Als ich anfing, den Beitrag „Relationales Coaching“ in der Januar-Ausgabe des RAUEN Coaching-Newsletters zu lesen, habe ich mich gefreut: Da geht die Autorin, Dr. Sonja Radatz, mal mit dem notwendigen Schuss Augenzwinkern und Ironie an das Thema „Was ist gutes Coaching?“ heran. Bei jeder weiteren Zeile wurde mir jedoch klarer: Die Autorin meint das wirklich ernst! Und dann begann sich meine Freude umzuwandeln: Das will ich nicht unkommentiert stehen lassen.
Denn der Beitrag klingt nicht relational, sondern relativierend. Er braucht Widerspruch, denn Komplexität kann nicht durch Simplifizierung und Vertrauen darauf, dass es mit Imagination des Zukunftsbildes schon funktioniert, begegnet werden. Es ist zu befürchten, dass die Ausführungen allen Bindestrich-Coaches und ihren Wunderversprechen in die Karten spielen. Wirksames Business-Coaching geht auch anders:
Coaching-Prozesse finden sehr selten vor einer weißen Leinwand statt. Deshalb greift der folgende Ratschlag im Hauptbeitrag des Januar-Newsletters ins Leere: „Wenn Coaches mit dem Klienten – abseits all seiner problematischen Vergangenheit – redlich herausarbeiten, wer und wie er gerne ab morgen sein will, dann kann er sich das geistig vorstellen und tatsächlich ab morgen genau das leben.“
Klienten sind immer eingebunden in Kontexte: Familie, Freunde, die Organisation, in der sie beruflich oder ehrenamtlich tätig sind, usw. Business-Coaching, das wirksam sein will, arbeitet daher am (Verhaltens-)Repertoire im konkreten Arbeitskontext des Klienten. Dabei geht der Blick zunächst auf den Kontext, die Organisation und die Struktur, in der der Klient sein Anliegen formuliert, denn wer in einem Unternehmen arbeitet, muss sich an „Regeln“ halten. Wenn die Auswirkungen dieser „Regeln“ auf den Klienten bekannt sind, bearbeitet man die „individuelle Ebene“. So wird sichergestellt,
Wenn dann von der Autorin noch geraten wird, „Wir brauchen kein ‚um zu‘“, denn man könne sich „die Fragen rund um das ‚Was können sie tun, um zur Lösung zu kommen?‘“ sparen, dann ist das kontextblind und negiert, dass Veränderung meist in Schritten und nicht durch Imagination allein geschieht.
Natürlich kann die Aussage, „Wir brauchen keine Ratschläge formulieren“, in dem Text nicht fehlen. Stimmt und stimmt auch wieder nicht, finde ich. Es stimmt: Ein Coach kann den Klienten und seinen Kontext nie so kennen, dass er eine passende Lösung für den Klienten erarbeitet. Deswegen muss er keine Ratschläge formulieren. Aber wenn dem Business-Coach Expertenwissen für den speziellen Klienten und Kontext zur Verfügung steht, muss er es anbieten. Dieses Angebot zurückzuhalten, wäre unprofessionell und illoyal.
Denn Angebote im Sinne von James G. March (2016, S. 10) sind wirksam: „Das Herzstück einer guten Beratung ist die Einsicht, dass kein Berater genug über die Zusammenhänge weiß, um konkrete Ratschläge zu erteilen. Ein guter Berater kann bestimmte Dinge ansprechen. Was er sagt, ist immer irgendwie falsch. Es sollte aber mindestens so falsch sein, dass es einen Manager dazu bringt, noch einmal neu darüber nachzudenken, was er eigentlich tut.“
Und jetzt unterscheidet sich wirksames von unwirksamem Vorgehen im Business-Coaching. Das, was im Sinne von March angeboten wird, beruht bei einem professionellen Coach auf seinem Wissen und seiner Erfahrung bei der Hypothesenbildung, d.h. der Art, wie er beobachtet, interveniert und dann die Veränderung wahrnimmt.
Wirksame Business-Coaches werden ihren Klienten darstellen, warum sie was wie tun. Ihre Interventionen, Prozess- und Beziehungsgestaltung legen sie bewusst offen. So entsteht ein gemeinsam getragenes Coaching, das das Repertoire des Klienten erweitert.
Ich stimme der Autorin des Januar-Hauptbeitrages zu: In der Gegend herumzufragen, ist wirkungslos, so elaboriert die Fragetechnik auch sein kann. Das wäre „Schießen mit Schrot“ – in der Hoffnung, dass schon irgendwas nachbleibt. Wir teilen auch die Position, dass es die eine richtige Vorgehensweise im Coaching nicht gibt.
Aber Dr. Radatz beschreibt ein unsachgemäßes Vorgehensmodell, wenn sie rät: „Im ‚Trial and Error‘ können Coaches herausfinden, was in ihren eigenen Coachings funktioniert. Und woran erkennen sie das? Na, an zufriedenen Klienten natürlich.“ Hoffentlich ist dieser Rat eine provokante Zuspitzung und nicht so simplifizierend gemeint, wie er da steht. Dass das dann auch noch mit einem Zitat von Steve de Shazer unterlegt wird, macht es leider nicht besser.
Da bleiben eine Menge Fragen der Berufsethik von Business-Coaching offen, z.B.:
Es ist doch eine Binsenweisheit: Die Entwicklung zu einem wirksamen Coach ist ein Prozess des sozialen, erfahrungsbasierten Lernens – aber der unterscheidet sich erheblich vom Herumstolpern eines „Trial and Error“.
Und natürlich ist „Trial and Error“ auch kein Protoyping oder gar agil. Sowohl Protoyping als auch agiles Arbeiten folgen klaren und transparenten Vorgehensmodellen und probieren nicht einfach so herum ...
Business-Coach ist eine berufliche Rolle, die vielen unterschiedlichen Erwartungen unterliegt. Einige sind leicht erfüllbar, andere werden klar zurückgewiesen. Professionalität beweist ein Coach dann, wenn er die dazwischenliegenden Erwartungen und Paradoxien „händeln“ kann. Das ist kein Hexenwerk, aber doch Arbeit, die oft kompliziert scheint und immer häufiger komplex ist.
Diesem Kontext mit dem Simplify-Ansatz zu begegnen, zu raten, allen Ballast abzuwerfen, und die „einfache Beratung“ auszurufen, ist ein verführerisches Versprechen, dessen Reiz Coaches nicht erliegen sollten. Damit die Klienten zufrieden sind!
In der Zwischenzeit bleibt wohl nur der Blick von Stefan Kühl (2018, S. 11) auf den schon jahrelang dauernden Prozess der Professionsbildung im Coaching: „Solange es keinen kontrollierten Zugang zum Beruf des Coachings gibt, keine Möglichkeiten, Scharlatane als Anbieter zu entfernen oder die Qualität des Beratungsangebots zu standardisieren, wird es die Lösung für das Problem der Kompetenzdarstellung nur auf der Ebene der einzelnen Coaches geben.“