Die Auswirkungen des digitalen Zeitalters haben längst auch die Coaching-Praxis erfasst. Diverse Formen und Anwendungsarten des Online-Coachings haben den Coaching-Markt erreicht und differenzieren sich zunehmend. Trotzdem spielen nach wie vor die Kommunikation und eine vertrauensvolle, gegenseitige Beziehung zwischen Coach und Klient – unabhängig vom Setting – eine zentrale Rolle für die Wirksamkeit von Coaching. Durch die hier vorgestellte Studie werden in diesem Kontext spezifische Herausforderungen der Kommunikation im digitalen Coaching beleuchtet.
Online-Coaching wird auch unter synonymen Begriffen wie E-Coaching, Tele-Coaching oder virtuelles Coaching als eine Form von Coaching verstanden, die sich vom Präsenz-Coaching hinsichtlich der Methodik und Durchführung unterscheidet. Sie wird entweder ausschließlich oder teilweise („Blended-Ansatz“) online durchgeführt (Geißler, 2008). Die Kommunikation kann synchron oder asynchron erfolgen. Hinsichtlich der Art des Mediums im Online-Coaching wird zwischen Video-, Telefon-, Chat- oder E-Mail-Coaching unterschieden (Ribbers & Waringa, 2015). Online-Coaching ermöglicht somit eine breitgefächerte Ergänzung zum Präsenz-Coaching, indem eine große räumliche sowie zeitliche Flexibilität bei der Organisation und Durchführung der Coaching-Sitzungen für (Online-)Coach und Klient ermöglicht wird.
Die bedeutendsten Vorteile des Online-Coachings sind offensichtlich: Erstens erspart die örtliche und zeitliche Flexibilität teure Anfahrtswege und Arbeitsausfälle bei Unternehmen sowie Klienten. Zweitens lässt die Verschriftlichung von E-Mail-Nachrichten eine Archivierung der Inhalte des Online-Coachings zu. Außerdem ermöglicht die asynchrone Natur der Online-Kommunikation einen höheren Grad an Autonomie für den Klienten, der damit den zeitlichen Verlauf des Kommunikationsprozesses selbst steuern und seinen Bedarf anpassen kann. Es gibt derzeit eine Fülle von Interventionsmöglichkeiten und eine Vielfalt an Online-Coaching-Methoden und -Plattformen. Der Aspekt der Anonymität erweist sich ebenso als Vorteil (Lippmann, 2013). Dadurch kann Online-Coaching introvertierten Klienten helfen, sich leichter für das Coaching zu öffnen.
Allerdings wird gerade die Anonymität im Online-Setting von Klienten in manchen Situationen auch als weniger positiv bewertet. Es fehlen in Settings ohne Video die nonverbalen Kommunikationskanäle, die vor allem für den emotionalen Ausdruck wichtig sind. Online-Coaching-Sitzungen können von Klienten somit als weniger persönlich erlebt werden, da die Gestik und Mimik des Gegenübers nicht richtig gedeutet werden. Der Aufbau einer Vertrauensbasis, besonders bei heiklen oder emotional intensiven Themen des Klienten, kann im Online-Setting erschwert werden. Die Datensicherheit und das Versenden von verschlüsselten Nachrichten im Coaching-Prozess stellen weitere Herausforderungen an Online-Coaching dar. Um diese Nachteile aufzuwiegen, benötigt man daher zusätzliche Kompetenzen.
Professionelles Online-Coaching muss vor allem heutigen Standards des Datenschutzes und der Datensicherheit genügen. Kompetente Coaches sollten sichere und benutzerfreundliche Coaching-Plattformen mit verschlüsselten Datenübertragungen verwenden (Ribbers & Waringa, 2015). Ein aktueller Wissensstand im Bereich Systemtechnik bei IT und bei Internetanwendungen ist notwendig. Ferner sind die Kenntnis sowie das Einhalten von Sicherheitsstandards virtueller Beratung für den Coach unabdingbar. Diese lassen sich beispielsweise durch integrierte Statistiktools mit Klientenverwaltung ermöglichen, wobei den Klienten die Wahl gegeben werden sollte, freiwillig Daten zu ihrer Person preiszugeben (Schweiger, 2010). Des Weiteren sollten die Klienten darüber informiert werden, was genau mit ihren Daten passiert und zu welchen Zwecken diese erhoben und ausgewertet werden. Hinsichtlich der Kommunikationskompetenz von Online-Coaches müssen diese die Nuancen der emotionalen Befindlichkeit des Klienten auch online wahrnehmen und zum Teil schriftlich ausdrücken können. Findet Coaching im Online-Setting statt, wird daher die Kompetenz des Coachs zur Synchronisation – also der Kommunikation auf einer Wellenlänge – speziell gefordert (Friesenhahn, 2017).
Nonverbal werden für die Synchronisation wichtige Informationen überwiegend unbewusst gesendet, z.B. räumliche Distanz, Blickverhalten, das den Gesprächsfluss moderiert, oder unterstützende Gesten. Was das konkret für die jeweiligen Faktoren von Synchronisation (ausführlich in Friesenhahn, 2019) bedeutet, wird im Folgenden skizziert:
Emotionale Stabilität, also das Gefühl von Vertrauen und einem sicheren Rahmen, wird in der direkten Interaktion stark körpersprachlich ausgedrückt. Es entstehen Momente, in denen nichts gesagt werden muss und dennoch spüren beide die gedankliche Verarbeitung und Reflexion von Coaching-Inhalten. In videobasierten Settings kann dies ebenfalls gelingen.
Auch dieser Faktor wird im direkten Miteinander maßgeblich von nonverbalen Mikroausdrücken sowie der Intuition des Coachs beeinflusst. Die Verwendung von Emojis soll die fehlende Körpersprache in Texten ergänzen. Hierbei ist der Interpretationsspielraum jedoch groß und der eigene Stil unterschiedlich. Im Sinne der Synchronisation gehört dieser Aspekt auch zum Faktor der passenden Interventionen, d.h., die Art der Nutzung von Emojis sollte sich dem Gebrauch des Klienten anpassen. Sobald der direkte Kanal fehlt, um empathisch in die Gefühlswelt des Klienten einzusteigen, wird die bewusste, schriftliche Kommunikation über Emotionen wichtiger. Der Klient sollte daher zur emotionalen Selbstreflexion angeregt werden, um eine Arbeit auf emotionaler Ebene zu ermöglichen. Da hier das direkte Feedback durch die Reaktion des Klienten auch für den Coach fehlt, macht es Sinn, mit solchen Aufgaben vorher bereits Erfahrungen im Präsenz-Coaching gemacht zu haben (Lippmann, 2013).
Mit Aufnahmebereitschaft ist prinzipiell die gegenseitige Offenheit für Themen und Inhalte im Coaching gemeint (Friesenhahn, 2017). Die Öffnung bezieht sich im digitalen Setting allerdings auch im weiteren Sinne auf die Bereitschaft für das Setting. Sind Vorlieben für Tools bekannt (oder Abneigungen), sollte das berücksichtigt werden. Auch technische Aspekte wie die Gewährung von Datenschutz und -sicherheit der Klienten bei der Speicherung und Verarbeitung ihrer Daten, beeinflussen die Aufnahmebereitschaft enorm.
Die Verarbeitungstiefe, also die Intensität, mit der ein Coaching-Thema bearbeitet wird, ist ein zentraler Aspekt für die Wirksamkeit eines Coachings. Der Klient darf nicht das Gefühl bekommen, vom Coach in eine Lösungsrichtung gedrängt zu werden, sondern sollte in seinem Tempo begleitet werden (Friesenhahn, 2017). Gerade textbasierte Selbstreflexionsaufgaben spiegeln den Stand der Verarbeitungstiefe deutlich wider und fördern gleichzeitig die weitere Selbstreflexion (z.B. durch Tagebücher). Außerdem sind auch die Zeiten zwischen den Coaching-Sitzungen wichtig für die Verarbeitungstiefe. Gerade durch digitale Tools können z.B. kurze Impulse zwischen den Sitzungen gegeben werden, damit der Klient an seinem Thema dranbleibt. Eine automatisierte Mail oder Erinnerung per App hält das Coaching-Thema im Bewusstsein des Klienten.
Im Online-Coaching mit Avataren oder per Chat kann der Klient anonym bleiben. Dies kann die Hemmschwelle für die Ansprache von persönlichen, vielleicht als peinlich eingeschätzten Themen mindern. Andererseits kann genau dieses Gefühl der Anonymität auch zu einer mangelnden Aufnahmebereitschaft führen, da man ja nur eine Rolle spielt.
Die Passung der Intervention meint die flexible und bedürfnisgerechte Nutzung von Tools, Methoden, Techniken und Sprache. Als Coach gilt es, ein Gespür dafür zu haben, welches Setting für den Klienten Sinn macht. Die professionelle Kreativität ist bei der Übersetzung von Coaching-Techniken aus dem Face-to-Face-Setting in die Online-Welt gefragt. Der technische Fortschritt macht inzwischen vieles möglich – von der Aufstellungsarbeit über Arbeit mit Bildern bis hin zum gemütlichen Beisammensein am Lagerfeuer. Doch nur weil es geht, muss es nicht getan werden. Interventionen sollten immer so gewählt werden, dass diese für den Klienten verstehbar und hilfreich sind. Wie bereits erwähnt, gewinnt schriftliche Kommunikation je nach Setting auch an Bedeutung und damit ebenso die Schreibkompetenzen seitens des Coachs (Ribbers & Waringa, 2015). Die technischen Kompetenzen von Coach und Klient kommen als Einflussvariable hinzu. Dabei kann eine nicht funktionierende Technik oder mangelnde Internetverbindung den Prozess erheblich stören. Gleichzeitig kann auch Stress entstehen, wenn keine Klarheit über den Modus der Zusammenarbeit besteht, sondern implizit Erwartungen nach ständiger und sofortiger Erreichbarkeit im Raum stehen.
Insgesamt wird deutlich, dass eine gelingende Synchronisation im Online-Coaching nicht gänzlich anders vonstattengeht, doch dass einige Aspekte besonderer Berücksichtigung bedürfen. Dafür benötigt man nicht nur emotionale Kompetenz, sondern vermehrt eine digitale, um auch online entsprechend sensibel und gewahr für den komplexen Prozess der Synchronisation zu sein. Inwiefern diese „digitale Fitness“ praktisch die Wirksamkeit von Online-Coaching berührt und welche weiteren Chancen und Grenzen die Praxis des Online-Coachings beeinflussen, explorierte die im Folgenden dargestellte Studie.
Die hier vorgestellte Studie hatte zum Ziel, unterschiedliche Merkmale, Anwendungsformen und Wirkungen des Phänomens Online-Coaching mit Bezug zur Digitalisierung näher zu untersuchen. Die Erfassung der empirischen Daten erfolgte zwischen März und Mai 2018. Es wurden insgesamt fünf Coaches in Form eines leitfadengestützten und teilstrukturierten Interviews entweder persönlich oder über eine Online-Coaching-Umgebung befragt. Die Coaches wurden ausschließlich über das Netzwerk XING akquiriert. Die ausgewählten Coaches nutzen unterschiedliche Umgebungen in ihrer Praxis (z.B. Skype, CAI-World, aber auch klassische E-Mail-Provider).
Für die Datenanalyse wurden digitalisierte Audioaufnahmen der Interviews mit einer anschließenden schriftlichen Transkription verwendet. Da das Forschungsinteresse sensible und vertrauliche Themen beinhaltet, die einer detaillierten Exploration bedürfen, bevor sie an großen Fallzahlen validiert werden können, wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Durch die Typenbildung der qualitativen Sozialforschung (Lamnek & Krel, 2016) kommen die Untersuchungsteilnehmer selbst zu Wort. Dies garantiert zwar keine statistische Repräsentativität, doch eine intensive Betrachtung der untersuchten Fälle.
Das Untersuchungsdesign nutzte das Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015), durch das einzelne Untersuchungseinheiten hinsichtlich relevanter Unterschiede oder Übereinstimmungen verglichen wurden. Hierbei wurden die fünf Einzelfälle analysiert, rekonstruiert und miteinander vergleichend in Beziehung gesetzt. Zusammenfassend können folgende Erkenntnisse herausgefiltert werden.
Man könnte vermuten, dass durch die räumliche und zeitliche Trennung von Coach und Klient Online-Coaching weniger effektiv verläuft als das Präsenz-Coaching. Ebenso soll Anonymität sowie das Fehlen von nonverbalen Kommunikationselementen den Aufbau von Nähe und Vertrauen erschweren (Lippmann, 2013). Beide Annahmen konnten jedoch in den untersuchten Fällen nicht bestätigt werden. Der Aufbau einer von Vertrauen geprägten Beziehung sowie die Herstellung von Nähe wurden online nicht als schwierig von den befragten Coaches wahrgenommen, es sei denn, es handelte sich um hoch emotionale Themen, bei denen der Klient den persönlichen Kontakt bevorzugte. Ein Coach berichtete davon, dass insbesondere der Aspekt der Visualisierung über Video-Chat zum Vertrauensaufbau beim Klienten beigetragen habe. Auf der anderen Seite hatte Distanz, gerade in der schriftlichen Kommunikation, den Effekt, den Klienten stärker zu öffnen, da dieser sich im anonymen Raum geschützter fühlen konnte. Dies spricht für die Möglichkeit, Verarbeitungstiefe und Aufnahmebereitschaft – wie oben skizziert – gezielt zu fördern.
Eine weitere Vorannahme der Studie konzentrierte sich auf den Aspekt, dass Online-Coaching als wenig persönlich erlebt wird und dass Vertrauen sowie wirksame Beziehungen sich schwieriger online realisieren lassen. Dies konnte allerdings ebenfalls durch die Studienergebnisse nicht bestätigt werden. Um eine sinnvolle Online-Beziehung zu gestalten, waren die befragten Coaches sich einig, dass Empathie, Offenheit, Ehrlichkeit, ein aktives Nachfragen und Zuhören, gegenseitige Wertschätzung, Vertrauen zum Coach und die Freiwilligkeit des Klienten zur Teilnahme am Coaching als erfolgsversprechende Kriterien anzusehen sind. Diese unterscheiden sich insofern nicht von den Faktoren der emotionalen Stabilität. Es wurde auch berichtet, dass der Einsatz der Stimme beim Coach wichtig ist, um Defizite bei der nonverbalen Kommunikation auszugleichen, was vor allem für das empathische Gespür von Bedeutung ist.
Die Kompetenzen von Online-Coaches und Coaches im Präsenz-Setting unterscheiden sich auf den ersten Blick kaum. Als fachliche Kompetenzen werden eine fundierte Fachausbildung, eine methodische Vielfalt, Prozesskompetenz sowie Kundenorientierung benannt. Allerdings verfügen die hier untersuchten Coaches über unterschiedliche Qualifikationen im Online-Coaching. Diese sollten Kompetenzen vermitteln wie: professioneller Schreibstil, sehr gutes schriftliches Ausdrucksvermögen sowie die oben erläuterten digitalen Kompetenzen inklusive des Umgangs mit der Technik. Auf der sozialen Ebene zählen für die Befragten Werte wie Empathie und Einfühlungsvermögen, Offenheit, Ehrlichkeit und Wertschätzung gegenüber dem Klienten – und damit ebenso Aspekte der Synchronisation.
Der positive Effekt der Visualisierung in Bezug auf die Inhalte und Methoden, die beim Online-Coaching eingesetzt werden, wurde immer wieder von allen befragten Coaches aufgegriffen. Beim Coaching ohne visuelle Darstellungsmöglichkeit wurde die Schriftform der mündlichen Form vorgezogen. Durch den Einsatz von inzwischen technisch und qualitativ hochentwickelten Coaching-Plattformen sind Online-Coaches imstande, den Klienten hochwertige Lern- und Erfahrungsräume zu bieten, um nachhaltige Coaching-Ergebnisse zu erzielen.
Insgesamt wird deutlich, dass die Vielfalt an möglichen Online-Coaching-Szenarien noch keine einheitliche Idee und Konzeption von Online-Coaching möglich macht. Zukünftige Forschungen sollten die hier skizzierten Hinweise an größeren Fallstudien untersuchen. Außerdem wäre es sinnvoll, international vergleichende Studien durchzuführen, um Angebote, Prozesse, Techniken und Aspekte der Benutzerfreundlichkeit im Online-Coaching systematisch zu untersuchen. Ebenso fehlt bisher eine Übersicht des Weiterbildungsmarkts und der Zertifizierungsmöglichkeiten für das Online-Setting. Entsprechend sind Chancen und Gefahren jeweils fallspezifisch zu bewerten. Doch mit der entsprechenden Sensibilität für das veränderte Setting können die meisten Interventionen aus dem Präsenz-Coaching zwischenzeitlich auch online umgesetzt werden. Die Nutzung ist dabei auch eine Frage der Zielgruppe und technischen Verfügbarkeit. Aufgrund der dargestellten Vorteile und empirischen Ergebnisse ist letztendlich auch an die Motivation der Coaches zu appellieren, die eigene Coaching-Methodik digital weiterzudenken. Digitalisierung ist ein Trend, der weiterhin großen Einfluss auf die Coaching-Praxis haben wird. Daher kann das Potenzial durch eine entsprechende Sensibilität für die Synchronisation und die Weiterentwicklung der persönlichen digitalen Fitness genutzt werden.