oben gibt, ist geeignet. Schwierig ist es, wenn die Kamera im Gegenlicht steht. Eine Abdunklung nach hinten macht dann leicht den Eindruck eines dunklen „Lochs“, aus dem heraus der Coach spricht.
Wichtig ist hier auch das Umfeld, in dem die Übertragung geschieht. Welcher Hintergrund soll zu sehen sein? Wie viel Privates soll ins Bild kommen? Der Coach sollte das bei der Wahl seines Arbeitsplatzes berücksichtigen. Der Arbeitsplatz sollte gut vorbereitet sein und Flipchart, Whiteboard, Kartenmaterial, Papier und Post-its etc. umfassen.
Beim Coaching geht der Blick des Coachs oft auf den Ausschnitt des Bildschirms, auf dem aktuell der Klient zu sehen ist. Das ist aber nicht unbedingt der direkte Blick in das Gesicht des Gegenübers. Auch hier sollte der Coach prüfen, wie und wo seine Kamera positioniert ist, damit der Klient nicht den Eindruck hat, der Coach schaue an ihm vorbei. Nur, wenn der Coach beim Sprechen in die Kamera blickt und nicht auf den Bildschirm, hat der Klient den Eindruck, dass man ihm in die Augen schaut. Gleichzeitig darf der Coach den Klienten nicht „aus den Augen verlieren“, da er dessen Reaktionen dann nicht mehr wahrnehmen und nutzbar machen kann. Hierin besteht eine Hürde, die der Coach überwinden muss. Es kann sich lohnen, vorab mit dem Klienten darüber zu sprechen, um Irritationen im Prozess zu vermeiden.
Das Setting sollte der Coach vor dem Start des Coachings prüfen. Dazu gehört auch die geeignete Kleidung. Wie professionell und formell soll der optische Eindruck sein? Hier ist genauso viel Sorgfalt vonnöten wie bei einem Präsenz-Coaching. Für Bekleidung gilt: Es sollten eher ruhige Farben gewählt werden, die sich nicht negativ auf die Bildschirmübertragung auswirken oder den Klienten ablenken. Mit Mustern sollte eher zurückhaltend umgegangen werden, wenngleich die Erscheinung auch nicht langweilig ausfallen muss.
Es kann eine gute Vorbereitung der Sitzung sein, dem Klienten im Vorfeld (nach dem Vorabgespräch) einige Fragen in schriftlicher Form zukommen zu lassen, um zentrale Aspekte schon vorher zu fokussieren. Das kann in Form eines Fragetableaus geschehen, eines tabellarisch vorbereiteten Word-Dokuments, in das der Klient seine Antworten einträgt.
So kann der Klient einige Aspekte bereits vor der Sitzung reflektieren, der Coach kann in der Sitzung unmittelbar daran anknüpfen. Dieses Vorgehen ist im Coaching generell sinnvoll, wenn Coach und Klient schnell auf den Punkt kommen wollen. Im Online-Setting, das von manchen Klienten als kräftezehrender empfunden wird und daher mitunter durch kürzere Sessions gekennzeichnet ist, kann die Vorab-Reflexion besonders wertvoll sein und die Sitzungen effizienter gestalten.
Visualisierungstechniken können im videobasierten Online-Coaching problemlos eingesetzt werden. Der Coach kann sich hierbei digitaler Hilfsmittel bedienen. Sofern ein digitales Whiteboard zur Verfügung steht, kann dies sehr gut gemeinsam mit dem Klienten genutzt werden. Der Inhalt kann abgespeichert und zur späteren Weiterarbeit eingesetzt werden. Der Coach kann zudem eine oder mehrere Folien in PowerPoint vorbereiten. Im Zoom-Meeting können beide an den Folien arbeiten.
Wer ein physisches Whiteboard hat, das von der Kamera erfasst wird, kann dort entsprechend direkt für den Klienten notieren, visualisieren, Bilder skizzieren oder Post-its anheften. Als „Whiteboards“ können auch weiße Türen genutzt werden. Alternativ kann der Coach auch im Online-Coaching auf die Nutzung von Papier zurückgreifen. Er kann während der Sitzung Notizen anfertigen und diese so verschriftlichen, dass er das Blatt anschließend in die Kamera hält. Das geht natürlich auch mit einzelnen Karteikarten oder mit Post-its.
Auch der Klient kann etwas visualisieren, aufzeichnen, aufmalen und dann entweder in die Kamera halten oder das Ergebnis, sofern es in digitaler Form entstanden ist, per E-Mail an den Coach senden. Falls der Klient seinerseits ein Flipchart oder Whiteboard zur Verfügung hat, kann das genutzt werden.
Wie dies z.B. im Soziogramm der Fall ist, kann auch zweidimensional „aufgestellt“ werden. Klienten können Beziehungsmuster auf Papier skizzieren (oder am Whiteboard). Bei physischen Whiteboards ist dann auch eine Verschiebung (Neupositionierung) unproblematisch. Alternativ kann der Klient neu skizzieren oder mit Post-its hantieren. Weitere Tools, die der Visualisierung dienen und im videobasierten Coaching anwendbar sind, lauten:
Visualisierungsmöglichkeiten gibt es sehr viele. Formate, die hier wenig zeitaufwändig sind, können während der Sitzung angefertigt werden. Bei anderen ist es empfehlenswert, sie vom zuvor instruierten Klienten zur Vorbereitung der Sitzung anfertigen zu lassen und dann gemeinsam zu reflektieren.
Auch das Innere Team (siehe z.B. Luksch, 2015) kann problemlos im Rahmen der Online-Kommunikation visualisiert werden. Man zeichnet (Papier oder Whiteboard) eine stilisierte Körperfigur mit großem Oberkörper als Vorlage. Dorthinein werden kleinere stilisierte Figuren gezeichnet, die die inneren Anteile des Klienten symbolisieren.
Die Anwendung folgt dann der gewohnten Vorgehensweise, die folgendermaßen skizziert werden kann: Identifikation der Anteile, Anteile der Reihe nach sprechen lassen, Identifikation der Hauptkontrahenten, Gegenüberstellung der Hauptkontrahenten (neu visualisiert).
Der Klient kann zwei Stühle aufstellen und seine Kamera so positionieren, dass beide Stühle vom Coach gesehen werden. Der Coach gibt wie gewohnt Anleitung, doppelt und stellt Fragen. Dieses Vorgehen, das die Identifikation des Klienten mit seinem Gegenüber unterstützen soll, ist durchaus auf das Online-Setting übertragbar, sofern im Raum des Klienten ausreichend Platz für die Arbeit mit den Stühlen gegeben ist. Alternativ zum Einsatz der Stühle kann der Coach den Klienten sehr gut dazu anhalten, beide Gesprächspartner anhand von Symbolen darzustellen: Eingesetzt werden können sämtliche Figuren – beispielsweise aus dem Zimmer der Kinder des Klienten –, die dieser dann in den Händen hält und abwechselnd sprechen lässt. Der Klient kann auch schlicht die Handflächen/Hände nutzen. Die eine Hand ist der Klient, die andere sein Gegenüber. Der Coach begleitet dieses Gespräch, stellt Fragen, mediiert, doppelt etc.
Wie eingangs erwähnt wurde, können auch körperorientierte Verfahren Einzug in das Online-Coaching finden, wenngleich dies in einem virtuell durchgeführten Gespräch zunächst nicht naheliegend erscheinen mag. Zwar kann die Belastungs-Entlastungsübung nicht so durchgeführt werden wie gewohnt – Im Präsenz-Setting legt der Coach schwere Gegenstände auf die ausgestreckten Arme des Klienten, bis dessen Belastungsgrenze erreicht ist. Dennoch kann der Klient nach Anweisung des Coachs in leicht veränderter Form seine Belastung körperlich spürbar machen. Dazu soll er sich einige Bücher (größere, kleinere) bereitstellen, die dann für die jeweiligen Belastungsthemen stehen. Da er alleine vor der Kamera steht, soll er nun eine Hand ausstrecken, den Arm angewinkelt am Körper halten und sich nun nach Anleitung des Coachs Bücher auf die ausgestreckte Hand stapeln. Er wird hier schnell eine entsprechende körperliche Belastung spüren. Er soll solange aufladen bzw. den Stapel halten, wie es geht. Erst wenn die Belastung nicht weiter auszuhalten ist, sollte er die Bücher wieder herunternehmen. Die Bücher werden dann stellvertretend für das jeweilige Belastungsthema bearbeitet. Alternativ nimmt der Klient eine Einkaufstasche und befüllt diese mit Flaschen.
Balance-Übung: Der Klient legt sich z.B. Bauklötze oder andere Gegenstände in die Hand und versucht die Balance zu halten, so dass nichts runterfällt.
Auch die Bindungs- und Loslösungsübung, ein weiteres körperorientiertes Verfahren, kann digital umgesetzt werden. Im Präsenzfall bindet der Coach dem Klienten einen Schal an das Handgelenk und symbolisiert damit eine Bindung. Nun lässt den Klienten auf sein Ziel lossteuern und hält ihn zurück, so dass dieser spürt, wie sehr ihn diese Bindung einengt. Im Online-Coaching bindet sich der Klient den Schal selbst an das Handgelenk. Das andere Ende kann er dann z.B. an einem Stuhl oder einen (gefüllten) Getränkekasten befestigen. Dann kann er nach Anweisung des Coachs mit diesem Schal und dieser Bindung experimentieren. Wenn er nun z.B. versucht, sich mit dem Stuhl oder dem Getränkekasten zu bewegen, wird er merken, wie sehr ihn das behindert oder gegebenenfalls auch zurückhält. Alternativ könnte er den Schal auch an eine Türklinke binden, um dann festzustellen, dass er sich bei geschlossener Tür nicht weiter auf sein Ziel zu bewegen kann.
Anker zu setzen, ist im digitalen Setting unproblematisch möglich. Die Vorgehensweise ist wie gehabt. Ebenso ist eine Symbolbeladung möglich.
Die Arbeit mit Metaphern erfolgt auf sprachlicher Ebene. Damit ist sie im digital gestützten Coaching ebenfalls problemlos nutzbar und anhand der oben dargestellten Visualisierungsmöglichkeiten zu unterstützen. Die Metapher kann anhand eines Bildes visualisiert werden, das der Klient malt und entweder in die Kamera hält oder abfotografiert und dem Coach zumailt. Die imaginierte figürliche Metapher ist ebenso gut nutzbar. Dabei handelt es sich um eine in leichter Trance aufgerufene und vom Klienten frei gewählte Phantasiegestalt, die metaphorisch für ein Gefühl steht, von dem sich der Klient überrollt fühlt. Die Figur wird im Trancezustand mithilfe einer Körperbewegung „zurückgedrängt“, die später in eine kleine zu ankernde Geste umgestaltet wird. Die Trance erleichtert die Imagination. Abwehrhaltungen können auch vor der Kamera stehend oder sitzend ausgeführt werden. Die Übersetzung in eine entsprechend kleine Geste ist ebenfalls möglich.
Fantasiereisen und Trancen können unproblematisch und spontan genutzt werden. Eventuell kann es hier für den Klienten angenehmer sein, die Kamera auszuschalten.
Das Tetralemma ist ein Tool, das eine Entscheidung zwischen verschiedenen Optionen ermöglicht. Dabei wird der Klient von der rein rationalen Ebene weggeführt, um die „Körperfühlebene“ einbeziehen zu können (Fritzsche, 2012). Sofern ausreichend Platz gegeben ist, kann das Tetralemma – wie dies im Präsenz-Setting der Fall ist – als Bodenankerübung im Raum des Klienten erfolgen und vom Coach am Bildschirm begleitet werden. Gut wäre es, wenn der Klient seine Kamera dabei so positioniert, dass der Coach möglichst viel beobachten kann.
Coach und Klient können das Tetralemma alternativ auf dem Papier umsetzen. Dazu kann der Coach dem Klienten das Grundmodell (siehe Fritzsche, 2012) auf einem DIN A4-Blatt vorbereiten und den Klienten die jeweilige Position mit den Fingern antippen (alternativ: PowerPoint, Klient tippt auf Bildschirm), anstatt den Raum abgehen zu lassen.