Dieses Tool ist die Gesprächsvariante des Tetralemmas (ein Format der Systemischen Struktur-Aufstellungsarbeit) nach Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer. Es dient der Entscheidungsfindung in einem Prozess, bei dem der Klient sich zwischen zwei Möglichkeiten hin- und hergerissen fühlt. Die Folge ist dann oft eine Nicht-Entscheidung oder ein Vor-sich-Herschieben.
Das Coaching-Tool „Raus aus dem Dilemma“ dient der Öffnung von Möglichkeitsräumen, weg von „entweder – oder“, hin zu „sowohl als auch“ oder „keins von Beidem“.
Klassischer Anwendungsbereich ist ein festgefahrener Entscheidungsprozess zwischen zwei Optionen. Als Erweiterung sind dann eben auch mehr als zwei Optionen denkbar.
Anwendung findet die Gesprächsvariante dann, wenn dem Klienten Aufstellungsarbeit suspekt erscheint und/oder die Arbeit mit klassischen Bodenankern respektive Repräsentationen von Positionen im Raum für ihn nicht plausibel erscheint. Ein weiterer Grund für die Anwendung der Gesprächsvariante versus des klassischen Aufstellungsformates kann eine hohe emotionale Belastung sein. Die Arbeit mit Bodenankern erfordert das „Hineinspüren“ in die jeweiligen Situationen.
Da Entscheidungen nachweislich meist intuitiv getroffen werden und erst im Nachhinein der Intellekt eine Erklärung für die getroffene intuitive Entscheidung „bastelt“, bekommt ein Klient mit schlechtem Zugang zu seinen Emotionen hier die Gelegenheit, die emotionalen Auswirkungen seiner Entscheidung vorwegzunehmen und zu prüfen, wie es ihm oder ihr dann mit dieser Entscheidung gehen wird. Jedoch birgt das eben auch die Gefahr bei einer emotional sehr stark besetzten Entscheidungsfindung dem Klienten gerade dadurch die Entscheidung zu erschweren.
Dagegen ist die Gesprächsvariante hier oft eine Möglichkeit, die Emotionen auf einem arbeitsfähigen Niveau zu halten. Denn im reinen Gespräch gelingt es den Klienten erfahrungsgemäß leichter, eine höhere emotionale Distanz zu wahren. Anders herum ist dann eben bei einem emotional sehr distanzierten Klienten die Gesprächsvariante nicht das Mittel der Wahl. Abseits davon haben beide Varianten rein inhaltlich den gleichen Effekt: wir vergrößern durch die Aspekte „Beides“ und „Keines von Beiden“ den Möglichkeitenraum.
Natürlich dient diese Intervention in erster Linie der Entscheidungsfindung. Es konnte die Erfahrung gemacht werden, dass Klarheit geschaffen wird durch die vertiefte Beschäftigung mit den hinter den beiden Entscheidungsoptionen liegenden Werten, Bedürfnissen und Wirklichkeitskonstruktionen. Dies führt gelegentlich auch zu der Erkenntnis, dass das Treffen einer Entscheidung im anfänglichen Sinne nicht mehr notwendig oder sogar unsinnig wäre. Ein Beispiel hierzu: Eine Klientin kann sich nicht entscheiden zwischen: „Ziehe ich nach Hamburg und nehme dort ein aktuelles lukratives Jobangebot an“ oder „in München bleiben und beim momentanen Arbeitgeber den nächsten Karriereschritt angehen“.
Auf der Stelle „keins von Beiden“ fiel der Groschen: Sie möchte ihren Lebenspartner heiraten und eine Familie gründen. Bevor dies nicht mit dem Lebenspartner abgeklärt ist, macht die oben genannte Entscheidung keinen Sinn. Und selbst dann stand die Frage im Raum: „Macht der nächste Karriereschritt überhaupt Sinn oder wäre eine Stabsstelle im Unternehmen nicht sinnvoller, um zusätzliche Expertise zu sammeln, um dann nach der Elternpause mehr (Karriere-)Möglichkeiten zu haben“?
Der Coach erklärt dem Klienten, dass es sich bei den nun folgenden Fragen um ein gedankliches Experiment rund um die Entscheidungsfindung des Klienten handelt. Dabei gibt es folgende gedankliche Optionen:
Klienten, die ins Coaching kommen und dafür Geld und Zeit ausgeben, haben sich in der Regel schon intensiv mit ihrem Entscheidungsthema auseinandergesetzt. Sie sind festgefahren in ihrem Entscheidungsprozess und können sich daher oft nicht vorstellen, dass es noch etwas anderes geben könnte als genau diese beiden Entscheidungsoptionen. Allerdings: Hätten die Klienten mit dem Nachdenken nur über diese beiden Optionen bereits eine Lösung gefunden, wären sie ja nicht gekommen …
Manchmal ist es auf den ersten, zweiten und auch noch den dritten Blick für den Klienten nicht erkenntlich, dass es vielleicht doch eine andere Möglichkeit der Entscheidung oder eine Verbindung zwischen den Wünschen des Klienten, die mit den Entscheidungsmöglichkeiten verbunden sind, geben könnte. Hier gilt es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken, eben eine Form von „Beides“. Matthias Varga von Kibéd beschreibt 13 Untertypen von „Beides“ (Varga von Kibéd & Sparrer, 2011). Allein das sollte verdeutlichen, dass hier sicher mehr als nur ein Kompromiss denkbar ist.
Nachfolgend die Formen von „Beides“ welche erfahrungsgemäß von Klienten am häufigsten beschrieben werden.
Ebenso unwirklich erscheint es oftmals dem Klienten, dass es bei seinen Entscheidungsschwierigkeiten auch um etwas ganz anderes gehen könnte – hier nimmt der Klient eine Art Metaposition ein (die Position eines Beobachters, der das Dilemma von außen betrachtet und es in einen anderen Kontext stellen kann). In unserem Fall wäre dies die Position „Keins von Beiden“. Dieser Fall wurde bereits zuvor beschrieben. Im Nachfolgenden werden die einzelnen Schritte dieses Coaching-Tools vorgestellt.
Der Coach lädt den Klienten dazu ein, sich gedanklich in die erste Option („das Eine“) zu versetzen. Zur Erinnerung: „Das Eine“ ist die ältere, bereits bekannte Position. Die Frage lautet hier: „Angenommen, Sie hätten sich für diese Option schon entschieden ...?“. In unserem Beispielfall wäre die Frage dann konkret: „Angenommen, Sie hätten sich entschieden, in München zu bleiben?“.
Dabei unterstützt der Coach den Klienten mit Fragen nach den Psychologischen Ebenen von Robert Dilts (2005):
Der Coach lädt den Klienten dazu ein, sich gedanklich in die zweite Option („Andere“) zu versetzen. Zur Erinnerung: „Das Andere“ ist die neue, noch nicht (gut) bekannte Option. Die Frage lautet hier: „Angenommen, Sie hätten sich für diese Option schon entschieden ...?“. In unserem Beispielfall wäre die Frage dann konkret: „Angenommen, Sie hätten sich entschieden, das Angebot in Hamburg anzunehmen und Sie hätten die Stelle bereits angetreten?“.
Auch hier unterstützt der Coach den Klienten wieder mit Fragen nach den Psychologischen Ebenen:
Der dritte Schritt dient der gedanklichen Erweiterung, der Mehrung der Wahlmöglichkeiten und zwar, indem „Beides“ in Aussicht gestellt wird. Der Coach unterstützt hier den Klienten z.B. mit den folgenden Fragen: „Angenommen es gäbe eine Möglichkeit ‚Das Eine‘ und ‚Das Andere‘ miteinander zu verbinden?“. Konkret in unserem Beispielfall: „Angenommen, es gäbe die Möglichkeit, die Stelle in Hamburg mit dem Bleiben in München zu verbinden? Oder vielleicht gibt es sogar noch eine weitere Möglichkeit das, was Ihnen in München wichtig ist, mit dem, was Sie in Hamburg reizt, zu verbinden?“. Folgefragen beziehungsweise Entscheidungshilfen sind hier unter anderem:
Dieser Schritt führt den Klienten in eine Art Metaposition, eine Außenperspektive. Damit erweitern sich die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Klienten ein weiteres Mal. Diesen Schritt kann der Coach mit den folgenden Fra gen begleiten: „Angenommen es wäre ‚Keins von Beiden‘. Sie schauen von außen auf diese beiden Optionen und erinnern sich:“
Analog dazu werden anschließend die Positionen „Das Andere (Hamburg)“ und „Beides (das, was Ihnen an den beiden Positionen wichtig und attraktiv erschien)“ abgefragt:
In Bezug auf die geschilderte Ausgangssituation ist es dem Klienten entweder möglich, sofort eine Entscheidung zu treffen, oder er verwirft beide Optionen, um eine bessere Möglichkeit für sich zu finden.
Wie anfangs schon beschrieben, entschied sich die Klientin dafür, eine Weile ihre privaten Belange in den Vordergrund zu stellen und für einen Karriereschritt zu einem späteren Zeitpunkt die Weichen erst einmal in München zu stellen.
In der Verwirrung, die neue Möglichkeiten sichtbar werden lässt, manifestiert sich für Heinz von Foerster das ethische Grundprinzip Immanuel Kants (= ethischer Imperativ): „Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst“ (von Foerster, 1993; 49). Die dahinterstehende Konstruktion der Wirklichkeit ist, dass über die Anzahl der Möglichkeiten auch der Freiheitsgrad wächst. Entscheiden kann der Mensch nur, wenn er tatsächliche Wahlmöglichkeiten hat.
Zusätzlich trifft Heinz von Foerster eine Unterscheidung in „entscheidbare“ und prinzipiell „untentscheidbare“ Fragen und legt ihnen folgende Aussage (Theorem 1) zugrunde: „Wir können nur jene Fragen entscheiden, die prinzipiell unentscheidbar sind“ (von Foerster, 1989; 30). Alle entscheidbaren Fragen sind bereits entschieden worden, weil für sie ein theoretischer Rahmen bestimmt wurde, innerhalb dessen diese Fragen gestellt und in dem die Regeln festgelegt wurden, nach denen jede Aussage innerhalb des Rahmens (so etwa die „Entscheidung“) mit jeder anderen Aussage (so etwa der „Antwort“) verknüpft werden kann.
Er gibt dazu zwei Beispiele für unentscheidbare Fragen: Befinde ich mich außerhalb des Universums oder bin ich Teil des Universums? Ist die Welt die primäre Ursache (d.h. die Erfahrung wird von der Welt bewirkt) oder ist meine Erfahrung die primäre Ursache (d.h. die Welt ist Ergebnis meiner Erfahrung)?
Demnach beschäftigt sich der Klient, wenn er sich mit einer Entscheidung schwertut, also mit einer unentscheidbaren Frage. Denn sonst wäre diese ja schon entschieden.
Hilfreich sind vertiefte Kenntnisse der Systemischen Strukturaufstellungen, der Arbeit mit Inneren Teilen, Verständnis von unterschiedlichen Wirklichkeitskonstrukten und den Psychologischen Ebenen nach Robert Dilts. Um dem Klienten den Zugang zu den einzelnen Positionen zu erleichtern und sich in diese hineinzuversetzen, hat sich auch die Fähigkeit einer Tranceindukation bewährt.
Der Coach muss in der Lage sein, die einzelnen Positionen für den Klienten zu erklären. Ebenfalls muss der Coach erkennen können, ob der Klient die einzelnen Positionen innerlich sauber voneinander trennen kann und die Fragen jeweils aus den entsprechenden Positionen heraus beantworten kann.
Im „Original“-Tetralemma von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer existiert noch eine fünfte Position. Diese macht das Tetralemma zu einem negierten Tetralemma und sie bedeutet entsprechend, dass keine der vorigen Positionen (Positionen 1–4) eingenommen wird und selbst eine mögliche andere Position (z.B. die fünfte Position) abgelehnt wird (Varga von Kibéd & Sparrer, 2011). Die fünfte Position stellt das Prinzip des Kontextwechsels, der Musterunterbrechung überhaupt dar.
Auch zu den anderen Positionen wäre noch einiges zu sagen und zu ergänzen. Bei Interesse hierzu sei auf die Aufzählung der in diesem Coaching-Tool verwendeten Quellen hingewiesen, die zugleich als Literaturempfehlung zu verstehen sind.
Man sollte in etwa von einer Dauer von ca. 60 Minuten ausgehen. Material und Vorbereitung sind nicht notwendig.