Nicht nur Klienten, sondern auch Coaches in ihrer Rolle als Prozessbegleiter, werden ständig mit Tatsachen, Diagnosen und Entscheidungen konfrontiert, die sich nicht ändern lassen und zu akzeptieren sind – so wie sie sind. Was braucht man, um robust und gestärkt mit Tatsachen bzw. unabänderlichen Situationen zurechtzukommen? Es sind drei offene Fragen, die wesentlichen W-Fragen, die im Coaching im akuten Moment gestellt werden können, um eine deutliche Erleichterung im Umgang mit Fakten und Gegebenheiten herbeizuführen. Sie eröffnen Möglichkeiten, trotz allem positiv und offen zu bleiben
Dieses Coaching-Tool kann sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext eingesetzt werden und eignet sich auch hervorragend zum Selbst-Coaching. Die Fragen kommen dann zur Anwendung, wenn dem Tatsachenmoment bzw. dem Erkennen des Unabänderlichen der erste Schock, die Angst, Trauer, Empörung und/oder Wut vorausgegangen sind. Das Tool erzielt die wirksamste Unterstützung für den Klienten, wenn er beginnt, sich Fragen zu stellen wie:
Dies ist in jenem Moment besonders sinnvoll, wenn Mut- und Ratlosigkeit einsetzen würden. Gleichzeitig hilft dieses Instrument dem Coach, sich damit abzugrenzen und ein objektives Coaching zu führen.
An den drei Fragen können sich sowohl Coach als auch Klient festhalten. Sie können jeden Tag auf ein Neues gestellt und beantwortet werden. Die Fragen passen sich dem Entwicklungs- bzw. Akzeptanzprozess an. Das Tool wird einmal mit dem Coach durchgeführt und angewandt. In weiterer Folge kann es dem Klienten als Selbst-Coaching-Tool in Postkartengröße zur Verfügung gestellt werden.
Dieses Tool kann einen Anhaltspunkt geben oder eine erste Orientierung. Es soll als Impuls gelten und eine Ahnung von etwas Ungeahntem ermöglichen. Es ist akut einsetzbar und kann in späterer Folge vom Klienten auch nur gedanklich abgerufen werden, um dem „auf der Stelle treten“ entgegenzuwirken.
Was für ein großer und weitläufiger Begriff Resilienz ist, weiß, wer sich näher mit dem Thema befasst. Resilienz wird als jene Kraft verstanden, die Menschen in unterschiedlicher Ausprägung gegeben ist, um mit Lebenskrisen, Schicksalsschlägen, Diagnosen, Unfällen, Leiden etc. umzugehen. Dazu zählen auch Pannen, Ärgernisse und Tiefschläge.
Diese großen und kleinen Herausforderungen des Lebens werden von den Betroffenen subjektiv wahrgenommen und können in ihrer Größe und Auswirkung nicht gewertet werden. Dabei sehen sich resiliente Menschen tendenziell nicht als Opfer, sondern sind eher geneigt, ihr Leben in die Hand zu nehmen und Rückschläge als Entwicklungsmöglichkeiten zu verstehen. Hier rückt die Ausprägung der Widerstandsfähigkeit ins Licht, die Menschen trotz widriger Umstände entwickeln, um nicht aufzugeben. Wie stark dieser Wille des Weitermachens ausgeprägt ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Es gibt auch kein Rezept dafür, resilient zu reagieren.
Im Zusammenhang mit Resilienz spricht man gerade im beruflichen Kontext auch von der Fähigkeit, „lustvoll zu scheitern“. Zwei Gegensätze, die – einmal bewusst gemacht – durchaus helfen können, die unabänderliche Situation leichter, um nicht zu sagen mit Humor zu nehmen. Wobei privates Unglück sehr wohl ins Berufliche hineinspielt.
Das Thema Resilienz beschränkt sich in diesem Beitrag auf die Möglichkeiten innerhalb des Coaching-Rahmens. Sucht der Klient einen Coach auf, beweist er schon, dass er die Fähigkeit besitzt, achtsam mit sich umzugehen und zu erkennen, dass er Unterstützung braucht. Dort, wo beim Klienten akut eine Blockade durch ein äußeres Einwirken, ein Nicht-mehr-Weiterkommen (selbst wenn er wollte), ein Auf-der-Stelle-treten entstanden ist, handelt es sich um einen Paradefall, in dem Coaching mit dem vorliegenden Tool Sinn macht.
Eine von mehreren langgedienten Führungskräften in einem mittelgroßen Unternehmen ist maßlos enttäuscht und empört darüber, dass nicht ihr, sondern einem Kollegen die Prokura (Vertretungsvollmacht) erteilt wurde. Sie hat ein enormes Fachwissen, arbeitet sehr genau und wird deshalb auch sehr geschätzt. Sie hatte mit der erweiterten Verantwortung gerechnet, obwohl dies nie mit ihr besprochen und in Aussicht gestellt wurde. Nun steht sie vor einem Fait accompli und weiß nicht, wie sie damit umgehen soll und wie sie überhaupt unter diesen neuen Gegebenheiten weiterarbeiten kann.
Diese Tatsache bzw. Entscheidung von oben lässt sich nicht ändern. Die Führungskraft tut sich schwer, in ihrer gewohnten Weise weiterzumachen, weil es für sie bedeutet, dass sie am Ende der Karriereleiter angelangt ist. Sie empfindet es als ihr persönliches Versagen und Scheitern, dass sie nicht einmal bei der Vergabe in Betracht gezogen wurde. Ihr berufliches Selbstbewusstsein ist gebrochen, sie glaubt nicht mehr an ihre Fähigkeiten. Sie ist gehemmt und beginnt, sich von ihrem beruflichen und privaten Umfeld abzuwenden und sich zu verschließen. Nun kommen die drei Fragen als Tool zur Tatsachenresilienz zum Einsatz: WER? WAS? WIE?
Der Coach fragt: „Wer, welche Person, kann Sie jetzt am besten unterstützen? Welche Bezugsperson gibt es in Ihrer Umgebung, die Ihre Situation begreift und mit Ihnen durchsteht?“
Diese Frage an den Anfang zu stellen, ist sehr wichtig. Der Klient soll verstehen und der Coach muss ihm erklären, dass er in Verbindung bleiben muss, um sich vor einer äußeren Abkapselung zu bewahren. Sich jetzt zu verschließen, würde bedeuten, dass der Klient wichtige Personen ausschließt und riskieren könnte, dass der Kontakt mit ihnen abreißt. Der Coach macht dem Klienten bewusst, dass wenn er einen Bezug zu Personen wahrt, also Bindung aufrecht erhält und aufbaut, ihm Schutz geboten wird und er Schutz erfährt.
Der Coach unterstützt den Klienten solange bei der Suche und Auswahl, bis er eindeutig eine Person auserkoren hat, die ihm in seiner derzeitigen Verfassung am besten helfen kann. Der Coach muss nachfragen und überprüfen, ob der Klient auch willens ist, diese auserwählte Bezugsperson, aktiv um Hilfe zu bitten. Auch hier kann der Coach unterstützen und gemeinsam mit dem Klienten die richtigen Worte für die Anfrage zur Hilfestellung finden und ausformulieren.
Diese vom Klienten erwählte Person muss nicht zwingend aus dem Familien- oder Kollegenkreis kommen. Es können sich auch mehrere Personen herauskristallisieren, die jetzt dem Klienten helfen, seine Situation anzunehmen – das kann natürlich auch ein Coach, Therapeut oder Arzt sein. So ist es für den Klienten von Bedeutung, vom Coach die Erklärung zu erhalten, dass es täglich andere Personen sein können, die ihn, je nach seiner Tagesverfassung, unterstützen. Also kann die Antwort auf das Wer auch nur eine zeitlich beschränkte Gültigkeit besitzen, weil die Frage täglich neu beantwortet werden kann bzw. muss. Fragen wie
können den Klienten im Selbst-Coaching dabei unterstützen, die Tage in der Krise besser zu ertragen. Im Falle der Führungskraft war es im ersten Schritt der Coach und im nächsten das Team bei der Arbeit. Es ist die erste „Hausübung“, die der Klient aus dem Coaching mitnimmt und in Zukunft auch selber „erledigen“ bzw. anwenden soll.
Nun kommt es zur nächsten, zur zweiten Frage, die der Coach dem Klienten stellt: „Was können Sie tun, welche aktive Handlung, Aktion können Sie setzen, damit Sie mit der gegebenen Situation besser umgehen können?“
Hier geht es um ein bewusst zu installierendes Ritual, eine Art „daily routine“, die von außen sichtbar ist. Es geht darum, ein Zeichen zu setzen, das von Außenstehenden wahrgenommen werden kann und das dadurch wiederum Verbindung schafft. Coach und Klient begeben sich gemeinsam auf die Suche nach dem etWAS.
Das beginnt z.B. damit, dass der Klient andere aus seinem Umfeld über die neuen Fakten informieren wird und damit im Gespräch mit anderen bleibt. Ganz im Sinne der Zielsetzung der vorangegangenen Frage, nämlich in Verbindung zu bleiben.
Gemeinsam überlegen sich Coach und Klient Rituale, die in Form von alltäglichen Handlungen integriert und installiert werden könnten, wie z.B.: für sich Blumen kaufen, ein zusätzliches Sporttraining einlegen, einen Stehkaffee einnehmen und Zeitunglesen, sich in der Natur aufhalten etc. Es geht darum, dass sich der Klient belohnt, indem er sich etwas Gutes tut, sich selbst etwas gönnt und sich dabei mit seiner ganzen Gefühlswelt annimmt. Wenn er sich dann noch an diesen Ritualen erfreuen kann und sogar merkt, dass Entspannung einkehrt, so ist der erste Zugang zur Akzeptanz gelegt. Er beginnt, das Geschehene und Unabänderliche anzunehmen.
Auch die Antwort auf die Was-Frage hat ein Ablaufdatum. Sie kann praktisch täglich neue Aktionen hervorbringen. Der Klient soll die Antworten im Versuch leben, d.h. in der Selbstbeobachtung. Er soll sich sogar täglich die Frage neu stellen: „Was brauche ich heute?“ Es können auch täglich neue Elemente hinzukommen, die in den Alltag, insbesondere in den beruflichen, einfließen.
Am Beispiel der Führungskraft wurde ein alternativer Weg zur Arbeit ausprobiert, friendly Feedback praktiziert, Beobachtungen im Detail installiert („Heute zähle ich jedes ‚Danke‘, das ich erhalte.“). Dies sind lauter Handlungen, die der Selbstreflexion dienten, dem Klienten gut taten und den Glauben an sich selbst stärkten.
Der Verlauf der Frage nach dem Was richtet sich von außen nach innen und verformt sich sozusagen, weil die gesetzte Aktion eine innere Wirkung auslöst. Somit ist die zweite Selbst-Coaching-Hausübung, die der Klient mitnimmt, angelegt. Die Frage nach dem Was leitet die Frage zum Wie ein.
Die nächste und letzte Frage, die der Coach jetzt stellt, ist: „Wie schaffen Sie es – mit welcher inneren Haltung – das Gegebene zu akzeptieren, wie es ist?“
Dies ist die herausforderndste Frage und verlangt dem Klienten viel Kraft und Zeit ab. Diese Frage kann der Klient nicht mit einem eindeutigen Schlagwort oder mit einer Formangabe beantworten. Gleichzeitig setzt die Frage voraus, dass die vorangegangenen Fragen nach dem Wer und Was schon zu einer Akzeptanz und ersten Verinnerlichung der Situation geführt haben.
Mit der Frage nach dem Wie wird an den Werten und Prinzipien des Klienten gekratzt. Hier tut Humor gut und Coach und Klient dürfen fantasieren. Hier hat auch Spiritualität Platz: der Glaube daran, dass letztendlich alles gut wird. Die Metaebene kommt ins Spiel. Der Coach kann mit Hilfe einer übergeordneten Betrachtungsweise dem Klienten in seiner Situation helfen, sich selbst ein Stück weit herauszunehmen. Der Coach muss dem Klienten verdeutlichen, dass neue Werte helfen, aktiv zu werden und dem eigenen Handeln Richtung zu geben. Der Coach kann auch vertiefend fragen: „Wie wollen Sie leben?“
Die Wirkung von innen nach außen – also im Sinne des ressourcenorientierten Ansatzes – muss der Coach mit dem Klienten durchleben. Es geht darum, dass der Klient aus seiner ganzen Tragik das Gute daran erkennen und herauslösen kann und eine Art von Autonomie entwickeln will. Der Wille, weiterzugehen, sich mit den neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen, sich mit ihnen zu entfalten, enthüllt die Chance, über den Schlag hinwegzusteigen. Natürlich gelingt das nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit. Coaching kann aber einen Impuls geben, einen Hinweis, einen Horizont andeuten.
Am Beispiel der Führungskraft war der Zeitfaktor ein ganz wichtiges Element, das die vertiefende Frage „Wie will ich arbeiten?“ hervorgebracht hat. Möglichkeiten einer Neuorientierung genauso wie einer Spezialisierung taten sich auf.
Die Frage nach dem Wie kann nicht als Hausübung verstanden werden, sondern als Entwicklungsschritt. Um mit der Beantwortung dieser Frage weiterzukommen, kann der Coach einen Fortsetzungstermin bzw. eine Folgesitzung in Aussicht stellen, damit sich der Klient nicht überfordert fühlt und einen Anhaltspunkt hat.
Die Fragen nach dem Was und dem Wie klingen im ersten Moment für den Klienten ähnlich und scheinen nahe beieinander zu liegen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche Denkprozesse handelt – nämlich um entgegengesetzte Abläufe. Bei der Frage nach dem Was verläuft die Entwicklung von außen nach innen und bei der Frage nach dem Wie von innen nach außen. Bei allen drei Fragen hilft die regelmäßige Überprüfung ihrer Antworten – diese durchaus auch in Form eines Selbst-Coachings –, vor allem weil sich Rahmenbedingungen schnell ändern können.
Der Coach kann seinen Klienten anhand des systemischen Coaching-Ansatzes am besten unterstützen, weil er ihn mit seinem ganzen Umfeld betrachtet und somit sein persönliches System mitberücksichtigt. Um ein Gespür für die unterschiedlichen Denkanstöße zu bekommen, macht es Sinn, dass der Coach das Tool im Selbst-Coaching erprobt (auch nur gedanklich). Wie in jeder Coaching-Situation gilt als oberste Prämisse, dass Coach und Klient einander vertrauen.
Dieses Tool wurde nur im Business-Coaching angewendet, also im Zusammenhang mit beruflichen Herausforderungen und Krisen. Jeder (berufliche) Schlag ist für den Klienten mit sehr vielen Emotionen verbunden, weshalb seitens des Coachs Einfühlungsvermögen gefragt ist, das nicht mit Mitleid oder gar eigenen Erfahrungen vermischt werden sollte. Welche (möglicherweise auch privaten) Resilienz-Themen den Coaching-Rahmen sprengen, weil sie in Therapie und ärztliche Behandlung münden könnten, muss jeder Coach einschätzen können und den Coaching-Auftrag im Bedarfsfall ablehnen.
Für das Coaching sollten ca. 60 bis 120 Minuten eingeplant werden. Die Fragen können verschriftlicht sowie als Grafik auf einem Flipchart festgehalten werden. Zusätzlich können die Antworten des Klienten dazugeschrieben und so dokumentiert werden. Eine Selbst-Coaching-Karte als Geschenk für den Klienten kann in Anlehnung an die Grafik (S. XX) mitgegeben werden. Für eine Neuausrichtung von Werten und Prinzipen ist es hilfreich, eine Werteliste bereitzuhalten, damit der Klient sich bei der Definition und Benennung leichter tut. Zum Abschluss kann dem Klienten mit den „Hausübungen“ noch ein Folgetermin angeboten werden.